Ein verblüffender Fund: Der junge Theodor Fontane entdeckt die viktorianische Erfolgsautorin Catherine Gore - Fontanes Übersetzung zeigt den werdenden Romancier.
Catherine Gore (1799-1861), eine der meistgelesenen Autorinnen ihrer Zeit, porträtierte in ihrem 1842 in Fortsetzungen
erschienenen Gesellschaftsroman Der Geldverleiher die englische Gesellschafts- und Finanzwelt. Mit drastischem Realismus und ihrer Beschreibungs- und Beobachtungskunst demaskiert sie eine Epoche voller Standesdünkel und antijüdischer Vorurteile. Theodor Fontane (1819-1898) hat den Roman der Zeitgenossin von der britischen Insel mit einer erstaunlichen Sprach- und Stilsicherheit übertragen - lange bevor er seine berühmten Romane schrieb, die ihn zum großen Klassiker des bürgerlichen Realismus machten.
Auf Grundlage eines wiederentdeckten Typoskripts hat der Literaturwissenschaftler, Historiker und Fontane-Biograph
Iwan-Michelangelo D'Aprile dieses übersetzerische Meisterstück aus Fontanes jungen Jahren ediert; sein Vorwort erhellt ein fehlendes Stück in Fontanes Gesamtwerk und bereichert uns um die Kenntnis seiner englischen Vorbilder.
"Ein richtiger Schmöker. Ein äußerst interessantes Buch des Übergangs von der romantischen Schauergeschichte zum
realistischen Roman ... Gore wollte unterhalten, und das ist ihr sehr gelungen." - Jürgen Kaube, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Catherine Gore (1799-1861), eine der meistgelesenen Autorinnen ihrer Zeit, porträtierte in ihrem 1842 in Fortsetzungen
erschienenen Gesellschaftsroman Der Geldverleiher die englische Gesellschafts- und Finanzwelt. Mit drastischem Realismus und ihrer Beschreibungs- und Beobachtungskunst demaskiert sie eine Epoche voller Standesdünkel und antijüdischer Vorurteile. Theodor Fontane (1819-1898) hat den Roman der Zeitgenossin von der britischen Insel mit einer erstaunlichen Sprach- und Stilsicherheit übertragen - lange bevor er seine berühmten Romane schrieb, die ihn zum großen Klassiker des bürgerlichen Realismus machten.
Auf Grundlage eines wiederentdeckten Typoskripts hat der Literaturwissenschaftler, Historiker und Fontane-Biograph
Iwan-Michelangelo D'Aprile dieses übersetzerische Meisterstück aus Fontanes jungen Jahren ediert; sein Vorwort erhellt ein fehlendes Stück in Fontanes Gesamtwerk und bereichert uns um die Kenntnis seiner englischen Vorbilder.
"Ein richtiger Schmöker. Ein äußerst interessantes Buch des Übergangs von der romantischen Schauergeschichte zum
realistischen Roman ... Gore wollte unterhalten, und das ist ihr sehr gelungen." - Jürgen Kaube, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2022Auf der Höhe
seiner Kunst
Was für ein Fund: der junge Fontane als Übersetzer
Da ist der Anderen Bibliothek, die sich auf vergessene oder anders besondere Bücher in edler und origineller Ausstattung spezialisiert, ein echter Fund gelungen: Theodor Fontane, von dem es stets hieß, er habe sich erst spät im Leben dem Roman zugewandt, hat sich tatsächlich bereits als junger Mann, gerade mal in seinen Zwanzigern, intensiv mit dem Genre beschäftigt, ja selbst ein komplettes Exemplar produziert, das unverkennbar schon den späteren Autor ahnen lässt – in Gestalt einer Übersetzung aus dem Englischen. Gedruckt wurde der Text bislang nie, entsprechende Versuche Fontanes selbst verliefen im Sande. Der Redakteur, der das Manuskript verwahrte, nahm es nach der missglückten Revolution von 1848 mit auf seine Flucht in die USA, dessen Tochter, nunmehr in Florenz lebend, bot es über einen Mittelsmann dem Verleger Friedrich Fontane an, Theodors Sohn; dem war der Kaufpreis zu hoch, aber er ließ, wohl nicht ganz legal, eine maschinenschriftliche Kopie anfertigen. Das Original wurde schließlich vom Märkischen Museum erworben, ging im Zweiten Weltkrieg verloren – das Typoskript jedoch überlebte und erblickt, ediert von Iwan-Michelangelo D'Aprile, mit einer Verzögerung von 180 Jahren nunmehr das Licht der Öffentlichkeit.
