Die Welt von Heinz Strunk ist der unseren in vielem ähnlich. Aber im Alltäglichen lauern hier immer Überraschung, Wunder, Grauen. Die Geschichten in diesem Buch erzählen von einer Seniorenorganisation namens «Freiwillig über die Klippe» und von einem Autoausflug in die Prähistorie. Ein Experte erlebt in der Sendung von Markus Lanz seinen Höllensturz, ein Bauer in der Großstadt und ein Tourist bei der Thai-Massage am Strand. Manche der Texte klingen wie Zeitungsreportagen, manche wie Schauergeschichten, manche sind in Briefform, eine hat gar Bulletpoints. Aber immer sind sie originell, komisch, drastisch und unverwechselbar Heinz Strunk.
Der Blick ist erbarmungslos, und zugleich sind die Geschichten von einer grimmigen Einfühlsamkeit geprägt. Schopenhauer hätte den Daumen gehoben. Wolfgang Schneider Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230722
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das ursprünglich dominante Element des Komischen ist in Heinz Strunks Schreiben inzwischen zum Spurenelement geschrumpft, findet Rezensent Stefan Michalzik. Die Grundstimmung seines neuen Erzählbands ist lakonische Tristesse. Hoffnung gebe es keine für die Figuren, führt der Rezensent aus, schon gleich gar nicht für die offensichtlichen, gesellschaftlich angehängten Losertypen, die viele der versammelten Geschichten bevölkern, aber auch nicht für diejenigen, die das kapitalistische Hamsterrad noch am Laufen halten. Überhaupt ein männlich dominiertes Buch, meint Michalzik, wobei auch ein paar Frauen auftauchen, die dann zumeist auch keine besonders gute Figur machen. Die einzige verbliebene Perspektive dieser Strunk-Literatur ist die Sterblichkeit, weiß der insgesamt freilich durchaus angetane Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2023Grausige Grillteller und arme Armleuchter
Heinz Strunks neue Erzählungen werfen eine große Frage auf: Kann man die Menschen hassen, aber die Menschheit lieben?
Die Genese einiger der Kurzgeschichten, die Heinz Strunk in „Der gelbe Elefant“ zusammengetragen hat, muss man sich wahrscheinlich ungefähr so vorstellen: Wenn Strunk jemandem begegnet, der ihm ganz besonders zuwider ist, setzt er sich hin und denkt sich für diese Typen ein ihm angemessen scheinendes Schicksal aus.
Felgentreu beispielsweise gehört einer recht überflüssigen Spezies an, seine Leistung besteht darin, dass er auf Seminaren über Leistung quatscht, Zeug, das er nicht mal selbst ernst nimmt: „Die Steinzeit ging nicht zu Ende, weil die Steine ausgingen“, diesen Sinnlos-Satz legt ihm Strunk in den Kopf, als Felgentreu auf dem Weg nach Bochum im Neandertal haltmacht, weil er sonst in der Hotelhalle eines Mercure herumlungern müsste oder durch Bochum flanieren, bis sein Zimmer frei ist.
Wir lernen Felgentreu in seinem eigenen, einsamen Gedankenfluss kennen, während er durch den Wald stapft, und er hält sich für jemanden, der die Welt besonders gut versteht, für überlegen. Er läuft einfach los, weil ihn zur Not ja Google Maps überall rausholt, haha. Man denkt beim Lesen gleich, na, Felgentreu, wenn du da mal nicht in ein Funkloch hineinstolperst.
Tut er auch, aber eben auf unerwartete Art. Das Handy hat er zwar im Auto vergessen, hätte ihm aber auch gar nichts genützt – Strunk lässt ihn einfach aus seiner Zeit herauslaufen. Der Gedanke hat seinen Reiz. Felgentreus Begabungen sind an die Gegenwart gebunden. Da, wo er nun landet, sind seine dummen Sprüche jedenfalls nur Geräusch. Wo die Natur nicht zurückschlägt, muss es die Literatur übernehmen.
Der Schriftsteller und Satiriker Heinz Strunk hatte seinen größten Erfolg mit dem von Fatih Akin verfilmten Roman „Der goldene Handschuh“ über den Serienmörder Fritz Honka, und das Personal in dieser Geschichte war als Werbeträger für die Menschheit nicht unbedingt geeignet – Serienmörder und Serientrinker auf der einen Seite, eine genau so dysfunktionale Reeder-Familie auf der anderen. Würden die Außerirdischen auf der Erde landen und diesen Gestalten begegnen, flüchteten sie umgehend wieder in ihr Raumschiff.
Vor den Typen in „Der gelbe Elefant“ nähmen sie auch Reißaus, nur nicht so schnell. Man könnte sagen: Heinz Strunk zeichnet sich durch eine gut begründete Misanthropie aus. Die Gedankengänge seiner Figuren sind zunächst meist ausgesprochen plausibel – dann aber treibt er ihre Gedanken und die Schicksale auf die Spitze, gelegentlich bis ins Fantastische.
Die Felgentreu-Story gehört zu den besten im Buch, aber es gibt auch welche, die bleiben ganz in einer Alltagssituation, und sie sind so wundervoll mit trübem Leben und schalen Gedanken erfüllt, dass sie brüllkomisch werden in ihrer Tristesse. Andi und Claudi, beispielsweise, das leicht aggressive bleierne Paar in der ersten Geschichte. Die beiden nehmen die neueste Urlaubsbekanntschaft, Olli und Melanie, mit zu ihrem Lieblingsgriechen.
Allein die Beschreibung der vollgestopften Grillteller, die hier serviert werden, ist grandios. Man riecht das leicht angeranzte Fett. Der Abend entgleist bald, Andi und Claudi sind wütend auf die Welt, weil die Tiefkühlkroketten aus sind. Und dann kommt es noch schlimmer: Der Lieblingskellner serviert irgendwann, als sich Andi und Claudi die Wänste schon bis zum Anschlag vollgestopft haben, fröhlich eine Schüssel mit dampfenden Kroketten, die er noch organisiert hat, die jetzt Olli und Melli essen, weil Andi und Claudi nicht mehr können. Feindschaft, auf ewig!
Den Figuren aus „Der gelbe Elefant“ ist man allen selbst schon irgendwo begegnet, sie sind wunderbar genau der Wirklichkeit entrissen, aber einige von ihnen erwartet ein surreales Ende. Einer der fiesesten Abgänge, den sich Heinz Strunk für „Der gelbe Elefant“ ausgedacht hat, ist der von Werner. Werner ist ein 75-jähriger Fitnessfreak, erfüllt von tiefer Verachtung für das pummelige Ehepaar, das sein Haus gekauft hat. Er will sich verkleinern, weil das Haus seit dem Tod seiner Frau viel zu groß ist, aber noch hat er ja das ganze Inventar seines Fitnessraums im Keller.
Und während er sich also in all seiner Gestähltheit prima findet und alle anderen für Luschen hält, macht er eine Übung zu viel, und nun ist er da unten in seinem Keller gefangen und das, was sein Körper noch kann, wird zum Inhalt seines Lebensrests. Man könnte das als Nihilismus im Allgemeinen und Ohnmacht vor unaufhaltbaren Alterungsprozessen im Besonderen lesen, wäre Werner nicht so ein unerträglicher Blödmann.
30 Kurzgeschichten sind in „Der gelbe Elefant“ versammelt. Manche sind hinreißend originell und komisch – die titelgebende etwa könnte ein Roman von Cormac McCarthy sein! – andere lassen dann doch Warmherzigkeit durchschimmern. Da geht es dann meist um gescheiterte weibliche Existenzen. Aber so brillant diese Vignetten der Trostlosigkeit sind: Irgendwann reicht es mit den Andis und Manfreds und Marks, dieser Ansammlung tumber Armleuchter. Das ist zu viel hässliches Innenleben auf einmal.
Schöner Satz von Steven Soderbergh aus seinem Film „Schizopolis“: „What if you love humanity but hate people?“ Als einzelne Bilder sind diese Figuren wunderbar, aber in der Fülle und Abfolge fangen sie an, sich wie ein Abbild der Menschheit anzufühlen. Und das sind sie nicht. Wenn es so wäre, wäre der Klimawandel kein Problem, sondern willkommene Erlösung. Der Gedanke dürfte Strunk selbst auch schon gekommen sein, eine Geschichte handelt vom Senizid, von Deutschland in einer Zukunft, in der die Alten zum Verhungern in den Wald geschickt werden.
Mit anderen Worten, „Der gelbe Elefant“ ist ein bisschen wie eine Flasche Aperol: Angenehm bitter, nur sollte man deswegen vielleicht doch nicht die ganze Flasche auf einmal trinken. Also „Der gelbe Elefant“ bitte nicht in einem durchlesen, sonst hat man hinterher einen Humanitätskater. Die Dichte widerlicher Typen ist einfach zu hoch.
SUSAN VAHABZADEH
Einer der fiesesten
Abgänge ereilt den 75-jährigen
Fitnessfreak Werner
Heinz Strunk:
Der gelbe Elefant.
Rowohlt Verlag,
Hamburg 2023. 208 Seiten, 22 Euro.
Wenn die Literatur zurückschlägt: Schriftsteller und Satiriker Heinz Strunk.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Heinz Strunks neue Erzählungen werfen eine große Frage auf: Kann man die Menschen hassen, aber die Menschheit lieben?
Die Genese einiger der Kurzgeschichten, die Heinz Strunk in „Der gelbe Elefant“ zusammengetragen hat, muss man sich wahrscheinlich ungefähr so vorstellen: Wenn Strunk jemandem begegnet, der ihm ganz besonders zuwider ist, setzt er sich hin und denkt sich für diese Typen ein ihm angemessen scheinendes Schicksal aus.
Felgentreu beispielsweise gehört einer recht überflüssigen Spezies an, seine Leistung besteht darin, dass er auf Seminaren über Leistung quatscht, Zeug, das er nicht mal selbst ernst nimmt: „Die Steinzeit ging nicht zu Ende, weil die Steine ausgingen“, diesen Sinnlos-Satz legt ihm Strunk in den Kopf, als Felgentreu auf dem Weg nach Bochum im Neandertal haltmacht, weil er sonst in der Hotelhalle eines Mercure herumlungern müsste oder durch Bochum flanieren, bis sein Zimmer frei ist.
Wir lernen Felgentreu in seinem eigenen, einsamen Gedankenfluss kennen, während er durch den Wald stapft, und er hält sich für jemanden, der die Welt besonders gut versteht, für überlegen. Er läuft einfach los, weil ihn zur Not ja Google Maps überall rausholt, haha. Man denkt beim Lesen gleich, na, Felgentreu, wenn du da mal nicht in ein Funkloch hineinstolperst.
Tut er auch, aber eben auf unerwartete Art. Das Handy hat er zwar im Auto vergessen, hätte ihm aber auch gar nichts genützt – Strunk lässt ihn einfach aus seiner Zeit herauslaufen. Der Gedanke hat seinen Reiz. Felgentreus Begabungen sind an die Gegenwart gebunden. Da, wo er nun landet, sind seine dummen Sprüche jedenfalls nur Geräusch. Wo die Natur nicht zurückschlägt, muss es die Literatur übernehmen.
Der Schriftsteller und Satiriker Heinz Strunk hatte seinen größten Erfolg mit dem von Fatih Akin verfilmten Roman „Der goldene Handschuh“ über den Serienmörder Fritz Honka, und das Personal in dieser Geschichte war als Werbeträger für die Menschheit nicht unbedingt geeignet – Serienmörder und Serientrinker auf der einen Seite, eine genau so dysfunktionale Reeder-Familie auf der anderen. Würden die Außerirdischen auf der Erde landen und diesen Gestalten begegnen, flüchteten sie umgehend wieder in ihr Raumschiff.
Vor den Typen in „Der gelbe Elefant“ nähmen sie auch Reißaus, nur nicht so schnell. Man könnte sagen: Heinz Strunk zeichnet sich durch eine gut begründete Misanthropie aus. Die Gedankengänge seiner Figuren sind zunächst meist ausgesprochen plausibel – dann aber treibt er ihre Gedanken und die Schicksale auf die Spitze, gelegentlich bis ins Fantastische.
Die Felgentreu-Story gehört zu den besten im Buch, aber es gibt auch welche, die bleiben ganz in einer Alltagssituation, und sie sind so wundervoll mit trübem Leben und schalen Gedanken erfüllt, dass sie brüllkomisch werden in ihrer Tristesse. Andi und Claudi, beispielsweise, das leicht aggressive bleierne Paar in der ersten Geschichte. Die beiden nehmen die neueste Urlaubsbekanntschaft, Olli und Melanie, mit zu ihrem Lieblingsgriechen.
Allein die Beschreibung der vollgestopften Grillteller, die hier serviert werden, ist grandios. Man riecht das leicht angeranzte Fett. Der Abend entgleist bald, Andi und Claudi sind wütend auf die Welt, weil die Tiefkühlkroketten aus sind. Und dann kommt es noch schlimmer: Der Lieblingskellner serviert irgendwann, als sich Andi und Claudi die Wänste schon bis zum Anschlag vollgestopft haben, fröhlich eine Schüssel mit dampfenden Kroketten, die er noch organisiert hat, die jetzt Olli und Melli essen, weil Andi und Claudi nicht mehr können. Feindschaft, auf ewig!
Den Figuren aus „Der gelbe Elefant“ ist man allen selbst schon irgendwo begegnet, sie sind wunderbar genau der Wirklichkeit entrissen, aber einige von ihnen erwartet ein surreales Ende. Einer der fiesesten Abgänge, den sich Heinz Strunk für „Der gelbe Elefant“ ausgedacht hat, ist der von Werner. Werner ist ein 75-jähriger Fitnessfreak, erfüllt von tiefer Verachtung für das pummelige Ehepaar, das sein Haus gekauft hat. Er will sich verkleinern, weil das Haus seit dem Tod seiner Frau viel zu groß ist, aber noch hat er ja das ganze Inventar seines Fitnessraums im Keller.
Und während er sich also in all seiner Gestähltheit prima findet und alle anderen für Luschen hält, macht er eine Übung zu viel, und nun ist er da unten in seinem Keller gefangen und das, was sein Körper noch kann, wird zum Inhalt seines Lebensrests. Man könnte das als Nihilismus im Allgemeinen und Ohnmacht vor unaufhaltbaren Alterungsprozessen im Besonderen lesen, wäre Werner nicht so ein unerträglicher Blödmann.
30 Kurzgeschichten sind in „Der gelbe Elefant“ versammelt. Manche sind hinreißend originell und komisch – die titelgebende etwa könnte ein Roman von Cormac McCarthy sein! – andere lassen dann doch Warmherzigkeit durchschimmern. Da geht es dann meist um gescheiterte weibliche Existenzen. Aber so brillant diese Vignetten der Trostlosigkeit sind: Irgendwann reicht es mit den Andis und Manfreds und Marks, dieser Ansammlung tumber Armleuchter. Das ist zu viel hässliches Innenleben auf einmal.
Schöner Satz von Steven Soderbergh aus seinem Film „Schizopolis“: „What if you love humanity but hate people?“ Als einzelne Bilder sind diese Figuren wunderbar, aber in der Fülle und Abfolge fangen sie an, sich wie ein Abbild der Menschheit anzufühlen. Und das sind sie nicht. Wenn es so wäre, wäre der Klimawandel kein Problem, sondern willkommene Erlösung. Der Gedanke dürfte Strunk selbst auch schon gekommen sein, eine Geschichte handelt vom Senizid, von Deutschland in einer Zukunft, in der die Alten zum Verhungern in den Wald geschickt werden.
Mit anderen Worten, „Der gelbe Elefant“ ist ein bisschen wie eine Flasche Aperol: Angenehm bitter, nur sollte man deswegen vielleicht doch nicht die ganze Flasche auf einmal trinken. Also „Der gelbe Elefant“ bitte nicht in einem durchlesen, sonst hat man hinterher einen Humanitätskater. Die Dichte widerlicher Typen ist einfach zu hoch.
SUSAN VAHABZADEH
Einer der fiesesten
Abgänge ereilt den 75-jährigen
Fitnessfreak Werner
Heinz Strunk:
Der gelbe Elefant.
Rowohlt Verlag,
Hamburg 2023. 208 Seiten, 22 Euro.
Wenn die Literatur zurückschlägt: Schriftsteller und Satiriker Heinz Strunk.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2023Sport, Sport, Sport, Werner liegestützt Rekord
Eine Kette von Demütigungen mit gelegentlicher Aufheiterung: Heinz Strunks neuer Erzählungsband "Der gelbe Elefant"
"Zuletzt läuft jeder schiffbrüchig und entmastet in den Hafen ein" lautet eine pessimistische Weisheit Arthur Schopenhauers. Der Geist des philosophischen Misanthropen kennt keine Ruhe. Immer wieder fährt er in Schriftsteller, um seine Theorie von der schlechtesten aller möglichen Welten breitenwirksam unter die Leserschaft zu bringen. Nach Wilhelm Busch, Thomas Mann, Samuel Beckett, Thomas Bernhard und Michel Houellebecq hat er sich nun im Kopf des Hamburger Multitalents Heinz Strunk eingenistet. So ist aus dem einstigen Gute-Laune- Musiker ein Autor geworden, der mit unerbittlicher Detailfreude die Misere menschlicher Existenz ins Auge fasst.
Brennpunkt des "Willens" sind laut Schopenhauer die Genitalien, und in Strunks Romanen mangelt es nicht an vom Geschlechtstrieb umhergehetzten Figuren auf der Suche nach ein bisschen Lust und Liebe. Brennpunkt des "Willens" ist aber auch, zumal in vorgerückterem Alter, der Verdauungs- und Geschmacksapparat. Höhepunkte im Leben vieler Menschen sind deshalb die Restaurantbesuche. Strunk hat die Gastronomie wie kaum ein anderer Schriftsteller zum existentiellen Schauplatz gemacht. In der ersten Geschichte seines nun erschienenen zweiten Erzählungsbands "Der gelbe Elefant" sind die Leser in Echtzeit dabei, wenn Claudi und Andi mit Melanie und Oliver ins griechische Restaurant "Bacchus" gehen, um ihre Urlaubsbekanntschaft zu vertiefen. Ausgiebig werden die Vorzüge der opulenten Mixed-Grill-Platten (Hellas, Akropolis, Rhodos, Santorino, Herkules) und der vielfältigen Vorspeise-Köstlichkeiten erörtert. Wo aber so viel Vorlust in Szene gesetzt wird, ist auch das Frustrationspotential groß. Als Andi und Claudi von der Bedienung hören, dass ihre geliebten "Kroketten" - so der Titel der Geschichte - an diesem Abend leider schon aus seien, zerfallen ihre Gesichtszüge, schmiert die Stimmung ab. Die Kunst der Erzählung besteht darin, dass sie vordergründig obsessiv vom Essen redet, dabei aber eigentlich auf andere Themen zielt: das Verlangen nach Glück und die Misere der Mittelmäßigkeit.
Die Erzählung "Bombenexperten" ist ein Schreckensgemälde des Alters, obwohl sie in einem Villenvorort spielt. Die Gründerzeitgebäude sind ebenso "müde, matt, marode und krank" wie ihre Bewohner. Eine letzte Geburtstagsfeier wird beschrieben: schweratmende Männer in "güllefarbenen" Anzügen, pfeifende Hörgeräte und zerfallende Dialoge. "Der Jubilar sitzt wie eingefroren in seinem Lieblingssessel . . . Er wird die Suppe nie schaffen, und die Suppe weiß es bereits." Wenn schon jetzt ganze Wohnviertel zu Altenreservaten werden, wie soll die Gesellschaft dann erst mit den zig Millionen Rentnern der Boomergeneration fertig werden, zu der Strunk selbst gehört? Eine mögliche Antwort gibt er in der dystopischen Skizze "Frivilligt över klippan" - da geht es um eine aus Schweden kommende politische Bewegung, die Alte zum einvernehmlichen Selbstmord auffordert, zum freiwilligen Sprung von der Klippe.
Wie schon in Strunks erstem Erzählungsband "Das Teemännchen" (2018) sind die Figuren seiner kurzen und sehr kurzen Geschichten Verlierer im sozialen Abseits. Am Boden angekommen, haben sie keine Fallhöhe mehr, die für eine längere Erzählung reichen würde. Aber am Boden lauert immer noch das Bodenlose. So bei Rene aus Bitterfeld-Wolfen. Ungerührt sieht er zu, wie sich sein Kampfhund im Kopf eines Schülers verbeißt, und murmelt dazu nur: "Och, nö!" Die längeren Geschichten handeln indirekt ebenfalls vom Losertum, aber sie schildern den erbitterten Abwehrkampf dagegen. Da geht es dann um die von Strunk mit Hassliebe gezeichneten Selbstoptimierer, die wie Felgentreu in der Erzählung "Mensch vs. Taler" genau wissen, was Verlierer kennzeichnet und deshalb um jeden Preis vermieden werden muss: Fettleibigkeit, Fernsehen und andere Bequemlichkeiten, Alkohol, Zigaretten und Selbstzweifel. Felgentreu ist dank seiner "tiefen, geilen Stimme" zum Key Note Speaker und Erfolgscoach geworden. Dann aber fällt er bei einem Spaziergang vor seinem nächsten Auftritt in ein Zeitloch und findet sich wieder unter einer Horde grunzender Neandertaler - eine Situation, aus der ihn all sein Motivationsgeschwätz nicht retten kann. Noch schlimmer erwischt es in der längsten, beklemmendsten Geschichte "Eisengreis" den Fitness-Rentner Werner. Nach dem Tod seiner Frau hat sich der Siebzigjährige den gestählten Body antrainiert, von dem er in seinen schwammigen Ehejahren nur geträumt hat. Beleibte, unsportliche Alte können seiner Verachtung sicher sein. Aber Werner schlägt alle Warnungen seines Arztes in den Wind und wird beim Versuch eines Liegestützrekords Opfer der Osteoporose. Mit beidseitig zerborstenen Schultergelenken verendet er kafkaesk im eigenen Fitnesskeller.
Die Gefahr ist, dass durch die plakative Zuspitzung die ohne Zwischentöne gezeichneten Figuren zu Allegorien des Scheiterns und der Schäbigkeit werden. Aber es gibt auch die vom Muster abweichende Kurzgeschichte "Auskunft". Hier geht es um Rolf, das Schreckgespenst eines kleinen Parks. Den ganzen Tag sitzt er dort mit seiner Flasche Doppelkorn herum und kläfft die Passanten bösartig an. Da kommt ein Ortsfremder vorbei, der Rolf noch nicht zu fürchten gelernt hat, und fragt ihn freundlich nach dem Weg. Worauf der Grobian so entwaffnet ist, dass er mit leiser, höflicher Stimme antwortet und danach ganz erleichtert wirkt. Moral von der Geschichte: "Hätte man ihn doch früher mal um Rat gebeten. Vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen."
Vielleicht auch nicht. "Der gelbe Elefant" bietet wieder eine ganze "Kette der Demütigungen", um den von Strunk verehrten Botho Strauß zu zitieren, dessen Vorbild gelegentlich durchscheint: sowohl in der Manier, adipöse Paare und vom Pech gezeichnete Passanten an öffentlichen Orten ins Visier zu nehmen, als auch bei den Wendungen ins Surreale. Bisweilen wirken die Erzählungen schon durch ihre Titel wie lehrhafte Kalendergeschichten: "Der nervige Selbstmordkandidat", "Der erledigte Experte", "Der unglückliche Flaschensammler". Strunk exemplifiziert ein ums andere Mal die große Vergeblichkeit. Diese Determiniertheit lässt die Figuren nicht denunziert erscheinen; an ihnen vollzieht sich die Gesetzmäßigkeit des Lebens. Der Blick ist erbarmungslos, und zugleich sind die Geschichten von einer grimmigen Einfühlsamkeit geprägt. Schopenhauer hätte den Daumen gehoben. WOLFGANG SCHNEIDER
Heinz Strunk: "Der gelbe Elefant". Erzählungen.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Kette von Demütigungen mit gelegentlicher Aufheiterung: Heinz Strunks neuer Erzählungsband "Der gelbe Elefant"
"Zuletzt läuft jeder schiffbrüchig und entmastet in den Hafen ein" lautet eine pessimistische Weisheit Arthur Schopenhauers. Der Geist des philosophischen Misanthropen kennt keine Ruhe. Immer wieder fährt er in Schriftsteller, um seine Theorie von der schlechtesten aller möglichen Welten breitenwirksam unter die Leserschaft zu bringen. Nach Wilhelm Busch, Thomas Mann, Samuel Beckett, Thomas Bernhard und Michel Houellebecq hat er sich nun im Kopf des Hamburger Multitalents Heinz Strunk eingenistet. So ist aus dem einstigen Gute-Laune- Musiker ein Autor geworden, der mit unerbittlicher Detailfreude die Misere menschlicher Existenz ins Auge fasst.
Brennpunkt des "Willens" sind laut Schopenhauer die Genitalien, und in Strunks Romanen mangelt es nicht an vom Geschlechtstrieb umhergehetzten Figuren auf der Suche nach ein bisschen Lust und Liebe. Brennpunkt des "Willens" ist aber auch, zumal in vorgerückterem Alter, der Verdauungs- und Geschmacksapparat. Höhepunkte im Leben vieler Menschen sind deshalb die Restaurantbesuche. Strunk hat die Gastronomie wie kaum ein anderer Schriftsteller zum existentiellen Schauplatz gemacht. In der ersten Geschichte seines nun erschienenen zweiten Erzählungsbands "Der gelbe Elefant" sind die Leser in Echtzeit dabei, wenn Claudi und Andi mit Melanie und Oliver ins griechische Restaurant "Bacchus" gehen, um ihre Urlaubsbekanntschaft zu vertiefen. Ausgiebig werden die Vorzüge der opulenten Mixed-Grill-Platten (Hellas, Akropolis, Rhodos, Santorino, Herkules) und der vielfältigen Vorspeise-Köstlichkeiten erörtert. Wo aber so viel Vorlust in Szene gesetzt wird, ist auch das Frustrationspotential groß. Als Andi und Claudi von der Bedienung hören, dass ihre geliebten "Kroketten" - so der Titel der Geschichte - an diesem Abend leider schon aus seien, zerfallen ihre Gesichtszüge, schmiert die Stimmung ab. Die Kunst der Erzählung besteht darin, dass sie vordergründig obsessiv vom Essen redet, dabei aber eigentlich auf andere Themen zielt: das Verlangen nach Glück und die Misere der Mittelmäßigkeit.
Die Erzählung "Bombenexperten" ist ein Schreckensgemälde des Alters, obwohl sie in einem Villenvorort spielt. Die Gründerzeitgebäude sind ebenso "müde, matt, marode und krank" wie ihre Bewohner. Eine letzte Geburtstagsfeier wird beschrieben: schweratmende Männer in "güllefarbenen" Anzügen, pfeifende Hörgeräte und zerfallende Dialoge. "Der Jubilar sitzt wie eingefroren in seinem Lieblingssessel . . . Er wird die Suppe nie schaffen, und die Suppe weiß es bereits." Wenn schon jetzt ganze Wohnviertel zu Altenreservaten werden, wie soll die Gesellschaft dann erst mit den zig Millionen Rentnern der Boomergeneration fertig werden, zu der Strunk selbst gehört? Eine mögliche Antwort gibt er in der dystopischen Skizze "Frivilligt över klippan" - da geht es um eine aus Schweden kommende politische Bewegung, die Alte zum einvernehmlichen Selbstmord auffordert, zum freiwilligen Sprung von der Klippe.
Wie schon in Strunks erstem Erzählungsband "Das Teemännchen" (2018) sind die Figuren seiner kurzen und sehr kurzen Geschichten Verlierer im sozialen Abseits. Am Boden angekommen, haben sie keine Fallhöhe mehr, die für eine längere Erzählung reichen würde. Aber am Boden lauert immer noch das Bodenlose. So bei Rene aus Bitterfeld-Wolfen. Ungerührt sieht er zu, wie sich sein Kampfhund im Kopf eines Schülers verbeißt, und murmelt dazu nur: "Och, nö!" Die längeren Geschichten handeln indirekt ebenfalls vom Losertum, aber sie schildern den erbitterten Abwehrkampf dagegen. Da geht es dann um die von Strunk mit Hassliebe gezeichneten Selbstoptimierer, die wie Felgentreu in der Erzählung "Mensch vs. Taler" genau wissen, was Verlierer kennzeichnet und deshalb um jeden Preis vermieden werden muss: Fettleibigkeit, Fernsehen und andere Bequemlichkeiten, Alkohol, Zigaretten und Selbstzweifel. Felgentreu ist dank seiner "tiefen, geilen Stimme" zum Key Note Speaker und Erfolgscoach geworden. Dann aber fällt er bei einem Spaziergang vor seinem nächsten Auftritt in ein Zeitloch und findet sich wieder unter einer Horde grunzender Neandertaler - eine Situation, aus der ihn all sein Motivationsgeschwätz nicht retten kann. Noch schlimmer erwischt es in der längsten, beklemmendsten Geschichte "Eisengreis" den Fitness-Rentner Werner. Nach dem Tod seiner Frau hat sich der Siebzigjährige den gestählten Body antrainiert, von dem er in seinen schwammigen Ehejahren nur geträumt hat. Beleibte, unsportliche Alte können seiner Verachtung sicher sein. Aber Werner schlägt alle Warnungen seines Arztes in den Wind und wird beim Versuch eines Liegestützrekords Opfer der Osteoporose. Mit beidseitig zerborstenen Schultergelenken verendet er kafkaesk im eigenen Fitnesskeller.
Die Gefahr ist, dass durch die plakative Zuspitzung die ohne Zwischentöne gezeichneten Figuren zu Allegorien des Scheiterns und der Schäbigkeit werden. Aber es gibt auch die vom Muster abweichende Kurzgeschichte "Auskunft". Hier geht es um Rolf, das Schreckgespenst eines kleinen Parks. Den ganzen Tag sitzt er dort mit seiner Flasche Doppelkorn herum und kläfft die Passanten bösartig an. Da kommt ein Ortsfremder vorbei, der Rolf noch nicht zu fürchten gelernt hat, und fragt ihn freundlich nach dem Weg. Worauf der Grobian so entwaffnet ist, dass er mit leiser, höflicher Stimme antwortet und danach ganz erleichtert wirkt. Moral von der Geschichte: "Hätte man ihn doch früher mal um Rat gebeten. Vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen."
Vielleicht auch nicht. "Der gelbe Elefant" bietet wieder eine ganze "Kette der Demütigungen", um den von Strunk verehrten Botho Strauß zu zitieren, dessen Vorbild gelegentlich durchscheint: sowohl in der Manier, adipöse Paare und vom Pech gezeichnete Passanten an öffentlichen Orten ins Visier zu nehmen, als auch bei den Wendungen ins Surreale. Bisweilen wirken die Erzählungen schon durch ihre Titel wie lehrhafte Kalendergeschichten: "Der nervige Selbstmordkandidat", "Der erledigte Experte", "Der unglückliche Flaschensammler". Strunk exemplifiziert ein ums andere Mal die große Vergeblichkeit. Diese Determiniertheit lässt die Figuren nicht denunziert erscheinen; an ihnen vollzieht sich die Gesetzmäßigkeit des Lebens. Der Blick ist erbarmungslos, und zugleich sind die Geschichten von einer grimmigen Einfühlsamkeit geprägt. Schopenhauer hätte den Daumen gehoben. WOLFGANG SCHNEIDER
Heinz Strunk: "Der gelbe Elefant". Erzählungen.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rezensentin Susan Vahabzadeh warnt vor der erschöpfenden Armleuchterdichte in Heinz Strunks Erzählungen. Wie Strunk immer wieder die dümmsten Vollpfosten herauspickt, um sie entweder in den Orkus der Zeitlosigkeit oder in den Fitnesskeller zu schicken, hat Klasse, ist in der vorliegenden Ansammlung aber nur schwer zu ertragen, meint die Rezensentin, Strunks wirklichkeitsgetreue Beschreibungen griechischer Grillteller und gescheiterter Existenzen in allen Ehren. Daher: Nur in kleinen Dosen genießen!
© Perlentaucher Medien GmbH
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