Aus dem Widerstand an den Verhandlungstisch
Als enger Vertrauter von Arafat war Abdallah Frangi 42 Jahre lang in Deutschland und wurde hier zur Stimme der Palästinenser seit 1974 als offizieller Vertreter der PLO in Bonn und Berlin. Durch seine engen Kontakte zu den maßgebenden Politikern brachte er die Interessenlage des palästinensischen Volkes auf die politische Agenda. Er pflegte u. a. Verbindungen zu Hans-Jürgen Wischnewski, Joschka Fischer, Hans-Dietrich Genscher und Gerhard Schröder ein einzigartiger Blick hinter die Kulissen der internationalen Politik.
Abdallah Frangis Leben liest sich spannend wie ein Agententhriller: Aufgewachsen in einer einflussreichen Beduinenfamilie, wird Frangi im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie aus dem soeben gegründeten Staat Israel nach Gaza vertrieben. Mitte der 50er-Jahre, als Gaza vom israelischen Militär besetzt wird, gehört sein ältester Bruder zu den Gründungsmitgliedern der palästinensischen Freiheitsbewegung Fatah. Nach dem Abitur geht Frangi für ein Medizinstudium nach Deutschland, und es beginnt sein über 40 Jahre andauerndes Engagement für Palästina in Deutschland. Nach den Anschlägen einer palästinensischen Terrorgruppe während der Münchner Olympiade wird Frangi ohne jede Begründung aus Deutschland ausgewiesen und steht auf der Todesliste des israelischen Geheimdienstes. Nur knapp entgeht er selbst einem Briefbombenattentat und muss erleben, wie viele seiner politischen Mitstreiter ermordet werden. Dennoch setzt sich Frangi unerschütterlich für eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts ein. Vom Beduinenzelt in die Bonner Republik Lebensgeschichte als Weltgeschichte.
Als enger Vertrauter von Arafat war Abdallah Frangi 42 Jahre lang in Deutschland und wurde hier zur Stimme der Palästinenser seit 1974 als offizieller Vertreter der PLO in Bonn und Berlin. Durch seine engen Kontakte zu den maßgebenden Politikern brachte er die Interessenlage des palästinensischen Volkes auf die politische Agenda. Er pflegte u. a. Verbindungen zu Hans-Jürgen Wischnewski, Joschka Fischer, Hans-Dietrich Genscher und Gerhard Schröder ein einzigartiger Blick hinter die Kulissen der internationalen Politik.
Abdallah Frangis Leben liest sich spannend wie ein Agententhriller: Aufgewachsen in einer einflussreichen Beduinenfamilie, wird Frangi im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie aus dem soeben gegründeten Staat Israel nach Gaza vertrieben. Mitte der 50er-Jahre, als Gaza vom israelischen Militär besetzt wird, gehört sein ältester Bruder zu den Gründungsmitgliedern der palästinensischen Freiheitsbewegung Fatah. Nach dem Abitur geht Frangi für ein Medizinstudium nach Deutschland, und es beginnt sein über 40 Jahre andauerndes Engagement für Palästina in Deutschland. Nach den Anschlägen einer palästinensischen Terrorgruppe während der Münchner Olympiade wird Frangi ohne jede Begründung aus Deutschland ausgewiesen und steht auf der Todesliste des israelischen Geheimdienstes. Nur knapp entgeht er selbst einem Briefbombenattentat und muss erleben, wie viele seiner politischen Mitstreiter ermordet werden. Dennoch setzt sich Frangi unerschütterlich für eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts ein. Vom Beduinenzelt in die Bonner Republik Lebensgeschichte als Weltgeschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2012Im Dienste Palästinas
Abdallah Frangi zieht eine Bilanz seines politisch bewegten Lebens
Es muss für ihn ein grauenhafter Anblick gewesen sein, als er viele Jahre später, nach dem Hoffnungen weckenden Oslo-Prozess der Jahre 1993/94, die Ruinen seines Vaterhauses - eines ansehnlichen Anwesens bei Beerscheva - besuchen konnte. Abdallah Frangi, führender Palästinenser-Funktionär, stand vor den Trümmern jenes Hauses, von dem aus sein Vater, ein angesehener und einflussreicher Beduinen-Scheich im nördlichen Negev, seine Geschäfte betrieben und die Familie gelenkt hatte. Die Frangis mussten ihre Heimat als Folge des ersten arabisch-israelischen Krieges 1948 aufgeben. Sie ließen sich im Gazastreifen nieder, der zu jener Zeit unter ägyptischer Verwaltung stand. Der junge Abdallah war gerade einmal fünf Jahre alt.