Die Verfasserin, Catherine Gore, mit Dutzenden Romanen in ihrer Zeit höchst erfolgreich, ist heute weitgehend vergessen; die Encyclopedia Britannica erwähnt sie in den 70er-Jahren mit keiner Silbe mehr. Den Plot muss man als ein rechtes Melodram, um nicht zu sagen als Moritat bezeichnen: Keiner in den höchsten Rängen der englischen Gesellschaft entgeht den Klauen des gefürchteten Geldverleihers A.O., der mit seinem vollen Namen Abednego Osalez relativ spät hervortritt. Im Munde der anderen erscheint er wie ein düsteres Ungeheuer, das ihrer aller Leben überschattet – aber kaum hat der jugendliche Protagonist Basil Annesley Gelegenheit erhalten, ihn persönlich kennenzulernen, erweist er sich, bei aller Geschäftstüchtigkeit, als weiser Humanist, trotz seines schweren Geschicks; immer und überall hatte er es büßen müssen, dass schon sein Name ihn unüberhörbar zum Juden stempelte. Die Einleitung vergleicht ihn mit Lessings Nathan, was leider stimmt.
Es stellt sich zum Schluss heraus, dass irgendwie alle mit allen verwandt sind. Der reiche A.O. stattet Basil und dessen geliebte Esther mit dem nötigen Vermögen aus, und endlich können sie heiraten: „Basil, glaube mir, dass unter allen Gaben, die uns ein geliebtes Wesen bieten mag, Reichtum nicht fehlen darf, um mit Wahrscheinlichkeit auf eine glückliche Zukunft schließen zu können!“, sagt die Mutter. So weit, so schlecht und sentimental-konventionell. Doch fährt sie fort: „Geld, mein lieber Basil ist die Quelle alles Einflusses hier auf Erden.“ Die englischen Aristokraten, unter denen das Buch spielt, leben von ihrem Grundbesitz, der ihnen pro Jahr eine bestimmte feste Summe einträgt, recht hoch zwar, doch längst nicht hoch genug, um ihre Ausgaben zu decken. Sie sehen sich durch ihren Stand gezwungen, es aufs Prunkvollste zu verschleudern. Wer pro Jahr 20000 Pfund hat, muss im Wert von mindestens 25000 Pfund repräsentieren, sonst gilt er nichts. Die Differenz wird durch Kredite ausgeglichen, welche die Schuldner, der Art ihrer Einkünfte entsprechend, schlechterdings nicht bedienen können.
So stürzen Grafen und Herzöge erst vor A.O. auf die Knie, um sein steinernes Herz zu rühren, und dann in den Ruin. Ihre feudalen Renten verwandeln sich per Bankrott zu Kapital, zu Geld im neuen und eigentlichen Sinn. Die durchtriebene Lady Maitland, die bereits ihren ganzen Schmuck versetzt hat, sucht mit Charme und Finten den Geldverleiher zu einem letzten Darlehen zu bewegen, dieser hält ihr eine salbungsvolle Standpauke über ihre Verschwendungssucht, eine bühnenreif pathetische Szene – aber als sie geknickt und geschlagen abzieht, ist an ihr und durch ihr Unglück der ökonomische Wandel ratifiziert. Der junge Annesley kann nur staunen, was da mit dem Geld geschieht: „Es war hier ,Zweck’ und nicht ,Mittel’.“
Die Charaktere an sich bleiben recht blass, besonders der milchbärtige Basil. Doch glänzen sie dort (und mit ihnen der Roman), wo sie sich im ritualisiertem Rahmen der Clubs und Salons zusammenfinden. Die besten Passagen des Buchs haben die Sitten der Gesellschaft zum Gegenstand, das Wort sowohl im geselligen als auch im soziologischen Sinn verstanden - „prachtliebend, herzlos und Leute nach der Mode“, so kennzeichnet sie die Autorin, ohne dabei im geringsten schlechte Laune zu kriegen. Und genau diese Passagen zeigen auch am besten, was schon der ganz junge Fontane kann: Figuren im Gespräch erschaffen. Bei aller Oberflächlichkeit des Geplauders werden die Personen vollkommen deutlich.
