In den Jahren 58 bis 50 v. Chr. überzog Gaius Julius Caesar Gallien mit einem furchtbaren Krieg. Ehrsucht und Gewinnstreben waren die maßgeblichen Motive Caesars, dessen Vorgehen im römischen Senat auf erheblichen Widerspruch stieß. Doch der militärische Stratege war auch ein Meister der politischen Taktik. So verfasste er in dieser Situation seine berühmten commentarii de bello gallico, die heute Teil der Weltliteratur sind, damals aber vor allem eine an die Adresse der römischen Öffentlichkeit gerichtete, raffinierte Rechtfertigungsschrift bildeten. Markus Schauer legt eine ereignis- und literaturgeschichtlich fundierte, differenzierte und spannende Einführung in dieses überzeitlich bedeutende Werk vor. Er erhellt die krisenhafte politische Situation der späten römischen Republik, die Karrieren wie jene Caesars erst ermöglicht hat, erklärt, wie es zu Caesars Krieg gegen Gallien kam, wie er verlief und Ausmaße eines Völkermordes annahm, und erläutert dann Wesen und Besonderheiten seiner commentarii - ihre Stellung im Literaturbetrieb, Struktur, raffinierte Darstellungsmethoden, Erfundenes und Historisches, Akteure und Ereignisse. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf die dramatischen Folgen von Caesars Vorgehensweise für den römischen Staat und auf die Rezeption, die Autor und Werk seit 2000 Jahren erfahren haben.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit Caesars "Bellum Gallicum" kann man sich immer wieder beschäftigen, findet Uwe Walter. Erst recht, wenn es so analytisch und sensibel für narratologische Aspekte geschieht, wie bei Markus Schauer, meint der Kritiker. Allerdings sollte man die erste Hälfte des Buches zügig durchblättern, rät Walter: Diese nämlich gerät dem Latinisten zu langatmig, auch fehlerhaft, etwa wenn er "homines novi" zu "neuen Senatoren" macht, und überhaupt zu wenig anschaulich, um den Leser schon mit der Vorgeschichte in den Bann zu ziehen. Dann aber überzeugt das Buch durch Schauers scharfsinnig Beobachtungen und Analysen, etwa wenn er Caesars zwecks Objektivitätsanspruch in eine Wir- und Er-Perspektive aufgeteilte Schrift probeweise in eine alternative Form umwandelt, um festzustellen, dass sie so nicht mehr funktioniert. Großartig auch, wie Schauer Tempo- und Stilwechsel oder Dramatisierungen im Text untersucht, meint der Rezensent, dem dieses Buch als Lektion in "genauem Lesen" dient.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2016Wir sind der Oberbefehlshaber, sprach Gaius Julius
Ein Klassiker, der zu Recht immer wieder studiert werden will: Markus Schauer versucht, den Tricks des Feldherrn und Schriftstellers Caesar auf die Spur zu kommen
Es war vor einigen Jahren ein genialer Einfall der Macher von "Rome", in den Mittelpunkt der HBO-Miniserie über den Untergang der Römischen Reiches zwei Männer zu stellen, die weder gänzlich erfunden noch durch historische Quellen unerwünscht konturiert waren. Titus Pullo und Lucius Vorenus dienten Caesar als Offiziere in Gallien. Im vierten Buch seines "Bellum Gallicum" liefern sie sich einen Wettstreit um die höchste Tapferkeit. Der eine prescht vor, gerät in Bedrängnis, wird vom anderen herausgehauen, das wiederholt sich mit vertauschten Rollen.
Markus Schauer interpretiert die raffiniert gestaltete Episode nach allen Regeln der Kunst. Der Autor Caesar weicht hier von der sonst vorherrschenden Genügsamkeit im Wortschatz ab, variiert den Ausdruck. Im größeren Erzählzusammenhang hat die Episode ebenfalls ihren guten Sinn: Das Heer befindet sich in schwieriger Lage, der Feldherr Caesar ist nicht da, eilt erst später zum Entsatz herbei, aber die Tapferkeit der Truppe ist ungebrochen. Durchhalten lohnt sich, Vertrauen wird belohnt. Caesar muss gar nicht selbst ins Geschehen eingreifen - eine Armee, die solche Unterführer hervorbringt, ist Produkt eines hervorragenden Oberbefehlshabers.
