'Das ist mir lange nicht passiert: Ich blätterte die letzte Seite um und fing gleich mit der ersten wieder an.' Roger Willemsen'Ich habe schon immer gerne erfahren, was den Leuten so alles passiert, und das nicht etwa, weil ich neugierig wäre. Eher, weil ich Menschen mag, und die Besitzer dieses Hauses mochte ich sehr.' Sechs Sommer lang beobachtet der Gärtner eines Herrenhauses über dem Meer das Kommen und Gehen seiner wohlhabenden, jungverheirateten Besitzer Francesc und Rosamaria. Sie empfangen ihre Clique aus Barcelona, fahren Wasserski, feiern ausgelassene Partys und leben einen von ihren Bediensteten beneideten Sommernachtstraum. Doch dem Gärtner entgehen die feinen Risse nicht, die das scheinbare Idyll bei jedem Besuch deutlicher zeichnen. Weshalb wirkt die Leidenschaft des Paares mit einem Mal gespielt? Wird Francesc, der seiner Frau bis dahin treu ergeben war, nun doch empfänglich für die Avancen des brasilianischen Dienstmädchens? Als auf dem benachbarten Anwesen ein mysteriöses Paar eine noch größere Villa errichtet und noch extravagantere Feste feiert, legt sich endgültig ein Schatten über die heile Welt am Meer: Der neue Nachbar ist niemand anderes als Rosamarias Jugendliebe Eugeni.Mit ihrem Roman 'Auf der Plaça del Diamant' (1962) gelangte die katalanische Autorin Mercè Rodoreda zu Weltruhm. Umso erstaunlicher ist es, dass 'Der Garten über dem Meer' in Deutschland bisher unentdeckt blieb. Rodoreda entwirft darin ein stimmungsvolles Bild der späten Zwanzigerjahre in Spanien und erschafft einen Kosmos, in dem man den großen Gatsby als Gast auf jeder Cocktailparty vermutet.'Rodoredas Romane betören durch Atmosphäre und Sinnlichkeit.' Gabriel García Márquez
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Was für ein Buch, ruft Rezensent Michael Krüger nach der Lektüre von Merce Rodoredas Roman "Der Garten über dem Meer". Da ist zunächst natürlich die Erzählung der katalanischen Schriftstellerin, die der Kritiker als eine der besten Europas würdigt: Verträumt blickt er hier mit einem alten, weisen Gärtner durch einen blühenden Sommergarten auf ein pittoreskes Blumenmeer, folgt den Erinnerungen des Mannes an eine tragische Liebesgeschichte, an deren Ende nur ein altes Herrschaftshaus und der Gärtner selbst übrigbleiben und bewundert die Kunst der Autorin, in vorsichtigen Andeutungen zu erzählen und alles virtuos miteinander zu verweben. Nicht zuletzt lobt der Rezensent aber auch die von Simone Horschack hingebungsvoll gestaltete Ausgabe, die brillante Übersetzung durch Kirsten Brandt und Roger Willemsens ebenso lehrreiches wie leidenschaftliches Nachwort.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2015Sehen Sie, wie die Blätter zittern und uns lauschen?
Was der Gärtner erzählt: Über einen berührenden Roman der katalanischen Jahrhundertautorin Mercè Rodoreda
Jeder passionierte Leser stellt im Laufe seines Bücherlebens eine kleine Spezialbibliothek zusammen, in der nur Werke stehen, die ihm sehr zu Herzen gegangen sind. Kein Pflichtbuch darf dort zu finden sein, keines, das aus repräsentativen ästhetischen, politischen, sozialen oder sonstwelchen Gründen aufbewahrt werden muss, sondern nur solche Wunderwerke, deren schiere Schönheit einem die Sprache verschlagen hat. (Ich sehe gerade die zu Berge stehenden Haare der ordentlichen Literaturkritiker vor mir und erbleiche!)
Diese aus guten Gründen der Öffentlichkeit nicht zugängliche Bibliothek, die natürlich alles über die sentimentalen Seiten ihres Besitzers enthüllt, ist klein, unordentlich, extrem individualistisch und darf um alles in der Welt nicht begründet werden. Bei manchen steht der "Grüne Heinrich" im Mittelpunkt, bei mir der "Anton Reiser" von Karl Philipp Moritz, dicht daneben der weiß Gott nicht beste Roman von Joseph Roth, "Flucht ohne Ende", aber auch einige Bücher von Zeitgenossen, die ich natürlich nicht verrate.
Jetzt habe ich ein neues Buch aufgenommen, den Roman "Der Garten über dem Meer" von Mercè Rodoreda. Es ist von Simone Horschack so liebevoll mit einem bedruckten Leinen ausgestattet worden, Kirsten Brandt hat es wunderbar übersetzt, und Roger Willemsen hat ein enthusiastisches und dennoch informatives Nachwort beigesteuert, dass man dieses in einem Schuber steckende Schmuckstück gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Wer nach der Lektüre dieses Buches immer noch behauptet, ihm sei es egal, ob er ein Buch aus Papier oder ein elektronisches Gerät in der Hand halte, ist nicht mehr zu retten.
Jeder, der die Romane von Mercè Rodoreda kennt, zumal "Auf der Placa del Diamant", das Jahrhundertbuch über den vor achtzig Jahren das Land verheerenden Bürgerkrieg, weiß, dass diese nach einem langen Leben im Exil nach Spanien zurückgekehrte Autorin, die 1983 in Girona starb, nicht nur die beste katalanische Schriftstellerin war, sondern eine der besten Europas. Wie kann sie das besser demonstrieren als in der Beschreibung und Vergegenwärtigung eines blühenden Sommergartens! Wenn der alte Gärtner, der Ich-Erzähler des Romans, aus dem Meer von Lilien, Malven, Geißblatt, Ringelblumen, Veilchen, Hyazinthen, Schwertlilien, Gauklerblumen, Mimosen, Lupinen und Carolinenrosen auftaucht und seinen Blick über das richtige Meer schweifen lässt, dem im Spiel der Naturgewalten natürlich die dramatische Rolle zugeteilt ist, dann spürt man als Leser auf eine so plötzliche Art und Weise, wie nur bedeutende Literatur das kann, dass man mit den Augen dieses Mannes blickt, der von sich sagt: "Ich schicke mich in alles und bin mit allem zufrieden."
Diesem verschmitzten, weisen, alten Mann kann die Welt nichts mehr anhaben. Solange er seinen Garten hat, den er im Auftrag und zur Freude der Herrschaft bewirtschaftet, aber eigentlich nur in Erinnerung an seine verstorbene Frau Cecilia pflegt, kann nichts mehr passieren. "Solange ich hier in meinem Garten bin, ist sie noch nicht ganz tot. Glauben Sie mir: Es stimmt; sie ist dann nicht ganz tot ... Sehen Sie sich den Garten an. Dies ist die beste Tageszeit, um seine Kraft zu spüren und seinen Duft zu riechen. Sehen Sie sich die Linde an. Sehen Sie, wie die Blätter zittern und uns lauschen? Sie lachen ... Wenn Sie eines Nachts unter den Bäumen spazieren gehen, werden Sie schon hören, was Ihnen dieser Garten alles zu erzählen hat ... - Wir gingen dort auseinander, am Fuß der Aussichtsterrasse, und das war, wenn man so will, das Ende der Geschichte."
