Was geschieht, wenn sich eine laotische Prinzessin in einen DDR-Arbeitersohn verliebt? Sie gründen in Potsdam eine Familie. Im sozialistischen Einheitsparadies kann das nicht ohne Folgen bleiben. André Kubiczek erzählt davon präzise, klug und mit feinem Humor.
"Ich weiß es noch genau. Es war an einem Freitag, als mein Bruder starb, und ich kann mich nur deshalb so gut erinnern, weil immer freitags der große Wochenputz stattfand." 1987, die letzten Monate der DDR brechen an, und die Rekruten nehmen ihren Dienst mit Galgenhumor. Der tragische und auf seltsame Weise auch erlösende Tod seines Bruders ist für den jungen Ich-Erzähler der Moment, sich an seine exotische Familie zu erinnern. Und ihr Leben in einem Land, das alles andere als exotisch sein wollte. Denn sein Vater aus der ostdeutschen Provinz hatte in Moskau eine laotische Prinzessin kennengelernt. "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" erzählt mehr als eine außergewöhnliche Familiengeschichte: es erzählt die Geschichte Ostdeutschlands, wie es keiner kennt
"Ich weiß es noch genau. Es war an einem Freitag, als mein Bruder starb, und ich kann mich nur deshalb so gut erinnern, weil immer freitags der große Wochenputz stattfand." 1987, die letzten Monate der DDR brechen an, und die Rekruten nehmen ihren Dienst mit Galgenhumor. Der tragische und auf seltsame Weise auch erlösende Tod seines Bruders ist für den jungen Ich-Erzähler der Moment, sich an seine exotische Familie zu erinnern. Und ihr Leben in einem Land, das alles andere als exotisch sein wollte. Denn sein Vater aus der ostdeutschen Provinz hatte in Moskau eine laotische Prinzessin kennengelernt. "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" erzählt mehr als eine außergewöhnliche Familiengeschichte: es erzählt die Geschichte Ostdeutschlands, wie es keiner kennt
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
André Kubiczeks Familiengeschichte "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" scheint Katrin Bettina Müller etwas zwiespältig. Da bietet das Buch in ihren Augen ungemein plastische und lebendige Figuren wie zum Beispiel Kupfer, einen Kumpel des Erzählers, sowie intensive und sinnliche Passagen, etwa wenn die Küche und Gerichte der Großmutter geschildert werden. Wenn es aber um die Geschichte der Eltern geht - die Mutter eine Prinzessin aus Laos, die den Vater als Student in Moskau kennenlernt -, eigentlich eine höchst spannende Liebesgeschichte mit Risiko, Agenten, Verwandten und Bürokratien, die dagegen sind, dann bleibt der Ton zu Müllers Bedauern "seltsam sachlich". Als Leserin fühlt sie sich hier "irgendwie auch enttäuscht". Andererseits kann sie es auch verstehen, dass der Autor zögerlich ist, wenn es darum geht, seine Eltern als Romanfiguren darzustellen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2012Eine laotische Prinzessin erweicht Moskau
Die Tage des Kohleschippens sind gezählt: André Kubiczek schlägt in seinem neuen Roman wahre Saltos
In diesem Roman scheinen alle Möglichkeiten, die des Autors Herkunft von einem deutschen Vater und einer laotischen Mutter bereitlegt, ausgeschöpft zu sein. Als der Vater des Ich-Erzählers in DDR-Zeiten, zur Vorbereitung auf die Diplomatenlaufbahn, nach Moskau geschickt wird, trifft er dort auf eine laotische Prinzessin, in die er sich verliebt und die er trotz aller Hindernisse in der DDR heiraten kann.
Was zur kommunistischen Märchenhochzeit wird, widerspricht nicht unbedingt der historischen Realität. Der erste Präsident der 1975 gegründeten Demokratischen Volksrepublik Laos war Prinz Suvannavong. Und so weicht die Lebenssicht der laotischen Prinzessin in Moskau auch das sowjetische Erziehungsdogma auf. Sie hat eine Vorliebe für die Beatles und für Elvis Presley, für Filme mit Alain Delon und Jean-Paul Belmondo, für französische Literatur - das Erbe der Zugehörigkeit Laos' zur Französischen Union ist unvergessen. Später wird eine Tochter der Familie an einer amerikanischen Universität studieren und einen Amerikaner heiraten. Urbanität statt Ideologie! Dies sind gute Voraussetzungen für die Freiheit der erzählerischen Phantasie. André Kubiczek, beflügelt von einem Stipendium des Deutschen Literaturfonds, 2007 ausgezeichnet mit dem Candide-Preis, nutzt in seinem fünften Roman solche Freiheit mit einem Erzählschwung, dessen Energie über 480 Seiten vorhält, wenn auch nicht ohne Preis. Dass die Erzählung zwischen den Zeiten hin und her springt, kann den Leser moderner Romane nicht verstören. Eine der Techniken Kubiczeks besteht darin, plötzlich mit einer Ereigniskette aufzuwarten, deren Zusammenhang mit dem Ganzen nicht klar wird, die den Leser also in der Luft hängen lässt. So wird die eigentliche Liebesgeschichte des Deutschen mit der Prinzessin erst nach deren frühe Krebstod erzählt. Dieser lapidare, im flaubertschen Sinne "anatomische" Bericht übrigens ist ein sprachlicher Höhepunkt des Romans.
Planung und Ausführung der Flucht der Prinzessin mit dem Deutschen von Moskau in die DDR wirken ausgeklügelt, haben einen Zug ins Reißerische, der schon zuvor in den Szenen militärischer Grundausbildung in der DDR mit ihren Kasernen- und Rekruten-Stereotypen auffiel. Der Berliner Kupfer, die Mittelpunktsfigur dieser Szenen, überschlägt sich im "Balinern": Ihm ist auch nach der Wende die Schablonenrolle des "Berliner Raffkes" zugedacht. Ohne Berufskenntnisse avanciert in seinem Geschäftskalkül der Ich-Erzähler zum Chef und Koch eines Berliner Restaurants. Mitunter schlägt die Phantasie des Autors wahre Saltos. In einer Industriestadt in der Nähe des Harzes verbringt der Ich-Erzähler Kindheit und Jugend. Eine satirische Szene zeigt die Familie am "Internationalen Tag des Kohleschippens" bei einem Mittagessen wie aus dem Schlaraffenland, andererseits begehrt die Band der Jugendlichen gegen die "konterrevolutionäre Ödnis der Entwickelten Sozialistischen Gesellschaft unserer deprimierenden Tage" auf. Der Festzug zum siebenhundertfünfzigjährigen Jubiläum der Stadt Berlin im Jahre 1987 ist "eine peinliche Abfolge von Karnevalswagen an der Tribüne der Politbürogreise" vorbei. "Mit Schaudern wandte sich die Intelligenzija ab." Ebendiese Intelligenzija aber sieht sich nach der Wende der Herrschaft von "frechen Sachbearbeiterinnen" auf den Ämtern und der Herrschaft der Investoren, den Renditeerwartungen des Neokapitalismus ausgeliefert.
Im Schlussteil, "Land der Blume Champa", tritt der Ich-Erzähler endgültig sein mütterliches Erbe an. Mit einem Flugticket, das ihm von einem Unbekannten zugeschickt wird, der sich später als sein Freund Michael zu erkennen gibt, reist er nach Laos, nach Vientiane - und wird von einem Cousin empfangen, der in einem großen Familienunternehmen am Bau einer gigantischen Staumauer mitarbeitet und der beiläufig von der amerikanischen Heirat der Tochter jener Tante Chan erzählt, die einst mit der Mutter des Erzählers nach Moskau delegiert worden war. In Vientiane sieht man einem wichtigen Familienereignis entgegen: Die Großmutter kehrt aus einer Klinik in Bangkok zurück. Feierlich soll der Erzähler in die Familie, in den Klan der Reichen und Privilegierten der laotischen Volksdemokratie aufgenommen werden. So steuert der Roman zielsicher auf das komödienhafte Ende zu, auf die Utopie, also auf Verhältnisse, in denen der höchste der Kommunisten ein Prinz und der Kommunist ein Neokapitalist sein darf.
WALTER HINCK
André Kubiczek: "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn". Roman.
Piper Verlag, München 2012. 480 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Tage des Kohleschippens sind gezählt: André Kubiczek schlägt in seinem neuen Roman wahre Saltos
In diesem Roman scheinen alle Möglichkeiten, die des Autors Herkunft von einem deutschen Vater und einer laotischen Mutter bereitlegt, ausgeschöpft zu sein. Als der Vater des Ich-Erzählers in DDR-Zeiten, zur Vorbereitung auf die Diplomatenlaufbahn, nach Moskau geschickt wird, trifft er dort auf eine laotische Prinzessin, in die er sich verliebt und die er trotz aller Hindernisse in der DDR heiraten kann.
