Warum ich ein wütender Schriftsteller wurde: Maxim Biller und die Deutschen
Geboren wurde er in Prag, mit zehn Jahren kam er nach Deutschland, mit siebzehn fing er an zu studieren - die Deutschen, ihre Bücher, ihre Frauen, ihre Fehler. Billers autobiographisches Buch erzählt wie ein Roman die tragikomische Geschichte eines Juden, der in einem Land Schriftsteller wird, in dem es keine Juden mehr geben sollte.
Dieses Selbstporträt zeigt, wie man sich selbst auf die Spur kommt - und seinen Freunden und Feinden. Bei Maxim Biller sind es die Juden und die Deutschen, die Reihenfolge spielt keine Rolle. Er erzählt leicht, ironisch und poetisch von einem jungen Mann, der immer wieder hört, er solle nicht darauf bestehen, der zu sein, der er ist, und spätestens dann allen klarmacht, dass er nicht zu bremsen ist, als er mit dem Schreiben beginnt.
Was der Leser bekommt, ist die Geschichte vom Künstler als jungem Mann, der nach seinem Ort im Leben sucht. Billers erster Roman wird auf einer Reise nach Israel zusammen mit dem Autor bei einem Anschlag beinahe in tausend Stücke gerissen und erscheint zum Glück trotzdem nie. Biller ist also längst Schriftsteller, als er Journalist wird, er schreibt in der Zeit, im Spiegel und sagt nicht Nein, als für ihn die Tempo-Kolumne 100 Zeilen Hass erfunden wird, was er später manchmal bereut, manchmal nicht. Als die Frankfurter Juden Fassbinders Stück Der Müll, die Stadt und der Tod verhindern wollen, geht er mit seinem besten Freund Donny Gold lieber ins Bordell. Überhaupt Donny. Der geht eines Tages nach Israel, um dort zu erkennen, dass die Israelis auch nicht wirklich Juden sind.
Mit diesem Buch kommen die frühen 80er-Jahre zurück, München, die heimliche Hauptstadt, der Abendhimmel über dem Schumann's, der Eisbach im Englischen Garten, Pop und New Wave, und immer wieder Bücher: Pasternaks Geleitbrief, Mordecai Richlers The Street und später Bob Dylans Chronicles. Was Biller liefert, steht in dieser Tradition: eine Künstler-Lebensgeschichte. Oder wie er es sagen würde: Mit zwanzig wissen wir alles, mit dreißig wissen wir es wirklich, und mit vierzig wissen wir gar nichts mehr.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Geboren wurde er in Prag, mit zehn Jahren kam er nach Deutschland, mit siebzehn fing er an zu studieren - die Deutschen, ihre Bücher, ihre Frauen, ihre Fehler. Billers autobiographisches Buch erzählt wie ein Roman die tragikomische Geschichte eines Juden, der in einem Land Schriftsteller wird, in dem es keine Juden mehr geben sollte.
Dieses Selbstporträt zeigt, wie man sich selbst auf die Spur kommt - und seinen Freunden und Feinden. Bei Maxim Biller sind es die Juden und die Deutschen, die Reihenfolge spielt keine Rolle. Er erzählt leicht, ironisch und poetisch von einem jungen Mann, der immer wieder hört, er solle nicht darauf bestehen, der zu sein, der er ist, und spätestens dann allen klarmacht, dass er nicht zu bremsen ist, als er mit dem Schreiben beginnt.
Was der Leser bekommt, ist die Geschichte vom Künstler als jungem Mann, der nach seinem Ort im Leben sucht. Billers erster Roman wird auf einer Reise nach Israel zusammen mit dem Autor bei einem Anschlag beinahe in tausend Stücke gerissen und erscheint zum Glück trotzdem nie. Biller ist also längst Schriftsteller, als er Journalist wird, er schreibt in der Zeit, im Spiegel und sagt nicht Nein, als für ihn die Tempo-Kolumne 100 Zeilen Hass erfunden wird, was er später manchmal bereut, manchmal nicht. Als die Frankfurter Juden Fassbinders Stück Der Müll, die Stadt und der Tod verhindern wollen, geht er mit seinem besten Freund Donny Gold lieber ins Bordell. Überhaupt Donny. Der geht eines Tages nach Israel, um dort zu erkennen, dass die Israelis auch nicht wirklich Juden sind.
Mit diesem Buch kommen die frühen 80er-Jahre zurück, München, die heimliche Hauptstadt, der Abendhimmel über dem Schumann's, der Eisbach im Englischen Garten, Pop und New Wave, und immer wieder Bücher: Pasternaks Geleitbrief, Mordecai Richlers The Street und später Bob Dylans Chronicles. Was Biller liefert, steht in dieser Tradition: eine Künstler-Lebensgeschichte. Oder wie er es sagen würde: Mit zwanzig wissen wir alles, mit dreißig wissen wir es wirklich, und mit vierzig wissen wir gar nichts mehr.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2009Wenn einer weiß, wer er ist, dann weiß er es durch mich
Ohne Augenmaß und Diskretion, aber mit Sprachgefühl: Maxim Billers „Der gebrauchte Jude” Von Joachim Kaiser
Beklemmend leicht macht es Maxim Biller allen Lesern und Kritikern, ihn nicht ernstzunehmen, seine Verzweiflung gar nicht an sich herankommen zu lassen, ihn ironisch abzutun. Denn Diskretion oder Augenmaß sind seine Sache nicht. Mit fast paranoider Wut und Beharrlichkeit attackiert er jene, die nach Auschwitz irgendwie zur Tagesordnung übergehen und so leben wollen, als könne man unangefochten, leise und höflich weitermachen. Gegen sich selbst („meine Arroganz und mein Halbwissen”) äußert er gleichfalls Heftiges. Er bekommt sogar das Geständnis fertig: „Wenn ich eine Meinung hatte, die anderen wehtat, liebte ich mich dafür!” Nicht grundlos hat ihn denn auch Henryk M. Broder in seiner eleganten Spiegel-Rezension souverän auf „Weltschmerz, Wehmut und Wehleidigkeit” minimalisiert.
Eine solche Versuchung empfand ich nach erster, verblüffter Lektüre der etwas großsprecherisch als „Selbstporträt” angekündigten, knappen 176 Seiten des Billerschen Selbstfindungsweges auch: Über diese Mischung aus Wortballett, Forciertheiten und streitsüchtigem jüdischem Stolz drängte sich ein einleuchtender Verriss auf. Aber nach zweiter Lektüre erfüllt mich so etwas wie Betroffenheit. Beinahe wäre mir entgangen, welch tiefem und wildem Unglücklich-Sein die Bekenntnisse wie die Kapriolen, Irrtümer und effektvollen Ungenauigkeiten dieser Beichte entspringen . . .
Da will jemand nicht, dass es nach dem beinahe restlos durchgeführten Genozid zu irgendeiner deutsch-jüdischen Normalität komme. Flammender Hass (auch Billers einstige Tempo-Kolumne hieß „100 Zeilen Hass”) empfindet er dem gegenwärtigen deutsch-jüdischen Miteinander weit angemessener, als wenn brave Juden – Biller nennt den einstigen S.-Fischer-Lektor Hellmut Freund, George Tabori, Hans Sahl, Ida Ehre – nun wieder brave Deutsche sein wollen. Sie alle, fürchtet er, subtrahieren sich ihre Lebenswahrheit zurecht: „Deutschland minus Hitler, Goebbels und Auschwitz gleich Heine, Rilke und Thomas Mann.” Er selber hält es stattdessen mit der Addition. „Deutschland plus Hitler, Goebbels und Auschwitz ist gleich Rache, gleich Selbsthass, den man nur mit Hass vergelten kann.”
Eine so forciert-aggressive Attitüde bewirkt, dass nahezu alle Partner oder Literaten, die sich von Biller in einen Dialog, in eine Beziehung verwickeln lassen, irgendwann ihre aggressive Seite hervorkehren. Seiner Rechthaberei entkommen sie nicht. Massenhaft nennt er Namen mehr oder minder prominenter Figuren, die alle seiner Missbilligung nicht zu entgehen vermochten. Auf Rachel Salamander war er „sauer”, Giovanni di Lorenzo nahm er die Meinung übel, die deutschen Juden der Vorkriegszeit hätten mit dem Teufel aus einer Suppenschüssel gegessen, seien die meisten von ihnen doch auch Nationalisten gewesen. Seinem Verleger Albrecht Knaus verzeiht er nicht, eine verblüffende Verwandtschaft von Nationalsozialismus und Sowjetregime für zitierenswert befunden zu haben. Marcel Reich-Ranicki genügte Billers Ansprüchen gleichfalls kaum hinreichend und Ulrich Greiner auch nicht.
Ein Schwieriger also. Der mal für drei Wochen in einen Kibbuz ging, aber bereits nach drei Tagen rausflog. Der aus unserer Münchner Journalisten-Schule herausgeworfen werden sollte. Im durchaus rhapsodisch tönenden 57. Kapitel des Buches fasst er seine Entwicklung folgendermaßen zusammen: „Jetzt sehe ich immer mehr so aus, wie sie mich von Anfang an gesehen haben– zuerst war ich der süße junge Jude, dann der kafkahafte junge Jude, dann der widerspenstige Jude, dann der destruktive Jude, dann der jüdische Jude. Sie sollten mir dankbar sein. Wüssten sie ohne mich, wer sie sind?”
Auf die naheliegende Frage, warum ein Buch lesenswert sein sollte, das derart extreme Verhaltensweisen offeriert, gibt es nur eine einzige Antwort: Hans von Bülows Satz: „Im Anfang war der Rhythmus.” Biller kann unwiderstehlich rhythmisch pointiert schreiben. Er besitzt die fabelhafte Eigenschaft, mit kurzen Sätzen zu fesseln. Es macht nahezu süchtig, wie er unauffällig überraschende, zugleich einleuchtende Worte und Satzteile zusammenfügt. Beim folgenden Zitat lohnt es, weniger darauf zu achten, was er über die Erzählfigur, den unsympathischen Herrn Horwitz mit seiner Katze, besagt, als darauf, wie es gesagt wird: lakonisch, gnadenlos, rapide, vielfältig böse, am Ende verstohlen human ...„Er, der Davongekommene, erpresste nach dem Krieg alte Nazis, wurde mit einem Hotel in Netanya noch reicher, aber dann verlor er alles bei einem missglückten Versicherungsbetrug. Jetzt lebte er einsam und trotzig von ein paar Pfennigen Wiedergutmachung und ging nur raus, wenn er durchs Fenster sah, dass ein Passant sein Portemonnaie verloren hatte. Am Ende schlägt Horwitz seine Katze tot, und nicht das Tier tut uns leid, sondern er.”
