Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2013Fuchs und Fibel
Warum Macchiavellis „Fürst“, vor 500 Jahren geschrieben, bis heute die
wichtigste Anleitung zu politischem Erfolg ist. Von Herfried Münkler
Es gehört zu den großen Paradoxien der politischen Ideengeschichte, dass ausgerechnet ein gescheiterter Politiker zum Verfasser der bis heute wichtigsten Anleitung zu erfolgreichem politischen Handeln geworden ist. Und gescheitert war Niccolò Machiavelli, als er den „Principe“, den „Fürsten“, vor 500 Jahren schrieb, in jeder Hinsicht: Man hatte ihn nicht nur aller Ämter enthoben, sondern auch noch einer Verschwörung gegen die Medici verdächtigt, ihn inhaftiert, gefoltert und schließlich aus Florenz verbannt. Von seinem Landgut in Sant’Andrea in Percussina aus konnte Machiavelli die Türme von Florenz sehen. Was für den heutigen Touristen ein pittoresker Anblick ist, war für Machiavelli eine bittere Erinnerung: Die politische Erneuerung aus altrömischem Geist war fehlgeschlagen. Er schrieb den „Principe“ auch, um zu zeigen, dass er trotz seines Scheiterns in Florenz wusste, wie man im politischen Betrieb erfolgreich sein konnte.
Daran ist freilich immer wieder gezweifelt worden: Was er in die Welt gesetzt habe, seien Phantasien, nostalgische Seifenblasen und politische Romantik. Wer sich daran orientiere, gehe zugrunde, so die Soziologen Alfred von Martin und René König. Und die anderen, zu denen auch der junge Kronprinz Friedrich von Preußen gehörte: Wer in aller Offenheit derart zynisch argumentiere wie Machiavelli, verstelle sich selbst die Möglichkeit, die Gegner zu täuschen und seine Anhänger hinter sich zu scharen. Das war nur schwer von der Hand zu weisen. Und doch hat man Machiavelli als Analytiker erfolgreichen Agierens immer wieder neu entdeckt, nicht nur für die Politik, sondern ebenso für Wirtschaft und Menschenführung.
Allgemein gilt Machiavelli als ein kühler Kopf, und doch war er ein leidenschaftlicher Denker. Was ihn antrieb, war unter anderem die Leidenschaft präzisen Denkens. Mit äußerster Gelassenheit vermaß er die Voraussetzungen politischen Erfolgs, aber ebenso stritt er leidenschaftlich dafür, dass die politischen Ziele, die ihm am Herzen lagen, mit effektiven Mitteln und Methoden verfolgt wurden. In seiner Charakterisierung dessen, der zur Politik berufen ist, hat Max Weber Leidenschaft und Augenmaß als die wichtigste Eigenschaften des Politikers bezeichnet. Beides hat Machiavelli dem Politiker, der Erfolg haben wolle, aufs dringlichste verordnet: Augenmaß zwecks Distanz gegenüber der Schönrednerei der Humanisten, die den Eindruck erweckten, es gehe in der Politik gar nicht um Macht, sondern um die Rettung der eigenen Seele; und Leidenschaft für die politischen Ziele, die man sich gesetzt hatte. Diese Mischung hat den „Fürsten“ zu einem explosiven Text werden lassen.
