Produktdetails
- Enzyklopädie Deutscher Geschichte (EDG)
- Verlag: Oldenbourg
- Seitenzahl: 134
- Abmessung: 230mm
- Gewicht: 326g
- ISBN-13: 9783486558630
- Artikelnr.: 27146872
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.1996Wer einmal seinen Narren an den Höfen fraß
Der findet im Deutschland der Frühen Neuzeit reichlich neue Nahrung, meint Rainer A. Müller
"Der deutsche Fürstenhof fand und findet in der historischen Forschung kaum Interesse." So die Erwartungen herunterschraubend, eröffnet der Eichstädter Historiker Rainer A. Müller den Teil des Büchleins, das sich - der bewährten Konzeption der Reihe folgend - mit den Grundtendenzen der Forschung beschäftigt. Das ist gewiß richtig im Vergleich etwa zu der zentralen Bedeutung des Hofes im Italien der Renaissance oder im französischen Absolutismus, aber das Urteil relativiert sich doch angesichts der Forschungserträge der letzten Jahrzehnte oder wenn man gar die ältere kulturgeschichtliche Forschung durchmustert, von der neueren literaturhistorischen Forschung ganz zu schweigen. Wer immer sich mit den zirka 350 Hofhaltungen im Heiligen Römischen Reich auseinandersetzt, wird gewiß viel Drittrangig-Belangloses ermitteln, und selbst der Blick auf das knappe Dutzend veritabler Residenzen im Reich wird manche Enttäuschung für den bieten, der immer nur Florenz oder gar Versailles als Vergleich bereithält. Dies steht in einem nicht zu übersehenden Mißverhältnis zu der Bedeutung des Hofes, die in Anlehnung an Norbert Elias vor allem an Versailles festgemacht werden kann, das in seinem Konzept als Exempel herrscherlicher Selbstdarstellung einerseits und eines domestizierten Adels gelten muß. Die neuere Hofforschung lebt deshalb stark von der Anlehnung an Elias, sei es, um seine Thesen modifiziert zu übernehmen oder um sie gerade für den deutschen Bereich als nicht übertragbar abzulehnen.
Müller verzichtet bei der Gliederung seines Materials auf eine chronologische Anordnung und präsentiert die zentralen Themen in systematischer Anordnung. Er arbeitet zunächst die konstitutive Bedeutung der Spannung zwischen Kaiser- und Fürstenhöfen heraus, belegt europäische Einflüsse von Burgund bis Frankreich, beschreibt die Hofämter und das beachtliche Ansteigen des Hofpersonals, das sich in der frühen Neuzeit fast verfünffacht, und differenziert zwischen diesem Hofpersonal und dem Personal der Landesverwaltung. Hier zeigt sich freilich, daß eine saubere Trennung schwer zu erreichen ist, denn natürlich nahm der Hof all das Personal auf, das im Zuge der Verwaltungsverdichtung notwendig wurde. Beachtung findet natürlich auch das Hofzeremoniell, das aus Spanien und Frankreich übernommen wurde, wobei freilich zuwenig die Minderformen dieses Phänomens bedacht werden, die viele deutsche Höfe prägten.
Unter der Rubrik Kunst und Wissenschaft werden zu Recht die Bibliotheken von Wolfenbüttel über Heidelberg bis München angeführt; zu wenig in den Blick kommt der Hof als Zentrum der Wissenschaft. Haben nicht Tycho Brahe und Johannes Kepler am Hofe Rudolfs II. gewirkt (hier fehlt die wichtige Studie von R. W. Evans von 1972), war nicht der Kasseler Hof ein Zentrum der alchimistischen Wissenschaft, waren es nicht die deutschen Höfe, die Galilei um ein Exemplar seines Fernrohrs baten? Daß natürlich die Jagd, die Feste, die höfische Geselligkeit und der Luxusbedarf des Hofes erwähnt werden, versteht sich von selbst, während die starke Beachtung von Architektur, Interieur und Gartenanlage angenehm überrascht.
In seiner knappen Analyse der neueren Forschung folgt Müller notwendigerweise dem Elias-Syndrom, das sich bis in die neuesten, noch nicht überzeugenden Typisierungsvorschläge durchzieht. Eine Typisierung wird schwerlich zu erreichen sein, wenn man die unterschiedlichen Hoftypen im Reich integrieren will. Die elementaren Unterschiede zwischen dem stark absolutistischen Regiment eines Flächenstaates, einem mittleren geistlichen Territorium, einem calvinistisch geprägten Hofleben oder einem Territorium mit starker ständischer Machtstellung können kaum vereinheitlicht werden, es sei denn, man hebt stärker auf die Frage der Machtkonzentration ab, die in jedem Fall mit dem Ausbau des Hofes erreicht werden sollte. Trost kann hier nur Goethe spenden, der im Gespräch mit Eckermann 1828 die Entwicklung Deutschlands pries: "Gesetzt, wir hätten in Deutschland seit Jahrhunderten nur die beiden Residenzstädte Wien und Berlin oder gar nur eine, da möchte ich doch sehen, wie es um die deutsche Kultur stände, ja auch um einen überall verbreiteten Wohlstand, der mit der Kultur Hand in Hand geht." WINFRIED SCHULZE
Rainer A. Müller: "Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit". Enzyklopädie Deutscher Geschichte Bd. 33. Oldenbourg Verlag, München 1995. 134 S., br., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der findet im Deutschland der Frühen Neuzeit reichlich neue Nahrung, meint Rainer A. Müller
"Der deutsche Fürstenhof fand und findet in der historischen Forschung kaum Interesse." So die Erwartungen herunterschraubend, eröffnet der Eichstädter Historiker Rainer A. Müller den Teil des Büchleins, das sich - der bewährten Konzeption der Reihe folgend - mit den Grundtendenzen der Forschung beschäftigt. Das ist gewiß richtig im Vergleich etwa zu der zentralen Bedeutung des Hofes im Italien der Renaissance oder im französischen Absolutismus, aber das Urteil relativiert sich doch angesichts der Forschungserträge der letzten Jahrzehnte oder wenn man gar die ältere kulturgeschichtliche Forschung durchmustert, von der neueren literaturhistorischen Forschung ganz zu schweigen. Wer immer sich mit den zirka 350 Hofhaltungen im Heiligen Römischen Reich auseinandersetzt, wird gewiß viel Drittrangig-Belangloses ermitteln, und selbst der Blick auf das knappe Dutzend veritabler Residenzen im Reich wird manche Enttäuschung für den bieten, der immer nur Florenz oder gar Versailles als Vergleich bereithält. Dies steht in einem nicht zu übersehenden Mißverhältnis zu der Bedeutung des Hofes, die in Anlehnung an Norbert Elias vor allem an Versailles festgemacht werden kann, das in seinem Konzept als Exempel herrscherlicher Selbstdarstellung einerseits und eines domestizierten Adels gelten muß. Die neuere Hofforschung lebt deshalb stark von der Anlehnung an Elias, sei es, um seine Thesen modifiziert zu übernehmen oder um sie gerade für den deutschen Bereich als nicht übertragbar abzulehnen.