Abdallah Frangis Memoiren mit dem Titel "Der Gesandte. Mein Leben für Palästina", mit Hilfe eines Ghostwriters verfasst, lassen fünfzig Jahre Zeitgeschichte - vornehmlich des Nahen Ostens - am Leser Revue passieren. Frangi, der länger als vierzig Jahre die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) in Deutschland repräsentierte, zieht eine Bilanz, die für ihn persönlich, aber auch für die Palästinenser insgesamt doch positiv ausfällt, auch wenn die Palästinenser noch immer um ihre Rechte und ihren Staat kämpfen müssen. Als er in den sechziger Jahren zum Medizinstudium nach Deutschland gekommen sei, hätten die Palästinenser einen äußerst schlechten Ruf genossen, heute werde ihr Anliegen in Deutschland von fast jedermann unterstützt: die Schaffung eines Palästinenserstaates an der Seite von und gleichberechtigt mit Israel.
Man wird von einem führenden PLO-Funktionär und Vertrauten des langjährigen Vorsitzenden Jassir Arafat (gestorben 2004) kaum verlangen, dass er die Verhältnisse nicht aus seiner Sicht sieht und schildert. Ein israelischer Leser wird wohl an etlichen Stellen Einspruch erheben; doch ist das Buch an keiner Stelle unfair oder gar ausfallend gegenüber Israel. Auch wer manches kritischer sehen mag - etwa die Rolle der PLO im Libanon bei Ausbruch und Verlauf des dortigen Bürgerkrieges zwischen 1974 und 1988 -, kann in diesem Buch doch den Gang der Ereignisse, wie er die Schlagzeilen der Weltpresse über viele Jahre hinweg füllte, nochmals von einem in der ersten Reihe Stehenden nacherleben: von der Gründung der al Fatah, dann der PLO bis in die jüngste Zeit hinein, da sich die Hoffnungen, welche die Palästinenser auf Präsident Barack Obama gesetzt hatten, nicht erfüllten.
Frangis eigentliche "Kampfzeit" als Fidai ("opferbereiter Kämpfer") und Teilnehmer eines palästinensischen Kommandos war nur kurz und endete für seinen Stoßtrupp als Fiasko. Sein Metier wurde immer mehr die Diplomatie. Frangis und der PLO Weg entwickelten sich aus dem Widerstand heraus zum Verhandlungstisch. Nicht nur in seiner Eigenschaft als PLO-Repräsentant in Deutschland und Österreich entwickelte er ein enges Verhältnis zu Deutschland, das bis heute fortdauert; auch persönlich fand dies statt, denn seine Frau Benita ist Deutsche. Lebensmittelpunkt des Paares war lange die Bonner Gegend, später Berlin, sowie Langen bei Frankfurt, der Ort, aus dem Frangis Frau stammt. Der Rezensent erinnert sich noch an Veranstaltungen in Frankfurt, die zunächst mit Frangis Aktivität für die Organisation der palästinensischen Studenten, später mit seinem Posten als PLO-Vertreter (seit 1974 offiziell) zusammenhingen, an hitzige Diskussionen, an denen Daniel Cohn-Bendit und Dan Diner teilnahmen. Frangi schildert diese Jahre lebendig und bis in Details hinein.
Mit den deutschen Politikern hatte Frangi viele Jahre lang zu tun, vor allem mit dem SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski, genannt "Ben Wisch", dessen Kenntnisse und Einsatz in vielerlei Krisensituationen Frangi gebührend würdigt, mit Hans-Dietrich Genscher und vielen anderen. Dunkelster Punkt dieser deutschen Jahre, der bis zur zeitweiligen Ausweisung Frangis führte, wurde jener verbrecherische Terroranschlag des "Schwarzen September" auf die Münchner Olympischen Spiele 1972 - ein blutiges Ereignis, das für die PLO und ihr Ansehen nicht nur in Deutschland einen verheerenden Rückschlag brachte.