Machiavelli war ein Kopf, der aus augenscheinlichen Widersprüchen intellektuelles Kapital zu schlagen vermochte. Hätte man ihn gefragt, wie ein wie er Gescheiterter sich anheischig machen könne, eine Fibel erfolgreicher Politik zu verfassen, so hätte er wohl geantwortet, Scheitern sei die Voraussetzung für Lernen. Wer immer Erfolge habe, denke nicht innovativ, sondern ruhe sich auf diesen Erfolgen aus. Karl Deutschs ironische Definition von Macht als Lizenz zum Nichtlernen hätte Machiavelli gefallen. Im „Principe“ hat er den Löwen und den Fuchs als die beiden Embleme des politischen Menschen bezeichnet: der Fuchs, mit dem sich Machiavelli selbst identifiziert hat, ist von Natur aus schwach; deswegen muss er aufmerksam sein, jede Veränderung der Lage sofort erkennen und ständig darüber nachdenken, wie er mit möglichst geringem Mittelaufwand möglichst große Effekte erzielen kann. Der Löwe dagegen, stark und gefürchtet, kennt das Problem knapper Ressourcen nicht. Er ist ein Politiker der Sorglosigkeit und Verschwendung. Weil er den Kopf immer oben trägt, erkennt er die Fallen nicht, die ihm gestellt werden. Er sollte sich darum mit dem Fuchs zusammentun, der alle Fallen kennt. Der starke Herrscher und der listige Intellektuelle – das war für Machiavelli die ideale Kombination im politischen Kampf. In diesem Sinne hat er sich den Mächtigen als deren gewiefter Berater angeboten.
Das nämlich war „Der Fürst“ auch: eine Bewerbungsschrift um die Wiederverwendung als Politikberater. Da keiner seiner Freunde und früheren Förderer ihm ein Empfehlungsschreiben ausstellen konnte oder wollte, musste er es selber tun. So entstand der „Principe“. Er handelt von dem, was Machiavelli in der Politik und über die Politik gelernt hat, als Praktiker, der er vierzehn Jahre lang war, und als aufmerksamer Leser historischer Schriften. Er glich seine Erfahrungen mit dem angelesenen Wissen ab und verfasste auf dieser Grundlage seine Ratschläge. Machiavelli traf eine methodische Vorentscheidung, als er sich nicht nur mit denen beschäftigte, die moralisch gute Menschen waren und Erfolg hatten, sondern sich für den Erfolg unabhängig von der moralischen Qualifikation der erforderlichen Mittel interessierte. Das machte den „Principe“ zum Skandalon.
Machiavelli hat seinen kleinen Politikratgeber 1513 nicht selbst publiziert, sondern bloß unter Freunden und Bekannten zirkulieren lassen. Zweimal hat er den Text mit Widmungsschreiben an einen Fürsten geschickt, von dem er glaubte, dass er Großes vorhabe und dabei einen Berater wie ihn gebrauchen könne. Aber als Empfehlung für die Rückkehr in ein politisches Amt hat sich der „Principe“ als Fehlschlag erwiesen: Die Löwen glaubten, sie bräuchten keine Füchse als Berater, und einen Fuchs wie Machiavelli wollte keiner in seiner Umgebung haben. Machiavelli war also dazu verurteilt, sich aus einem Politiker in einen politischen Intellektuellen zu verwandeln. Er arbeitete an seinen „Discorsi“, Reflexionen über die römische Geschichte, deren Abfassung er für die Niederschrift des „Fürsten“ zeitweilig unterbrochen hatte, und gelegentlich feilte er auch daran weiter und fügte neue Passagen hinzu.
Vermutlich betrachtete Machiavelli seine Vorschläge für erfolgreiches Handeln als Arkanwissen, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Man musste nicht unbedingt auf der Piazza ausplaudern, was im Palazzo verhandelt wurde. Diese Überlegungen allgemein bekannt zu machen, wäre für den Theoretiker der Geheimhaltung und Verstellung ein Selbstwiderspruch gewesen. So wurde der „Fürst“ erst nach Machiavellis Tod (1527) veröffentlicht. Obwohl vermutlich mehrere Abschriften des ursprünglich „De principatibus“ betitelten Manuskripts zirkulierten, ist nur eine Fassung überliefert – die im Januar 1532 in der päpstlichen Offizin des Antonio Blado gedruckte, die auch erstmals denTitel „Il Principe“ erhielt. Auf sie gründen sich die zahllosen Nachdrucke. Mit der Veröffentlichung wurde aus Handlungsvorschlägen, die nur für den innersten Zirkel der Macht gedacht waren, eine moralische Provokation, die das Nachdenken darüber, was politisch oder karrieretechnisch zulässig sei, wie kein anderer Text zuvor und danach angeregt hat. Jean-Jacques Rousseau hatte diese Wirkung im Auge, als er schrieb, Machiavelli sei ein Aufklärer über die Praktiken der Herrscher gewesen und habe das wichtigste Buch zur Verteidigung der Rechte des Volkes verfasst.
