Zsigmond Móricz (1879-1942) hat sein ganzes schriftstellerisches Werk der Beschreibung der ungarischen Landbevölkerung gewidmet. Mit dem Protagonisten György Jo. schuf er in »Der glückliche Mensch« einen Prototyp des unverwüstlichen, Tag für Tag im Dienst bei größeren Landbesitzern seinen Lebensunterhalt erwirtschaftenden Kätners. Dieser erinnert sich an die Freuden seines Aufwachsens, zwischen Amselnestern, Ackerkrume und Apfelernte, geprägt von Gelegenheitsarbeiten und alltäglichem Maisbrot mit Speck. Obwohl die sozialen Verhältnisse im Dorf immer weiter auseinanderklaffen, die Reicheren sich den verbliebenen Besitz der ärmeren auch mit unlauteren Mitteln unter den Nagel reißen und György und seine Mutter sich zunehmend beschränken müssen, findet dieser mit nie versiegendem Humor auch im arbeitsamen Alltag und beim abendlichen Tanzvergnügen mit den Mädchen aus der Nachbarschaft das Glück des einfachen, aber wahren Daseins.Der schlichten Schönheit der mündlichen Erzählung Györgys kann man sich beim Lesen nicht entziehen. Man fiebert mit, wünscht sich, dass die Bemühungen um ein wenig Wohlstand erfolgreich sein m.gen, und bangt bei seinen Abenteuern ums Gelingen. Timea Tankó bleibt in ihrer kraftvollen Übersetzung ganz nah am unverstellten Erzählton von Móricz und verleiht der Geschichte damit eine vor Erlebnislust und Bauernschläue nur so strotzende Lebendigkeit. Eines wird bei allen Rückschlägen dabei niemals verloren: die Hoffnung auf den nächsten Sonnenaufgang und einen weiteren Tag voller Möglichkeiten auf neues Glück.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
So ganz weiß Rezensent Tobias Lehmkuhl nicht, warum man diesen literaturhistorisch sicherlich bedeutenden Roman von Zsigmond Móricz' aus dem Jahr 1932 heute lesen soll. Angeblich auf einem real existierenden Vorbild basierend entwirft Móricz, lernen wir, die Lebensgeschichte eines ungarischen Kleinbauern, dessen Leben von Armut geprägt ist, aber auch schöne Seiten hat. Lehmkuhl zeichnet die Handlung nach, die sich um ausbeuterische Strukturen auf dem Land dreht, aber auch um das Glück, das die Hauptfigur György vor allem in den Armen der Mädchen findet. Das ist alles unterhaltsam und liebenswert geschrieben und außerdem von Timea Tankó bestens übersetzt, konzediert Lehmkuhl. Nur: Was hat es unserer Gegenwart noch zu sagen?
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2023Aufruhr vom Scheunendach herab
Der ungarische Schriftsteller Zsigmond Móricz erzählt in seinem Roman "Der glückliche Mensch" von einem modernen Candide, der kein Ohr für den Sozialismus hat.
Die Welt der ungarischen Kleinbauern und Tagelöhner zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erscheint uns heute unendlich fern. Nur eine Sache kommt uns bekannt vor: "Bei uns regnet es nicht mehr. Ganze Sommer vergehen ohne Regen, von Frühling bis Herbst fällt kein einziger Tropfen. Als ich Kind war, da gab es überall Wasser. Jeden Frühling hat der Batár die Wiesen überschwemmt. Es gab Tau jeden Morgen, und reichlich Schilf gab es auch. Der Mais wuchs so hoch, dass sich die Rossdiebe drin verstecken konnten. Dabei gedeiht der Mais nur, wenn der Frosch in der Ackerfurche quakt."
So berichtet es György Joó dem Redakteur und Schriftsteller Zsigmond Móricz, als er diesen 1932 in Budapest aufsucht. Móricz beteuert, dass es diesen György Joó wirklich gab und dass er in "Der glückliche Mensch" haargenau wiedergibt, was ihm Joó von seinem entbehrungsreichen, doch eben glücklichen Leben erzählt hat.
Von der Kindheit bis zur Heirat am Vorabend des Ersten Weltkriegs ist dieses Leben von zwei Themen bestimmt: der Arbeit und der Liebe. Früh schon muss der kleine György seinen Teil dazu beitragen, um sich und seine Mutter über Wasser zu halten. Der Vater ist früh gestorben, die älteren Schwestern sind bereits in andere Dörfer verheiratet. Und das bisschen Land, das der Vater besaß, hat sich der "wohlgeborene Herr" des Ortes unter den Nagel gerissen.