Wer so zu schreiben vermag, dem muss auch ein Tick erlaubt sein. Billers pauschale Thomas-Mann-Ablehnung zieht sich wie ein Leitmotiv durch den Text. Thomas Mann habe die Juden gehasst, „angsterfüllte Abneigung” gegen sie habe ihn erfüllt: „Die Juden bei Mann sind schnell, schmierig, gewissenlos und Demokraten. Sie haben platte Nasen und wulstige Lippen . . .”. Nun gibt es tatsächlich von Golo Mann einen Brief, in welchem der kluge Sohn dem großen Vater einen gewissen Lübecker Antisemitismus zuschreibt. Doch – hat Thomas Mann diese Schwäche nicht mehr als gutgemacht mit seiner in einer Zeit grausamster Judenverfolgung entstandenen Tetralogie „Josef und seine Brüder”? Josef erscheint da als hinreißend liebenswürdige Künstler-Figur. Maxim Biller kennt dieses Werk offenbar nicht. Er nennt es : „Jakob und seine Brüder”.
Maxim Biller
Der gebrauchte Jude.
Selbstporträt
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2009. 174 Seiten, 16,95 Euro.
Lakonisch, gnadenlos, rapide, vielfältig böse, am Ende human
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Ohne Augenmaß und Diskretion, aber mit Sprachgefühl: Maxim Billers „Der gebrauchte Jude” Von Joachim Kaiser
Beklemmend leicht macht es Maxim Biller allen Lesern und Kritikern, ihn nicht ernstzunehmen, seine Verzweiflung gar nicht an sich herankommen zu lassen, ihn ironisch abzutun. Denn Diskretion oder Augenmaß sind seine Sache nicht. Mit fast paranoider Wut und Beharrlichkeit attackiert er jene, die nach Auschwitz irgendwie zur Tagesordnung übergehen und so leben wollen, als könne man unangefochten, leise und höflich weitermachen. Gegen sich selbst („meine Arroganz und mein Halbwissen”) äußert er gleichfalls Heftiges. Er bekommt sogar das Geständnis fertig: „Wenn ich eine Meinung hatte, die anderen wehtat, liebte ich mich dafür!” Nicht grundlos hat ihn denn auch Henryk M. Broder in seiner eleganten Spiegel-Rezension souverän auf „Weltschmerz, Wehmut und Wehleidigkeit” minimalisiert.
Eine solche Versuchung empfand ich nach erster, verblüffter Lektüre der etwas großsprecherisch als „Selbstporträt” angekündigten, knappen 176 Seiten des Billerschen Selbstfindungsweges auch: Über diese Mischung aus Wortballett, Forciertheiten und streitsüchtigem jüdischem Stolz drängte sich ein einleuchtender Verriss auf. Aber nach zweiter Lektüre erfüllt mich so etwas wie Betroffenheit. Beinahe wäre mir entgangen, welch tiefem und wildem Unglücklich-Sein die Bekenntnisse wie die Kapriolen, Irrtümer und effektvollen Ungenauigkeiten dieser Beichte entspringen . . .
Da will jemand nicht, dass es nach dem beinahe restlos durchgeführten Genozid zu irgendeiner deutsch-jüdischen Normalität komme. Flammender Hass (auch Billers einstige Tempo-Kolumne hieß „100 Zeilen Hass”) empfindet er dem gegenwärtigen deutsch-jüdischen Miteinander weit angemessener, als wenn brave Juden – Biller nennt den einstigen S.-Fischer-Lektor Hellmut Freund, George Tabori, Hans Sahl, Ida Ehre – nun wieder brave Deutsche sein wollen. Sie alle, fürchtet er, subtrahieren sich ihre Lebenswahrheit zurecht: „Deutschland minus Hitler, Goebbels und Auschwitz gleich Heine, Rilke und Thomas Mann.” Er selber hält es stattdessen mit der Addition. „Deutschland plus Hitler, Goebbels und Auschwitz ist gleich Rache, gleich Selbsthass, den man nur mit Hass vergelten kann.”
Eine so forciert-aggressive Attitüde bewirkt, dass nahezu alle Partner oder Literaten, die sich von Biller in einen Dialog, in eine Beziehung verwickeln lassen, irgendwann ihre aggressive Seite hervorkehren. Seiner Rechthaberei entkommen sie nicht. Massenhaft nennt er Namen mehr oder minder prominenter Figuren, die alle seiner Missbilligung nicht zu entgehen vermochten. Auf Rachel Salamander war er „sauer”, Giovanni di Lorenzo nahm er die Meinung übel, die deutschen Juden der Vorkriegszeit hätten mit dem Teufel aus einer Suppenschüssel gegessen, seien die meisten von ihnen doch auch Nationalisten gewesen. Seinem Verleger Albrecht Knaus verzeiht er nicht, eine verblüffende Verwandtschaft von Nationalsozialismus und Sowjetregime für zitierenswert befunden zu haben. Marcel Reich-Ranicki genügte Billers Ansprüchen gleichfalls kaum hinreichend und Ulrich Greiner auch nicht.
Ein Schwieriger also. Der mal für drei Wochen in einen Kibbuz ging, aber bereits nach drei Tagen rausflog. Der aus unserer Münchner Journalisten-Schule herausgeworfen werden sollte. Im durchaus rhapsodisch tönenden 57. Kapitel des Buches fasst er seine Entwicklung folgendermaßen zusammen: „Jetzt sehe ich immer mehr so aus, wie sie mich von Anfang an gesehen haben– zuerst war ich der süße junge Jude, dann der kafkahafte junge Jude, dann der widerspenstige Jude, dann der destruktive Jude, dann der jüdische Jude. Sie sollten mir dankbar sein. Wüssten sie ohne mich, wer sie sind?”
Auf die naheliegende Frage, warum ein Buch lesenswert sein sollte, das derart extreme Verhaltensweisen offeriert, gibt es nur eine einzige Antwort: Hans von Bülows Satz: „Im Anfang war der Rhythmus.” Biller kann unwiderstehlich rhythmisch pointiert schreiben. Er besitzt die fabelhafte Eigenschaft, mit kurzen Sätzen zu fesseln. Es macht nahezu süchtig, wie er unauffällig überraschende, zugleich einleuchtende Worte und Satzteile zusammenfügt. Beim folgenden Zitat lohnt es, weniger darauf zu achten, was er über die Erzählfigur, den unsympathischen Herrn Horwitz mit seiner Katze, besagt, als darauf, wie es gesagt wird: lakonisch, gnadenlos, rapide, vielfältig böse, am Ende verstohlen human ...„Er, der Davongekommene, erpresste nach dem Krieg alte Nazis, wurde mit einem Hotel in Netanya noch reicher, aber dann verlor er alles bei einem missglückten Versicherungsbetrug. Jetzt lebte er einsam und trotzig von ein paar Pfennigen Wiedergutmachung und ging nur raus, wenn er durchs Fenster sah, dass ein Passant sein Portemonnaie verloren hatte. Am Ende schlägt Horwitz seine Katze tot, und nicht das Tier tut uns leid, sondern er.”
Wer so zu schreiben vermag, dem muss auch ein Tick erlaubt sein. Billers pauschale Thomas-Mann-Ablehnung zieht sich wie ein Leitmotiv durch den Text. Thomas Mann habe die Juden gehasst, „angsterfüllte Abneigung” gegen sie habe ihn erfüllt: „Die Juden bei Mann sind schnell, schmierig, gewissenlos und Demokraten. Sie haben platte Nasen und wulstige Lippen . . .”. Nun gibt es tatsächlich von Golo Mann einen Brief, in welchem der kluge Sohn dem großen Vater einen gewissen Lübecker Antisemitismus zuschreibt. Doch – hat Thomas Mann diese Schwäche nicht mehr als gutgemacht mit seiner in einer Zeit grausamster Judenverfolgung entstandenen Tetralogie „Josef und seine Brüder”? Josef erscheint da als hinreißend liebenswürdige Künstler-Figur. Maxim Biller kennt dieses Werk offenbar nicht. Er nennt es : „Jakob und seine Brüder”.
Maxim Biller
Der gebrauchte Jude.
Selbstporträt
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2009. 174 Seiten, 16,95 Euro.
Lakonisch, gnadenlos, rapide, vielfältig böse, am Ende human
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2009Wir sind eine kleine Familie, vergiss das nicht
Wie sich eine jüdische Identität vom Gift der historischen Erfahrung befreite: Maxim Biller hat mit seinem Selbstporträt "Der gebrauchte Jude" ein großes Stück Literatur und literarisch verdichtetes Leben geschaffen.
Von Viola Roggenkamp
Als ich jetzt von Hamburg kommend auf dem Weg nach Konstanz durch Frankfurt im Zug über die Mainbrücke fuhr, sah ich auf Maxim Billers Pyramiden, und mir wurde klar, warum ich diese gläsern glitzernden Finger, wie sie gegen den Himmel aufzeigen, schon immer mochte. "Das war wie in Ägypten Pyramiden zu bauen, aber diesmal nicht, um den Pharao glücklich zu machen, sondern die eigenen Kinder. Es waren starke und harte jüdische Männer, die das neue Frankfurt errichtet hatten . . . Sie ließen die rechte deutsche Polizei anfahren und die linken deutschen Nazikinder an ihren langen Haaren aus den verfallenden Westendhäusern tragen, sie machten endgültig hundert Jahre deutscher Gemütlichkeit kaputt."
So liest man es in Maxim Billers neuem Buch "Der gebrauchte Jude", Untertitel: "Selbstporträt". Der darin sich selbst porträtierende Autor provoziert seine Leserschaft ihrerseits zur Selbstbetrachtung. Und da die meisten Leser keine Juden sein werden, könnte ihnen entgehen, dass es dem Autor in der hier zitierten Passage keineswegs bloß darum zu tun ist, die Häuserkämpfer von einst zu reizen und aufzubringen.
Auch war es keineswegs so, dass sich alle jüdischen Kinder an den Frankfurter Pyramiden ihrer Väter erfreuten. Und schon gar nicht hätte ein Ignatz Bubis, mächtiger Immobilienmakler und Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, als Überlebender der Schoa ein durchaus legitimes Rachebedürfnis etwa bejaht. Stattdessen und viel lieber, wenn es trotz inneren Aufruhrs gelang, nach außen gewendet eine Art humane Arroganz.
Nicht einer deutschen Öffentlichkeit und auch nicht den eigenen Kindern gegenüber konnte jemals die Rede sein von der unstillbaren Sehnsucht nach Rache und dem Schmerz über ihre Vergeblichkeit. Die antisemitische Projektion vom endlos rachsüchtigen Juden mussten und müssen Juden zu allen Zeiten einkalkulieren. Wieso ausgerechnet nach der Schoa nicht mehr? Sogar im Blick der eigenen Töchter und Söhne, die so schön Deutsch sprechen wie richtige Deutsche, fürchten die Überlebenden, sich als Kaufmann Shylock wiederfinden zu müssen, Shakespeares ewiger Jude, der auch nicht mehr verlangte, als was rechtens war und ihm der Christ zu tun übrigließ: Filetstücke aus dem Weichteil der Stadt sich schneiden.
Worum geht es in Maxim Billers Buch? Es geht ums Judesein, und zwar ums Judesein der Nachgeborenen vor den Augen der jüdischen Elterngeneration in der deutschen Öffentlichkeit. Es geht um die Selbstbehauptung des nachgeborenen Juden gegenüber den Vergasten, den Davongekommenen und den Überlebenden. Herauszutreten aus diesem Schlagschatten. Dem Traumatischen der Eltern eigene Formulierungen anzutun und was geschehen ist, in die eigene Sprache zu nehmen. Nicht mehr nur zu memorieren, was einem vom Leben und Sterben der Verlorenen eingetrichtert wurde. Nicht den heimlichen Rächer machen. Auch nicht länger den linken Nazikindern jeden Monat in hundert Zeilen den Hass-Juden spendieren. Wie aber das eigene Judesein befreien von solchem Gift? Darüber gibt Maxim Biller in diesem Buch Auskunft.
"Judesein ist ein seltsames Wort", sagt Marcel Reich-Ranicki auf Seite 167. Es ist Maxim Billers Wort. Seine Begegnungen mit Reich-Ranicki gehören zum Eindrucksvollsten in diesem Buch. Mag es bei allen von Biller namentlich Genannten letztlich unbedeutend sein, ob es sie so gibt oder gab, ob man sie kennt oder nicht, denn wirklich zählt allein doch nur, was der Autor durch sein Schreiben vermitteln kann und in den Lesern aufzurühren vermag. Hier nicht. Hier vollführt Realität in ihrer literarischen Verdichtung vor unseren Augen einen atemraubenden Seiltanz. Man liest und staunt und ist bezaubert.
Denn dieser Mann ist allen bekannt, die Literatur lesen und Literatur schreiben. Marcel Reich-Ranicki ist die vom Autor gesuchte Vaterfigur, und Biller ist keineswegs ein von diesem Literaturkritiker gelobter Schriftsteller. Vor ihm kommt der im Dreieck Hamburg, München, Frankfurt Hastende zur Ruhe, vor ihm wird jegliche rauschhaft ins Bodenlose stürzende Gigantomanie des jungen Juden unwichtig. Der Alte ist ganz bei sich, ist darin unbestechlich, und Maxim Biller gelingt es im Gegenüber zu Marcel Reich-Ranicki unerschrocken zu bleiben und zärtlich zu sein.
Es liest sich wie eine Eidesformel, wenn der Selbstporträtist auf den ersten Seiten schreibt: "Ich bin Jude und nichts als Jude, weil ich wie alle Juden nur an mich selbst glaube, und ich habe nicht einmal Gott, auf den ich wütend sein könnte. Ich bin Jude, weil fast alle in meiner Familie vor mir Juden waren. Ich bin Jude, weil ich kein Russe, Tscheche oder Deutscher sein will. Ich bin Jude, weil ich eines Tages merkte, wie sehr es mir gefällt, die anderen damit zu verwirren, daß ich Jude bin."
Und nicht nur zu verwirren, sondern auch zu quälen. Diese Verwirrten sind deutsche Nichtjuden, und sie haben, bevor sie noch Probleme mit Maxim Biller bekommen, Schwierigkeiten mit dem Wort: Jude. Als sei Jude ein obszönes Wort. Dazu ist es geworden. Es hat in sich alle antisemitischen Zuschreibungen aufgenommen; sogar die Ausmordung der europäischen Judenheit.
"Dem obszönen Wort", schrieb der jüdisch-ungarische Psychoanalytiker Sandor Ferenczi 1911, wohne "eine eigentümliche Macht inne", die gleichsam dazu zwinge, "sich den darin benannten Gegenstand, in dinglicher Wirklichkeit vorzustellen". Und auf einmal steht der Jude wieder vor einem. Muss er nicht voller Hass sein? Muss er nicht Rache nehmen wollen für alles, was ihm angetan wurde? Auf der Rückseite des Buchumschlags sieht man ihn, Maxim Biller: der gebrauchte Jude in seinen jungen Jahren. Er sieht so schön jüdisch aus, dass die älteren Herren der bundesdeutschen Journalistengesellschaft, die Maxim Biller bei sich hospitieren ließen und die er vor seinen Lesern auftreten lässt, ihn unmöglich für einen Südfranzosen haben halten dürfen.
Biller liegt das Porträtieren. Kleine Kunstwerke durchziehen sein Buch, feine Skizzen bekannter Medienleute, die, auch wenn man sie nicht kennt, einem lebendig werden. Noch schöner, wenn man sie kennt. In hundert Jahren vielleicht werden Literaturwissenschaftler sich zergrübeln, welchem Rezensenten einer Hamburger Wochenzeitung Maxim Biller den Nachnamen Greiner verpasste. Hieß der Mann mit der Franz-Liszt-Frisur nicht eigentlich Jammer oder Klager? Denn Beschwerer wird er nicht geheißen haben, da er kein Jude war.
Das eben ist die Macht von bedruckten Buchseiten zwischen zwei in Leinen gebundenen Buchdeckeln. Ob die Leute tatsächlich ganz genauso sind oder waren, ist für den Wahrheitsgehalt dessen, was da schwarz auf weiß zu lesen ist, weder nachteilig noch von Vorteil. Wenn es stimmt im Sinne der literarischen Wahrhaftigkeit und der provozierenden Zuspitzung, liest man und lässt sich gern mitnehmen: zu Giovanni di Lorenzo, dem etwas am Herzen lag, "aber man erriet nicht, was"; zu der Mentholzigaretten rauchenden, damenhaften Frau Reich-Ranicki aufs schwarzlederne Sofa; zu Rachel Salamander, "sie war auf eine Art ironisch, die absolut unironisch war". Oder man gerät mit dem Selbstprotagonisten an die Seite seines Vaters "unter das schwere, kalte, nasse Tuch", dem beklemmenden "Hamburggefühl", und lässt sich im schwedischen Volvo auf der deutschen Autobahn ermahnen: "Wir sind eine sehr kleine Familie. Vergiss das nicht."
Alle werden sie zu literarischen Figuren. Sogar Henryk Broder mit seinem kleinen schwarzen Hund, der überhaupt nicht klein und schwarz war, wie man unlängst im "Spiegel" vom Hundebesitzer höchst selbst reklamiert lesen konnte. Aber im "Gebrauchten Juden" ist er nun einmal schwarz und klein. Und da es Maxim Billers Blick ist auf das an Broders Hosenbein hastig hochspringende Hündchen, könnte man es lesen, als den kleinen Biller mit seinem großen Broder.
"Der Schriftsteller", so schrieb 1961 Marcel Reich-Ranicki, "braucht nicht unbedingt die Gesellschaft zu bekämpfen. Aber er muss sie provozieren." Maxim Biller wird bleiben als der Schriftsteller, der jeden, über den zu schreiben ihn umtreibt, kenntlich macht. Auch sich selbst. Keine Konsequenzen scheuend, nennt er seine Täter, aber auch seine Opfer, und so zeigt er sich als Opfer wie als Täter.
Dieses beharrliche Kenntlichmachen wird in seinem Buch "Der gebrauchte Jude" das Gegenbild zur Verleugnung schlechthin. Und die Verleugnung gehört zum Antisemitismus wie die Gaskammern und Verbrennungsöfen zu Auschwitz.
"Ich habe nicht alles erzählt", schreibt der Autor am Ende, und man liest es mit Erleichterung. Schnell gibt er noch Ausblicke auf das, was zu erzählen bleibt. Denn es wird nie alles sein können.
Die Schriftstellerin Viola Roggenkamp, geboren 1948, veröffentlichte zuletzt den Essay "Erika Mann - eine jüdische Tochter" sowie den Roman "Die Frau im Turm".
Maxim Biller: "Der gebrauchte Jude". Selbstporträt. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2009. 174 S., geb., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie sich eine jüdische Identität vom Gift der historischen Erfahrung befreite: Maxim Biller hat mit seinem Selbstporträt "Der gebrauchte Jude" ein großes Stück Literatur und literarisch verdichtetes Leben geschaffen.
Von Viola Roggenkamp
Als ich jetzt von Hamburg kommend auf dem Weg nach Konstanz durch Frankfurt im Zug über die Mainbrücke fuhr, sah ich auf Maxim Billers Pyramiden, und mir wurde klar, warum ich diese gläsern glitzernden Finger, wie sie gegen den Himmel aufzeigen, schon immer mochte. "Das war wie in Ägypten Pyramiden zu bauen, aber diesmal nicht, um den Pharao glücklich zu machen, sondern die eigenen Kinder. Es waren starke und harte jüdische Männer, die das neue Frankfurt errichtet hatten . . . Sie ließen die rechte deutsche Polizei anfahren und die linken deutschen Nazikinder an ihren langen Haaren aus den verfallenden Westendhäusern tragen, sie machten endgültig hundert Jahre deutscher Gemütlichkeit kaputt."
So liest man es in Maxim Billers neuem Buch "Der gebrauchte Jude", Untertitel: "Selbstporträt". Der darin sich selbst porträtierende Autor provoziert seine Leserschaft ihrerseits zur Selbstbetrachtung. Und da die meisten Leser keine Juden sein werden, könnte ihnen entgehen, dass es dem Autor in der hier zitierten Passage keineswegs bloß darum zu tun ist, die Häuserkämpfer von einst zu reizen und aufzubringen.
Auch war es keineswegs so, dass sich alle jüdischen Kinder an den Frankfurter Pyramiden ihrer Väter erfreuten. Und schon gar nicht hätte ein Ignatz Bubis, mächtiger Immobilienmakler und Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, als Überlebender der Schoa ein durchaus legitimes Rachebedürfnis etwa bejaht. Stattdessen und viel lieber, wenn es trotz inneren Aufruhrs gelang, nach außen gewendet eine Art humane Arroganz.
Nicht einer deutschen Öffentlichkeit und auch nicht den eigenen Kindern gegenüber konnte jemals die Rede sein von der unstillbaren Sehnsucht nach Rache und dem Schmerz über ihre Vergeblichkeit. Die antisemitische Projektion vom endlos rachsüchtigen Juden mussten und müssen Juden zu allen Zeiten einkalkulieren. Wieso ausgerechnet nach der Schoa nicht mehr? Sogar im Blick der eigenen Töchter und Söhne, die so schön Deutsch sprechen wie richtige Deutsche, fürchten die Überlebenden, sich als Kaufmann Shylock wiederfinden zu müssen, Shakespeares ewiger Jude, der auch nicht mehr verlangte, als was rechtens war und ihm der Christ zu tun übrigließ: Filetstücke aus dem Weichteil der Stadt sich schneiden.
Worum geht es in Maxim Billers Buch? Es geht ums Judesein, und zwar ums Judesein der Nachgeborenen vor den Augen der jüdischen Elterngeneration in der deutschen Öffentlichkeit. Es geht um die Selbstbehauptung des nachgeborenen Juden gegenüber den Vergasten, den Davongekommenen und den Überlebenden. Herauszutreten aus diesem Schlagschatten. Dem Traumatischen der Eltern eigene Formulierungen anzutun und was geschehen ist, in die eigene Sprache zu nehmen. Nicht mehr nur zu memorieren, was einem vom Leben und Sterben der Verlorenen eingetrichtert wurde. Nicht den heimlichen Rächer machen. Auch nicht länger den linken Nazikindern jeden Monat in hundert Zeilen den Hass-Juden spendieren. Wie aber das eigene Judesein befreien von solchem Gift? Darüber gibt Maxim Biller in diesem Buch Auskunft.
"Judesein ist ein seltsames Wort", sagt Marcel Reich-Ranicki auf Seite 167. Es ist Maxim Billers Wort. Seine Begegnungen mit Reich-Ranicki gehören zum Eindrucksvollsten in diesem Buch. Mag es bei allen von Biller namentlich Genannten letztlich unbedeutend sein, ob es sie so gibt oder gab, ob man sie kennt oder nicht, denn wirklich zählt allein doch nur, was der Autor durch sein Schreiben vermitteln kann und in den Lesern aufzurühren vermag. Hier nicht. Hier vollführt Realität in ihrer literarischen Verdichtung vor unseren Augen einen atemraubenden Seiltanz. Man liest und staunt und ist bezaubert.
Denn dieser Mann ist allen bekannt, die Literatur lesen und Literatur schreiben. Marcel Reich-Ranicki ist die vom Autor gesuchte Vaterfigur, und Biller ist keineswegs ein von diesem Literaturkritiker gelobter Schriftsteller. Vor ihm kommt der im Dreieck Hamburg, München, Frankfurt Hastende zur Ruhe, vor ihm wird jegliche rauschhaft ins Bodenlose stürzende Gigantomanie des jungen Juden unwichtig. Der Alte ist ganz bei sich, ist darin unbestechlich, und Maxim Biller gelingt es im Gegenüber zu Marcel Reich-Ranicki unerschrocken zu bleiben und zärtlich zu sein.
Es liest sich wie eine Eidesformel, wenn der Selbstporträtist auf den ersten Seiten schreibt: "Ich bin Jude und nichts als Jude, weil ich wie alle Juden nur an mich selbst glaube, und ich habe nicht einmal Gott, auf den ich wütend sein könnte. Ich bin Jude, weil fast alle in meiner Familie vor mir Juden waren. Ich bin Jude, weil ich kein Russe, Tscheche oder Deutscher sein will. Ich bin Jude, weil ich eines Tages merkte, wie sehr es mir gefällt, die anderen damit zu verwirren, daß ich Jude bin."
Und nicht nur zu verwirren, sondern auch zu quälen. Diese Verwirrten sind deutsche Nichtjuden, und sie haben, bevor sie noch Probleme mit Maxim Biller bekommen, Schwierigkeiten mit dem Wort: Jude. Als sei Jude ein obszönes Wort. Dazu ist es geworden. Es hat in sich alle antisemitischen Zuschreibungen aufgenommen; sogar die Ausmordung der europäischen Judenheit.
"Dem obszönen Wort", schrieb der jüdisch-ungarische Psychoanalytiker Sandor Ferenczi 1911, wohne "eine eigentümliche Macht inne", die gleichsam dazu zwinge, "sich den darin benannten Gegenstand, in dinglicher Wirklichkeit vorzustellen". Und auf einmal steht der Jude wieder vor einem. Muss er nicht voller Hass sein? Muss er nicht Rache nehmen wollen für alles, was ihm angetan wurde? Auf der Rückseite des Buchumschlags sieht man ihn, Maxim Biller: der gebrauchte Jude in seinen jungen Jahren. Er sieht so schön jüdisch aus, dass die älteren Herren der bundesdeutschen Journalistengesellschaft, die Maxim Biller bei sich hospitieren ließen und die er vor seinen Lesern auftreten lässt, ihn unmöglich für einen Südfranzosen haben halten dürfen.
Biller liegt das Porträtieren. Kleine Kunstwerke durchziehen sein Buch, feine Skizzen bekannter Medienleute, die, auch wenn man sie nicht kennt, einem lebendig werden. Noch schöner, wenn man sie kennt. In hundert Jahren vielleicht werden Literaturwissenschaftler sich zergrübeln, welchem Rezensenten einer Hamburger Wochenzeitung Maxim Biller den Nachnamen Greiner verpasste. Hieß der Mann mit der Franz-Liszt-Frisur nicht eigentlich Jammer oder Klager? Denn Beschwerer wird er nicht geheißen haben, da er kein Jude war.
Das eben ist die Macht von bedruckten Buchseiten zwischen zwei in Leinen gebundenen Buchdeckeln. Ob die Leute tatsächlich ganz genauso sind oder waren, ist für den Wahrheitsgehalt dessen, was da schwarz auf weiß zu lesen ist, weder nachteilig noch von Vorteil. Wenn es stimmt im Sinne der literarischen Wahrhaftigkeit und der provozierenden Zuspitzung, liest man und lässt sich gern mitnehmen: zu Giovanni di Lorenzo, dem etwas am Herzen lag, "aber man erriet nicht, was"; zu der Mentholzigaretten rauchenden, damenhaften Frau Reich-Ranicki aufs schwarzlederne Sofa; zu Rachel Salamander, "sie war auf eine Art ironisch, die absolut unironisch war". Oder man gerät mit dem Selbstprotagonisten an die Seite seines Vaters "unter das schwere, kalte, nasse Tuch", dem beklemmenden "Hamburggefühl", und lässt sich im schwedischen Volvo auf der deutschen Autobahn ermahnen: "Wir sind eine sehr kleine Familie. Vergiss das nicht."
Alle werden sie zu literarischen Figuren. Sogar Henryk Broder mit seinem kleinen schwarzen Hund, der überhaupt nicht klein und schwarz war, wie man unlängst im "Spiegel" vom Hundebesitzer höchst selbst reklamiert lesen konnte. Aber im "Gebrauchten Juden" ist er nun einmal schwarz und klein. Und da es Maxim Billers Blick ist auf das an Broders Hosenbein hastig hochspringende Hündchen, könnte man es lesen, als den kleinen Biller mit seinem großen Broder.
"Der Schriftsteller", so schrieb 1961 Marcel Reich-Ranicki, "braucht nicht unbedingt die Gesellschaft zu bekämpfen. Aber er muss sie provozieren." Maxim Biller wird bleiben als der Schriftsteller, der jeden, über den zu schreiben ihn umtreibt, kenntlich macht. Auch sich selbst. Keine Konsequenzen scheuend, nennt er seine Täter, aber auch seine Opfer, und so zeigt er sich als Opfer wie als Täter.
Dieses beharrliche Kenntlichmachen wird in seinem Buch "Der gebrauchte Jude" das Gegenbild zur Verleugnung schlechthin. Und die Verleugnung gehört zum Antisemitismus wie die Gaskammern und Verbrennungsöfen zu Auschwitz.
"Ich habe nicht alles erzählt", schreibt der Autor am Ende, und man liest es mit Erleichterung. Schnell gibt er noch Ausblicke auf das, was zu erzählen bleibt. Denn es wird nie alles sein können.
Die Schriftstellerin Viola Roggenkamp, geboren 1948, veröffentlichte zuletzt den Essay "Erika Mann - eine jüdische Tochter" sowie den Roman "Die Frau im Turm".
Maxim Biller: "Der gebrauchte Jude". Selbstporträt. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2009. 174 S., geb., 16,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Joachim Kaiser ist seinem ersten Reflex, das "Selbstporträt" von Maxim Biller sofort fulminant zu verreißen, nicht gefolgt und hat es sich stattdessen ein zweites Mal vorgenommen. Und da ist es dem Rezensenten aufgegangen, unter der zornigen, arroganten, "streitsüchtigen" Schale liege ein tief unglücklicher Kern, die Wut mit der sich Biller insbesondere gegen seine jüdischen Mitmenschen wende, indem er ihnen vorwerfe, nach dem Holocaust zur Tagesordnung überzugehen, sei eine "forciert-aggressive Attitüde". Bei all dem könnte einem entgehen, was für ein brillanter Wortkünstler Biller ist, streicht Kaiser heraus, der nun wahre Lobeshymnen auf den Autor niedergehen lässt. Er preist dessen geradezu "fabelhafte" Fähigkeit, seine Leser mit knappen Sätzen in den Bann zu schlagen und Überraschendes mit Einleuchtendem zu großartigen Passagen zu verschmelzen. Er feiert das untrügliche Gefühl für Rhythmus und Pointe und bescheinigt der Biller'schen Prosa gar Suchtpotential. Und deshalb findet der Rezensent am Ende auch, wer derart wunderbar schreibt, der "kann sich auch einen Tick erlauben", wie seine "pauschale" Ablehnung Thomas Manns beispielsweise.
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»[...] ein verdammt gutes Buch. Biller ist es gelungen, die Juden in Deutschland sichtbar zu machen, auch wenn viele gern unsichtbar geblieben wären.« Alan Posener Welt am Sonntag