Das Wohlergehen des Volkes lag Machiavelli tatsächlich am Herzen. Aber er hat es nicht als Rechtsanspruch der Bürger begriffen, sondern als Folge kluger, erfolgreicher Politik. Dass es durch die strikte Ausrichtung des Herrschers an den vier Kardinaltugenden von Gerechtigkeit, Weisheit, Stärke und Großherzigkeit zu verwirklichen sei, wie die christlichen und humanistischen Autoren versicherten, bezweifelte er. Er wollte, dass der Politiker die Tugendforderungen richtig verstand: Stärke heiße, dass man über eigene Truppen verfüge und nicht auf Söldner angewiesen sei, bei der Gerechtigkeit komme es darauf an, in ihrem Ruf zu stehen, nicht aber wirklich gerecht zu sein. Wer politisch überleben wolle, brauche mehr Optionen als bloß die von der Gerechtigkeit zugelassenen. Machiavelli wusste um die Bedeutung von Imagepflege im Politikbetrieb. Unter Weisheit sei vor allem politische Schläue zu verstehen, womit er wieder auf den Fuchs als Berater der Löwen zurückkam; und zumeist sei Knauserigkeit in öffentlichen Ausgaben besser als Großherzigkeit, weil ein Herrscher nur dann Wohltaten erweisen könne, wenn er sich durch Steuern und Abgaben die erforderlichen Mittel verschaffe.
Der Mittelteil des „Principe“ ist eine Umdeutung und Neuinterpretation der Kardinaltugenden nach den Vorgaben des politischen Realismus. Nicht auf schöne Worte, sondern auf die tatsächlichen Effekte kommt es an. Machiavelli will Politik auf Output-Orientierung umstellen. Weil er um die Paradoxien des Politischen wusste, hielt er die moralphilosophische Insistenz auf den Motiven und Absichten der Herrschenden für den falschen Weg; man muss vom Ergebnis her denken, um zu einer guten Politik zu gelangen.
In der Geschichte des politischen Denkens ist Machiavelli der Erste, der die Paradoxie ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt hat –es ist das Wissen ums Paradoxe, das die physisch so viel schwächeren Füchse mit den kraftstrotzenden Löwen auf eine Ebene stellt. Der Text des „Fürsten“ mag sich an die Mächtigen dieser Welt wenden und ihnen Ratschläge geben, wie sie noch mächtiger werden können. Der im Text verborgene Subtext jedoch, der auch durch seine Publikationnicht für jeden erkennbar geworden ist, wendet sich an die politischen Intellektuellen, von denen diese Ratschläge gedeutet und zugespitzt werden müssen. Das ist der Grund, warum die Veröffentlichung des „Principe“ das Rätselhafte und Geheimnisvolle in ihm nicht aufzulösen vermochte. Im Gegenteil: Beides ist noch größer geworden. Und deswegen erfährt „Der Fürst“ immer wieder neue Renaissancen der Aufmerksamkeit.
Herfried Münkler ist Professor für Theorie der Politik an der Berliner Humboldt-Universität. Sein „Machiavelli“ ist als Fischer-Taschenbuch lieferbar.
Die ideale Kombination:
der mächtige Politiker und
der listige Intellektuelle
Moral und Motive der
Regierenden? Man muss
vom Ergebnis her denken!
Niccolò Machiavelli (1469-1527) wurde vom politisch Gescheiterten zum vielgelesenen Politikberater. Sein postum entstandenes Bildnis, gemalt von Santi di Tito (1536-1603), hängt im Palazzo Vecchio in Florenz .