Und der weiß, was er an seinen Centurionen hat - sie sollten im folgenden Bürgerkrieg eine wichtige Stütze bilden, und sie zählten vermutlich auch zu den Adressaten seiner Kriegsberichte. Mit Caesars Bericht aber war das Bild des Feldherrn, der die Dinge militärisch wie politisch überlegen überschaut und plant, der delegiert, kalkulierte Risiken eingeht und in der Krise die Nerven behält, ein für alle Mal fixiert - das machte sein Werk für alle Strategen und Taktiker nach ihm so verführerisch.
Leider lässt sich der Bamberger Latinist die Chance entgehen, seine Leser mit der präzisen Aufschließung dieser oder einer anderen Szene direkt in den Stoff hineinzuziehen. Stattdessen breitet er erst einmal langatmig Vorgeschichten und Voraussetzungen aus, in den historischen Passagen überdies mit Irrtümern oder zumindest schiefen Formulierungen. So legte Octavian sein Amt als Triumvir keineswegs im Jahr siebenundzwanzig nieder, Cato war im Konsulatsjahr Ciceros nicht designierter Prätor, "homines novi" waren nicht "neue Senatoren", und von der politischen Ordnung der Republik vermitteln Schlagworte wie Familienclan, Parteien, Faktionen oder senatorische Ämter ein überholtes Bild.
Caesars politisches Ziel im sogenannten Ersten Triumvirat, unmittelbar vor seinem Konsulat, war gewiss nicht die Alleinherrschaft. Im literaturgeschichtlichen Vorspann über Gattung, Stil und Kompositionselemente gibt es Kathederurteile über Caesars Schrift, bevor der Leser auch nur ein einziges Zitat, eine einzige Interpretation geboten bekommen hat.
Wer sich durch die anschauungslose erste Hälfte des Buches gemüht hat - man kann sie auch überblättern -, wird mit einer Fülle von feinen Beobachtungen und Analysen belohnt. Schauer erläutert etwa, sensibel für narratologische Aspekte, wie der Autor Caesar durch die Kombination eines Wir-Erzählers, der von sich in Form einer Er-Erzählung berichtet, die Probleme der Glaubwürdigkeit und Wissensgrundlage einer Ich-Perspektive vermeidet und durch künstliche Distanz zwischen dem Akteur Caesar und seiner Selbstdarstellung den Eindruck einer objektiven Schilderung erweckt. Mit einem einfachen Kunstgriff macht Schauer seine Einsichten plausibel: Er formuliert Caesars Text probehalber in eine alternative Form um, in der jener aber nicht mehr funktioniert.
Tempo- und Stilwechsel, Dramatisierungen, indirekte und direkte Reden, sie alle werden an sinnfälligen Beispielen vorgeführt, ebenso die Binnenentwicklung der Schrift vom nüchtern daherkommenden Rechenschaftsbericht zur durchkomponierten Geschichtsschreibung im siebten und letzten Buch. Mit Recht kritisch diskutiert Schauer moderne Verkürzungen, das "Bellum Gallicum" als Propagandaschrift zu entlarven. Allerdings argumentiert er in diesem Punkt nicht ganz konsequent: Wenn Caesar keiner sehr elaborierten Strategie bedurfte, um zu schildern und zu rechtfertigen, was Generationen römischer Adliger getan hatten, nämlich erfolgreich Krieg zu führen und sich dafür zu rühmen - warum dann der Aufwand, nicht weniger als eine neue Gattung zu erfinden?
Zu kurz springt, wer den konstruktivistischen Vorbehalt einfach auf alle Arten von Geschichtsschreibung verallgemeinert. Caesar befand sich, wie Schauer an anderer Stelle auch schreibt, eben politisch in der Defensive, der Krieg in Gallien verlief kaum je nach Wunsch, sein Feind Cato prangerte die Art der Kriegführung des Prokonsuls heftig an - und Caesar seinerseits ließ sich Seitenhiebe auf eine Politik in Debatten nicht entgehen. Hier mangelt es dem Buch an Stringenz. Gleichwohl gehören die Analysen, wie der Schriftsteller Caesar Gallien als militärisch-politischen Raum aus dem Verlauf der Feldzüge des Eroberers Caesar heraus überhaupt erst schuf und wie der Autor den Krieg mit Alesia enden ließ, den der Feldherr nach neuen Unruhen noch weiterzuführen hatte, zu den stärksten Passagen. Wenn Schauer Caesars Kriegführung gegen die Usipeter und Tenkterer jedoch als "Terror" und "Völkermord" charakterisiert, hilft das nur bedingt weiter.
Eine auf den ersten Blick verblüffende Leerstelle des Buches: Die gesamte Rezeptionsgeschichte des "Bellum Gallicum", einschließlich seiner zählebigen Karriere als Einstiegslektüre im Lateinunterricht, wird ausgespart. Darin steckt freilich eine kluge Pointe: Es lohnt sich, Caesars Text unbelastet von Vorurteilen, Verwertungen und Verzerrungen jeder Art neu zu entdecken. Die rarer werdende Kompetenz des genauen Lesens lässt sich am besten an großen Werken erlernen. Ohne humanistische Heiligsprechung oder ideologiekritische Verdammung ist Schauers Buch ab Seite hundertundelf eine gelungene Einladung und Anleitung dazu.
UWE WALTER
Markus Schauer: "Der Gallische Krieg". Geschichte und Täuschung in Caesars Meisterwerk. Verlag C. H. Beck, München 2016. 271 S., Abb., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Klassiker, der zu Recht immer wieder studiert werden will: Markus Schauer versucht, den Tricks des Feldherrn und Schriftstellers Caesar auf die Spur zu kommen
Es war vor einigen Jahren ein genialer Einfall der Macher von "Rome", in den Mittelpunkt der HBO-Miniserie über den Untergang der Römischen Reiches zwei Männer zu stellen, die weder gänzlich erfunden noch durch historische Quellen unerwünscht konturiert waren. Titus Pullo und Lucius Vorenus dienten Caesar als Offiziere in Gallien. Im vierten Buch seines "Bellum Gallicum" liefern sie sich einen Wettstreit um die höchste Tapferkeit. Der eine prescht vor, gerät in Bedrängnis, wird vom anderen herausgehauen, das wiederholt sich mit vertauschten Rollen.
Markus Schauer interpretiert die raffiniert gestaltete Episode nach allen Regeln der Kunst. Der Autor Caesar weicht hier von der sonst vorherrschenden Genügsamkeit im Wortschatz ab, variiert den Ausdruck. Im größeren Erzählzusammenhang hat die Episode ebenfalls ihren guten Sinn: Das Heer befindet sich in schwieriger Lage, der Feldherr Caesar ist nicht da, eilt erst später zum Entsatz herbei, aber die Tapferkeit der Truppe ist ungebrochen. Durchhalten lohnt sich, Vertrauen wird belohnt. Caesar muss gar nicht selbst ins Geschehen eingreifen - eine Armee, die solche Unterführer hervorbringt, ist Produkt eines hervorragenden Oberbefehlshabers.
Und der weiß, was er an seinen Centurionen hat - sie sollten im folgenden Bürgerkrieg eine wichtige Stütze bilden, und sie zählten vermutlich auch zu den Adressaten seiner Kriegsberichte. Mit Caesars Bericht aber war das Bild des Feldherrn, der die Dinge militärisch wie politisch überlegen überschaut und plant, der delegiert, kalkulierte Risiken eingeht und in der Krise die Nerven behält, ein für alle Mal fixiert - das machte sein Werk für alle Strategen und Taktiker nach ihm so verführerisch.
Leider lässt sich der Bamberger Latinist die Chance entgehen, seine Leser mit der präzisen Aufschließung dieser oder einer anderen Szene direkt in den Stoff hineinzuziehen. Stattdessen breitet er erst einmal langatmig Vorgeschichten und Voraussetzungen aus, in den historischen Passagen überdies mit Irrtümern oder zumindest schiefen Formulierungen. So legte Octavian sein Amt als Triumvir keineswegs im Jahr siebenundzwanzig nieder, Cato war im Konsulatsjahr Ciceros nicht designierter Prätor, "homines novi" waren nicht "neue Senatoren", und von der politischen Ordnung der Republik vermitteln Schlagworte wie Familienclan, Parteien, Faktionen oder senatorische Ämter ein überholtes Bild.
Caesars politisches Ziel im sogenannten Ersten Triumvirat, unmittelbar vor seinem Konsulat, war gewiss nicht die Alleinherrschaft. Im literaturgeschichtlichen Vorspann über Gattung, Stil und Kompositionselemente gibt es Kathederurteile über Caesars Schrift, bevor der Leser auch nur ein einziges Zitat, eine einzige Interpretation geboten bekommen hat.
Wer sich durch die anschauungslose erste Hälfte des Buches gemüht hat - man kann sie auch überblättern -, wird mit einer Fülle von feinen Beobachtungen und Analysen belohnt. Schauer erläutert etwa, sensibel für narratologische Aspekte, wie der Autor Caesar durch die Kombination eines Wir-Erzählers, der von sich in Form einer Er-Erzählung berichtet, die Probleme der Glaubwürdigkeit und Wissensgrundlage einer Ich-Perspektive vermeidet und durch künstliche Distanz zwischen dem Akteur Caesar und seiner Selbstdarstellung den Eindruck einer objektiven Schilderung erweckt. Mit einem einfachen Kunstgriff macht Schauer seine Einsichten plausibel: Er formuliert Caesars Text probehalber in eine alternative Form um, in der jener aber nicht mehr funktioniert.
Tempo- und Stilwechsel, Dramatisierungen, indirekte und direkte Reden, sie alle werden an sinnfälligen Beispielen vorgeführt, ebenso die Binnenentwicklung der Schrift vom nüchtern daherkommenden Rechenschaftsbericht zur durchkomponierten Geschichtsschreibung im siebten und letzten Buch. Mit Recht kritisch diskutiert Schauer moderne Verkürzungen, das "Bellum Gallicum" als Propagandaschrift zu entlarven. Allerdings argumentiert er in diesem Punkt nicht ganz konsequent: Wenn Caesar keiner sehr elaborierten Strategie bedurfte, um zu schildern und zu rechtfertigen, was Generationen römischer Adliger getan hatten, nämlich erfolgreich Krieg zu führen und sich dafür zu rühmen - warum dann der Aufwand, nicht weniger als eine neue Gattung zu erfinden?
Zu kurz springt, wer den konstruktivistischen Vorbehalt einfach auf alle Arten von Geschichtsschreibung verallgemeinert. Caesar befand sich, wie Schauer an anderer Stelle auch schreibt, eben politisch in der Defensive, der Krieg in Gallien verlief kaum je nach Wunsch, sein Feind Cato prangerte die Art der Kriegführung des Prokonsuls heftig an - und Caesar seinerseits ließ sich Seitenhiebe auf eine Politik in Debatten nicht entgehen. Hier mangelt es dem Buch an Stringenz. Gleichwohl gehören die Analysen, wie der Schriftsteller Caesar Gallien als militärisch-politischen Raum aus dem Verlauf der Feldzüge des Eroberers Caesar heraus überhaupt erst schuf und wie der Autor den Krieg mit Alesia enden ließ, den der Feldherr nach neuen Unruhen noch weiterzuführen hatte, zu den stärksten Passagen. Wenn Schauer Caesars Kriegführung gegen die Usipeter und Tenkterer jedoch als "Terror" und "Völkermord" charakterisiert, hilft das nur bedingt weiter.
Eine auf den ersten Blick verblüffende Leerstelle des Buches: Die gesamte Rezeptionsgeschichte des "Bellum Gallicum", einschließlich seiner zählebigen Karriere als Einstiegslektüre im Lateinunterricht, wird ausgespart. Darin steckt freilich eine kluge Pointe: Es lohnt sich, Caesars Text unbelastet von Vorurteilen, Verwertungen und Verzerrungen jeder Art neu zu entdecken. Die rarer werdende Kompetenz des genauen Lesens lässt sich am besten an großen Werken erlernen. Ohne humanistische Heiligsprechung oder ideologiekritische Verdammung ist Schauers Buch ab Seite hundertundelf eine gelungene Einladung und Anleitung dazu.
UWE WALTER
Markus Schauer: "Der Gallische Krieg". Geschichte und Täuschung in Caesars Meisterwerk. Verlag C. H. Beck, München 2016. 271 S., Abb., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein fesselndes Buch über Geschichte und Täuschung"
Franziska Augstein, Augsteins Auslese, SZ, 29. August 2016
"Eine brillante Analyse"
Florian Felix Weyh, Deutschlandradio Kultur, 7. Mai 2016
Franziska Augstein, Augsteins Auslese, SZ, 29. August 2016
"Eine brillante Analyse"
Florian Felix Weyh, Deutschlandradio Kultur, 7. Mai 2016