Fontane (oder vielleicht auch schon Gore) schreibt Psidias statt Phidias und Momento mori, wo ein Memento mori am Platz wäre, bezeugt aber gerade so seine Nähe zur gleißnerischen Halbbildung, in der die Figuren zuhaus sind; der Herausgeber hat sich zurecht gehütet, an diesen glücklichen Fettnäpfchen etwas zu bessern. Dafür sollte die geneigte Leserin – und auf eine solche ist es offenkundig abgesehen – schon wissen, was ein coup de grâce und ein Chevalier d'honneur ist, eine Equipage oder eine Chaiselongue: In solchen Vokabeln fängt sich die gesellige Anmut dieser Kreise wie ein Lichtreflex im Kristallglas ihrer Feste.
Ein Rätsel jedoch bleibt bei diesem gegen Ende hin etwas schleppenden, im Ganzen aber doch sehr unterhaltsamen Buch: Da Fontane hier den klaren Beweis in Händen hielt, dass ihm der Roman als Form und Stilprinzip lag – warum hat es dann noch so lang gedauert, bis er sich im Ernst ans Werk machte?
BURKHARD MÜLLER
Die englischen Aristokraten,
unter denen das Buch spielt,
leben von ihrem Grundbesitz
Catherine Gore:
Der Geldverleiher.
Ein viktorianischer Roman. Aus dem Englischen von Theodor Fontane.
Herausgegeben und
eingeleitet von Iwan-Michelangelo D'Aprile. Die Andere Bibliothek, Berlin 2021.
468 Seiten, 44 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
seiner Kunst
Was für ein Fund: der junge Fontane als Übersetzer
Da ist der Anderen Bibliothek, die sich auf vergessene oder anders besondere Bücher in edler und origineller Ausstattung spezialisiert, ein echter Fund gelungen: Theodor Fontane, von dem es stets hieß, er habe sich erst spät im Leben dem Roman zugewandt, hat sich tatsächlich bereits als junger Mann, gerade mal in seinen Zwanzigern, intensiv mit dem Genre beschäftigt, ja selbst ein komplettes Exemplar produziert, das unverkennbar schon den späteren Autor ahnen lässt – in Gestalt einer Übersetzung aus dem Englischen. Gedruckt wurde der Text bislang nie, entsprechende Versuche Fontanes selbst verliefen im Sande. Der Redakteur, der das Manuskript verwahrte, nahm es nach der missglückten Revolution von 1848 mit auf seine Flucht in die USA, dessen Tochter, nunmehr in Florenz lebend, bot es über einen Mittelsmann dem Verleger Friedrich Fontane an, Theodors Sohn; dem war der Kaufpreis zu hoch, aber er ließ, wohl nicht ganz legal, eine maschinenschriftliche Kopie anfertigen. Das Original wurde schließlich vom Märkischen Museum erworben, ging im Zweiten Weltkrieg verloren – das Typoskript jedoch überlebte und erblickt, ediert von Iwan-Michelangelo D'Aprile, mit einer Verzögerung von 180 Jahren nunmehr das Licht der Öffentlichkeit.
Die Verfasserin, Catherine Gore, mit Dutzenden Romanen in ihrer Zeit höchst erfolgreich, ist heute weitgehend vergessen; die Encyclopedia Britannica erwähnt sie in den 70er-Jahren mit keiner Silbe mehr. Den Plot muss man als ein rechtes Melodram, um nicht zu sagen als Moritat bezeichnen: Keiner in den höchsten Rängen der englischen Gesellschaft entgeht den Klauen des gefürchteten Geldverleihers A.O., der mit seinem vollen Namen Abednego Osalez relativ spät hervortritt. Im Munde der anderen erscheint er wie ein düsteres Ungeheuer, das ihrer aller Leben überschattet – aber kaum hat der jugendliche Protagonist Basil Annesley Gelegenheit erhalten, ihn persönlich kennenzulernen, erweist er sich, bei aller Geschäftstüchtigkeit, als weiser Humanist, trotz seines schweren Geschicks; immer und überall hatte er es büßen müssen, dass schon sein Name ihn unüberhörbar zum Juden stempelte. Die Einleitung vergleicht ihn mit Lessings Nathan, was leider stimmt.
Es stellt sich zum Schluss heraus, dass irgendwie alle mit allen verwandt sind. Der reiche A.O. stattet Basil und dessen geliebte Esther mit dem nötigen Vermögen aus, und endlich können sie heiraten: „Basil, glaube mir, dass unter allen Gaben, die uns ein geliebtes Wesen bieten mag, Reichtum nicht fehlen darf, um mit Wahrscheinlichkeit auf eine glückliche Zukunft schließen zu können!“, sagt die Mutter. So weit, so schlecht und sentimental-konventionell. Doch fährt sie fort: „Geld, mein lieber Basil ist die Quelle alles Einflusses hier auf Erden.“ Die englischen Aristokraten, unter denen das Buch spielt, leben von ihrem Grundbesitz, der ihnen pro Jahr eine bestimmte feste Summe einträgt, recht hoch zwar, doch längst nicht hoch genug, um ihre Ausgaben zu decken. Sie sehen sich durch ihren Stand gezwungen, es aufs Prunkvollste zu verschleudern. Wer pro Jahr 20000 Pfund hat, muss im Wert von mindestens 25000 Pfund repräsentieren, sonst gilt er nichts. Die Differenz wird durch Kredite ausgeglichen, welche die Schuldner, der Art ihrer Einkünfte entsprechend, schlechterdings nicht bedienen können.
So stürzen Grafen und Herzöge erst vor A.O. auf die Knie, um sein steinernes Herz zu rühren, und dann in den Ruin. Ihre feudalen Renten verwandeln sich per Bankrott zu Kapital, zu Geld im neuen und eigentlichen Sinn. Die durchtriebene Lady Maitland, die bereits ihren ganzen Schmuck versetzt hat, sucht mit Charme und Finten den Geldverleiher zu einem letzten Darlehen zu bewegen, dieser hält ihr eine salbungsvolle Standpauke über ihre Verschwendungssucht, eine bühnenreif pathetische Szene – aber als sie geknickt und geschlagen abzieht, ist an ihr und durch ihr Unglück der ökonomische Wandel ratifiziert. Der junge Annesley kann nur staunen, was da mit dem Geld geschieht: „Es war hier ,Zweck’ und nicht ,Mittel’.“
Die Charaktere an sich bleiben recht blass, besonders der milchbärtige Basil. Doch glänzen sie dort (und mit ihnen der Roman), wo sie sich im ritualisiertem Rahmen der Clubs und Salons zusammenfinden. Die besten Passagen des Buchs haben die Sitten der Gesellschaft zum Gegenstand, das Wort sowohl im geselligen als auch im soziologischen Sinn verstanden - „prachtliebend, herzlos und Leute nach der Mode“, so kennzeichnet sie die Autorin, ohne dabei im geringsten schlechte Laune zu kriegen. Und genau diese Passagen zeigen auch am besten, was schon der ganz junge Fontane kann: Figuren im Gespräch erschaffen. Bei aller Oberflächlichkeit des Geplauders werden die Personen vollkommen deutlich.
Fontane (oder vielleicht auch schon Gore) schreibt Psidias statt Phidias und Momento mori, wo ein Memento mori am Platz wäre, bezeugt aber gerade so seine Nähe zur gleißnerischen Halbbildung, in der die Figuren zuhaus sind; der Herausgeber hat sich zurecht gehütet, an diesen glücklichen Fettnäpfchen etwas zu bessern. Dafür sollte die geneigte Leserin – und auf eine solche ist es offenkundig abgesehen – schon wissen, was ein coup de grâce und ein Chevalier d'honneur ist, eine Equipage oder eine Chaiselongue: In solchen Vokabeln fängt sich die gesellige Anmut dieser Kreise wie ein Lichtreflex im Kristallglas ihrer Feste.
Ein Rätsel jedoch bleibt bei diesem gegen Ende hin etwas schleppenden, im Ganzen aber doch sehr unterhaltsamen Buch: Da Fontane hier den klaren Beweis in Händen hielt, dass ihm der Roman als Form und Stilprinzip lag – warum hat es dann noch so lang gedauert, bis er sich im Ernst ans Werk machte?
BURKHARD MÜLLER
Die englischen Aristokraten,
unter denen das Buch spielt,
leben von ihrem Grundbesitz
Catherine Gore:
Der Geldverleiher.
Ein viktorianischer Roman. Aus dem Englischen von Theodor Fontane.
Herausgegeben und
eingeleitet von Iwan-Michelangelo D'Aprile. Die Andere Bibliothek, Berlin 2021.
468 Seiten, 44 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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