Erschütternd zu lesen sind die Zeilen, die Frangi vielen seiner verletzten oder gar ermordeten palästinensischen Mitstreitern widmen muss. Sie wurden entweder Opfer israelischer Aktionen ("gezielter Tötungen") oder fielen innerpalästinensischen Kabalen, Rivalitäten und Feindschaften zum Opfer, so etwa auf Befehl des berüchtigten Abu Nidal. Auch die Rivalitäten einzelner arabischer Staaten, ihr taktisches Spiel mit der PLO als Instrument wird vom Autor deutlich benannt, beispielsweise die Todfeindschaft, die zwischen Arafat und dem Syrer Hafez al Assad bestand. Am Ende vergleicht Frangi das Schicksal seines Volkes mit einer griechischen Tragödie, denn auch die letzten Willensbekundungen unmittelbar nach Obamas Amtsantritt seien wieder in Vergeblichkeit und neuen Provokationen auf dem Feld des Siedlungsbaus im Westjordanland und in Ostjerusalem versandet.
Frangis harsche Kritik am israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu dürften inzwischen viele Deutsche teilen. Doch der Autor setzt für die Zukunft auf einen Prozess der Aussöhnung zwischen der al Fatah und Hamas, um die Kräfte zu bündeln. Frangi hat seinen Lebensrückblick, der zeitweise spannend ist wie ein Agententhriller, seinem Sohn Baschar gewidmet, der am 3. Februar 2011 in Berlin an einem Herzinfarkt starb.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Abdallah Frangi: Der Gesandte. Mein Leben für Palästina. Hinter den Kulissen der Nahost-Politik. Wilhelm Heyne Verlag, München 2011. 431 S., 21,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Abdallah Frangi zieht eine Bilanz seines politisch bewegten Lebens
Es muss für ihn ein grauenhafter Anblick gewesen sein, als er viele Jahre später, nach dem Hoffnungen weckenden Oslo-Prozess der Jahre 1993/94, die Ruinen seines Vaterhauses - eines ansehnlichen Anwesens bei Beerscheva - besuchen konnte. Abdallah Frangi, führender Palästinenser-Funktionär, stand vor den Trümmern jenes Hauses, von dem aus sein Vater, ein angesehener und einflussreicher Beduinen-Scheich im nördlichen Negev, seine Geschäfte betrieben und die Familie gelenkt hatte. Die Frangis mussten ihre Heimat als Folge des ersten arabisch-israelischen Krieges 1948 aufgeben. Sie ließen sich im Gazastreifen nieder, der zu jener Zeit unter ägyptischer Verwaltung stand. Der junge Abdallah war gerade einmal fünf Jahre alt.
Abdallah Frangis Memoiren mit dem Titel "Der Gesandte. Mein Leben für Palästina", mit Hilfe eines Ghostwriters verfasst, lassen fünfzig Jahre Zeitgeschichte - vornehmlich des Nahen Ostens - am Leser Revue passieren. Frangi, der länger als vierzig Jahre die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) in Deutschland repräsentierte, zieht eine Bilanz, die für ihn persönlich, aber auch für die Palästinenser insgesamt doch positiv ausfällt, auch wenn die Palästinenser noch immer um ihre Rechte und ihren Staat kämpfen müssen. Als er in den sechziger Jahren zum Medizinstudium nach Deutschland gekommen sei, hätten die Palästinenser einen äußerst schlechten Ruf genossen, heute werde ihr Anliegen in Deutschland von fast jedermann unterstützt: die Schaffung eines Palästinenserstaates an der Seite von und gleichberechtigt mit Israel.
Man wird von einem führenden PLO-Funktionär und Vertrauten des langjährigen Vorsitzenden Jassir Arafat (gestorben 2004) kaum verlangen, dass er die Verhältnisse nicht aus seiner Sicht sieht und schildert. Ein israelischer Leser wird wohl an etlichen Stellen Einspruch erheben; doch ist das Buch an keiner Stelle unfair oder gar ausfallend gegenüber Israel. Auch wer manches kritischer sehen mag - etwa die Rolle der PLO im Libanon bei Ausbruch und Verlauf des dortigen Bürgerkrieges zwischen 1974 und 1988 -, kann in diesem Buch doch den Gang der Ereignisse, wie er die Schlagzeilen der Weltpresse über viele Jahre hinweg füllte, nochmals von einem in der ersten Reihe Stehenden nacherleben: von der Gründung der al Fatah, dann der PLO bis in die jüngste Zeit hinein, da sich die Hoffnungen, welche die Palästinenser auf Präsident Barack Obama gesetzt hatten, nicht erfüllten.
Frangis eigentliche "Kampfzeit" als Fidai ("opferbereiter Kämpfer") und Teilnehmer eines palästinensischen Kommandos war nur kurz und endete für seinen Stoßtrupp als Fiasko. Sein Metier wurde immer mehr die Diplomatie. Frangis und der PLO Weg entwickelten sich aus dem Widerstand heraus zum Verhandlungstisch. Nicht nur in seiner Eigenschaft als PLO-Repräsentant in Deutschland und Österreich entwickelte er ein enges Verhältnis zu Deutschland, das bis heute fortdauert; auch persönlich fand dies statt, denn seine Frau Benita ist Deutsche. Lebensmittelpunkt des Paares war lange die Bonner Gegend, später Berlin, sowie Langen bei Frankfurt, der Ort, aus dem Frangis Frau stammt. Der Rezensent erinnert sich noch an Veranstaltungen in Frankfurt, die zunächst mit Frangis Aktivität für die Organisation der palästinensischen Studenten, später mit seinem Posten als PLO-Vertreter (seit 1974 offiziell) zusammenhingen, an hitzige Diskussionen, an denen Daniel Cohn-Bendit und Dan Diner teilnahmen. Frangi schildert diese Jahre lebendig und bis in Details hinein.
Mit den deutschen Politikern hatte Frangi viele Jahre lang zu tun, vor allem mit dem SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski, genannt "Ben Wisch", dessen Kenntnisse und Einsatz in vielerlei Krisensituationen Frangi gebührend würdigt, mit Hans-Dietrich Genscher und vielen anderen. Dunkelster Punkt dieser deutschen Jahre, der bis zur zeitweiligen Ausweisung Frangis führte, wurde jener verbrecherische Terroranschlag des "Schwarzen September" auf die Münchner Olympischen Spiele 1972 - ein blutiges Ereignis, das für die PLO und ihr Ansehen nicht nur in Deutschland einen verheerenden Rückschlag brachte.
Erschütternd zu lesen sind die Zeilen, die Frangi vielen seiner verletzten oder gar ermordeten palästinensischen Mitstreitern widmen muss. Sie wurden entweder Opfer israelischer Aktionen ("gezielter Tötungen") oder fielen innerpalästinensischen Kabalen, Rivalitäten und Feindschaften zum Opfer, so etwa auf Befehl des berüchtigten Abu Nidal. Auch die Rivalitäten einzelner arabischer Staaten, ihr taktisches Spiel mit der PLO als Instrument wird vom Autor deutlich benannt, beispielsweise die Todfeindschaft, die zwischen Arafat und dem Syrer Hafez al Assad bestand. Am Ende vergleicht Frangi das Schicksal seines Volkes mit einer griechischen Tragödie, denn auch die letzten Willensbekundungen unmittelbar nach Obamas Amtsantritt seien wieder in Vergeblichkeit und neuen Provokationen auf dem Feld des Siedlungsbaus im Westjordanland und in Ostjerusalem versandet.
Frangis harsche Kritik am israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu dürften inzwischen viele Deutsche teilen. Doch der Autor setzt für die Zukunft auf einen Prozess der Aussöhnung zwischen der al Fatah und Hamas, um die Kräfte zu bündeln. Frangi hat seinen Lebensrückblick, der zeitweise spannend ist wie ein Agententhriller, seinem Sohn Baschar gewidmet, der am 3. Februar 2011 in Berlin an einem Herzinfarkt starb.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Abdallah Frangi: Der Gesandte. Mein Leben für Palästina. Hinter den Kulissen der Nahost-Politik. Wilhelm Heyne Verlag, München 2011. 431 S., 21,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.03.2012Kleines Land,
große Schikanen
Wie die Palästinenser in Israel von Staats wegen
benachteiligt werden: Ein Bericht und eine Biographie
Fast gleichzeitig sind in Deutschland zwei Bücher erschienen, deren Autoren Palästinenser sind. Vor ein paar Jahren hätte man deren Zeitzeugnisse vermutlich als einseitig und als ganz und gar antiisraelisch bezeichnet. Doch angesichts der fortdauernden Besatzungs- und Siedlungspolitik der Regierung in Jerusalem hat sich die Skepsis gegenüber Berichten von den Unterdrückten über das Land der Unterdrückten gelegt.