So hütet György Kühe, gräbt Felder um, jätet Unkraut, sät und pflanzt und häufelt. Bald schon, kaum in der Pubertät, kann er alles, was jeder erwachsene Kleinbauer im Nordosten Ungarns können muss. Trotzdem fehlt es häufig am Nötigsten; Weizenbrot ist eine Rarität, meist gibt es nur das ungeliebte Maisbrot. Aber glücklich ist der Mensch, wenn er nicht hungern muss, und so viel schafft György, dass der Hunger seiner Mutter und ihm in der Regel erspart bleibt. Als Tagelöhner verdingt er sich bei anderen Bewohnern des Dorfes und mit der Zeit auch in benachbarten Dörfern. Er weiß mit Feld und Vieh umzugehen und ist stolz darauf, ein fleißiger Arbeiter zu sein.
Dass er häufig ausgenutzt und miserabel bezahlt wird, reizt ihn nur als Kind zum Widerspruch. Früh erfährt er, wer die Macht hat im Dorf und was passiert, wenn man vorm "wohlgeborenen Herrn" nicht duckt und kuscht. Dann nimmt der einem im Verbund mit dem allmächtigen Notar des Ortes nämlich noch die letzte Kuh weg.
Also zieht György lieber den Kopf ein. Nicht der Aufstand reizt ihn, sondern die Mädchen tun es. Immer gibt es eines, in das er verliebt ist, meistens wird er wiedergeliebt. Nur Piroska Váradi will sich seinem Charme jahrelang nicht ergeben, tanzt nicht mit ihm, lässt sich nicht küssen, geschweige denn, dass sie sich ins Heu ziehen ließe.
Aber György hat Zeit, denn "wie gut ich es hatte, nicht als Mädchen geboren worden zu sein. Wenn jetzt jemand um meine Hand anhalten würde, würde mich meine Mutter auch verheiraten. Aber so kann ich mein lustiges Junggesellenleben leben, das ja erst richtig beginnt." Da pinkelt er schon mal vom Scheunendach auf jene Alten hinunter, die ihn wegen einer Missetat mit Heugabeln jagen.
Irgendwann zieht es ihn dann auch in die große Stadt Budapest, wo sich viel Geld verdienen lässt. Aber natürlich ist das Leben dort nicht billig. Also hungert György, um der Mutter möglichst viele Forint und Filler schicken zu können. Für die sozialistische Agitation eines älteren Kollegen auf dem Bau hat er dabei kein Ohr. Er wähnt sich, so kann man meinen, trotz allem Elend gleich Voltaires Candide in der besten aller Welten.
Ein herzensguter Dorftrottel also? Ein Provinz-Romeo, der am Ende die große Liebe findet? Ein Antiheld, der Zsigmond Móricz dazu dient, auf das Elend der Landbevölkerung aufmerksam zu machen und zugleich den ungarischen Realismus zu begründen? Man weiß nicht recht, was man mit "Der glückliche Mensch" heute anfangen soll. Sicher ist der Roman literaturhistorisch von Interesse, gewiss erzählt György Joó lebendig aus seinem Leben, und fraglos trifft die Übersetzerin Timea Tankó den schelmisch-leichten Ton der Erzählung aufs Beste. Aber György Joós Geschichte erscheint uns heute von eher unterhaltendem Charakter, charmant und pittoresk. Das Leid der Kleinbauern und Tagelöhner ist zwar beklagenswert, wirkt aber überschaubar angesichts der Schrecken, die die nahe und die ferne Zukunft des Jahres 1932 noch bereitgehalten hat. Und die Welt ist seitdem nicht gerechter geworden, im Gegenteil. Davon, dass ehedem Frösche in den Ackerfurchen quakten, wissen nur noch alte Romane. TOBIAS LEHMKUHL
Zsigmond Móricz: "Der glückliche Mensch". Roman.
Aus dem Ungarischen von Timea Tankó. Guggolz Verlag, Berlin 2023. 512 S., geb., 27,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der ungarische Schriftsteller Zsigmond Móricz erzählt in seinem Roman "Der glückliche Mensch" von einem modernen Candide, der kein Ohr für den Sozialismus hat.
Die Welt der ungarischen Kleinbauern und Tagelöhner zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erscheint uns heute unendlich fern. Nur eine Sache kommt uns bekannt vor: "Bei uns regnet es nicht mehr. Ganze Sommer vergehen ohne Regen, von Frühling bis Herbst fällt kein einziger Tropfen. Als ich Kind war, da gab es überall Wasser. Jeden Frühling hat der Batár die Wiesen überschwemmt. Es gab Tau jeden Morgen, und reichlich Schilf gab es auch. Der Mais wuchs so hoch, dass sich die Rossdiebe drin verstecken konnten. Dabei gedeiht der Mais nur, wenn der Frosch in der Ackerfurche quakt."
