Hans Henny Jahnn gehört zu den markantesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Immer wieder zum Außenseiter abgestempelt, erscheint er in der vorliegenden Darstellung auf vielfältige Weise mit den Tendenzen seiner Zeit verknüpft. Beherrschendes Thema ist die Frage, wie ein so origineller und auf Wirkung bedachter Künstler auf die Erschütterung aller überkommenen gesellschaftlichen, religiösen und geistigen Gewißheiten reagierte.
Den Ersten Weltkrieg überlebte Jahnn zusammen mit Gottlieb Harms, seinem engsten Freund und Lebensgefährten, in Norwegen. Nach seiner Rückkehr gründete er 1919 in der Lüneburger Heide die Glaubensgemeinde Ugrino, der sich vor allem Musiker anschlossen. 1920 wurde ihm für sein Skandaldrama "Pastor Ephraim Magnus" der Kleist-Preis verliehen. 1926 trat er die "Flucht in die Welt" an, heiratete Ellinor Philips und kehrte mit ihr in seine Geburtsstadt Hamburg zurück, wo er in Wohngemeinschaft mit dem ebenfalls verheirateten Harms bis zu dessen Tod 1931 lebte. Er nahm Kontakt zu den verschiedenen Gruppierungen des Hamburger Kunstlebens auf, stand in Verbindung mit Oskar Loerke, Klaus Mann, Gustaf Gründgens und Günther Ramin und gewann als Orgelbauer öffentliche Anerkennung. Nach den unruhigen letzten Jahren der Weimarer Republik und einer Phase des Schwankens zwischen Flucht und Anpassung verließ er 1934 zum zweitenmal Deutschland und lebte seitdem auf der dänischen Ostseeinsel Bornholm. 1950 kehrte er nach Hamburg zurück, wo er 1959 starb und neben Gottlieb Harms in Hamburg-Nienstedten beigesetzt wurde.
Jan Bürger, der exzellente Jahnn-Spezialist, Kenner des ausgedehnten Nachlasses und unermüdliche Rechercheur, hat die Dynamik dieses schöpferischen Lebens freigelegt.
Den Ersten Weltkrieg überlebte Jahnn zusammen mit Gottlieb Harms, seinem engsten Freund und Lebensgefährten, in Norwegen. Nach seiner Rückkehr gründete er 1919 in der Lüneburger Heide die Glaubensgemeinde Ugrino, der sich vor allem Musiker anschlossen. 1920 wurde ihm für sein Skandaldrama "Pastor Ephraim Magnus" der Kleist-Preis verliehen. 1926 trat er die "Flucht in die Welt" an, heiratete Ellinor Philips und kehrte mit ihr in seine Geburtsstadt Hamburg zurück, wo er in Wohngemeinschaft mit dem ebenfalls verheirateten Harms bis zu dessen Tod 1931 lebte. Er nahm Kontakt zu den verschiedenen Gruppierungen des Hamburger Kunstlebens auf, stand in Verbindung mit Oskar Loerke, Klaus Mann, Gustaf Gründgens und Günther Ramin und gewann als Orgelbauer öffentliche Anerkennung. Nach den unruhigen letzten Jahren der Weimarer Republik und einer Phase des Schwankens zwischen Flucht und Anpassung verließ er 1934 zum zweitenmal Deutschland und lebte seitdem auf der dänischen Ostseeinsel Bornholm. 1950 kehrte er nach Hamburg zurück, wo er 1959 starb und neben Gottlieb Harms in Hamburg-Nienstedten beigesetzt wurde.
Jan Bürger, der exzellente Jahnn-Spezialist, Kenner des ausgedehnten Nachlasses und unermüdliche Rechercheur, hat die Dynamik dieses schöpferischen Lebens freigelegt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2003Alles muß man selber machen
Jan Bürger bettet Hans Henny Jahnn in den Strom seiner Zeit
Daß aus einer Dissertation auch ein lesbares Buch werden kann, beweist Jan Bürger, der lange an der Hamburger Jahnn-Ausgabe mitgearbeitet hat, mit seiner Monographie über Hans Henny Jahnn, die Jahnns Biographie bis zum Beginn des "Dritten Reichs" erzählt. Schon immer war es problematisch, bei Jahnn Legenden und Fakten voneinander zu trennen. Deshalb und auch weil die faktische Informationslage nicht die beste ist - es gibt kein Jahnn-Museum samt Nachlaßpflege, Jahnns Haus im Hamburger Hirschpark wurde einfach abgerissen -, muß sich Bürger vornehmlich auf Zeugnisse anderer stützen und Jahnns Leben vor allem auch im Medium seiner Literatur befragen und darstellen.
Immer galt Jahnn als ein Außergewöhnlicher unter so vielen außergewöhnlichen Figuren in einer außergewöhnlichen Zeit: Bereits als Jugendlicher ein geradezu monströs viel Schreibender, gegen die Strömung der Zeit ein Gegner des Krieges, der mit seinem homosexuellen Freund Gottlieb Harms nach Norwegen ausbricht, der Stücke schreibt, die selbst die expressionistische Ausbruchskunst in den Schatten stellen, Kleistpreisträger mit fünfundzwanzig Jahren, Gründer einer kunstreligiösen Glaubensgemeinschaft, der Ugrino, die er freilich später als "zu hundert Prozent vorbeigelungen" bezeichnet, Orgelbauer, Hormonforscher, Verfasser monumentaler Romane - zu erzählen gibt es da vieles.
Bei der problematischen Gemengelage zwischen Legendärem und Verbürgtem stellt sich dem Biographen auch noch das Problem, wie ein solches Leben darstellend zu bändigen sei. Zumal Jahnn ein begnadeter Inszenator seiner selbst in jeder seiner Lebensschattierungen war. Indem er sich von allem absetzte und fast nichts anerkannte, was um ihn herum geschah - weder politisch noch literarisch, noch künstlerisch - inszenierte er sich als genialen Einzelgänger: "Wir werden also alles selbst machen müssen", schrieb er bereits vor seinem Abitur ins Tagebuch.
Wie sehr der Außenseiter aber auch in der Tradition seiner Zeit stand, etwa was die Jugendbewegung, die sektiererischen künstlerischen Vereinsgründungen oder seinen Lektürekanon angeht, und wie wenig er der angeblich ungebildete Naturbursche war, der alles aus sich selbst schöpfte, das erzählt Bürger auch. Jahnn habe "in der Auseinandersetzung mit Vorläufern und Zeitgenossen seine spezifische Stimme gefunden".
Freilich hat das Buch auch eine problematische Ambivalenz: Für Jahnn-Kenner bietet es nicht viel Neues. Bürger arbeitet zwar viel neue Literatur ein, allerdings, und das mag das Dilemma einer vorzeitig abgeschlossenen Dissertation sein, ausgerechnet Reiner Niehhoffs an Georges Bataille und Antonin Artaud geschulte, aufschlußreiche Perspektive auf das Werk (in "Hans Henny Jahnn. Die Kunst der Überschreitung" von 2001) kommt leider nicht vor. Und andererseits können Leser, die Jahnn kennenlernen möchten, ohne die vorgängige Lektüre seiner Stücke und Romane Bürgers Interpretationen nur schwer verstehen. Auch dies Zwitterhafte ist der Geburt eines solchen Buchs aus dem Zwang der Dissertation geschuldet.
HEINZ LUDWIG ARNOLD.
Jan Bürger: "Der gestrandete Wal". Das maßlose Leben des Hans Henny Jahnn. Aufbau-Verlag, Berlin 2003. 452 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jan Bürger bettet Hans Henny Jahnn in den Strom seiner Zeit
Daß aus einer Dissertation auch ein lesbares Buch werden kann, beweist Jan Bürger, der lange an der Hamburger Jahnn-Ausgabe mitgearbeitet hat, mit seiner Monographie über Hans Henny Jahnn, die Jahnns Biographie bis zum Beginn des "Dritten Reichs" erzählt. Schon immer war es problematisch, bei Jahnn Legenden und Fakten voneinander zu trennen. Deshalb und auch weil die faktische Informationslage nicht die beste ist - es gibt kein Jahnn-Museum samt Nachlaßpflege, Jahnns Haus im Hamburger Hirschpark wurde einfach abgerissen -, muß sich Bürger vornehmlich auf Zeugnisse anderer stützen und Jahnns Leben vor allem auch im Medium seiner Literatur befragen und darstellen.
Immer galt Jahnn als ein Außergewöhnlicher unter so vielen außergewöhnlichen Figuren in einer außergewöhnlichen Zeit: Bereits als Jugendlicher ein geradezu monströs viel Schreibender, gegen die Strömung der Zeit ein Gegner des Krieges, der mit seinem homosexuellen Freund Gottlieb Harms nach Norwegen ausbricht, der Stücke schreibt, die selbst die expressionistische Ausbruchskunst in den Schatten stellen, Kleistpreisträger mit fünfundzwanzig Jahren, Gründer einer kunstreligiösen Glaubensgemeinschaft, der Ugrino, die er freilich später als "zu hundert Prozent vorbeigelungen" bezeichnet, Orgelbauer, Hormonforscher, Verfasser monumentaler Romane - zu erzählen gibt es da vieles.
Bei der problematischen Gemengelage zwischen Legendärem und Verbürgtem stellt sich dem Biographen auch noch das Problem, wie ein solches Leben darstellend zu bändigen sei. Zumal Jahnn ein begnadeter Inszenator seiner selbst in jeder seiner Lebensschattierungen war. Indem er sich von allem absetzte und fast nichts anerkannte, was um ihn herum geschah - weder politisch noch literarisch, noch künstlerisch - inszenierte er sich als genialen Einzelgänger: "Wir werden also alles selbst machen müssen", schrieb er bereits vor seinem Abitur ins Tagebuch.
Wie sehr der Außenseiter aber auch in der Tradition seiner Zeit stand, etwa was die Jugendbewegung, die sektiererischen künstlerischen Vereinsgründungen oder seinen Lektürekanon angeht, und wie wenig er der angeblich ungebildete Naturbursche war, der alles aus sich selbst schöpfte, das erzählt Bürger auch. Jahnn habe "in der Auseinandersetzung mit Vorläufern und Zeitgenossen seine spezifische Stimme gefunden".
Freilich hat das Buch auch eine problematische Ambivalenz: Für Jahnn-Kenner bietet es nicht viel Neues. Bürger arbeitet zwar viel neue Literatur ein, allerdings, und das mag das Dilemma einer vorzeitig abgeschlossenen Dissertation sein, ausgerechnet Reiner Niehhoffs an Georges Bataille und Antonin Artaud geschulte, aufschlußreiche Perspektive auf das Werk (in "Hans Henny Jahnn. Die Kunst der Überschreitung" von 2001) kommt leider nicht vor. Und andererseits können Leser, die Jahnn kennenlernen möchten, ohne die vorgängige Lektüre seiner Stücke und Romane Bürgers Interpretationen nur schwer verstehen. Auch dies Zwitterhafte ist der Geburt eines solchen Buchs aus dem Zwang der Dissertation geschuldet.
HEINZ LUDWIG ARNOLD.
Jan Bürger: "Der gestrandete Wal". Das maßlose Leben des Hans Henny Jahnn. Aufbau-Verlag, Berlin 2003. 452 S., geb., 25,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Christoph Bartmann ist mit dieser Biografie Hans Henny Jahnns alles in allem Ganz zufrieden. Er weist ihr zumindest für die nächste Zeit die Position zu, als "Standardwerk" des Schriftstellers, Landwirts und Orgelbauers gelten zu können. Er bemerkt etwas ironisch, der Autor habe dem "maßlosen" Leben Jahnns eine durchaus "maßvolle" Lebensbeschreibung gewidmet. Schade findet er allerdings, dass die Biographie bereits 1935 abbricht, mehr als 20 Jahre vor dem Tod des Schriftstellers. Ein bisschen sei es so wie das zu früh einsetzende Ausblenden eines "Musikstücks", so der Rezensent bedauernd. Insgesamt aber lobt er den Autor für seinen "ausreichend kritischen und verständnisvollen" Umgang mit seinem Protagonisten und er betont, dass trotz einiger "germanistischer Grußadressen", Bürger "viel Aufschlussreiches" über Jahnn zu erzählen weiß.
© Perlentaucher Medien GmbH
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