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Fünf Geschichten stellt Bernd Cailloux in Der gelernte Berliner vor: unterhaltsame Ergebnisse der Aktivitäten und Gastrollen eines Berliner Schriftstellers. Nicht fiktiv Konstruiertes breitet Bernd Cailloux darin aus, sondern er erzählt herzlich-ironisch von realem Geschehen, von nachvollziehbarer Erfahrung: als Schöffe im tragikomischen Sprechtheater vor Gericht; als Kicker vorm Reichstag; als Wohnungsloser, schwer heimwehkranker Betroffener der Stadtsanierung und schließlich als Dauerzeuge der Ost-West-Vereinigung.
In Der gelernte Berliner steht Berlin weniger als Reiz-Ort der Historie,
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Produktbeschreibung
Fünf Geschichten stellt Bernd Cailloux in Der gelernte Berliner vor: unterhaltsame Ergebnisse der Aktivitäten und Gastrollen eines Berliner Schriftstellers. Nicht fiktiv Konstruiertes breitet Bernd Cailloux darin aus, sondern er erzählt herzlich-ironisch von realem Geschehen, von nachvollziehbarer Erfahrung: als Schöffe im tragikomischen Sprechtheater vor Gericht; als Kicker vorm Reichstag; als Wohnungsloser, schwer heimwehkranker Betroffener der Stadtsanierung und schließlich als Dauerzeuge der Ost-West-Vereinigung.

In Der gelernte Berliner steht Berlin weniger als Reiz-Ort der Historie, aber doch im Zentrum, en passant erfahrbar. Im erinnernden Rückgriff macht Bernd Cailloux Berlin zum Ort des einzelnen und gibt so der Stadt ihre Normalität zurück.
Autorenporträt
Cailloux, BerndBernd Cailloux, Jahrgang 1945, lebt als freier Schriftsteller in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2009

Stadt der falschen Fuffziger

Schöneberger Nächte sind lang: Der Schriftsteller Bernd Cailloux setzt den Berliner Szenevierteln von vorgestern ein Denkmal und singt Evergreens.

Vielleicht sollte man zunächst den Umschlag des Buches rezensieren. Eine offenbar gezielte Mogelpackung: Ost-Berliner Luftpanorama, vom Alexanderplatz aufgenommen, der Fernsehturm ragt über die ganze Seite, weiter hinten ist der Potsdamer Platz gerade noch zu erkennen. Jenseits davon zerfällt West-Berlin zu Pixelkrümeln. Es ist, als würde man Döblins Biberkopf-Roman mit einem Bild vom ICC oder "Herr Lehmann" mit einem Foto der Kastanienallee illustrieren. Denn das Revier des "gelernten Berliners", als der Bernd Cailloux in diesem Band "Sieben neue Lektionen" erteilt, ist doch eindeutig Schöneberg samt angrenzenden Seitenstraßen.

Das liegt natürlich quer zum Trend und mag von daher schwer vermittelbar erscheinen. Lang ist's her, dass Schöneberg im Ranking der Szene-Bezirke einen vorderen Platz einnahm. Damals, so um 1980, absolvierte Cailloux als Pfadfinder des Nachtlebens die Durststrecken bis hinüber nach Charlottenburg. In seinem Buch blickt er zurück auf die Jahre, in denen er den bürgerlichen Anschluss ohne Reue verpasste. Ein "Märtyrer des Müßiggangs" lässt "die Wirte des Lebens" Revue passieren: das Leben als nicht endender Kneipenbummel, als ewige Suche nach dem richtigen Lokal. Es ist ein Stück Kulturgeschichte der Mauerstadt, die ihre Eingeschlossenheit mit verlängerten Öffnungszeiten in den Griff bekam.

