Sind Tiere Lebewesen mit einem Geist? Denken sie? Haben sie Bewusstsein? Was unterscheidet den Menschen vom Tier? In der gegenwärtigen Philosophie des Geistes existiert eine Reihe von Ansätzen, die solche Fragen aufgreifen, sie aus unterschiedlichen methodischen Perspektiven erörtern und zu kontroversen Antworten gelangen. Der vorliegende Band macht wichtige Beiträge zu dieser Diskussion erstmals auf Deutsch zugänglich und enthält Beiträge u. a. von Donald Davidson, Daniel C. Dennett, Fred Dretske, Ruth G. Millikan, David Papineau und John R. Searle. Eine ausführliche Einleitung ordnet die Diskussion sowohl systematisch als auch historisch ein und unterstreicht ihren Stellenwert in den aktuellen Debatten innerhalb der Philosophie des Geistes.
Um den Tierfreunden von vornherein recht zu geben: Über das Bewußtsein von Tieren wissen wir genug, um uns für ihren Schutz verantwortlich fühlen zu müssen. Evolutionsbiologie und Verhaltensforschung sind bewährte Abteilungen der Wissensgesellschaft. Die intuitive Plausibilität der Geschichten über Graugansfamilien, Bienenstaaten und Affenintelligenz lassen wenig Zweifel daran, daß einige Tierarten Bewußtsein haben, Sprachen erlernen und sich intentional verhalten können. Daß sich aus dieser Erkenntnislage jedoch nicht nur normative Konsequenzen, sondern auch analytische Probleme ergeben, zeigt eine internationale philosophische Debatte, die in einem Sammelband jetzt erstmals in deutscher Sprache zugänglich ist ("Der Geist der Tiere". Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Herausgegeben von Dominik Perler und Markus Wild. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 449 S., br., 16,- [Euro]). Es liegt eine schöne Ironie darin, daß der Band die Klugheit der Philosophie gerade unter dem Primat der biologischen Empirie zur Geltung kommen läßt - und die sonstige Schwäche der Geisteswissenschaften eher als Mangel an Herausforderung erscheint.
Denn nicht, ob wir genug über Tiere wissen, sondern welche Begriffe von Geist wir überhaupt auf Tiere anwenden können, ist eine Frage, für die die Naturforschung der philosophischen Arbeit bedarf: Sind Warnrufe grüner Meerkatzen schon Teil einer Sprache? Handeln Ameisen rational, wenn sie verstorbene Artgenossen aus dem Ameisenhaufen tragen? Kann ein Hund glauben, daß er von einer Katze in die Irre geführt wurde? Wenn vielleicht nicht die Tiere, so können doch die Philosophen so gut wie alles glauben und rationalisieren. Daß der Geist der Tiere ihnen freilich mehr zu schaffen macht, als mancher Liebhaber eines Haustieres ohnehin erhofft, ist in der sorgfältigen Edition umfassend nachzulesen.
Die philosophischen Reflexe scheinen auf zwei Denkmodelle konditioniert zu sein: Wer mit Montaigne und Darwin die Natur als Einheit versteht, stellt die entwicklungsgeschichtlichen Gemeinsamkeiten zwischen Tier und Mensch in den Vordergrund. Ganz im Evolutionismus aufgehend, rät daher John R. Searle, "niederstufige neuronale Prozesse" als Ursache des Geistes anzuerkennen. Searle zweifelt auch nicht daran, daß sein Hund mit Namen "Ludwig Wittgenstein Searle" Bewußtsein habe, "weil jede andere Möglichkeit außer Frage steht". Der Hund genießt und schweigt. Auf der anderen Seite stehen Descartes und Davidson, die in der Sprache ein Charakteristikum des menschlichen Geistes erkennen und daher die kognitiven Unterschiede aufzählen. Im Laufe dieser Argumentation werden Tiere mit Uhren, Computern, Radios, Thermostaten und Infrarot-Raketen verglichen - eine Liste, die nicht nur das Forschungsinteresse des Cartesianismus beweist (wie Daniel C. Dennett einräumt), sondern auch eine gewisse Ratlosigkeit angesichts des Animalischen zu erkennen gibt.