FOTO: ACTION PRESS
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Warum Macchiavellis „Fürst“, vor 500 Jahren geschrieben, bis heute die
wichtigste Anleitung zu politischem Erfolg ist. Von Herfried Münkler
Es gehört zu den großen Paradoxien der politischen Ideengeschichte, dass ausgerechnet ein gescheiterter Politiker zum Verfasser der bis heute wichtigsten Anleitung zu erfolgreichem politischen Handeln geworden ist. Und gescheitert war Niccolò Machiavelli, als er den „Principe“, den „Fürsten“, vor 500 Jahren schrieb, in jeder Hinsicht: Man hatte ihn nicht nur aller Ämter enthoben, sondern auch noch einer Verschwörung gegen die Medici verdächtigt, ihn inhaftiert, gefoltert und schließlich aus Florenz verbannt. Von seinem Landgut in Sant’Andrea in Percussina aus konnte Machiavelli die Türme von Florenz sehen. Was für den heutigen Touristen ein pittoresker Anblick ist, war für Machiavelli eine bittere Erinnerung: Die politische Erneuerung aus altrömischem Geist war fehlgeschlagen. Er schrieb den „Principe“ auch, um zu zeigen, dass er trotz seines Scheiterns in Florenz wusste, wie man im politischen Betrieb erfolgreich sein konnte.
Daran ist freilich immer wieder gezweifelt worden: Was er in die Welt gesetzt habe, seien Phantasien, nostalgische Seifenblasen und politische Romantik. Wer sich daran orientiere, gehe zugrunde, so die Soziologen Alfred von Martin und René König. Und die anderen, zu denen auch der junge Kronprinz Friedrich von Preußen gehörte: Wer in aller Offenheit derart zynisch argumentiere wie Machiavelli, verstelle sich selbst die Möglichkeit, die Gegner zu täuschen und seine Anhänger hinter sich zu scharen. Das war nur schwer von der Hand zu weisen. Und doch hat man Machiavelli als Analytiker erfolgreichen Agierens immer wieder neu entdeckt, nicht nur für die Politik, sondern ebenso für Wirtschaft und Menschenführung.
Allgemein gilt Machiavelli als ein kühler Kopf, und doch war er ein leidenschaftlicher Denker. Was ihn antrieb, war unter anderem die Leidenschaft präzisen Denkens. Mit äußerster Gelassenheit vermaß er die Voraussetzungen politischen Erfolgs, aber ebenso stritt er leidenschaftlich dafür, dass die politischen Ziele, die ihm am Herzen lagen, mit effektiven Mitteln und Methoden verfolgt wurden. In seiner Charakterisierung dessen, der zur Politik berufen ist, hat Max Weber Leidenschaft und Augenmaß als die wichtigste Eigenschaften des Politikers bezeichnet. Beides hat Machiavelli dem Politiker, der Erfolg haben wolle, aufs dringlichste verordnet: Augenmaß zwecks Distanz gegenüber der Schönrednerei der Humanisten, die den Eindruck erweckten, es gehe in der Politik gar nicht um Macht, sondern um die Rettung der eigenen Seele; und Leidenschaft für die politischen Ziele, die man sich gesetzt hatte. Diese Mischung hat den „Fürsten“ zu einem explosiven Text werden lassen.
