Der Schreibstil von Carmen Schneider ist sehr lebendig und angenehm zu lesen. Trotzdem habe ich mich zu Beginn schwer damit getan, in die Geschichte hineinzufinden und vor allem mit Kayla warmzuwerden.
Sie versinkt, verständlicherweise, nach dem Tod ihrer Familie erstmal für mehrere Tage in ihrer
Trauer und igelt sich komplett ein. Doch dann zwingt ihre Grandma sie, aufzustehen und nach vorne zu…mehrDer Schreibstil von Carmen Schneider ist sehr lebendig und angenehm zu lesen. Trotzdem habe ich mich zu Beginn schwer damit getan, in die Geschichte hineinzufinden und vor allem mit Kayla warmzuwerden.
Sie versinkt, verständlicherweise, nach dem Tod ihrer Familie erstmal für mehrere Tage in ihrer Trauer und igelt sich komplett ein. Doch dann zwingt ihre Grandma sie, aufzustehen und nach vorne zu schauen.
Die Autorin hat hier ein gutes Gespür bewiesen. Sie hat Kayla die nötige Zeit gelassen, um ins Leben zurückzufinden und das Tempo aus der Geschichte herausgenommen. Doch ich hatte Probleme, ihre Handlungen nachzuvollziehen und vor allem am Anfang war sie mir etwas zu leichtgläubig.
So hat sie zum Beispiel schon mach kurzer Zeit bemerkt, dass der Vorratsraum mehr ist, als nur ein Aufbewahrungsort für Lebensmittel. Als sie auf Nachfrage von ihrer Großmutter nur kryptische Antworten erhält, lässt sich schnell damit abspeisen. Auch das Verbot, nach Sonnenuntergang das Haus zu verlassen, akzeptiert sie ohne weiteres.
Ihre Großmutter Hedwig ist eine sympathische Protagonistin, die Kayla in ihren Handlungen immer wieder bestätigt. Doch, wenn ich bedenke, dass sie ebenfalls Menschen verloren hat, die ihr wichtig warten, sie zeigte mir einfach zu wenig Emotionen und ich konnte ihre Trauer um den Verlust nicht spüren.
Im ersten Teil blieb auch Desmond für mich als Figur etwas zu blass und ich konnte seine Gedanken und Empfindungen nicht richtig nachvollziehen. Das wurde jedoch im zweiten Teil, den wir überwiegend aus seiner Perspektive verfolgen, besser, denn so bekam ich einen besseren Einblick in seine Emotionen.
Nach und nach kommen einige neue Protagonisten hinzu, wie zum Beispiel Fae, der Gargoyle Alasdair und die Hexe Malercerba. Sie und alle anderen Nebencharaktere runden die Geschichte gut ab.
Im dritten Teil verfolgen wir den Plot dann in drei unterschiedlichen Handlungssträngen. Einmal begleiten wir Kayla und Desmond, im zweiten Handlungsstrang verfolgen wir die Hexe bei der Planung für ihren Rachefeldzug und zu guter Letzt, folgen wir dem Fischer und seine Frau.
Carmen Schneider versteht es, das Geschehen sehr detailliert in Szene zu setzen und die Märchenfiguren gekonnt einzuflechten. Damit zaubert sie eine einzigartige und verträumte Stimmung, in der sie dem Leser viel über Freundschaft, selbstlosem Handeln und Empathie vermittelt.
Durch indirekte Interpretationen und Andeutungen, gelingt es ihr wunderbar, den tieferen Sinn der Geschichte zu vermitteln. Zum Beispiel bei dem alten Mann, der sein Herz in der Hand hält.
Das Erzähltempo empfand ich als angenehm. Man steuert nicht ständig auf einen dramatischen Höhepunkt zu, aber das braucht diese Geschichte auch nicht.
Im ersten Teil, hatte ich etwas Probleme, mit den Protagonisten warmzuwerden und im zweiten Teil habe ich den Zusammenhang zwischen Fleur und Kayla erst am Ende richtig verstanden. Der dritte Teil hat die Geschichte dann richtig abgerundet und Carmen Schneider ist es gelungen, die besondere und sehr märchenhafte Stimmung des Buches einzufangen.
Sie hat dem Leser durch ihre Ausdrucksweise gekonnt, den tieferen Sinn, der in ihrer Geschichte steckt, vermittelt. Nämlich das Habgier, Missgunst und Rache starke negative Emotionen sind, die den Menschen nicht guttun. Dabei hat sie sich in keiner Weise zu theatralisch oder zu blumig ausgedrückt. Im Gegenteil, sie überzeugt durch gekonnt eingeflochtene Märchenelemente und zeigt, dass sie ein Gespür für die richtige Wortwahl besitzt. Sie schafft es, ein ernstes Thema mit der nötigen Tiefe, aber auch mit soviel Leichtigkeit zu füllen, dass es mir zum Schluss schwerfiel, beim Lesen ein Ende zu finden.
Wer Märchenadaptionen liebt und gerne zwischen den Zeilen liest, der ist im „Gezeitenwald“ von Carmen Schneider auf jeden Fall an der richtigen Adresse.