So berichtet es György Joó dem Redakteur und Schriftsteller Zsigmond Móricz, als er diesen 1932 in Budapest aufsucht. Móricz beteuert, dass es diesen György Joó wirklich gab und dass er in "Der glückliche Mensch" haargenau wiedergibt, was ihm Joó von seinem entbehrungsreichen, doch eben glücklichen Leben erzählt hat.
Von der Kindheit bis zur Heirat am Vorabend des Ersten Weltkriegs ist dieses Leben von zwei Themen bestimmt: der Arbeit und der Liebe. Früh schon muss der kleine György seinen Teil dazu beitragen, um sich und seine Mutter über Wasser zu halten. Der Vater ist früh gestorben, die älteren Schwestern sind bereits in andere Dörfer verheiratet. Und das bisschen Land, das der Vater besaß, hat sich der "wohlgeborene Herr" des Ortes unter den Nagel gerissen.
So hütet György Kühe, gräbt Felder um, jätet Unkraut, sät und pflanzt und häufelt. Bald schon, kaum in der Pubertät, kann er alles, was jeder erwachsene Kleinbauer im Nordosten Ungarns können muss. Trotzdem fehlt es häufig am Nötigsten; Weizenbrot ist eine Rarität, meist gibt es nur das ungeliebte Maisbrot. Aber glücklich ist der Mensch, wenn er nicht hungern muss, und so viel schafft György, dass der Hunger seiner Mutter und ihm in der Regel erspart bleibt. Als Tagelöhner verdingt er sich bei anderen Bewohnern des Dorfes und mit der Zeit auch in benachbarten Dörfern. Er weiß mit Feld und Vieh umzugehen und ist stolz darauf, ein fleißiger Arbeiter zu sein.
Dass er häufig ausgenutzt und miserabel bezahlt wird, reizt ihn nur als Kind zum Widerspruch. Früh erfährt er, wer die Macht hat im Dorf und was passiert, wenn man vorm "wohlgeborenen Herrn" nicht duckt und kuscht. Dann nimmt der einem im Verbund mit dem allmächtigen Notar des Ortes nämlich noch die letzte Kuh weg.
Also zieht György lieber den Kopf ein. Nicht der Aufstand reizt ihn, sondern die Mädchen tun es. Immer gibt es eines, in das er verliebt ist, meistens wird er wiedergeliebt. Nur Piroska Váradi will sich seinem Charme jahrelang nicht ergeben, tanzt nicht mit ihm, lässt sich nicht küssen, geschweige denn, dass sie sich ins Heu ziehen ließe.
Aber György hat Zeit, denn "wie gut ich es hatte, nicht als Mädchen geboren worden zu sein. Wenn jetzt jemand um meine Hand anhalten würde, würde mich meine Mutter auch verheiraten. Aber so kann ich mein lustiges Junggesellenleben leben, das ja erst richtig beginnt." Da pinkelt er schon mal vom Scheunendach auf jene Alten hinunter, die ihn wegen einer Missetat mit Heugabeln jagen.
Irgendwann zieht es ihn dann auch in die große Stadt Budapest, wo sich viel Geld verdienen lässt. Aber natürlich ist das Leben dort nicht billig. Also hungert György, um der Mutter möglichst viele Forint und Filler schicken zu können. Für die sozialistische Agitation eines älteren Kollegen auf dem Bau hat er dabei kein Ohr. Er wähnt sich, so kann man meinen, trotz allem Elend gleich Voltaires Candide in der besten aller Welten.
Ein herzensguter Dorftrottel also? Ein Provinz-Romeo, der am Ende die große Liebe findet? Ein Antiheld, der Zsigmond Móricz dazu dient, auf das Elend der Landbevölkerung aufmerksam zu machen und zugleich den ungarischen Realismus zu begründen? Man weiß nicht recht, was man mit "Der glückliche Mensch" heute anfangen soll. Sicher ist der Roman literaturhistorisch von Interesse, gewiss erzählt György Joó lebendig aus seinem Leben, und fraglos trifft die Übersetzerin Timea Tankó den schelmisch-leichten Ton der Erzählung aufs Beste. Aber György Joós Geschichte erscheint uns heute von eher unterhaltendem Charakter, charmant und pittoresk. Das Leid der Kleinbauern und Tagelöhner ist zwar beklagenswert, wirkt aber überschaubar angesichts der Schrecken, die die nahe und die ferne Zukunft des Jahres 1932 noch bereitgehalten hat. Und die Welt ist seitdem nicht gerechter geworden, im Gegenteil. Davon, dass ehedem Frösche in den Ackerfurchen quakten, wissen nur noch alte Romane. TOBIAS LEHMKUHL
Zsigmond Móricz: "Der glückliche Mensch". Roman.
Aus dem Ungarischen von Timea Tankó. Guggolz Verlag, Berlin 2023. 512 S., geb., 27,- Euro.
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