Müller verzichtet bei der Gliederung seines Materials auf eine chronologische Anordnung und präsentiert die zentralen Themen in systematischer Anordnung. Er arbeitet zunächst die konstitutive Bedeutung der Spannung zwischen Kaiser- und Fürstenhöfen heraus, belegt europäische Einflüsse von Burgund bis Frankreich, beschreibt die Hofämter und das beachtliche Ansteigen des Hofpersonals, das sich in der frühen Neuzeit fast verfünffacht, und differenziert zwischen diesem Hofpersonal und dem Personal der Landesverwaltung. Hier zeigt sich freilich, daß eine saubere Trennung schwer zu erreichen ist, denn natürlich nahm der Hof all das Personal auf, das im Zuge der Verwaltungsverdichtung notwendig wurde. Beachtung findet natürlich auch das Hofzeremoniell, das aus Spanien und Frankreich übernommen wurde, wobei freilich zuwenig die Minderformen dieses Phänomens bedacht werden, die viele deutsche Höfe prägten.
Unter der Rubrik Kunst und Wissenschaft werden zu Recht die Bibliotheken von Wolfenbüttel über Heidelberg bis München angeführt; zu wenig in den Blick kommt der Hof als Zentrum der Wissenschaft. Haben nicht Tycho Brahe und Johannes Kepler am Hofe Rudolfs II. gewirkt (hier fehlt die wichtige Studie von R. W. Evans von 1972), war nicht der Kasseler Hof ein Zentrum der alchimistischen Wissenschaft, waren es nicht die deutschen Höfe, die Galilei um ein Exemplar seines Fernrohrs baten? Daß natürlich die Jagd, die Feste, die höfische Geselligkeit und der Luxusbedarf des Hofes erwähnt werden, versteht sich von selbst, während die starke Beachtung von Architektur, Interieur und Gartenanlage angenehm überrascht.
In seiner knappen Analyse der neueren Forschung folgt Müller notwendigerweise dem Elias-Syndrom, das sich bis in die neuesten, noch nicht überzeugenden Typisierungsvorschläge durchzieht. Eine Typisierung wird schwerlich zu erreichen sein, wenn man die unterschiedlichen Hoftypen im Reich integrieren will. Die elementaren Unterschiede zwischen dem stark absolutistischen Regiment eines Flächenstaates, einem mittleren geistlichen Territorium, einem calvinistisch geprägten Hofleben oder einem Territorium mit starker ständischer Machtstellung können kaum vereinheitlicht werden, es sei denn, man hebt stärker auf die Frage der Machtkonzentration ab, die in jedem Fall mit dem Ausbau des Hofes erreicht werden sollte. Trost kann hier nur Goethe spenden, der im Gespräch mit Eckermann 1828 die Entwicklung Deutschlands pries: "Gesetzt, wir hätten in Deutschland seit Jahrhunderten nur die beiden Residenzstädte Wien und Berlin oder gar nur eine, da möchte ich doch sehen, wie es um die deutsche Kultur stände, ja auch um einen überall verbreiteten Wohlstand, der mit der Kultur Hand in Hand geht." WINFRIED SCHULZE
Rainer A. Müller: "Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit". Enzyklopädie Deutscher Geschichte Bd. 33. Oldenbourg Verlag, München 1995. 134 S., br., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Im ersten, darstellenden Abschnitt versteht es M. in kompetenter Weise, einen Überblick über unsere Kenntnisse des Hofes aus der Forschungsliteratur darzubieten. Ausgehend von den mittelalterlichen Wurzeln nimmt M. besonders die strukturellen Bedingungen des Hofes in den Blick: Hoforganisation, Wirtschafts- und Sozialstruktur. Ergänzt wird dies durch eine Darstellung der europäischen Einflüsse auf den deutschen Hof, ein Aspekt, der nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Abgerundet wird der darstellende Teil durch Bemerkungen zu den, man könnte sagen, kunstgeschichtlichen und lebensweltlichen Aspekten des Hofes: Architektur, Feste, Jagden, Gartengestaltung usw. [...] Abschließend ist festzuhalten, daß es M. gelungen ist, das komplexe historische Phänomen Hof verständlich und kompetent darzustellen. Sein Buch wird im Sinne der Vorrede Laien, Studierenden und Forschern eine große Hilfe bei der Einarbeitung in das Thema sein." (Thomas Fuchs in Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte)