Österreich im Mittelalter: In Eselsdorf taucht eines Tages ein fremder Junge auf, der über geheimnisvolle Kräfte verfügt. Er gibt sich den Jugendlichen des Dorfes als ein Neffe Satans zu erkennen, und mit seiner Ankunft häufen sich seltsame Ereignisse. Doch was er dem jungen Theodor, der zu seinem besten Freund wird, über die Welt und den Sinn des Lebens zu berichten hat, ist voller Tiefe und Weisheit. Erleben Sie die Abenteuer des jungen Satan in dieser ungekürzten Neuübersetzung von Mark Twains Klassiker "Der geheimnisvolle Fremde".
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2013Was man in Eseldorf lernt
ATAK illustriert Mark Twains Bekenntniserzählung "Der geheimnisvolle Fremde"
Die Geschichte hat kein Ende. Nicht die konkrete und auch nicht die der Menschen. Als Mark Twain 1910 starb, hinterließ er gleich drei Entwürfe für eine Erzählung, mit der er sich fast zwanzig Jahre lang beschäftigt hatte, eine, in der es um alles und alle geht. Mittelpunkt ist ein junger Mann namens Satan, Neffe des gefallenen Erzengels gleichen Namens. Dieser junge Satan ist ein Wesen ohne Moral - und gerade deshalb gut in einem außermoralischen Sinne, wie ihn die strenge Form des Utilitarismus beschreibt. Er wägt Leid ab und handelt danach, was zwangsläufig in Euthanasie mündet und in einen Erlösungsgedanken, der nichts Metaphysisches hat. Das war auch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts noch radikal, und deshalb war Twain skrupulös bei diesem Thema. Eine der drei Versionen nutzt sogar seine beiden populärsten Figuren, Tom Sawyer und Huckleberry Finn, um das heikle Sujet an die Leser zu bringen.
Was dann 1916 aus dem Nachlass als "The Mysterious Stranger" (und seitdem auf verbesserten Textgrundlagen immer wieder neu) herausgegeben wurde, hat Twain so nie geschrieben. Alle bestehenden Ausgaben kombinieren verschiedene Textstufen, um das Geschehen abzurunden. Von Tom und Huck ist keine Spur mehr; Protagonisten sind nun neben Satan jr. drei Sechzehnjährige: der Ich-Erzähler Theodor Fischer und seine beiden Freunde Nikolaus Baumann und Seppi Wohlmeyer. Die Namen verraten bereits, dass das Ganze nicht am Mississippi angesiedelt ist, sondern im deutschen Sprachraum. Ort der Handlung ist ein österreichisches Dorf mit dem sprechenden Namen Eseldorf. Wir schreiben das Jahr 1590, die Aufklärung steht noch mehr als ein Jahrhundert lang aus. Es ist Winter. So weit der Rahmen, den Mark Twain setzt.
In diesen Rahmen aber setzt nun der Berliner Illustrator Georg Barber alias ATAK ganz neue Bilder. Winter? Nichts davon zu sehen. Eseldorf ist eher ein Garten Eden, ein Hortus conclusus, in dem die Flora überschwänglich gedeiht und die schönsten Tiere von Elch bis Eisvogel aufeinandertreffen. 1590? Die Figuren, die ATAK malt, tragen Biedermeierkleidung, ein paar auch Gewänder der Reformationszeit (in den Bildern, die als Cranach-Paraphrasen gestaltet sind). Österreich? Ja, Berge gibt es. Aber wenn ATAK auf einer spektakulären (der einzigen) Doppelseite Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" zitiert, dann ist das eben Sächsische Schweiz oder Erz- statt Hochgebirge. Und Satan? Den erkennt man an zwei keck abstehenden Haarspitzen, ansonsten sieht er gut aus, ist tadellos frisiert, und das Glück ist ihm hold.
Was macht ATAK da? Er eignet sich Mark Twains Erzählung an, die er im ungefähr gleichen Alter, das Theodor, Nikolaus und Seppi haben, kennengelernt hat, als "Der geheimnisvolle Fremde" 1984 in der DDR erschien. Der agnostische Stoff passte ideologisch ins Konzept, aber er faszinierte auch den unkonventionellen jungen Georg Barber, der sich bald danach der Punkbewegung anschließen sollte. Und ließ ihn nicht mehr los, bis dieses Lebensbuch entstand.
Denn das ist es: ein Plädoyer fürs Leben, gegen die Hoffnung aufs Jenseits. Satan, von dem man anfangs meinen könnte, er werde in der Geschichte entlarvt, behält bei Twain recht und das letzte Wort: "Mir wurde bewusst", sagt Theodor zum Schluss auf der einzigen Doppelseite, die ATAK bilderlos gelassen hat, "dass alles, was er gesagt hatte, die Wahrheit war." Man spürt noch heute die Erschütterung, die dieses Bekenntnis auch für den Autor bedeutet hat. Und nun lässt sie den Zeichner bildlos.
Und weil es ein Lebensbuch ist, hat ATAK alles hineingepackt, was ihn fasziniert: Ensor, Munch, Max Ernst und Magritte als weitere künstlerische Inspiration, die Ikonen seiner Spielzeug- und Comicleidenschaft, den Spaß an Bilderbögen und bemalten Schießscheiben. Und die Liebe zum Ornament, die in den Schlussseiten der Kapitel dadurch zum Ausdruck kommt, dass ATAK da florale oder geometrische Farbexplosionen inszeniert, die in Analogie zum religiösen Bilderverbot für die Transfers zwischen Handlungsabschnitten, aber auch zwischen Denkmustern Platzhalter bieten, die das Strahlende der wachsenden Erkenntnis belegen. Dieses Illustrationsprojekt ist ATAKs "Confessiones".
Es entstand für den französischen Verlag Albin Michel - wieder einmal gilt der Illustrationsprophet im eigenen Lande nichts. Man merkt es aber nur noch an einer französischen Bildinschrift. Ansonsten hat Carlsen das Kunststück fertiggebracht, die Textmenge so mit den unkonventionell gestalteten mehr als 150 Illustrationen zu kombinieren, dass nur selten der unmittelbare Zusammenhang verlorengeht. Es ist ein herrliches Buch. Allerdings zugleich ein herrisches. Auch Toleranz ist ja ein Bestandteil jenes sittlichen Empfindens, das Satan und mit ihm Mark Twain abtut. Gerecht ist das harte Naturgesetz, und das, was wir menschlich nennen, ist für Satan jr. einfach ein Irrtum. Das ist auch heute noch eine Provokation.
ANDREAS PLATTHAUS
Mark Twain: "Der geheimnisvolle Fremde". Illustriert von ATAK.
Aus dem Amerikanischen von Ana Maria Brock. Carlsen Verlag, Hamburg 2012. 176 S., 156 Abb., br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
ATAK illustriert Mark Twains Bekenntniserzählung "Der geheimnisvolle Fremde"
Die Geschichte hat kein Ende. Nicht die konkrete und auch nicht die der Menschen. Als Mark Twain 1910 starb, hinterließ er gleich drei Entwürfe für eine Erzählung, mit der er sich fast zwanzig Jahre lang beschäftigt hatte, eine, in der es um alles und alle geht. Mittelpunkt ist ein junger Mann namens Satan, Neffe des gefallenen Erzengels gleichen Namens. Dieser junge Satan ist ein Wesen ohne Moral - und gerade deshalb gut in einem außermoralischen Sinne, wie ihn die strenge Form des Utilitarismus beschreibt. Er wägt Leid ab und handelt danach, was zwangsläufig in Euthanasie mündet und in einen Erlösungsgedanken, der nichts Metaphysisches hat. Das war auch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts noch radikal, und deshalb war Twain skrupulös bei diesem Thema. Eine der drei Versionen nutzt sogar seine beiden populärsten Figuren, Tom Sawyer und Huckleberry Finn, um das heikle Sujet an die Leser zu bringen.
Was dann 1916 aus dem Nachlass als "The Mysterious Stranger" (und seitdem auf verbesserten Textgrundlagen immer wieder neu) herausgegeben wurde, hat Twain so nie geschrieben. Alle bestehenden Ausgaben kombinieren verschiedene Textstufen, um das Geschehen abzurunden. Von Tom und Huck ist keine Spur mehr; Protagonisten sind nun neben Satan jr. drei Sechzehnjährige: der Ich-Erzähler Theodor Fischer und seine beiden Freunde Nikolaus Baumann und Seppi Wohlmeyer. Die Namen verraten bereits, dass das Ganze nicht am Mississippi angesiedelt ist, sondern im deutschen Sprachraum. Ort der Handlung ist ein österreichisches Dorf mit dem sprechenden Namen Eseldorf. Wir schreiben das Jahr 1590, die Aufklärung steht noch mehr als ein Jahrhundert lang aus. Es ist Winter. So weit der Rahmen, den Mark Twain setzt.
