»Thomas Browne hat eine Reihe von Schriften hinterlassen, denen kaum etwas Vergleichbares sich an die Seite stellen läßt.« W. G. Sebald
Es gibt wohl kaum einen glanzvolleren Vertreter des wilden Denkens als Thomas Browne, der mit all seinen Schriften so unerschrocken wie obsessiv das Schattenreich zwischen Wahrheit und Unwissen, Fakten und Fiktionen erforscht. Während er in seiner Pseudodoxia Epidemica sich seuchenhaft verbreitende Irrtümer systematisch widerlegt und in seiner radikalen Selbstbefragung Religio Medici gewissenhaft den eigenen Glauben befragt, bietet seine Abhandlung Hydriotaphia eine melancholische Meditation über das Vergehen, über Bestattungsriten und den unausweichlichen Tod, der Browne als praktizierendem Arzt nur allzu gut vertraut war.
Nicht selten ist es das Abseitige und Absonderliche, dem Brownes grenzenlose Wissbegier gilt, wie im legendärem Musaeum Clausum, dem phantastischen Verzeichnis eines imaginären Kuriositätenkabinetts, oder auch im wundersamen Garten des Cyrus, eine an den Wildwuchs des Wahnsinns grenzende Suche nach einer der Schöpfung zugrundeliegenden Matrix, die die Welt im Innersten zusammenhält. Eigene Erfahrung verbindet sich bei Browne nahtlos mit enzyklopädischer Belesenheit und virtuoses Einfallsreichtum mit einem unverwechselbaren, vielgerühmten Stil.
Die wichtigsten Werke des Universalgelehrten werden hier zum ersten Mal auf Deutsch einem größeren Publikum zugänglich gemacht, kundig kommentiert von Manfred Pfister, dessen meisterhafte Übertragung erfahrbar macht, warum Brownes luzide, barocke Prosa zur schillerndsten und melodiösesten der Weltliteratur gezählt wird.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Es gibt wohl kaum einen glanzvolleren Vertreter des wilden Denkens als Thomas Browne, der mit all seinen Schriften so unerschrocken wie obsessiv das Schattenreich zwischen Wahrheit und Unwissen, Fakten und Fiktionen erforscht. Während er in seiner Pseudodoxia Epidemica sich seuchenhaft verbreitende Irrtümer systematisch widerlegt und in seiner radikalen Selbstbefragung Religio Medici gewissenhaft den eigenen Glauben befragt, bietet seine Abhandlung Hydriotaphia eine melancholische Meditation über das Vergehen, über Bestattungsriten und den unausweichlichen Tod, der Browne als praktizierendem Arzt nur allzu gut vertraut war.
Nicht selten ist es das Abseitige und Absonderliche, dem Brownes grenzenlose Wissbegier gilt, wie im legendärem Musaeum Clausum, dem phantastischen Verzeichnis eines imaginären Kuriositätenkabinetts, oder auch im wundersamen Garten des Cyrus, eine an den Wildwuchs des Wahnsinns grenzende Suche nach einer der Schöpfung zugrundeliegenden Matrix, die die Welt im Innersten zusammenhält. Eigene Erfahrung verbindet sich bei Browne nahtlos mit enzyklopädischer Belesenheit und virtuoses Einfallsreichtum mit einem unverwechselbaren, vielgerühmten Stil.
Die wichtigsten Werke des Universalgelehrten werden hier zum ersten Mal auf Deutsch einem größeren Publikum zugänglich gemacht, kundig kommentiert von Manfred Pfister, dessen meisterhafte Übertragung erfahrbar macht, warum Brownes luzide, barocke Prosa zur schillerndsten und melodiösesten der Weltliteratur gezählt wird.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2023Im Feld des wilden Wissens
Gelehrter Autor auf vielen Umwegen: Ein Band präsentiert Schriften von Sir Thomas Browne
Sir Thomas Browne (1605 bis 1682) ist in Deutschland so gut wie unbekannt. Dabei ist er ein Autor, der auf geradezu unheimliche Weise in unsere Zeit zu sprechen scheint. Man kann sich davon überzeugen in einem gerade erschienenen Band, in dem Manfred Pfister als übersetzender Herausgeber und Judith Schalansky als Illustratorin seine "wesentlichen Werke" versammelt haben. Er tritt auf als erster Titel einer neuen, dem "Wilden Wissen" gewidmeten Reihe und bietet in exzellenter Ausstattung einige der kürzeren Schriften Brownes fast vollständig - wie seine autobiographische Rechenschaftslegung "Religio Medici", den Traktat über die Urnenbestattung, "Hydriotaphia", den "Garten des Cyrus", einen umfangreichen "Brief an einen Freund", den Raritätenkatalog des "Musæum Clausum" -, zudem stattliche Auszüge aus dem mehrbändigen Werk über wissenschaftliche, volkstümliche und andere Irrtümer, "Pseudodoxia Epidemica", und eine Reihe kürzerer Miszellen.
Schon die lateinisch-griechischen Titel der Werke dürften heutige Leser konsternieren. Aber Manfred Pfister ebnet den Weg zu seinem Autor mit einer ebenso gediegenen wie weit ausgreifenden Einleitung, die kenntnisreich in Brownes Lebenssituation im England des siebzehnten Jahrhunderts einführt. Immer wieder wird der Blick auch auf die bewundernde Resonanz gelenkt, die Browne bis heute vor allem bei Schriftstellern gefunden hat. Gewiss nicht bei vielen, aber bei vielen bedeutenden, wie Virginia Woolf, W. G. Sebald oder Jorge Luis Borges. Der Ausgabe ist eine Auswahl solcher Bezugnahmen beigefügt. Dafür, dass Brownes Texte auch für heutige Leser zu verstehen sind, sorgt nicht zuletzt der in der Marginalspalte untergebrachte sparsame und äußerst hilfreiche Kommentar.
Browne ist ein Experte, aber tatsächlich einer für "wildes", allemal unsicheres und ungewisses Wissen. Und er ist ein Autor, der im angelsächsischen Sprachraum berühmt geworden ist dafür, wie er schreibt und sich selbst in seinem Schreiben auslegt. Wenn man einen englischen Montaigne finden möchte, dann ist er es. Hier schreibt einer, der denen, die ihn lesend kennenlernen wollen, einen Rhythmus des Geistes anbietet, eine Weise zu denken und zu verstehen, beunruhigenden und riskanten Gedanken nicht auszuweichen, mit schwierigen Fragen geduldig umzugehen, ohne sie vorschnell zu erledigen.
Ob man sich darauf einlässt, mit Thomas Browne über die Schwierigkeiten des Glaubens an die Auferstehung nachzudenken, über Anfang und Ende des Lebens oder über unterschiedliche Begräbniskulturen, über Altertümer und das, was sie bezeugen (oder eher nicht), über Gartenbau und Paradiesgärten, über erfundene Tiere und solche, die es wirklich gibt, über die Plausibilität von kuriosen Irrlehren und die Grenzen der Wahrheitsfindung - man begibt sich dabei in Irrgärten, Wüsten und Sackgassen, doch stets in Begleitung einer freundlich forschenden, sympathischen Seele. Hier spricht einer, der es sich nicht einfach macht, aber der seine Leser immer auch unterhält, wenn er nicht ohne Selbstironie angesichts der Beschwernisse solcher Geistes-Wissenschaft seine gelegentlich diffizilen Umwege nimmt. Brownes Neugier erlischt nie, auch wenn er tatsächlich einmal bei einer Conclusio anlangt.
Das ist allerdings eher die Ausnahme. Browne ist einer, der das Denken in Bewegung hält. Auch, weil die Wege, die sein Denken einschlägt, selten berechenbar sind. Wer einen seiner in der Regel eher kurzen Traktate bis zum Ende verfolgt, mag sich verblüfft fragen, wie er dorthin gekommen ist. Dabei ist Sprunghaftigkeit Brownes Sache nicht. Vielmehr umkreist er seine Gegenstände geduldig und lässt sich tragen von der Zuversicht, dass die Wahrheit über die Dinge zwar verborgen ist, aber gefunden werden kann. Vielleicht zeigt sie sich nicht gleich und heute, aber möglicherweise beim nächsten Anlauf, in heiterer Zufälligkeit.
Browne ist bekennender Skeptiker: einer, der "janusköpfig" im Feld des Wissens steht. Er blickt stets in mehr als eine Richtung. Die Überzeugung, es könnte auch ganz anders sein, liegt seinem Fragen zugrunde. Angetrieben wird er aber dabei nicht von der Angst davor, sich vielleicht auf das Falsche festzulegen, sondern von der Sehnsucht danach, die auseinanderstrebenden Wissenswelten doch zu umfassen. Dabei darf nichts verloren gehen oder übersehen werden. Dass es die verborgene letzte Einheit gibt, treibt sein Denken und Schreiben voran.
Brownes Einstellung ist die der gelehrten Unwissenheit. Aber gelehrt ist er sehr wohl, und sein Schreiben führt deshalb immer wieder in die Wunderkammern, in denen die Frühe Neuzeit ihr Wissen zur Schau stellt. Da gibt es einiges Seltsame und Verblüffende, viel Kurioses und Entlegenes, aber auch Staunenswertes und wirklich Wundersames. Überall könnte eine Spur zu einer bislang verborgenen Wahrheit führen oder einen Zusammenhang aufdecken, der bisher übersehen wurde. Ein solcher möglicher Zusammenhang ist das Fünfpunktmuster des Quincunx, das Rautengeflecht, das in einem von Brownes berühmtesten Traktaten, dem "Garten des Cyrus", behandelt wird. Die Zuversicht, dass alles mit allem zusammenhängt und korrespondiert, offenkundig oder insgeheim, und dass alle Ströme zuletzt im Guten münden, orientiert Brownes zuweilen erratische Denkbewegungen.
Dass die vorliegende Sammlung den Titel "Der Garten des Cyrus" trägt, ist überaus treffend. Browne ist auch in seinen anderen Schriften ein gärtnerischer Denker: einer, der gern Ordnung hätte, aber eine, die dem lebendigen und changierenden Wissen entspricht; einer, der lieber viele Kräuter stehen und wild wachsen lässt, als voreilig eines zum Unkraut zu erklären und zu entfernen, das vielleicht ein Heilmittel sein könnte.
Dabei spielen seine Texte ihre unbändige Lust am Wissen auf ganz unterschiedliche Weisen aus. Dazu gehört auch das Wissen um die Überfülle des Wissbaren. Immer gibt es mehr zu sagen, als gesagt werden kann, trotzdem soll aber doch angedeutet werden, wie klein der Ausschnitt der Welt ist, der jeweils in den Blick gerät. Eine dabei gerade im "Cyrus" bis zum Exzess verfolgte Strategie ist die der Paralepse - jene rhetorischen Figur, die vorgibt, etwas übergehen zu wollen, um es dann doch wortreich vorzutragen: "ganz zu schweigen von . . .".
Pfister kürzt ausgerechnet an diesen Stellen, an denen Browne ein Feuerwerk ungelöster Fragen abbrennt. Aber weit davon entfernt, unnötige Abschweifungen zu sein, führen solche Passagen erneut in die Dickichte, in denen sich das "wilde Denken" in Versuchung führen lässt und bewähren muss. Sie sind eines der typisch Browneschen Verfahren, mit denen er die Leser auf seine riskanten Denkweg mitnimmt.
Natürlich führen solche Listen von Fragen erneut in unentwirrbare "Abstrusitäten", wie Browne selbst einräumt. Aber mindestens eine von ihnen, welche die deutsche Fassung auslässt, mündet in einer der schönsten Formulierungen für diese Suchbewegung: "affording delightful Truths, confirmable by sense and ocular Observation, which seems to me the surest path, to trace the Labyrinth of Truth". Nicht im Irrtum verirrt man sich: Die Wahrheit und die Suche nach ihr sind labyrinthisch! Die Wahrheit, so dürfen wir annehmen, ist stets präsent, wiewohl verstellt. Sie zeigt sich in den Bruchstücken, die sich unseren Sinnen anbieten. In diesem Labyrinth verliert man sich nicht - man findet sich.
Aber mag dies und anderes in der deutschen Ausgabe fehlen: Aufs Ganze gesehen enthält dieses Füllhorn der Brownschen Prosa noch reichlich verlockenden, vielleicht heilsamen Wildwuchs. VERENA LOBSIEN
Thomas Browne: "Der Garten des Cyrus". Wesentliche Werke.
Hrsg. von Judith Schalansky und Manfred Pfister. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2022. 575 S., Abb., geb., 78,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gelehrter Autor auf vielen Umwegen: Ein Band präsentiert Schriften von Sir Thomas Browne
Sir Thomas Browne (1605 bis 1682) ist in Deutschland so gut wie unbekannt. Dabei ist er ein Autor, der auf geradezu unheimliche Weise in unsere Zeit zu sprechen scheint. Man kann sich davon überzeugen in einem gerade erschienenen Band, in dem Manfred Pfister als übersetzender Herausgeber und Judith Schalansky als Illustratorin seine "wesentlichen Werke" versammelt haben. Er tritt auf als erster Titel einer neuen, dem "Wilden Wissen" gewidmeten Reihe und bietet in exzellenter Ausstattung einige der kürzeren Schriften Brownes fast vollständig - wie seine autobiographische Rechenschaftslegung "Religio Medici", den Traktat über die Urnenbestattung, "Hydriotaphia", den "Garten des Cyrus", einen umfangreichen "Brief an einen Freund", den Raritätenkatalog des "Musæum Clausum" -, zudem stattliche Auszüge aus dem mehrbändigen Werk über wissenschaftliche, volkstümliche und andere Irrtümer, "Pseudodoxia Epidemica", und eine Reihe kürzerer Miszellen.
Schon die lateinisch-griechischen Titel der Werke dürften heutige Leser konsternieren. Aber Manfred Pfister ebnet den Weg zu seinem Autor mit einer ebenso gediegenen wie weit ausgreifenden Einleitung, die kenntnisreich in Brownes Lebenssituation im England des siebzehnten Jahrhunderts einführt. Immer wieder wird der Blick auch auf die bewundernde Resonanz gelenkt, die Browne bis heute vor allem bei Schriftstellern gefunden hat. Gewiss nicht bei vielen, aber bei vielen bedeutenden, wie Virginia Woolf, W. G. Sebald oder Jorge Luis Borges. Der Ausgabe ist eine Auswahl solcher Bezugnahmen beigefügt. Dafür, dass Brownes Texte auch für heutige Leser zu verstehen sind, sorgt nicht zuletzt der in der Marginalspalte untergebrachte sparsame und äußerst hilfreiche Kommentar.
Browne ist ein Experte, aber tatsächlich einer für "wildes", allemal unsicheres und ungewisses Wissen. Und er ist ein Autor, der im angelsächsischen Sprachraum berühmt geworden ist dafür, wie er schreibt und sich selbst in seinem Schreiben auslegt. Wenn man einen englischen Montaigne finden möchte, dann ist er es. Hier schreibt einer, der denen, die ihn lesend kennenlernen wollen, einen Rhythmus des Geistes anbietet, eine Weise zu denken und zu verstehen, beunruhigenden und riskanten Gedanken nicht auszuweichen, mit schwierigen Fragen geduldig umzugehen, ohne sie vorschnell zu erledigen.
Ob man sich darauf einlässt, mit Thomas Browne über die Schwierigkeiten des Glaubens an die Auferstehung nachzudenken, über Anfang und Ende des Lebens oder über unterschiedliche Begräbniskulturen, über Altertümer und das, was sie bezeugen (oder eher nicht), über Gartenbau und Paradiesgärten, über erfundene Tiere und solche, die es wirklich gibt, über die Plausibilität von kuriosen Irrlehren und die Grenzen der Wahrheitsfindung - man begibt sich dabei in Irrgärten, Wüsten und Sackgassen, doch stets in Begleitung einer freundlich forschenden, sympathischen Seele. Hier spricht einer, der es sich nicht einfach macht, aber der seine Leser immer auch unterhält, wenn er nicht ohne Selbstironie angesichts der Beschwernisse solcher Geistes-Wissenschaft seine gelegentlich diffizilen Umwege nimmt. Brownes Neugier erlischt nie, auch wenn er tatsächlich einmal bei einer Conclusio anlangt.
Das ist allerdings eher die Ausnahme. Browne ist einer, der das Denken in Bewegung hält. Auch, weil die Wege, die sein Denken einschlägt, selten berechenbar sind. Wer einen seiner in der Regel eher kurzen Traktate bis zum Ende verfolgt, mag sich verblüfft fragen, wie er dorthin gekommen ist. Dabei ist Sprunghaftigkeit Brownes Sache nicht. Vielmehr umkreist er seine Gegenstände geduldig und lässt sich tragen von der Zuversicht, dass die Wahrheit über die Dinge zwar verborgen ist, aber gefunden werden kann. Vielleicht zeigt sie sich nicht gleich und heute, aber möglicherweise beim nächsten Anlauf, in heiterer Zufälligkeit.
Browne ist bekennender Skeptiker: einer, der "janusköpfig" im Feld des Wissens steht. Er blickt stets in mehr als eine Richtung. Die Überzeugung, es könnte auch ganz anders sein, liegt seinem Fragen zugrunde. Angetrieben wird er aber dabei nicht von der Angst davor, sich vielleicht auf das Falsche festzulegen, sondern von der Sehnsucht danach, die auseinanderstrebenden Wissenswelten doch zu umfassen. Dabei darf nichts verloren gehen oder übersehen werden. Dass es die verborgene letzte Einheit gibt, treibt sein Denken und Schreiben voran.