Machiavelli war ein Kopf, der aus augenscheinlichen Widersprüchen intellektuelles Kapital zu schlagen vermochte. Hätte man ihn gefragt, wie ein wie er Gescheiterter sich anheischig machen könne, eine Fibel erfolgreicher Politik zu verfassen, so hätte er wohl geantwortet, Scheitern sei die Voraussetzung für Lernen. Wer immer Erfolge habe, denke nicht innovativ, sondern ruhe sich auf diesen Erfolgen aus. Karl Deutschs ironische Definition von Macht als Lizenz zum Nichtlernen hätte Machiavelli gefallen. Im „Principe“ hat er den Löwen und den Fuchs als die beiden Embleme des politischen Menschen bezeichnet: der Fuchs, mit dem sich Machiavelli selbst identifiziert hat, ist von Natur aus schwach; deswegen muss er aufmerksam sein, jede Veränderung der Lage sofort erkennen und ständig darüber nachdenken, wie er mit möglichst geringem Mittelaufwand möglichst große Effekte erzielen kann. Der Löwe dagegen, stark und gefürchtet, kennt das Problem knapper Ressourcen nicht. Er ist ein Politiker der Sorglosigkeit und Verschwendung. Weil er den Kopf immer oben trägt, erkennt er die Fallen nicht, die ihm gestellt werden. Er sollte sich darum mit dem Fuchs zusammentun, der alle Fallen kennt. Der starke Herrscher und der listige Intellektuelle – das war für Machiavelli die ideale Kombination im politischen Kampf. In diesem Sinne hat er sich den Mächtigen als deren gewiefter Berater angeboten.
Das nämlich war „Der Fürst“ auch: eine Bewerbungsschrift um die Wiederverwendung als Politikberater. Da keiner seiner Freunde und früheren Förderer ihm ein Empfehlungsschreiben ausstellen konnte oder wollte, musste er es selber tun. So entstand der „Principe“. Er handelt von dem, was Machiavelli in der Politik und über die Politik gelernt hat, als Praktiker, der er vierzehn Jahre lang war, und als aufmerksamer Leser historischer Schriften. Er glich seine Erfahrungen mit dem angelesenen Wissen ab und verfasste auf dieser Grundlage seine Ratschläge. Machiavelli traf eine methodische Vorentscheidung, als er sich nicht nur mit denen beschäftigte, die moralisch gute Menschen waren und Erfolg hatten, sondern sich für den Erfolg unabhängig von der moralischen Qualifikation der erforderlichen Mittel interessierte. Das machte den „Principe“ zum Skandalon.
Machiavelli hat seinen kleinen Politikratgeber 1513 nicht selbst publiziert, sondern bloß unter Freunden und Bekannten zirkulieren lassen. Zweimal hat er den Text mit Widmungsschreiben an einen Fürsten geschickt, von dem er glaubte, dass er Großes vorhabe und dabei einen Berater wie ihn gebrauchen könne. Aber als Empfehlung für die Rückkehr in ein politisches Amt hat sich der „Principe“ als Fehlschlag erwiesen: Die Löwen glaubten, sie bräuchten keine Füchse als Berater, und einen Fuchs wie Machiavelli wollte keiner in seiner Umgebung haben. Machiavelli war also dazu verurteilt, sich aus einem Politiker in einen politischen Intellektuellen zu verwandeln. Er arbeitete an seinen „Discorsi“, Reflexionen über die römische Geschichte, deren Abfassung er für die Niederschrift des „Fürsten“ zeitweilig unterbrochen hatte, und gelegentlich feilte er auch daran weiter und fügte neue Passagen hinzu.
Vermutlich betrachtete Machiavelli seine Vorschläge für erfolgreiches Handeln als Arkanwissen, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Man musste nicht unbedingt auf der Piazza ausplaudern, was im Palazzo verhandelt wurde. Diese Überlegungen allgemein bekannt zu machen, wäre für den Theoretiker der Geheimhaltung und Verstellung ein Selbstwiderspruch gewesen. So wurde der „Fürst“ erst nach Machiavellis Tod (1527) veröffentlicht. Obwohl vermutlich mehrere Abschriften des ursprünglich „De principatibus“ betitelten Manuskripts zirkulierten, ist nur eine Fassung überliefert – die im Januar 1532 in der päpstlichen Offizin des Antonio Blado gedruckte, die auch erstmals denTitel „Il Principe“ erhielt. Auf sie gründen sich die zahllosen Nachdrucke. Mit der Veröffentlichung wurde aus Handlungsvorschlägen, die nur für den innersten Zirkel der Macht gedacht waren, eine moralische Provokation, die das Nachdenken darüber, was politisch oder karrieretechnisch zulässig sei, wie kein anderer Text zuvor und danach angeregt hat. Jean-Jacques Rousseau hatte diese Wirkung im Auge, als er schrieb, Machiavelli sei ein Aufklärer über die Praktiken der Herrscher gewesen und habe das wichtigste Buch zur Verteidigung der Rechte des Volkes verfasst.