In diesen Rahmen aber setzt nun der Berliner Illustrator Georg Barber alias ATAK ganz neue Bilder. Winter? Nichts davon zu sehen. Eseldorf ist eher ein Garten Eden, ein Hortus conclusus, in dem die Flora überschwänglich gedeiht und die schönsten Tiere von Elch bis Eisvogel aufeinandertreffen. 1590? Die Figuren, die ATAK malt, tragen Biedermeierkleidung, ein paar auch Gewänder der Reformationszeit (in den Bildern, die als Cranach-Paraphrasen gestaltet sind). Österreich? Ja, Berge gibt es. Aber wenn ATAK auf einer spektakulären (der einzigen) Doppelseite Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" zitiert, dann ist das eben Sächsische Schweiz oder Erz- statt Hochgebirge. Und Satan? Den erkennt man an zwei keck abstehenden Haarspitzen, ansonsten sieht er gut aus, ist tadellos frisiert, und das Glück ist ihm hold.
Was macht ATAK da? Er eignet sich Mark Twains Erzählung an, die er im ungefähr gleichen Alter, das Theodor, Nikolaus und Seppi haben, kennengelernt hat, als "Der geheimnisvolle Fremde" 1984 in der DDR erschien. Der agnostische Stoff passte ideologisch ins Konzept, aber er faszinierte auch den unkonventionellen jungen Georg Barber, der sich bald danach der Punkbewegung anschließen sollte. Und ließ ihn nicht mehr los, bis dieses Lebensbuch entstand.
Denn das ist es: ein Plädoyer fürs Leben, gegen die Hoffnung aufs Jenseits. Satan, von dem man anfangs meinen könnte, er werde in der Geschichte entlarvt, behält bei Twain recht und das letzte Wort: "Mir wurde bewusst", sagt Theodor zum Schluss auf der einzigen Doppelseite, die ATAK bilderlos gelassen hat, "dass alles, was er gesagt hatte, die Wahrheit war." Man spürt noch heute die Erschütterung, die dieses Bekenntnis auch für den Autor bedeutet hat. Und nun lässt sie den Zeichner bildlos.
Und weil es ein Lebensbuch ist, hat ATAK alles hineingepackt, was ihn fasziniert: Ensor, Munch, Max Ernst und Magritte als weitere künstlerische Inspiration, die Ikonen seiner Spielzeug- und Comicleidenschaft, den Spaß an Bilderbögen und bemalten Schießscheiben. Und die Liebe zum Ornament, die in den Schlussseiten der Kapitel dadurch zum Ausdruck kommt, dass ATAK da florale oder geometrische Farbexplosionen inszeniert, die in Analogie zum religiösen Bilderverbot für die Transfers zwischen Handlungsabschnitten, aber auch zwischen Denkmustern Platzhalter bieten, die das Strahlende der wachsenden Erkenntnis belegen. Dieses Illustrationsprojekt ist ATAKs "Confessiones".
Es entstand für den französischen Verlag Albin Michel - wieder einmal gilt der Illustrationsprophet im eigenen Lande nichts. Man merkt es aber nur noch an einer französischen Bildinschrift. Ansonsten hat Carlsen das Kunststück fertiggebracht, die Textmenge so mit den unkonventionell gestalteten mehr als 150 Illustrationen zu kombinieren, dass nur selten der unmittelbare Zusammenhang verlorengeht. Es ist ein herrliches Buch. Allerdings zugleich ein herrisches. Auch Toleranz ist ja ein Bestandteil jenes sittlichen Empfindens, das Satan und mit ihm Mark Twain abtut. Gerecht ist das harte Naturgesetz, und das, was wir menschlich nennen, ist für Satan jr. einfach ein Irrtum. Das ist auch heute noch eine Provokation.
ANDREAS PLATTHAUS
Mark Twain: "Der geheimnisvolle Fremde". Illustriert von ATAK.
Aus dem Amerikanischen von Ana Maria Brock. Carlsen Verlag, Hamburg 2012. 176 S., 156 Abb., br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.02.2013Und plötzlich blitzt das Böse auf
Mark Twains „Der geheimnisvolle Fremde“ in einer von ATAK illustrierten Ausgabe
Österreich im Jahr 1590. Das Mittelalter dauert an, zumindest in dem verschlafenen, zwischen Wäldern und Hügeln gelegenen Dorf, in dem Theodor, Nikolaus und Seppi zu Hause sind. Eines Tages kommt ein Fremder auf die Halbwüchsigen zu: „Er hatte neue und gute Sachen an und war hübsch und hatte ein sympathisches Gesicht und eine angenehme Stimme und war ungezwungen und gewandt und sicher, nicht schlaksig und linkisch und schüchtern wie andere Jungen.“ Als die Freunde ihn neugierig fragen, wer er sei, sagt er: ein Engel. Schließlich verrät er auch seinen Namen: Satan.
Wie Mark Twain diese Figur in seiner Geschichte einführt – das zeigt den gewieften Erzähler. Nicht mit Blitz und Donner, nicht an einem schauervollen Ort tritt der Fürst der Finsternis auf; an einem schönen, friedlichen Tag kommt er einfach so daher geschlendert. Zunächst ist er auch alles andere als bedrohlich und verblüfft die drei Freunde nur mit allerlei Zauberkunststücken. Aus Lehm formt er kleine Männer und Frauen, erweckt sie zum Leben und lässt sie eine spielzeuggroße Burg errichten. Als zwei der Arbeiter in Streit geraten, zerquetscht er sie dann aber zwischen seinen Fingern; das Blut wischt er lässig mit einem Taschentuch ab. So blitzt das Böse plötzlich hinter der schönen Maske hervor – ein eindrucksvoller Moment.
Aber Twain geht es nicht nur darum zu zeigen, welche Konsequenzen ein von jeglichen humanen Erwägungen befreites Handeln hat. Er will auch einen satirischen Traktat schreiben. Und so muss Satan viele Monologe halten: über die Wertlosigkeit dessen, was die Menschen „sittliches Empfinden“ nennen, und warum sie oft das Gegenteil von dem tun, was sie wollen, über die menschliche Geschichte als eine Kette von Blutbädern und über die Illusion des Fortschritts. Das ist nun leider alles nicht sehr originell und profund, sondern nur schlecht gelaunte Allerwelts-Kulturkritik. Vier Fassungen von „Der geheimnisvolle Fremde“ hat Twain verfasst, keine von ihnen wurde zu seinen Lebzeiten veröffentlicht – vielleicht nicht ganz zu Unrecht.
Diese neue Ausgabe liest man dennoch gerne, da sie von dem deutschen Comic-Zeichner ATAK reich illustriert worden ist. Es gibt viele Zitate in seinen Bildern: Donald Duck und Robin, der Sidekick von Batman, sind zu erkennen, aber auch Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“, Manets „Frühstück im Grünen“ und Magrittes „Ceci n’est pas une pipe“. Das scheint manchmal völlig sinnfrei zu sein, manchmal ergeben sich aber auch geheime Bezüge zum Text. ATAK trägt die Farbe mit dicken Strichen auf und ignoriert immer wieder die perspektivischen Verhältnisse. Seine Bilder sind eine Pop-Version von Votivmalerei; das unheimliche Glühen, das bei Twain nur manchmal aufleuchtet, ist in ihnen durchgängig zu finden.
CHRISTOPH HAAS
Mark Twain: Der geheimnisvolle Fremde. Illustriert von ATAK. Aus dem Amerikanischen von Ana Maria Brock. Carlsen Verlag, Hamburg 2012. 176 Seiten, 24,90 Euro.
„Er hatte neue und gute Sachen an und war hübsch und hatte ein sympathisches Gesicht . . .“ – Mark Twains geheimnisvoller Fremder.
ABBILDUNG AUS DEM BESPR. BAND
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Mark Twains „Der geheimnisvolle Fremde“ in einer von ATAK illustrierten Ausgabe
Österreich im Jahr 1590. Das Mittelalter dauert an, zumindest in dem verschlafenen, zwischen Wäldern und Hügeln gelegenen Dorf, in dem Theodor, Nikolaus und Seppi zu Hause sind. Eines Tages kommt ein Fremder auf die Halbwüchsigen zu: „Er hatte neue und gute Sachen an und war hübsch und hatte ein sympathisches Gesicht und eine angenehme Stimme und war ungezwungen und gewandt und sicher, nicht schlaksig und linkisch und schüchtern wie andere Jungen.“ Als die Freunde ihn neugierig fragen, wer er sei, sagt er: ein Engel. Schließlich verrät er auch seinen Namen: Satan.