Das gilt für Saree Makdisis außerordentlich detaillierten und exzellent recherchierten Bericht über die bürokratischen und militärischen Schikanen, denen die Palästinenser täglich ausgesetzt sind. Das gilt ebenso für Abdallah Frangis Buch, in welchem er über seine langjährige Tätigkeit als Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und als Bevollmächtigter Jassir Arafats in Deutschland berichtet.
Makdisi, in den USA als Sohn eines libanesischen Professors und einer palästinensischen Wissenschaftlerin geboren, hat eine Dokumentation vorgelegt, die an Hand von Quellen belegt, wie die israelische Politik das tägliche Leben der Palästinenser abzuwürgen versucht. Makdisi, Professor für englische Literatur an der Universität von Kalifornien, schreibt über seine Quellen, sie seien eine Kombination persönlicher Erlebnisse, von Berichten internationaler Organisationen, Recherchen der Vereinten Nationen und Untersuchungen der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem.
Ausführlich berichtet der Autor etwa über den palästinensischen Bauern Mohammad Dschalud, der durch den Bau der Mauer von seinem Land getrennt und daher fast seiner Existenzgrundlage beraubt wurde, weil israelische Soldaten ihm oft den Zugang durch das am nächsten liegende Mauertor verweigern. Was dem Bauern da widerfuhr, ist nicht ungewöhnlich. Anderen Schikanen unterliegen Palästinenser, so Makdisi, an den zahlreichen israelischen Straßensperren im Westjordanland: Oft würden Palästinenser dort stundenlang aufgehalten, häufig auch misshandelt. „Sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch die UNO“, schreibt Makdisi, „haben umfassende Berichte über Misshandlungen an den Kontrollpunkten zusammengetragen: Menschen, die von israelischen Soldaten bedroht wurden, Menschen, die gezwungen wurden, sich nackt auszuziehen, Menschen, die eingeschüchtert, herumgestoßen und geschlagen wurden.“
Anderen, künstlich geschaffenen Schwierigkeiten seien Palästinenser dann ausgesetzt, wenn sie in Jerusalem Bescheinigungen vom Innenministerium benötigen. Das Ost-Jerusalemer Büro, das die Anliegen von 250 000 Palästinensern der Stadt bearbeiten soll, „ist die überfüllteste und am schlechtesten mit Personal ausgestattete Abteilung des ganzen Ministeriums. Es ist in einem heruntergekommenen Gebäude (...) untergebracht. (...) Die Warteschlange vor dem Ministerium bildet sich täglich zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang“. Vor der für Westjerusalem, also für die jüdischen Bewohner zuständigen Abteilung bildeten sich, schreibt der Autor, dagegen keine Schlangen, jeder Antragsteller werde sofort eingelassen und könne sich in einer Cafeteria erfrischen.
Fast jedem seiner Kapitel lässt Saree Makdisi eine Statistik folgen. Es lohnt sich, aus diesen erschütternden Dokumenten, die ein Herzstück des Buches sind, ausführlicher zu zitieren. Für 2005 erfasst der Autor etwa 1878 israelische Razzien in den besetzten Gebieten, dabei seien 2293 Palästinenser verhaftet worden; für 2006 zählt der Autor 5666 Razzien mit 5244 Verhafteten. Mitte 2007 hätten sich etwa 10 000 Palästinenser in israelischer Haft befunden, von 1967 bis 2005 seien insgesamt 650 000 Palästinenser einmal in einem israelischen Gefängnis gesessen. Ein jüdischer Siedler im Westjordanland, so schreibt der Autor weiter, dürfe 15 Tage ohne Anklage festgehalten werden, ein Palästinenser dagegen 180 Tage. Und schließlich: Im Westjordanland gelten Nachkommen jüdischer Siedler bis zu einem Alter von 18 Jahren rechtlich als Kinder, Nachkommen von Palästinensern aber nur bis zwölf Jahren. Die Folge: Palästinensische Jugendliche können schon in sehr frühem Alter strafrechtlich belangt werden.
Eine andere Statistik befasst sich mit dem Leiden palästinensischer Kinder. Zwischen 2000 und 2007 seien 854 Kinder von der israelischen Armee getötet worden. Mit Bezugnahme auf eine UN-Studie schreibt der Autor: 98 Prozent der Kinder lebten in steter Angst vor neuer israelischer Gewalt. In den Jahren 2003 bis 2005 seien bei 180 israelischen Angriffen auf palästinensische Schulen 181 Lehrer und Schüler getötet worden.