Am Anfang der Geschichte, die vor dem Bürgerkrieg spielt, der seine dunklen Schatten aber schon auf alle Verhältnisse wirft, steht eine romantische Liebestragödie mit tödlichem Ausgang. Die Frau, der das Haus mit Garten gehört, in dem sechs Sommer lang eine illustre Schar von Gästen sich vergnügt, hat ihren armen Jugendfreund Eugeni zugunsten ihres reichen ungeliebten Mannes Francesco verlassen. Dieser Eugeni taucht nach langer Abwesenheit in Südamerika nun aber als Schwiegersohn eines neureichen Nachbarn im Dorf auf und setzt die schreckliche Maschine der Tragödie in Gang, an deren Ende Eugeni tot im Meer treibt, das Haus verkauft wird und nur der Gärtner zurückbleibt.
Das ist alles. Aber wie die Frau erzählt! Wie aus den Andeutungen und Klatschereien der Dienstboten, Pferdehüter und Gärtnergehilfen, wie aus erlaubten und unerlaubten Blicken über die Hecke, aus aufgeschnappten und falsch weitergegebenen Sätzen ein Gespinst der Andeutungen und Vermutungen entsteht, wie der Gastwirt im Dorf als Vermittler von Gerüchten eingesetzt wird, wie plötzlich alle, die Dienstboten inklusive, am Untergang des Hauses beteiligt sind, das erfahren wir alles aus dem Mund des Gärtners, der getreulich zu erklären versucht, was nicht wirklich zu erklären ist - warum der Mensch weder mit sich noch mit seinesgleichen zufrieden ist und immer etwas stattdessen sucht. Ein herrliches Buch!
MICHAEL KRÜGER
Mercè Rodoreda: "Der Garten über dem Meer".
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt. Herausgegeben von Roger Willemsen. Mare Verlag, Hamburg 2014. 240 S., geb., 26,- .
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was der Gärtner erzählt: Über einen berührenden Roman der katalanischen Jahrhundertautorin Mercè Rodoreda
Jeder passionierte Leser stellt im Laufe seines Bücherlebens eine kleine Spezialbibliothek zusammen, in der nur Werke stehen, die ihm sehr zu Herzen gegangen sind. Kein Pflichtbuch darf dort zu finden sein, keines, das aus repräsentativen ästhetischen, politischen, sozialen oder sonstwelchen Gründen aufbewahrt werden muss, sondern nur solche Wunderwerke, deren schiere Schönheit einem die Sprache verschlagen hat. (Ich sehe gerade die zu Berge stehenden Haare der ordentlichen Literaturkritiker vor mir und erbleiche!)
Diese aus guten Gründen der Öffentlichkeit nicht zugängliche Bibliothek, die natürlich alles über die sentimentalen Seiten ihres Besitzers enthüllt, ist klein, unordentlich, extrem individualistisch und darf um alles in der Welt nicht begründet werden. Bei manchen steht der "Grüne Heinrich" im Mittelpunkt, bei mir der "Anton Reiser" von Karl Philipp Moritz, dicht daneben der weiß Gott nicht beste Roman von Joseph Roth, "Flucht ohne Ende", aber auch einige Bücher von Zeitgenossen, die ich natürlich nicht verrate.
Jetzt habe ich ein neues Buch aufgenommen, den Roman "Der Garten über dem Meer" von Mercè Rodoreda. Es ist von Simone Horschack so liebevoll mit einem bedruckten Leinen ausgestattet worden, Kirsten Brandt hat es wunderbar übersetzt, und Roger Willemsen hat ein enthusiastisches und dennoch informatives Nachwort beigesteuert, dass man dieses in einem Schuber steckende Schmuckstück gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Wer nach der Lektüre dieses Buches immer noch behauptet, ihm sei es egal, ob er ein Buch aus Papier oder ein elektronisches Gerät in der Hand halte, ist nicht mehr zu retten.
Jeder, der die Romane von Mercè Rodoreda kennt, zumal "Auf der Placa del Diamant", das Jahrhundertbuch über den vor achtzig Jahren das Land verheerenden Bürgerkrieg, weiß, dass diese nach einem langen Leben im Exil nach Spanien zurückgekehrte Autorin, die 1983 in Girona starb, nicht nur die beste katalanische Schriftstellerin war, sondern eine der besten Europas. Wie kann sie das besser demonstrieren als in der Beschreibung und Vergegenwärtigung eines blühenden Sommergartens! Wenn der alte Gärtner, der Ich-Erzähler des Romans, aus dem Meer von Lilien, Malven, Geißblatt, Ringelblumen, Veilchen, Hyazinthen, Schwertlilien, Gauklerblumen, Mimosen, Lupinen und Carolinenrosen auftaucht und seinen Blick über das richtige Meer schweifen lässt, dem im Spiel der Naturgewalten natürlich die dramatische Rolle zugeteilt ist, dann spürt man als Leser auf eine so plötzliche Art und Weise, wie nur bedeutende Literatur das kann, dass man mit den Augen dieses Mannes blickt, der von sich sagt: "Ich schicke mich in alles und bin mit allem zufrieden."
Diesem verschmitzten, weisen, alten Mann kann die Welt nichts mehr anhaben. Solange er seinen Garten hat, den er im Auftrag und zur Freude der Herrschaft bewirtschaftet, aber eigentlich nur in Erinnerung an seine verstorbene Frau Cecilia pflegt, kann nichts mehr passieren. "Solange ich hier in meinem Garten bin, ist sie noch nicht ganz tot. Glauben Sie mir: Es stimmt; sie ist dann nicht ganz tot ... Sehen Sie sich den Garten an. Dies ist die beste Tageszeit, um seine Kraft zu spüren und seinen Duft zu riechen. Sehen Sie sich die Linde an. Sehen Sie, wie die Blätter zittern und uns lauschen? Sie lachen ... Wenn Sie eines Nachts unter den Bäumen spazieren gehen, werden Sie schon hören, was Ihnen dieser Garten alles zu erzählen hat ... - Wir gingen dort auseinander, am Fuß der Aussichtsterrasse, und das war, wenn man so will, das Ende der Geschichte."
Am Anfang der Geschichte, die vor dem Bürgerkrieg spielt, der seine dunklen Schatten aber schon auf alle Verhältnisse wirft, steht eine romantische Liebestragödie mit tödlichem Ausgang. Die Frau, der das Haus mit Garten gehört, in dem sechs Sommer lang eine illustre Schar von Gästen sich vergnügt, hat ihren armen Jugendfreund Eugeni zugunsten ihres reichen ungeliebten Mannes Francesco verlassen. Dieser Eugeni taucht nach langer Abwesenheit in Südamerika nun aber als Schwiegersohn eines neureichen Nachbarn im Dorf auf und setzt die schreckliche Maschine der Tragödie in Gang, an deren Ende Eugeni tot im Meer treibt, das Haus verkauft wird und nur der Gärtner zurückbleibt.
Das ist alles. Aber wie die Frau erzählt! Wie aus den Andeutungen und Klatschereien der Dienstboten, Pferdehüter und Gärtnergehilfen, wie aus erlaubten und unerlaubten Blicken über die Hecke, aus aufgeschnappten und falsch weitergegebenen Sätzen ein Gespinst der Andeutungen und Vermutungen entsteht, wie der Gastwirt im Dorf als Vermittler von Gerüchten eingesetzt wird, wie plötzlich alle, die Dienstboten inklusive, am Untergang des Hauses beteiligt sind, das erfahren wir alles aus dem Mund des Gärtners, der getreulich zu erklären versucht, was nicht wirklich zu erklären ist - warum der Mensch weder mit sich noch mit seinesgleichen zufrieden ist und immer etwas stattdessen sucht. Ein herrliches Buch!
MICHAEL KRÜGER
Mercè Rodoreda: "Der Garten über dem Meer".
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt. Herausgegeben von Roger Willemsen. Mare Verlag, Hamburg 2014. 240 S., geb., 26,- .
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main