Wie Mark Twain diese Figur in seiner Geschichte einführt – das zeigt den gewieften Erzähler. Nicht mit Blitz und Donner, nicht an einem schauervollen Ort tritt der Fürst der Finsternis auf; an einem schönen, friedlichen Tag kommt er einfach so daher geschlendert. Zunächst ist er auch alles andere als bedrohlich und verblüfft die drei Freunde nur mit allerlei Zauberkunststücken. Aus Lehm formt er kleine Männer und Frauen, erweckt sie zum Leben und lässt sie eine spielzeuggroße Burg errichten. Als zwei der Arbeiter in Streit geraten, zerquetscht er sie dann aber zwischen seinen Fingern; das Blut wischt er lässig mit einem Taschentuch ab. So blitzt das Böse plötzlich hinter der schönen Maske hervor – ein eindrucksvoller Moment.
Aber Twain geht es nicht nur darum zu zeigen, welche Konsequenzen ein von jeglichen humanen Erwägungen befreites Handeln hat. Er will auch einen satirischen Traktat schreiben. Und so muss Satan viele Monologe halten: über die Wertlosigkeit dessen, was die Menschen „sittliches Empfinden“ nennen, und warum sie oft das Gegenteil von dem tun, was sie wollen, über die menschliche Geschichte als eine Kette von Blutbädern und über die Illusion des Fortschritts. Das ist nun leider alles nicht sehr originell und profund, sondern nur schlecht gelaunte Allerwelts-Kulturkritik. Vier Fassungen von „Der geheimnisvolle Fremde“ hat Twain verfasst, keine von ihnen wurde zu seinen Lebzeiten veröffentlicht – vielleicht nicht ganz zu Unrecht.
Diese neue Ausgabe liest man dennoch gerne, da sie von dem deutschen Comic-Zeichner ATAK reich illustriert worden ist. Es gibt viele Zitate in seinen Bildern: Donald Duck und Robin, der Sidekick von Batman, sind zu erkennen, aber auch Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“, Manets „Frühstück im Grünen“ und Magrittes „Ceci n’est pas une pipe“. Das scheint manchmal völlig sinnfrei zu sein, manchmal ergeben sich aber auch geheime Bezüge zum Text. ATAK trägt die Farbe mit dicken Strichen auf und ignoriert immer wieder die perspektivischen Verhältnisse. Seine Bilder sind eine Pop-Version von Votivmalerei; das unheimliche Glühen, das bei Twain nur manchmal aufleuchtet, ist in ihnen durchgängig zu finden.
CHRISTOPH HAAS
Mark Twain: Der geheimnisvolle Fremde. Illustriert von ATAK. Aus dem Amerikanischen von Ana Maria Brock. Carlsen Verlag, Hamburg 2012. 176 Seiten, 24,90 Euro.
„Er hatte neue und gute Sachen an und war hübsch und hatte ein sympathisches Gesicht . . .“ – Mark Twains geheimnisvoller Fremder.
ABBILDUNG AUS DEM BESPR. BAND
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Ein Jugendbuch? Nun, Jugendlichen wird die spannende Handlung gefallen, Erwachsene werden überwältigt sein von einem Buch, das in seiner Lebensweisheit der Bibel oder Bhagavad-gita nahekommt." ( Oliver Fehn - Übersetzer )
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dass Mark Twain ein gewiefter Erzähler ist, wird schon am Anfang von "Der geheimnisvolle Fremde" deutlich: der Fremde ist Satan, aber statt "mit Blitz und Donner" zu erscheinen, kommt er einfach an einem besonders schönen Tag daher geschlendert, berichtet Christoph Haas. Die Geschichte selbst hat - meist in Monologen - dann einiges zu sagen über die Wertlosigkeit von Sitte und Anstand, über blutige Kriege als Triebfeder der Geschichte und die "Illusion des Fortschritts". Dem Rezensenten bleibt Twain allerdings zu flach, ihm kommt die Erzählung wie schlichte "Allerwelts-Kulturkritik" vor. Deswegen kann Haas nachvollziehen, dass Twain sie zu Lebzeiten nicht veröffentlich wollte, und er bliebe bei diesem Urteil, wären da nicht die Illustrationen des Comiczeichners ATAK, die den Band begleiten. Dessen grafische Zitate von Donald Duck bis Magritte haben ihm Spaß gemacht mit ihren geheimen Bezügen zum Text - manchmal scheinen sie ihm aber auch vollkommen sinnfrei zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein teuflisches Lesevergnügen, jenseits von Gut und Böse!", sistyle.ch, Anita Lehmeier, 03.07.2013 20151104