Diese erschütternde Innenansicht komplettiert Abdallah Frangi mit einem Panorama palästinensischer „Außenpolitik“ – und mit den zahlreichen israelischen Versuchen, nach dem palästinensischen Terror-Attentat gegen israelische Sportler bei den Münchner Olympischen Spielen 1972 Rache zu üben. Frangi wurde 1943 im heute israelischen, damals palästinensischen Beerscheva geboren. Während des ersten Nahostkrieges von 1948 flüchtete er nach Gaza, wo er heute wieder lebt.
Mehr als dreißig Jahre lang war er palästinensischer Vertreter in Deutschland. Der Vertraute Arafats (und heute Ratgeber von Präsident Mahmud Abbas) hat alle Wendungen und Windungen des Konflikts erlebt und wurde selber Opfer eines israelischen Anschlags, als sein Kollege Abu Khalil im Herbst 1972 in Algier einen Brief öffnete, in dem eine Bombe versteckt war. Abu Khalil überlebte, Frangi ebenso.
Einen weiteren israelischen Vergeltungsschlag erlebte Frangi im April 1973 in Beirut, als ein nächtens an Land gegangenes israelisches Kommando unter Führung von Ehud Barack Jassir Arafat ermorden wollte, aber lediglich fünf unbeteiligte Palästinenser tötete, weil Arafat nicht in dem von den Israelis vermuteten Haus weilte. Dem widersinnigen Kampf am Boden entsprach – und entspricht bis heute – auf diplomatischem Parkett ein hoffnungsloses Ränkespiel an Vorschlägen und Gegenvorschlägen.
Selbst das ursprünglich als Durchbruch gefeierte Abkommen von Oslo (1993), nach dem der PLO zunächst die Verwaltung einiger vornehmlich von Palästinensern bewohnten Gebiete zufallen sollte, hat keinesfalls den Weg zum Frieden gebahnt. Hans-Jürgen Wischnewski, seinerzeit der kenntnisreiche Nahostvermittler der SPD, sprach, wie Abdallah Frangi berichtet, von „viel Text und wenig Substanz“, als er die Vereinbarung von Oslo studierte.
Heute weiß man, dass Wischnewski rcht hatte. Das Land, auf dem nach wohlwollender Interpretation der Oslo-Verträge ein palästinensischer Staat entstehen sollte, bauen die Israelis bis heute mit ihren Siedlungen zu. Die Schlussfolgerung, jedenfalls aus palästinensischer Sicht: In ihrem alltäglichen Leben werden die Palästinenser schikaniert, politisch werden sie blockiert. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
HEIKO FLOTTAU
SAREE MAKDISI: Palästina, Innenansichten einer Belagerung. Aus dem Englischen von Sigrid Langhäuser. Laika-Verlag, Hamburg 2011. 410 Seiten, 21 Euro.
ABDALLAH FRANGI: Der Gesandte. Mein Leben für Palästina. Hinter den Kulissen der Nahostpolitik. Heyne Verlag, München 2011. 431 Seiten, 21.99 Euro.
Die Statistiken in Makdisis
Buch sprechen für sich.
Sie sind erschütternd.
Palästinensische Kinder im
Westjordanland gelten schon mit
zwölf Jahren als voll strafmündig.
Über das Abkommen von Oslo
sagte Hans-Jürgen Wischnewski:
„Viel Text und wenig Substanz“.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
große Schikanen
Wie die Palästinenser in Israel von Staats wegen
benachteiligt werden: Ein Bericht und eine Biographie
Fast gleichzeitig sind in Deutschland zwei Bücher erschienen, deren Autoren Palästinenser sind. Vor ein paar Jahren hätte man deren Zeitzeugnisse vermutlich als einseitig und als ganz und gar antiisraelisch bezeichnet. Doch angesichts der fortdauernden Besatzungs- und Siedlungspolitik der Regierung in Jerusalem hat sich die Skepsis gegenüber Berichten von den Unterdrückten über das Land der Unterdrückten gelegt.
Das gilt für Saree Makdisis außerordentlich detaillierten und exzellent recherchierten Bericht über die bürokratischen und militärischen Schikanen, denen die Palästinenser täglich ausgesetzt sind. Das gilt ebenso für Abdallah Frangis Buch, in welchem er über seine langjährige Tätigkeit als Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und als Bevollmächtigter Jassir Arafats in Deutschland berichtet.