Was zur kommunistischen Märchenhochzeit wird, widerspricht nicht unbedingt der historischen Realität. Der erste Präsident der 1975 gegründeten Demokratischen Volksrepublik Laos war Prinz Suvannavong. Und so weicht die Lebenssicht der laotischen Prinzessin in Moskau auch das sowjetische Erziehungsdogma auf. Sie hat eine Vorliebe für die Beatles und für Elvis Presley, für Filme mit Alain Delon und Jean-Paul Belmondo, für französische Literatur - das Erbe der Zugehörigkeit Laos' zur Französischen Union ist unvergessen. Später wird eine Tochter der Familie an einer amerikanischen Universität studieren und einen Amerikaner heiraten. Urbanität statt Ideologie! Dies sind gute Voraussetzungen für die Freiheit der erzählerischen Phantasie. André Kubiczek, beflügelt von einem Stipendium des Deutschen Literaturfonds, 2007 ausgezeichnet mit dem Candide-Preis, nutzt in seinem fünften Roman solche Freiheit mit einem Erzählschwung, dessen Energie über 480 Seiten vorhält, wenn auch nicht ohne Preis. Dass die Erzählung zwischen den Zeiten hin und her springt, kann den Leser moderner Romane nicht verstören. Eine der Techniken Kubiczeks besteht darin, plötzlich mit einer Ereigniskette aufzuwarten, deren Zusammenhang mit dem Ganzen nicht klar wird, die den Leser also in der Luft hängen lässt. So wird die eigentliche Liebesgeschichte des Deutschen mit der Prinzessin erst nach deren frühe Krebstod erzählt. Dieser lapidare, im flaubertschen Sinne "anatomische" Bericht übrigens ist ein sprachlicher Höhepunkt des Romans.
Planung und Ausführung der Flucht der Prinzessin mit dem Deutschen von Moskau in die DDR wirken ausgeklügelt, haben einen Zug ins Reißerische, der schon zuvor in den Szenen militärischer Grundausbildung in der DDR mit ihren Kasernen- und Rekruten-Stereotypen auffiel. Der Berliner Kupfer, die Mittelpunktsfigur dieser Szenen, überschlägt sich im "Balinern": Ihm ist auch nach der Wende die Schablonenrolle des "Berliner Raffkes" zugedacht. Ohne Berufskenntnisse avanciert in seinem Geschäftskalkül der Ich-Erzähler zum Chef und Koch eines Berliner Restaurants. Mitunter schlägt die Phantasie des Autors wahre Saltos. In einer Industriestadt in der Nähe des Harzes verbringt der Ich-Erzähler Kindheit und Jugend. Eine satirische Szene zeigt die Familie am "Internationalen Tag des Kohleschippens" bei einem Mittagessen wie aus dem Schlaraffenland, andererseits begehrt die Band der Jugendlichen gegen die "konterrevolutionäre Ödnis der Entwickelten Sozialistischen Gesellschaft unserer deprimierenden Tage" auf. Der Festzug zum siebenhundertfünfzigjährigen Jubiläum der Stadt Berlin im Jahre 1987 ist "eine peinliche Abfolge von Karnevalswagen an der Tribüne der Politbürogreise" vorbei. "Mit Schaudern wandte sich die Intelligenzija ab." Ebendiese Intelligenzija aber sieht sich nach der Wende der Herrschaft von "frechen Sachbearbeiterinnen" auf den Ämtern und der Herrschaft der Investoren, den Renditeerwartungen des Neokapitalismus ausgeliefert.
Im Schlussteil, "Land der Blume Champa", tritt der Ich-Erzähler endgültig sein mütterliches Erbe an. Mit einem Flugticket, das ihm von einem Unbekannten zugeschickt wird, der sich später als sein Freund Michael zu erkennen gibt, reist er nach Laos, nach Vientiane - und wird von einem Cousin empfangen, der in einem großen Familienunternehmen am Bau einer gigantischen Staumauer mitarbeitet und der beiläufig von der amerikanischen Heirat der Tochter jener Tante Chan erzählt, die einst mit der Mutter des Erzählers nach Moskau delegiert worden war. In Vientiane sieht man einem wichtigen Familienereignis entgegen: Die Großmutter kehrt aus einer Klinik in Bangkok zurück. Feierlich soll der Erzähler in die Familie, in den Klan der Reichen und Privilegierten der laotischen Volksdemokratie aufgenommen werden. So steuert der Roman zielsicher auf das komödienhafte Ende zu, auf die Utopie, also auf Verhältnisse, in denen der höchste der Kommunisten ein Prinz und der Kommunist ein Neokapitalist sein darf.
WALTER HINCK
André Kubiczek: "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn". Roman.
Piper Verlag, München 2012. 480 S., geb., 22,90 [Euro].
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