Stringent und ausgefallen in der Form folgt »Der Geschmack von Aprikoseneis« einem klaren Konzept. 1000 Dreizeiler wie Tweets, Telegramme oder SMS, reiht der Autor aneinander. Im Stil sind sie nüchtern gehalten, erzeugen so Spannung im Kontrast zum emotional geladenen Inhalt, blumigen Worten und
kindgerechter Gestaltung. Sie erinnern an Haiku, Suren oder Notizen und greifen Schlaglichter der…mehrStringent und ausgefallen in der Form folgt »Der Geschmack von Aprikoseneis« einem klaren Konzept. 1000 Dreizeiler wie Tweets, Telegramme oder SMS, reiht der Autor aneinander. Im Stil sind sie nüchtern gehalten, erzeugen so Spannung im Kontrast zum emotional geladenen Inhalt, blumigen Worten und kindgerechter Gestaltung. Sie erinnern an Haiku, Suren oder Notizen und greifen Schlaglichter der Erinnerung heraus. Auf Seitenzahlen wird verzichtet, es gibt nur die Nummerierung und stüzende, die Stimmung aufnehmende Illustrationen, die auch die Zahl drei aufgreifen. In drei Farbfamilien gehalten und im Graphic Novel Stil rahmen sie emotionale Passagen von Krieg und Spannung. Gut dosiert fügt der Autor dem Text kurze kontextualisierende Fakten, Jahreszahlen und Erklärungen hinzu.
Chronologisch und emotional wird die Geschichte entgegen der formalen Strenge vorangetrieben, Coming of Age und Autofiktion in einer ganz anderen und aufregenden Form. Alani ermöglicht damit gemeinsam mit der im Exil aufgewachsenen Figur Alani eine emotionale Aufklärung und ein Hereinwachsen in die gesellschaftliche und politische Entwicklung des Iraks von 1989 bis 2011. Das erste Mal lernt er mit neun Jahren den Irak kennen. Die Heimat seiner Eltern zeigt sich duftend, modern, gesellig, voll und reich mit kleinen für das Kind subtilen Grenzen. "Saddam" darf niemand sagen, fällt das Wort doch, geraten alle in Spannung und sein Vater bleibt in Paris, zu groß ist das Risiko einer erneuten Inhaftierung. 1990 sieht Alani dann "Feuerwerk" am Irakischen Himmel durch das französische Fernsehen. Seine Pariser Freunde finden es lustig, während seine Familie Angst hat und weint. Ein die Bevölkerung zermürbendes Embargo wird folgen. 1992 reist Alani in ein verändertes Land und wächst weiter herein in eine Reibung zwischen der Pariser Sicherheit und der auf seinen heranwachsenden Schultern lastenden Nähe zu dem sich stets verändernden Irak. 2003 treibt es den noch nicht fertig ausgebildeten Journalisten zurück in den nun vom amerikanischen Militärs besetzten Irak.
Es entstehen erste Reportagen und immer mutigere journalistische Arbeiten, die in die Dreizeiler fließen, ebenso wie seine Liebe und Trauer um den sich stets in Unruhe und Kriegen verändernden Irak.
Sprachlich, konzeptuell, gestalterisch, inhaltlich und in der Gesamtheit ist »Der Geschmack von Aprikoseneis« ein spannendes, berührendes und dringliches Werk, dem ich viele Leser:innen wünsche. Ein besonderes und gelungenes Buch.