Makdisi, in den USA als Sohn eines libanesischen Professors und einer palästinensischen Wissenschaftlerin geboren, hat eine Dokumentation vorgelegt, die an Hand von Quellen belegt, wie die israelische Politik das tägliche Leben der Palästinenser abzuwürgen versucht. Makdisi, Professor für englische Literatur an der Universität von Kalifornien, schreibt über seine Quellen, sie seien eine Kombination persönlicher Erlebnisse, von Berichten internationaler Organisationen, Recherchen der Vereinten Nationen und Untersuchungen der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem.
Ausführlich berichtet der Autor etwa über den palästinensischen Bauern Mohammad Dschalud, der durch den Bau der Mauer von seinem Land getrennt und daher fast seiner Existenzgrundlage beraubt wurde, weil israelische Soldaten ihm oft den Zugang durch das am nächsten liegende Mauertor verweigern. Was dem Bauern da widerfuhr, ist nicht ungewöhnlich. Anderen Schikanen unterliegen Palästinenser, so Makdisi, an den zahlreichen israelischen Straßensperren im Westjordanland: Oft würden Palästinenser dort stundenlang aufgehalten, häufig auch misshandelt. „Sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch die UNO“, schreibt Makdisi, „haben umfassende Berichte über Misshandlungen an den Kontrollpunkten zusammengetragen: Menschen, die von israelischen Soldaten bedroht wurden, Menschen, die gezwungen wurden, sich nackt auszuziehen, Menschen, die eingeschüchtert, herumgestoßen und geschlagen wurden.“
Anderen, künstlich geschaffenen Schwierigkeiten seien Palästinenser dann ausgesetzt, wenn sie in Jerusalem Bescheinigungen vom Innenministerium benötigen. Das Ost-Jerusalemer Büro, das die Anliegen von 250 000 Palästinensern der Stadt bearbeiten soll, „ist die überfüllteste und am schlechtesten mit Personal ausgestattete Abteilung des ganzen Ministeriums. Es ist in einem heruntergekommenen Gebäude (...) untergebracht. (...) Die Warteschlange vor dem Ministerium bildet sich täglich zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang“. Vor der für Westjerusalem, also für die jüdischen Bewohner zuständigen Abteilung bildeten sich, schreibt der Autor, dagegen keine Schlangen, jeder Antragsteller werde sofort eingelassen und könne sich in einer Cafeteria erfrischen.
Fast jedem seiner Kapitel lässt Saree Makdisi eine Statistik folgen. Es lohnt sich, aus diesen erschütternden Dokumenten, die ein Herzstück des Buches sind, ausführlicher zu zitieren. Für 2005 erfasst der Autor etwa 1878 israelische Razzien in den besetzten Gebieten, dabei seien 2293 Palästinenser verhaftet worden; für 2006 zählt der Autor 5666 Razzien mit 5244 Verhafteten. Mitte 2007 hätten sich etwa 10 000 Palästinenser in israelischer Haft befunden, von 1967 bis 2005 seien insgesamt 650 000 Palästinenser einmal in einem israelischen Gefängnis gesessen. Ein jüdischer Siedler im Westjordanland, so schreibt der Autor weiter, dürfe 15 Tage ohne Anklage festgehalten werden, ein Palästinenser dagegen 180 Tage. Und schließlich: Im Westjordanland gelten Nachkommen jüdischer Siedler bis zu einem Alter von 18 Jahren rechtlich als Kinder, Nachkommen von Palästinensern aber nur bis zwölf Jahren. Die Folge: Palästinensische Jugendliche können schon in sehr frühem Alter strafrechtlich belangt werden.
Eine andere Statistik befasst sich mit dem Leiden palästinensischer Kinder. Zwischen 2000 und 2007 seien 854 Kinder von der israelischen Armee getötet worden. Mit Bezugnahme auf eine UN-Studie schreibt der Autor: 98 Prozent der Kinder lebten in steter Angst vor neuer israelischer Gewalt. In den Jahren 2003 bis 2005 seien bei 180 israelischen Angriffen auf palästinensische Schulen 181 Lehrer und Schüler getötet worden.