Brownes Einstellung ist die der gelehrten Unwissenheit. Aber gelehrt ist er sehr wohl, und sein Schreiben führt deshalb immer wieder in die Wunderkammern, in denen die Frühe Neuzeit ihr Wissen zur Schau stellt. Da gibt es einiges Seltsame und Verblüffende, viel Kurioses und Entlegenes, aber auch Staunenswertes und wirklich Wundersames. Überall könnte eine Spur zu einer bislang verborgenen Wahrheit führen oder einen Zusammenhang aufdecken, der bisher übersehen wurde. Ein solcher möglicher Zusammenhang ist das Fünfpunktmuster des Quincunx, das Rautengeflecht, das in einem von Brownes berühmtesten Traktaten, dem "Garten des Cyrus", behandelt wird. Die Zuversicht, dass alles mit allem zusammenhängt und korrespondiert, offenkundig oder insgeheim, und dass alle Ströme zuletzt im Guten münden, orientiert Brownes zuweilen erratische Denkbewegungen.
Dass die vorliegende Sammlung den Titel "Der Garten des Cyrus" trägt, ist überaus treffend. Browne ist auch in seinen anderen Schriften ein gärtnerischer Denker: einer, der gern Ordnung hätte, aber eine, die dem lebendigen und changierenden Wissen entspricht; einer, der lieber viele Kräuter stehen und wild wachsen lässt, als voreilig eines zum Unkraut zu erklären und zu entfernen, das vielleicht ein Heilmittel sein könnte.
Dabei spielen seine Texte ihre unbändige Lust am Wissen auf ganz unterschiedliche Weisen aus. Dazu gehört auch das Wissen um die Überfülle des Wissbaren. Immer gibt es mehr zu sagen, als gesagt werden kann, trotzdem soll aber doch angedeutet werden, wie klein der Ausschnitt der Welt ist, der jeweils in den Blick gerät. Eine dabei gerade im "Cyrus" bis zum Exzess verfolgte Strategie ist die der Paralepse - jene rhetorischen Figur, die vorgibt, etwas übergehen zu wollen, um es dann doch wortreich vorzutragen: "ganz zu schweigen von . . .".
Pfister kürzt ausgerechnet an diesen Stellen, an denen Browne ein Feuerwerk ungelöster Fragen abbrennt. Aber weit davon entfernt, unnötige Abschweifungen zu sein, führen solche Passagen erneut in die Dickichte, in denen sich das "wilde Denken" in Versuchung führen lässt und bewähren muss. Sie sind eines der typisch Browneschen Verfahren, mit denen er die Leser auf seine riskanten Denkweg mitnimmt.
Natürlich führen solche Listen von Fragen erneut in unentwirrbare "Abstrusitäten", wie Browne selbst einräumt. Aber mindestens eine von ihnen, welche die deutsche Fassung auslässt, mündet in einer der schönsten Formulierungen für diese Suchbewegung: "affording delightful Truths, confirmable by sense and ocular Observation, which seems to me the surest path, to trace the Labyrinth of Truth". Nicht im Irrtum verirrt man sich: Die Wahrheit und die Suche nach ihr sind labyrinthisch! Die Wahrheit, so dürfen wir annehmen, ist stets präsent, wiewohl verstellt. Sie zeigt sich in den Bruchstücken, die sich unseren Sinnen anbieten. In diesem Labyrinth verliert man sich nicht - man findet sich.
Aber mag dies und anderes in der deutschen Ausgabe fehlen: Aufs Ganze gesehen enthält dieses Füllhorn der Brownschen Prosa noch reichlich verlockenden, vielleicht heilsamen Wildwuchs. VERENA LOBSIEN
Thomas Browne: "Der Garten des Cyrus". Wesentliche Werke.
Hrsg. von Judith Schalansky und Manfred Pfister. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2022. 575 S., Abb., geb., 78,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Verena Lobsien lässt sich gerne ein auf dieses Füllhorn mit Schriften des englischen Autors Thomas Browne. Dessen wildes, wenngleich geduldiges Denken und Schreiben über Wissenschaftliches, Volkstümliches oder Autobiografisches erscheint Lobsien als erstaunliche Entdeckung. Ob Browne nun erfundende Tiere, Begräbniskulturen, Gartenbau oder den Glauben denkend umkreist, die Wege und Irrwege des Autors findet Lobsien anregend und unterhaltsam. Die Edition mit Manfred Pfisters Übersetzung und Kommentar und Judith Schalanskys Illustrationen lobt Lobsien als "exzellent".
© Perlentaucher Medien GmbH
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