Das Wohlergehen des Volkes lag Machiavelli tatsächlich am Herzen. Aber er hat es nicht als Rechtsanspruch der Bürger begriffen, sondern als Folge kluger, erfolgreicher Politik. Dass es durch die strikte Ausrichtung des Herrschers an den vier Kardinaltugenden von Gerechtigkeit, Weisheit, Stärke und Großherzigkeit zu verwirklichen sei, wie die christlichen und humanistischen Autoren versicherten, bezweifelte er. Er wollte, dass der Politiker die Tugendforderungen richtig verstand: Stärke heiße, dass man über eigene Truppen verfüge und nicht auf Söldner angewiesen sei, bei der Gerechtigkeit komme es darauf an, in ihrem Ruf zu stehen, nicht aber wirklich gerecht zu sein. Wer politisch überleben wolle, brauche mehr Optionen als bloß die von der Gerechtigkeit zugelassenen. Machiavelli wusste um die Bedeutung von Imagepflege im Politikbetrieb. Unter Weisheit sei vor allem politische Schläue zu verstehen, womit er wieder auf den Fuchs als Berater der Löwen zurückkam; und zumeist sei Knauserigkeit in öffentlichen Ausgaben besser als Großherzigkeit, weil ein Herrscher nur dann Wohltaten erweisen könne, wenn er sich durch Steuern und Abgaben die erforderlichen Mittel verschaffe.
Der Mittelteil des „Principe“ ist eine Umdeutung und Neuinterpretation der Kardinaltugenden nach den Vorgaben des politischen Realismus. Nicht auf schöne Worte, sondern auf die tatsächlichen Effekte kommt es an. Machiavelli will Politik auf Output-Orientierung umstellen. Weil er um die Paradoxien des Politischen wusste, hielt er die moralphilosophische Insistenz auf den Motiven und Absichten der Herrschenden für den falschen Weg; man muss vom Ergebnis her denken, um zu einer guten Politik zu gelangen.
In der Geschichte des politischen Denkens ist Machiavelli der Erste, der die Paradoxie ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt hat –es ist das Wissen ums Paradoxe, das die physisch so viel schwächeren Füchse mit den kraftstrotzenden Löwen auf eine Ebene stellt. Der Text des „Fürsten“ mag sich an die Mächtigen dieser Welt wenden und ihnen Ratschläge geben, wie sie noch mächtiger werden können. Der im Text verborgene Subtext jedoch, der auch durch seine Publikationnicht für jeden erkennbar geworden ist, wendet sich an die politischen Intellektuellen, von denen diese Ratschläge gedeutet und zugespitzt werden müssen. Das ist der Grund, warum die Veröffentlichung des „Principe“ das Rätselhafte und Geheimnisvolle in ihm nicht aufzulösen vermochte. Im Gegenteil: Beides ist noch größer geworden. Und deswegen erfährt „Der Fürst“ immer wieder neue Renaissancen der Aufmerksamkeit.
Herfried Münkler ist Professor für Theorie der Politik an der Berliner Humboldt-Universität. Sein „Machiavelli“ ist als Fischer-Taschenbuch lieferbar.
Die ideale Kombination:
der mächtige Politiker und
der listige Intellektuelle
Moral und Motive der
Regierenden? Man muss
vom Ergebnis her denken!
Niccolò Machiavelli (1469-1527) wurde vom politisch Gescheiterten zum vielgelesenen Politikberater. Sein postum entstandenes Bildnis, gemalt von Santi di Tito (1536-1603), hängt im Palazzo Vecchio in Florenz .
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