Diese erschütternde Innenansicht komplettiert Abdallah Frangi mit einem Panorama palästinensischer „Außenpolitik“ – und mit den zahlreichen israelischen Versuchen, nach dem palästinensischen Terror-Attentat gegen israelische Sportler bei den Münchner Olympischen Spielen 1972 Rache zu üben. Frangi wurde 1943 im heute israelischen, damals palästinensischen Beerscheva geboren. Während des ersten Nahostkrieges von 1948 flüchtete er nach Gaza, wo er heute wieder lebt.
Mehr als dreißig Jahre lang war er palästinensischer Vertreter in Deutschland. Der Vertraute Arafats (und heute Ratgeber von Präsident Mahmud Abbas) hat alle Wendungen und Windungen des Konflikts erlebt und wurde selber Opfer eines israelischen Anschlags, als sein Kollege Abu Khalil im Herbst 1972 in Algier einen Brief öffnete, in dem eine Bombe versteckt war. Abu Khalil überlebte, Frangi ebenso.
Einen weiteren israelischen Vergeltungsschlag erlebte Frangi im April 1973 in Beirut, als ein nächtens an Land gegangenes israelisches Kommando unter Führung von Ehud Barack Jassir Arafat ermorden wollte, aber lediglich fünf unbeteiligte Palästinenser tötete, weil Arafat nicht in dem von den Israelis vermuteten Haus weilte. Dem widersinnigen Kampf am Boden entsprach – und entspricht bis heute – auf diplomatischem Parkett ein hoffnungsloses Ränkespiel an Vorschlägen und Gegenvorschlägen.
Selbst das ursprünglich als Durchbruch gefeierte Abkommen von Oslo (1993), nach dem der PLO zunächst die Verwaltung einiger vornehmlich von Palästinensern bewohnten Gebiete zufallen sollte, hat keinesfalls den Weg zum Frieden gebahnt. Hans-Jürgen Wischnewski, seinerzeit der kenntnisreiche Nahostvermittler der SPD, sprach, wie Abdallah Frangi berichtet, von „viel Text und wenig Substanz“, als er die Vereinbarung von Oslo studierte.
Heute weiß man, dass Wischnewski rcht hatte. Das Land, auf dem nach wohlwollender Interpretation der Oslo-Verträge ein palästinensischer Staat entstehen sollte, bauen die Israelis bis heute mit ihren Siedlungen zu. Die Schlussfolgerung, jedenfalls aus palästinensischer Sicht: In ihrem alltäglichen Leben werden die Palästinenser schikaniert, politisch werden sie blockiert. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
HEIKO FLOTTAU
SAREE MAKDISI: Palästina, Innenansichten einer Belagerung. Aus dem Englischen von Sigrid Langhäuser. Laika-Verlag, Hamburg 2011. 410 Seiten, 21 Euro.
ABDALLAH FRANGI: Der Gesandte. Mein Leben für Palästina. Hinter den Kulissen der Nahostpolitik. Heyne Verlag, München 2011. 431 Seiten, 21.99 Euro.
Die Statistiken in Makdisis
Buch sprechen für sich.
Sie sind erschütternd.
Palästinensische Kinder im
Westjordanland gelten schon mit
zwölf Jahren als voll strafmündig.
Über das Abkommen von Oslo
sagte Hans-Jürgen Wischnewski:
„Viel Text und wenig Substanz“.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Spannend wie einen Agententhriller findet Wolfgang Günter Lerch die Lebenserinnerungen des führenden PLO-Funktionärs und Arafat-Vertrauten Abdallah Frangi. Die zusammen mit einem Ghostwriter verfassten Memoiren lassen aber auch 50 Jahre Zeitgeschichte, respektive Geschichte des Nahen Ostens, von der Gründung der PLO bis in die Jetztzeit, vor den Augen des Rezensenten vorüberziehen. Die Bilanz des Autors erscheint Lerch durchaus positiv, sowohl persönlich als auch insgesamt für die Palästinenser. Dass sich aus israelischer Sicht manches an diesem Buch kritisieren lässt, ist Lerch klar. Ausdrücklich lobt er jedoch die Fairness, mit der Frangi Israel behandelt. Dass der Autor einen Eindruck von der Dramatik des Themas vermittelt, detailliert die Rivalitäten unter den arabischen Staaten zu schildern vermag und auch mit Kritik nicht spart (an Netanjahu namentlich), lässt das Buch für Lerch zu einer lebendigen Lektüre werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH