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'Der Glöckner von Notre-Dame', die Geschichte von Quasimodo und Esmeralda, Victor Hugos Meisterwerk der französischen Romantik, ist eine Liebeserklärung an die Stadt Paris. Es dürfte sich hierbei um den größten historischen Roman der Romantik handeln. Das Kolorit des späten Mittelalters ist in der Schilderung von Massenszenen und in der von einzelnen Lebensbereichen, auch in der Zeichnung historischer Persönlichkeiten wie des dämonischen Ludwig XI. gegenwärtig.

Produktbeschreibung
'Der Glöckner von Notre-Dame', die Geschichte von Quasimodo und Esmeralda, Victor Hugos Meisterwerk der französischen Romantik, ist eine Liebeserklärung an die Stadt Paris. Es dürfte sich hierbei um den größten historischen Roman der Romantik handeln. Das Kolorit des späten Mittelalters ist in der Schilderung von Massenszenen und in der von einzelnen Lebensbereichen, auch in der Zeichnung historischer Persönlichkeiten wie des dämonischen Ludwig XI. gegenwärtig.
Autorenporträt
Victor Hugo (1802-1885), der große Literat der französischen Hochromantik, musste 1851 Frankreich verlassen und lebte bis 1870 in Belgien, Jersey und Guernsey. Die Jahre im Exil wurden zu seiner literarisch fruchtbarsten Zeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.1999

Im Gerüst
Der Glöckner und der Tod der Kathedrale · Von Lothar Müller

Zum Titel von Victor Hugos Roman "Notre-Dame de Paris" (1831) gehört die Jahreszahl 1482. Es ist ein historischer Roman, und so könnte man meinen, der Autor wolle aus dieser Jahreszahl wie aus einer magischen Formel die Welt der Vergangenheit als ein Panorama aus Worten aufsteigen lassen. Aber schon der erste Satz des Buches durchtränkt den Schein der Gegenwart des alten Paris mit dem Bewußtsein des unaufhebbaren Abstandes, in den es gerückt ist: "Heute vor dreihundertachtundvierzig Jahren, sechs Monaten und neunzehn Tagen geschah es . . ." Victor Hugo biete alle seine Kunst auf, um mit den Mitteln der Einbildungskraft dem Leser das Paris des fünfzehnten Jahrhunderts vor Augen zu führen. Aber er bricht auf Schritt und Tritt mit der Illusion der gegenwärtigen Vergangenheit. Er hat im Gestus des Erzählens teil an einer der großen Errungenschaften des neunzehnten Jahrhunderts, der imaginären Archäologie. Er läßt den Leser darüber nicht im Zweifel, daß er aus Schriftzeugnissen und bildlichen Überlieferungen etwas Verschwundenes, Fragmentiertes in Worten wieder aufbaut.

Man sagt, Victor Hugo habe beim Schreiben des Romans allabendlich einen der Türme von Notre-Dame bestiegen, um sich zu inspirieren. Aber die Kathedrale, von der er auf das Paris kurz vor der Juli-Revolution hinabblickte, war nur dem Namen nach mit der seines Buches identisch. Denn Quasimodo, der Glöckner, der Erzdechant Claude Frollo und Esmeralda, die Zigeunerin, waren wie alle Dämonen daraus verschwunden, und eben dieses Verschwinden ist der Gegenstand des Romans: ". . . daß Notre-Dame heute denjenigen, die von Quasimodos einstiger Existenz wissen, verödet, leblos, ja tot erscheint. Der Riesenkörper ist entseelt, ist nur noch ein Gerippe. Der Geist hat ihn verlassen. Wohl erkennt man noch dessen frühere Wohnstätte, aber das ist alles."

Man könnte versucht sein, dies für den Seufzer eines Rechtgläubigen zu halten, der auf eine Welt zurückblickt, in der das Volk, die katholische Kirche und die Stadt eine Einheit bildeten. Aber der historische Roman und die imaginäre Archäologie haben sich hier statt mit dem religiösen Konservatismus mit einer anderen Tochter der Romantik verbunden: der Denkmalpflege. Auch sie wird im neunzehnten Jahrhundert zu einer kulturellen Macht, und Victor Hugo gehörte zu ihren wortmächtigsten Herolden.

Die Vorbemerkung zur definitiven Ausgabe von "Notre-Dame de Paris" (1832) ist ein Seitenstück zu den beiden Artikeln gegen die "démolitions", die Zerstörungen, Abrisse und Verstümmelungen romanischer Kirchen, gotischer Kathedralen und anderer Zeugnisse der alten Architektur, die Victor Hugo seit 1825 veröffentlichte. Er hat ein Bild für den Furor des Verschwindens und Abreißens, für den Untergang des alten im modernen Paris. Es ist das Gerüst. Wo es sich um ein altes Bauwerk legt, sind dessen Tage gezählt.

Mit der Prophezeiung, daß Notre-Dame vom Erdboden verschwinden werde, hatte schon das Vorwort zur Erstausgabe geendet. Gegen diese Version der Leere ist der Roman geschrieben. Er verwandelt die Kathedrale, deren imaginäre Archäologie er betreibt, in ein virtuelles Objekt der Denkmalpflege. Victor Hugos Prophezeiung ist nicht eingetroffen. Notre-Dame steht nach wie vor auf der Île de la Cité mitten in Paris. Der Roman aber ist dadurch um seinen Gegenstand nicht betrogen. Die Prophezeiung der faktischen Leere ist nur eines seiner Ornamente. Gerüst und Abriß sind nur seine Chiffre für den symbolischen Tod der Kathedrale. Ihn verkündet das wilde Glockengeläut Quasimodos. Von ihm sprechen die griechischen Buchstaben der alten Inschrift, aus der Hugo in der Vorrede den Roman hervorgehen läßt, nicht ohne zu erwähnen, daß die Buchstaben vor kurzem abgekratzt oder übermalt worden seien: Ananké, das Verhängnis.

Vom Tod der Kathedrale als symbolischer Form handelt das fünfte, in der Erstauflage nicht enthaltene Buch des Romans. Hier wächst der Jahreszahl des Titels ihre volle historische Bedeutung zu. Hier wird klar, warum der Autor von seinem Roman sagte, er sei ebensosehr ein Bild des fünfzehnten Jahrhunderts am Beispiel von Paris wie ein Gemälde von Paris im fünfzehnten Jahrhundert. Denn dieses Jahrhundert ist hier die Wasserscheide der Menschheitsgeschichte. Es teilt sie durch die Erfindung Gutenbergs in zwei Epochen, läßt auf die Herrschaft der Architektur die des Buchdrucks folgen: "Das Buch wird das Gebäude töten." Das Kapitel "Ceci tuera cela", in dem Hugo diese Formel entfaltet, schließt an den Stoßseufzer an, mit dem der Erzdechant, während er mit der Linken auf die nächtliche Silhouette von Notre-Dame zeigt, auf das vor ihm liegende Buch blickt: "Wehe! Dieses wird jenes töten." Aber es stößt sich von diesem Stoßseufzer nur ab, um zu seiner eigentlichen Pointe zu gelangen.

Der Schrecken des Kirchenmannes angesichts des gedruckten Buches ist berechtigt. Er ahnt, weil er phantasievoll und gelehrt ist, die Gefahren der Erfindung voraus. Er ahnt die Vielfalt der Lehren, das Mündigwerden der Vernunft, die den Glauben untergräbt. Er fürchtet im Buchdruck das unbeherrschbare Werkzeug der Gedankenfreiheit. Kurz, er fürchtet all das, was in den kommenden Jahrhunderten in den Büchern stehen wird. Dieser Angst aber, die man die Angst vor Voltaire, vor der Aufklärung, vor dem modernen Intellektuellen nennen könnte, weist Hugo im folgenden den Status eines Oberflächenphänomens zu. Denn war nicht Pierre Lombards Kommentar zu den Briefen des Apostels Paulus, der auf dem Tisch des Erzdechants lag, ein frommes Buch? Die Gefahr, die es darstellte, resultiert nicht aus seinem Gehalt, sondern allein aus seinem Gedrucktsein, in seiner Herkunft aus der Werkstatt des Antonius Koburger in Nürnberg. Der Erzdechant, das Zusammenspiel von Inhalten und Ausdrucksformen des Geistes witternd, ahnt den Satz von Marshall McLuhan voraus, wonach das Medium selbst, nicht das, was es übermittelt, die Botschaft ist. Aus dieser Achsendrehung gewinnt Hugo die Modernität seines Gedankens, "daß jede Generation ihre wesentlichen Gedanken anders und mit neuen Mitteln äußert und darum das feste und dauerhafte Buch aus Stein dem noch festern und dauerhafteren Buch aus Papier weichen mußte". Von der Wasserscheide des fünfzehnten Jahrhunderts herab verschränkt Hugo den Blick auf das zu Ende gehende Zeitalter der Baukunst und das heraufziehende der Buchdruckerkunst. Er zeigt einen Epochenbruch, den die Adepten Marshall McLuhans als einen Wechsel des kulturellen Leitmediums beschreiben würden. Dazu gehört, daß er die Bindung der großen Bauwerke an religiöse Funktionen lockert.

Die Baukunst konnte nur deshalb zur universellen Kunst werden, auf die die Gesamtkultur und alle Künste bezogen waren, weil sie zwei Register hatte. Nur auf dem einen Register, in der hinduistischen, ägyptischen und romanischen Architektur, stand sie im Dienst der Theokratie, der Kaste, des Dogmas, des unangreifbaren Mythos. Auf dem anderen verband sie sich mit den Energien des Volkes, des ganzen Menschen, der Freiheit. Die Universalität der Baukunst war mit der Katholizität nicht identisch. Sie entfaltete sich als Organon aller geistigen und kulturellen Energien. "Und so, unter dem Vorwand der zur Ehre Gottes erbauten Kirchen, entfaltete sich die Kunst zu einer unerhörten Blüte." Zur Kathedrale Notre-Dame, die Hugo als Amalgam aus romanischer und gotischer Kunst erscheinen läßt, gehören die häretischen Manifeste auf der Fassade von Saint-Jacques-de-la-Boucherie.

Hugos Panorama der Baukunst ist ein Dokument der historischen Einbildungskraft, eine Phantasmagorie, deren Glanz auch nach der architekturhistorischen Entzauberung nicht verfliegt. Entscheidend ist die zwiespältige Apotheose der Druckerkunst, auf die sie bezogen ist. Deren Sieg zeigt sich auch darin, daß in Hugos Roman die Baukunst von den Metaphern des Buches, der Lektüre und der Schrift eingehüllt ist wie von einem Gerüst. ". . . so war bis Gutenberg die Baukunst das große Schriftbuch des Menschengeschlechts." Ihre Geschichte schreibt Hugo als die Geschichte der Errichtung steinerner Buchstaben, denen Wörter, Sätze, Abhandlungen und Bücher aus Stein folgen. Die Druckerkunst siegt nicht, weil sie im Dienst der Schrift steht, sondern weil sie die Dauer der Bauwerke durch die potentielle Unendlichkeit der Reproduktion überbietet. Sie ist die Geburtshelferin profaner Unsterblichkeit. Ihr Bild sind die Vögel, die sich nach der Sintflut auf die Arche setzen und der aus dem neu erwachenden Welt die geflügelten Gedanken der untergegangenen mitteilen.

Der Vorteil der neuen Kunst ist ihre Allgegenwart und Ungreifbarkeit: "Man kann eine feste Masse zerstören, aber wie will man etwas ausrotten, das allgegenwärtig ist?" Damit treibt Hugo das Porträt des Buchdrucks als Zentrum der modernen Welt über die Sphäre der bleiernen Lettern hinaus. Sie verlieren in seiner Apotheose alles Schwere, werden zu Agenten der universellen Unbeständigkeit, aller scheinbar immobilen Tradition. McLuhan würde dieelektronischen Medien hinter Hugos Lettern entdecken. Ihr Gesetz ist die Miniaturisierung. Der Erzdechant hatte prophezeit: "Das Kleine wird das Große besiegen . . .".

Von Balzacs Romanen wurde im neunzehnten Jahrhundert gesagt, ihr Schauplatz sei Frankreich um 1830, aber ihr Personal stammte aus dem Seconde Empire. Ähnliches gilt von Hugos "Notre-Dame de Paris". Der Roman setzt nicht nur der alten Kathedrale und ihren Dämonen ein Denkmal. Seine geheime Göttin ist die Furie des Verschwindens, er vibriert ex negativo von der modernen Beschleunigung, von der Erosion alles Alten. Das Schlüsselwort "échafaudage", das Baugerüst, das die alten Kirchen umschließt, sollte erst in den démolitions des Barons Haussmann zu seinem Recht kommen. Baudelaire wird, vor den Stichen Charles Méryons, das Schlüsselwort aufgreifen und den Gerüsten, die darauf die Bauwerke "zur Ausbesserung" umschließen, attestieren, daß sie dem festen Körper der Architektur die paradoxe Schönheit ihrer eigenen, luftigen Architektur hinzufügen.

Victor Hugo: "Der Glöckner von Notre-Dame". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Hugo Meier. Manesse Verlag, Zürich 1999. 780 S., geb., 54,- DM.

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