Nicht alles scheint auf den ersten Blick berlinspezifisch, wie das lange Kapitel über die biographische Wasserscheide des fünfzigsten Geburtstags. Dabei hat es durchaus mit dem Lebensgefühl der Stadt zu tun, in der man sich als existentieller Schwarzfahrer leichter über die Altersgrenze mogeln kann. Falsche Fünfziger haben hier Standortvorteile: "Man ignorierte Karriere- und Leistungsdenken und experimentierte mit seinem Leben so lange weiter, wie man wollte." So war es jedenfalls einmal, und Cailloux nimmt sich die Freiheit, der alten West-Berliner Mentalität eine Träne nachzuweinen: "Das gab's nur einmal, das kommt nicht wieder, das war vielleicht nur Träumerei."

Heute gibt er seine prekäre Lage freimütig zu erkennen: freier Autor und geborener Mieter mit Finanzierungslücke im Alter. Das Ringen mit der Sachbearbeiterin um die "Wohnknete" wird geschildert - was für eine Herkulesaufgabe, der guten Frau, die noch ganz anderes Elend zu verwalten hat, klarzumachen, dass ein "Paperback Writer" mit seinem Einkommen nicht auskommen kann.

Immerhin, der Blick ins eigene "mysteriös verfaltete Gesicht" beweist: Man gehört nicht zur Zielgruppe "fat and fifty". Wobei "When I'm Sixty-Four" eigentlich eher dem aktuellen Stand entspräche. Altern als Problem für Künstler ist ein Leitmotiv des Bandes. Nicht unbedingt jugendstraff ist auch der Stil: Halbtrockener Humor verbindet sich mit einem allerhand Umstände machenden Plauderton, wie er lebenserfahrenen Semestern anstehen mag.

Der "gelernte Berliner" verbringt einen großen Teil des Tages mit Zeitungslektüre, jetzt erst recht. Pressekrise sei nichts Neues, weiß der Jahrgangsstapler und Artikelausschneider Cailloux - schon Johannes Gutenberg war 1455 pleite. Es ist ein erfrischendes Plädoyer für die Weltfahrten auf dem Küchenstuhl, die eine übers Frühstücksbrötchen gebreitete Zeitung ermöglicht. Cailloux hält es mit Hegel: "Das Zeitungslesen ist das Morgengebet des modernen Menschen." Hinzu kommt die unerreichte Praktikabilität des Mediums: Auch im weiteren Verlauf des Tages lässt sich auf jeder Parkwiese Anschluss ans Weltgeschehen halten.

In anderen "Lektionen" preist Cailloux die demokratische Institution des Fußballspielens vorm Reichstag, erzählt kuriose Erlebnisse von abendlichen Berliner Lesungen und berichtet (weniger ergiebig) von seiner "Schöneberger Fernsehwoche" oder von seiner nun nicht mehr heimlichen Passion, akribisch die täglich in seinem Briefkasten eintreffenden Wurfsendungen und Werbebroschüren zu studieren. Schön und gut, bloß stehen die enzyklopädischen dreißig Seiten, die er darüber schreibt, in einem gewissen Widerspruch zur Lakonie des "ältesten öffentlichen Mediums", als das der Werbezettel hier gefeiert wird. Und wenn er seine kuriosen Wortfunde präsentiert ("Auspresspistole mit Zahnstange", "Organza-Mitteltischdecke") wirkt Cailloux weniger überzeugend als zum Beispiel Max Goldt.

Angesichts der Mitteilungslust, die der Autor hier unter Beweis stellt, wundert man sich, dass sein bisheriges Lebenswerk vergleichsweise schmal geblieben ist. Vor einiger Zeit hat Cailloux die bisherige Hausse seiner Autorschaft erlebt. "Das Geschäftsjahr 1968/69" wurde als einer der klügsten und originellsten Romane zum Mythos der Revolte gerühmt. Auch für den "Gelernten Berliner" gilt: "Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts begriffen."

WOLFGANG SCHNEIDER

Bernd Cailloux: "Der gelernte Berliner". Sieben neue Lektionen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 253 S., 10,- [Euro].

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