Der Redaktionsbote Gaston aus der Feder von Franquin hinterlässt mit seinem Erfindungsgeist ein unvergleichliches Chaos. Seit 1957 treibt Gaston sein irrwitzig-komisches Unwesen, nun gibt es alle Strips erstmalig versammelt in einer Kollektion, die darüber hinaus noch redaktionelle Seiten und unveröffentlichtes Material enthält. 5 Hardcover-Bücher im edlen Schuber machen diese Ausgabe für alle Freunde frankobelgischer Comic-Kunst zu einem Leckerbissen. "Wer diese fünf Bände besitzt, verfügt über das beste Mittel gegen winterliche Gemütsverstimmungen, das rezeptfrei im Handel ist." Süddeutsche Zeitung
Endlich ist die zweite, erweiterte, korrigierte und nun komplette Auflage lieferbar!
Endlich ist die zweite, erweiterte, korrigierte und nun komplette Auflage lieferbar!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2015Lob
der Faulheit
„Der ganze Gaston“: 1200 Comicseiten des genialen Zeichners
und rebellischen Erzählers André Franquin
VON CHRISTOPH HAAS
So viel Rühmenswertes gibt es hier, womit soll man nur beginnen? Vielleicht mit einem der Tiere: mit Gastons Katze. Zusammen mit einer Maus, einem Goldfisch und einer überaus schlecht gelaunten Lachmöwe zieht sie im 613. von rund tausend „Gaston“-One-Pagern in das Büro des exzentrischen Helden ein und mischt fortan die Redaktion, in der dieser arbeitet, gründlich auf. Die Katze macht es sich etwa in einem Sessel bequem und zerkratzt den Hintern eines Besuchers, der sich versehentlich auf sie setzt. Oder sie hat ihren Spaß daran, ein großes Wollknäuel zu entrollen, und verwandelt ein Zimmer in eine hinterhältige Stolperfalle.
Das ist zunächst einmal nicht mehr als Slapstick, aber die Sensation liegt darin, wie Franquin ihn zeichnet. Wenn die Katze mit zurückgelegtem Kopf hungrig mauzend das Maul aufreißt und ihre Zähne zeigt, gleicht sie einem Fantasy-Monster; wenn sie über Tische und Stühle hüpft, scheint eine Metallfeder in ihr zu stecken; sie wuselt umher und windet sich in wunderlicher Weise; sie duckt sich nur, um desto rascher zum Angriff überzugehen. Katzen gibt es im Comic viele; aber diese ist kein süßes Knuddelwesen, sondern ein freches, durchgeknalltes Vieh.
In ihrer Aufgedrehtheit ist die Katze ein Gegenbild ihres Herrchens, nicht aber in ihrer unbekümmerten Renitenz. Als Gaston am 28. Februar 1957 zum ersten Mal auf einer Seite des Comic-Magazins „Spirou“ erscheint, trägt er ein Sakko und eine Fliege, an der er schüchtern nestelt. Sehr schnell jedoch wechselt er zu jener Kleidung, die zu seinem Markenzeichen werden sollte: einem schlabberigen grünen Rollkragenpullover, schwarze Krempeljeans und ausgelatschte Espadrilles. Dass er anfangs zudem gerne eine Kippe zwischen den Lippen balanciert, macht ihn zu einem Verwandten der Halbstarken der Rock’n’Roll-Ära.
Ein Rebell ist Gaston allerdings auf seine sehr spezielle Weise. Einerseits ist er sagenhaft faul; anstatt seiner Tätigkeit als Bürobote des Magazins nachzugehen, macht er lieber ein gepflegtes Nickerchen. Andererseits ist er bemüht, durch alle möglichen fantastischen Erfindungen sich das Leben schöner zu machen oder die Arbeit seiner Kollegen zu optimieren – das Ergebnis sind stets Explosionen, Verletzungen aller Art und Wutausbrüche seiner Vorgesetzten.
In den blitzsauberen, an ein minderjähriges Publikum adressierten frankobelgischen Comics der Fünfziger und Sechziger war diese Figur eine Ausnahme, um nicht zu sagen: eine Provokation. Helden – wie der ebenfalls in Franquins künstlerischer Obhut befindliche Spirou – waren damals muntere Draufgänger, ihre Berufe als Detektive und Reporter, als Cowboys, Flieger und Rennfahrer entsprachen den gängigen Knabenträumen. Mit Gaston zogen der berufliche Alltag und eine gesunde Skepsis gegenüber bislang fraglos akzeptierten Rollen- und Fortschrittsbildern in den Comic ein. In den Siebzigern und Achtzigern, als Franquin seine Figur antimilitaristisch agieren und für Greenpeace eintreten ließ, wurde die poetisch-kritische Haltung, die alle „Gaston“-Gags grundiert, endgültig unübersehbar.
Auf die Gags als solche kommt es übrigens gar nicht so sehr an. Auch wenn man sie längst auswendig kennt, mag man „Gaston“ immer wieder und wieder lesen. Das hat zwei Gründe. Zum einen hat Franquin im Laufe der Jahre seine Hauptfigur mit diversen, hochgradig komischen Nebenfiguren umgeben, darunter der autoritäre Polizist Knüsel und der dicke Geschäftsmann Bruchmüller, der unermüdlich versucht mit dem cholerischen Redakteur Demel Verträge abzuschließen, daran aber stets durch Gaston gehindert wird. Der andere Grund ist die geniale Zeichenkunst Franquins, die in ihrer nervösen Dynamik schlicht unvergleichlich ist. Bei Bewegungsabläufen, bei der Wiedergabe von Mimik und Gestik wählt dieser Künstler unfehlbar den expressivsten, für den Leser vergnüglichsten Moment aus. Zugleich beruhen die Slapstick-Szenen – und dies wird bei der Katze besonders deutlich – auf sehr genauer Beobachtung; bei aller Übertreibung ins Groteske sind sie nicht gänzlich abgelöst vom Realen.
Die wichtigste Zeit von „Gaston“ war zwischen 1966 und 1975. Davor bildete sich der spezielle Charme der Serie erst heraus; danach hinderte Franquin, der 1997 starb, sein schlechter Gesundheitszustand am regelmäßigen Arbeiten. Braucht man also diese teure Ausgabe, in der wirklich der komplette „Gaston“ versammelt ist? Die Antwort lautet: Ja! Abgesehen davon, dass sich Franquins Leistung erst im Vergleich richtig ermessen lässt, sind auch seine schwächeren Arbeiten immer noch von hoher Qualität. Wer diese fünf Bände besitzt, verfügt über das beste Mittel gegen winterliche Gemütsverstimmungen, das rezeptfrei im Handel ist.
André Franquin (Text und Zeichnungen): Der ganze Gaston. Fünf Bände. Aus dem Französischen von Volker Hamann, Marcel Le Comte u.a. Carlsen Verlag, Hamburg 2015. 1200 Seiten, 149 Euro.
Der renitente Gaston ist ein
Verwandter der Halbstarken
aus der Rock'n'Roll-Ära
André Franquin war ein genialer Zeichner. Bei der Wiedergabe von Mimik und Gestik seiner Figuren
(hier der wieder mal schwer verschlafene Gaston) wählte er unfehlbar den expressivsten, für den Leser vergnüglichsten
Moment.
Foto: ©DARGAUD-LOMBARD
SA 2015, by Franquin
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der Faulheit
„Der ganze Gaston“: 1200 Comicseiten des genialen Zeichners
und rebellischen Erzählers André Franquin
VON CHRISTOPH HAAS
So viel Rühmenswertes gibt es hier, womit soll man nur beginnen? Vielleicht mit einem der Tiere: mit Gastons Katze. Zusammen mit einer Maus, einem Goldfisch und einer überaus schlecht gelaunten Lachmöwe zieht sie im 613. von rund tausend „Gaston“-One-Pagern in das Büro des exzentrischen Helden ein und mischt fortan die Redaktion, in der dieser arbeitet, gründlich auf. Die Katze macht es sich etwa in einem Sessel bequem und zerkratzt den Hintern eines Besuchers, der sich versehentlich auf sie setzt. Oder sie hat ihren Spaß daran, ein großes Wollknäuel zu entrollen, und verwandelt ein Zimmer in eine hinterhältige Stolperfalle.
Das ist zunächst einmal nicht mehr als Slapstick, aber die Sensation liegt darin, wie Franquin ihn zeichnet. Wenn die Katze mit zurückgelegtem Kopf hungrig mauzend das Maul aufreißt und ihre Zähne zeigt, gleicht sie einem Fantasy-Monster; wenn sie über Tische und Stühle hüpft, scheint eine Metallfeder in ihr zu stecken; sie wuselt umher und windet sich in wunderlicher Weise; sie duckt sich nur, um desto rascher zum Angriff überzugehen. Katzen gibt es im Comic viele; aber diese ist kein süßes Knuddelwesen, sondern ein freches, durchgeknalltes Vieh.
In ihrer Aufgedrehtheit ist die Katze ein Gegenbild ihres Herrchens, nicht aber in ihrer unbekümmerten Renitenz. Als Gaston am 28. Februar 1957 zum ersten Mal auf einer Seite des Comic-Magazins „Spirou“ erscheint, trägt er ein Sakko und eine Fliege, an der er schüchtern nestelt. Sehr schnell jedoch wechselt er zu jener Kleidung, die zu seinem Markenzeichen werden sollte: einem schlabberigen grünen Rollkragenpullover, schwarze Krempeljeans und ausgelatschte Espadrilles. Dass er anfangs zudem gerne eine Kippe zwischen den Lippen balanciert, macht ihn zu einem Verwandten der Halbstarken der Rock’n’Roll-Ära.
Ein Rebell ist Gaston allerdings auf seine sehr spezielle Weise. Einerseits ist er sagenhaft faul; anstatt seiner Tätigkeit als Bürobote des Magazins nachzugehen, macht er lieber ein gepflegtes Nickerchen. Andererseits ist er bemüht, durch alle möglichen fantastischen Erfindungen sich das Leben schöner zu machen oder die Arbeit seiner Kollegen zu optimieren – das Ergebnis sind stets Explosionen, Verletzungen aller Art und Wutausbrüche seiner Vorgesetzten.
In den blitzsauberen, an ein minderjähriges Publikum adressierten frankobelgischen Comics der Fünfziger und Sechziger war diese Figur eine Ausnahme, um nicht zu sagen: eine Provokation. Helden – wie der ebenfalls in Franquins künstlerischer Obhut befindliche Spirou – waren damals muntere Draufgänger, ihre Berufe als Detektive und Reporter, als Cowboys, Flieger und Rennfahrer entsprachen den gängigen Knabenträumen. Mit Gaston zogen der berufliche Alltag und eine gesunde Skepsis gegenüber bislang fraglos akzeptierten Rollen- und Fortschrittsbildern in den Comic ein. In den Siebzigern und Achtzigern, als Franquin seine Figur antimilitaristisch agieren und für Greenpeace eintreten ließ, wurde die poetisch-kritische Haltung, die alle „Gaston“-Gags grundiert, endgültig unübersehbar.
Auf die Gags als solche kommt es übrigens gar nicht so sehr an. Auch wenn man sie längst auswendig kennt, mag man „Gaston“ immer wieder und wieder lesen. Das hat zwei Gründe. Zum einen hat Franquin im Laufe der Jahre seine Hauptfigur mit diversen, hochgradig komischen Nebenfiguren umgeben, darunter der autoritäre Polizist Knüsel und der dicke Geschäftsmann Bruchmüller, der unermüdlich versucht mit dem cholerischen Redakteur Demel Verträge abzuschließen, daran aber stets durch Gaston gehindert wird. Der andere Grund ist die geniale Zeichenkunst Franquins, die in ihrer nervösen Dynamik schlicht unvergleichlich ist. Bei Bewegungsabläufen, bei der Wiedergabe von Mimik und Gestik wählt dieser Künstler unfehlbar den expressivsten, für den Leser vergnüglichsten Moment aus. Zugleich beruhen die Slapstick-Szenen – und dies wird bei der Katze besonders deutlich – auf sehr genauer Beobachtung; bei aller Übertreibung ins Groteske sind sie nicht gänzlich abgelöst vom Realen.
Die wichtigste Zeit von „Gaston“ war zwischen 1966 und 1975. Davor bildete sich der spezielle Charme der Serie erst heraus; danach hinderte Franquin, der 1997 starb, sein schlechter Gesundheitszustand am regelmäßigen Arbeiten. Braucht man also diese teure Ausgabe, in der wirklich der komplette „Gaston“ versammelt ist? Die Antwort lautet: Ja! Abgesehen davon, dass sich Franquins Leistung erst im Vergleich richtig ermessen lässt, sind auch seine schwächeren Arbeiten immer noch von hoher Qualität. Wer diese fünf Bände besitzt, verfügt über das beste Mittel gegen winterliche Gemütsverstimmungen, das rezeptfrei im Handel ist.
André Franquin (Text und Zeichnungen): Der ganze Gaston. Fünf Bände. Aus dem Französischen von Volker Hamann, Marcel Le Comte u.a. Carlsen Verlag, Hamburg 2015. 1200 Seiten, 149 Euro.
Der renitente Gaston ist ein
Verwandter der Halbstarken
aus der Rock'n'Roll-Ära
André Franquin war ein genialer Zeichner. Bei der Wiedergabe von Mimik und Gestik seiner Figuren
(hier der wieder mal schwer verschlafene Gaston) wählte er unfehlbar den expressivsten, für den Leser vergnüglichsten
Moment.
Foto: ©DARGAUD-LOMBARD
SA 2015, by Franquin
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Christoph Haas kann gar nicht aufhören zu Schwärmen: In fünf Bänden auf 1200 Seiten kann er jetzt den ganzen "Gaston" durchblättern und das ist für den Kritiker noch immer ein Fest. Einmal mehr amüsiert sich der Rezensent mit dem ebenso faulen wie rebellischen Büroboten Gaston, lacht über dessen Erfindungen und Streiche und amüsiert sich noch immer über Franquins zahlreiche hinreißend komische Nebenfiguren. Die poetisch-kritische Haltung des Comic-Zeichners, etwa wenn er seine Figur antimilitaristisch agieren lässt, regt darüber hinaus häufig zum Nachdenken an, meint der Kritiker. Insbesondere bewundert er aber Franquins brillante, expressive und nervös-dynamische Zeichenkunst, mit der er bei aller Übertreibung immer genau den richtigen Moment festhält.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Wenn ich das Buch nicht schon hätte, ich würde es mir schenken.", ZDF, Volker Weidermann, 11.12.2015