Obwohl die Herausgeber erkennbar die Evolution des Geistes bevorzugen, gelingt der Versuch kaum, vom Tier auf den analytischen Menschen zu kommen. Beispielhaft zieht der Wissenschaftsphilosoph John Dupré jede Erkenntnismöglichkeit über die Sprachfähigkeit von Affen in Zweifel, weil Tiere bei Feldforschungen zu ungenau und in Laborexperimenten zu unfrei beschrieben würden. Er fragt, ob sich daraus überhaupt irgend etwas für Menschen folgern ließe. In manchen Naturschilderungen des Bandes erhalten Tiere auch Namen, oder es wird aus ihrer eigenen Sicht berichtet, so daß die Anekdote als erklärter Lieblingsfeind der Ethologie fröhliche Urständ feiert. Die Daten der Empirie, für die die Autoren ihren philosophischen Lehnstuhl mit einem Hochsitz eingetauscht haben, erscheinen im Dämmerlicht der Methodologie zu unscharf für gezielte Schüsse und verlangen eher die Fortsetzung der komplizierten Abbildungsprozesse, in deren Beobachtung die praktische Philosophie und die Anthropologie bereits Erfahrung besitzen.
Denn wie läßt sich das Erleben von Tieren verstehen? Sich vorzustellen, wie es ist, mittels aufrechter, zugespitzter und in gegensätzliche Richtungen drehbarer Fledermausohren zu hören, erinnert vor allem an Filmphantasien eines Batman. Und wie es für Daniel C. Dennett ist, eine Fledermaus, ein mittelamerikanischer Truthahngeier oder ein Wal zu sein, mag biographische Bedeutung haben, doch sein durchaus brillanter Versuch, die Frage zu beantworten, "wie es ist, irgendwie zu sein", führt schließlich zu der Vermutung, daß Kulturstudien mehr dazu sagen könnten. Zum Illusionstheater gerät die Veranstaltung bei dem Stanforder Philosophen Fred Dretske, der die "minimale Rationalität" von Tieren mit der Vernunft von Selbstmordattentätern gleichsetzt - womit er offenherzig zugibt, von beiden nichts zu verstehen.
Die methodischen Schwierigkeiten der von den Herausgebern geforderten Nähe zur Biologie beleuchten tatsächlich weniger die Kontinuität zwischen Mensch und Tier als ihre Differenz. Es läßt sich leicht vorstellen, wie Haus- und Nutztiere historisch zu Projektionsflächen des Menschen wurden. Deshalb wäre neben der Frage nach dem Geist auch diejenige interessant, was an Tieren tierisch ist und ob wir nicht gerade deswegen von ihnen angezogen sind. Wenn "Tiererlebnisse nicht einfach blasse Imitationen unserer eigenen Erlebnisse sind" (Daisie Radner), beginnt die Debatte von neuem: Denken zum Beispiel Austern wirklich nicht über Fahrräder nach? Der Geist der Philosophie hat sich in diesem lehrreichen Band über den Geist der Tiere schon jetzt aufs beste bewiesen.
CHRISTIAN HOLTORF
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rundum gelungen findet Rezensent Michael Hampe diesen von Dominik Perler und Markus Wild herausgegebenen Sammelband, der sich vor allem mit den sprach-, erkenntnis- und wissenschaftsphilosophischen Problemen des Mensch-Tier-Verhältnisses befasst. Der Band zeigt für Hampe, dass an der Diskussion über den Geist der Tiere deutlich werde, "wie sehr empirische Forschung von begrifflichen Vorentscheidungen und Klärungen abhängt." Ausführlich gibt er zentrale Fragen der Diskussionen des Bandes wieder. Die Unterstellung geistiger Vermögen etwa sei vor allem Teil einer Strategie der Erklärung komplexen Verhaltens. Weitgehend unklar sei allerdings, wie die Komplexität eines Verhaltens genau graduiert werden soll. Zudem sei durch bloße Betrachtung des Verhaltens von außen nicht zu sagen, ob ein komplexes Verhalten auf einen "kognitiven Apparat" erklärend zurückgeführt werden muss oder nicht. Er hebt hervor, dass der Band Beiträge der "bedeutendsten Vertreter der analytischen Philosophie des Geistes" versammelt, etwa von Norman Malcolm, Stephen Stich, Donald Davidson, John Searle, Ruth Millikan, Fred Drestke und Daniel Dennett. Aber schon durch die siebzigseitige Einleitung von Dominik Perler und Markus Wild, die er als "überaus anregend" lobt, ist der Band seines Erachtens sein Geld wert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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