Michelangelo - "Der wirkmächtigste Künstler der Menschheit"
Gustav Seibt
Schon zu Lebzeiten galt Michelangelo - der Maler der Sixtinischen Kapelle, der Schöpfer des "David", der Architekt des Petersdoms - als der größte Künstler aller Zeiten. Volker Reinhardt vermittelt in seiner umfassenden, glänzend geschriebenen Biographie neue Erkenntnisse über das Leben des Universalgenies. Ein Lesevergnügen auf höchstem Niveau.
Die Meisterwerke Michelangelos (1475-1564) faszinieren bis heute durch ihre Schönheit und begeistern durch ihre Unergründlichkeit. Aber auch sein Leben war ein Kunstwerk. Er war getrieben von dem Bemühen, seiner Familie adeligen Rang zu verschaffen, arbeitete unermüdlich und erhielt Traumhonorare, lebte aber weiterhin wie ein armer Handwerker. Beim Tod des fast Neunzigjährigen fand man einen Tisch, einen Stuhl, einen Schrank, ein Bett - und unter dem Bett Unmengen von Gold. Päpsten und Fürsten zu dienen, erfüllte ihn nicht mit Stolz, sondern er verachtete seine Auftraggeber. Seiner eigenwilligen Sicht der Welt verlieh Michelangelo in Fresken, Statuen und Bauwerken Ausdruck, die in diesem Buch ganz neu zum Sprechen gebracht werden. So entsteht eine ungewöhnlich farbige und anschauliche Biographie, die ihrem göttlichen Thema angemessen ist.
Gustav Seibt
Schon zu Lebzeiten galt Michelangelo - der Maler der Sixtinischen Kapelle, der Schöpfer des "David", der Architekt des Petersdoms - als der größte Künstler aller Zeiten. Volker Reinhardt vermittelt in seiner umfassenden, glänzend geschriebenen Biographie neue Erkenntnisse über das Leben des Universalgenies. Ein Lesevergnügen auf höchstem Niveau.
Die Meisterwerke Michelangelos (1475-1564) faszinieren bis heute durch ihre Schönheit und begeistern durch ihre Unergründlichkeit. Aber auch sein Leben war ein Kunstwerk. Er war getrieben von dem Bemühen, seiner Familie adeligen Rang zu verschaffen, arbeitete unermüdlich und erhielt Traumhonorare, lebte aber weiterhin wie ein armer Handwerker. Beim Tod des fast Neunzigjährigen fand man einen Tisch, einen Stuhl, einen Schrank, ein Bett - und unter dem Bett Unmengen von Gold. Päpsten und Fürsten zu dienen, erfüllte ihn nicht mit Stolz, sondern er verachtete seine Auftraggeber. Seiner eigenwilligen Sicht der Welt verlieh Michelangelo in Fresken, Statuen und Bauwerken Ausdruck, die in diesem Buch ganz neu zum Sprechen gebracht werden. So entsteht eine ungewöhnlich farbige und anschauliche Biographie, die ihrem göttlichen Thema angemessen ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2010Die Neffen sollten auch etwas davon haben
Michelangelo durfte auf den Nachruhm setzen, den seine Werke ihm eintragen würden. Doch Volker Reinhardt zeigt, dass die Selbstdarstellung des Künstlers sich an einem anderen Lebensziel orientierte.
So viel man in Michelangelos Werk hineingesehen hat, so viel wollte man aus seinen Schriften herauslesen. Vor allem die Gedichte boten Anlass, dem in seiner Biographie merkwürdig flüchtigen Künstler, von dem doch kaum einmal wirklich verlässliche Porträts existieren, empfindsam näherzukommen. Thomas Manns später Essay über die "Erotik Michelangelos" ist das vielleicht berührendste Beispiel dafür, wie ein solcher Versuch sich weit eher eigenen Sehnsüchten des Autors annähert als der kaum greifbaren Sexualität und seelischen Verfassung Michelangelos.
Dass Michelangelo sich seinen Zeitgenossen und mehr noch der Nachwelt wirkungsvoll entzogen hat, ist häufig schon als bewusste Strategie gewertet worden. Nun aber darf man sich sicher sein: Michelangelo hat sich zeitlebens inszeniert und ambitioniert an seinem Selbstbild gearbeitet. Wobei die Verschleierung zu einem geschickt eingesetzten Verfahren wurde, dem eigentlichen Lebensziel näher zu kommen: sozialem Aufstieg, familiärer Bonität und finanziell sorgenfreiem Alter.
Der Historiker Volker Reinhardt hat, auf der Basis einer Auswertung der rund anderthalbtausend Briefe von und an Michelangelo und gestützt auf eine mittlerweile erfrischend entmystifizierend verfahrende kunsthistorische Michelangelo-Forschung, ein Lebensbild des Künstlers entworfen, das den Anspruch erheben kann, Epoche zu machen. In ihr eigenes Recht stellt Reinhardt die Werke Michelangelos dabei zwar nicht, was ihm als Historiker auch unbenommen bleibt; der genuin kunstanalytische Ertrag des Buches bleibt deshalb gering. Vielmehr wird hier in sämtlichen Malereien, Skulpturen und Architekturen, mehr noch aber in den sie begleitenden, im Falle Michelangelos sich verlässlich immer verkomplizierenden Entstehungsbedingungen dem Ausdruck einer Grundhaltung nachgespürt, die auf individuelle und das heißt in der frühen Neuzeit nach Reinhardt immer auch familiäre Durchsetzung zielt.
Michelangelo entstammte einer toskanischen Familie, die sich zu einem der ältesten lokalen Geschlechter zählen durfte. Das nun aber scheint einem Künstler nicht zur inneren Ruhe verholfen zu haben, der in den ersten Kreisen von Florenz, dann Rom verkehrte, mit den Medici ebenso wie mit Vittoria Colonna und den wechselnden Inhabern des päpstlichen Thrones. Es spricht sich in Michelangelos Selbstzeugnissen ein Unabgegoltenes in der eigenen Wahrnehmung aus. Es hat ihn zeitlebens angehalten, wenn schon nicht für eine eigene Nachkommenschaft, so doch für Neffen und andere Verwandte auf gesellschaftlichen Aufstieg zu dringen.
Familiengeschichte ist einer der Forschungsschwerpunkte des Autors, und in seinem Buch gelingt es ihm, selbst ein so übergroß in der Geschichte stehendes Individuum wie Michelangelo als lebenslang gebeuteltes Opfer schier unentwirrbarer Familienbande zu schildern. Michelangelos Werk: eine immense Kompensationsleistung in einem von familiären und genealogischen Ansprüchen durchwirkten Italien der frühen Neuzeit. Noch Reinhardts Deutung von Michelangelos Ausstattung der auf den mediceischen Nachruhm zielenden Alten Sakristei von San Lorenzo ist ganz biographisch begründet.
Eine solche Lesart widerstrebt einer auf sinnlichen Genuss oder die Logik des Bildlichen zielenden Kunstbetrachtung. Doch dafür weiß Reinhardt mit einer immensen Fülle von Dokumenten und einem stringent argumentierenden Text aufzuwarten. Die Zitate aus Michelangelos Briefen entfalten tatsächlich ein nicht endendes Lamento. Sprachlich ist Michelangelos Selbstdarstellung höchst virtuos und reagiert auf den jeweiligen Adressaten: Das Spektrum reicht von gekonnten Flüchen bis zur humanistisch versierten höfischen Schmeichelei. Seine meist unbotmäßigen Forderungen, sein eklatanter Durchsetzungswille und seine Selbststilisierung aber stehen nach Reinhardt gar nicht im unmittelbaren Dienst der Kunst. Michelangelo suche vielmehr nach einem hervorgehobenen Platz in der zeitgenössischen gesellschaftlichen Hierarchie und nach einem Nachleben in der Familie.
Immer ist es die Klage eines Mannes, dem selbst das sichere Bewusstsein um den Ruhm, den ihm seine Werke einbringen würden, dem auch sein Verkehr in höchsten Kreisen nicht die Angst vor Altersarmut und sozialem Abstieg haben nehmen können. Selbst in die Brautwahl seines Neffen hat Michelangelo eingegriffen, ganz nach dem Vorbild höfisch-dynastischer Heiratspolitik.
Als Michelangelo starb, fand sich in der kargen römischen Behausung des asketisch lebenden - und diesen Umstand beständig betonenden - Künstlers eine Schatulle mit 9985 Dukaten. Das entsprach etwa zweitausend Jahreseinkommen eines gutsituierten römischen Handwerkers, auf heutige Verhältnisse umgerechnet etwa 80 Millionen Euro. Dazu kamen erworbene Immobilien im Wert von 150 Millionen Euro sowie Staatsanleihen und weitere Geldanlagen. An beweglichem Gut fanden sich freilich nur Bettgestell, Schrank, Tisch und Stuhl.
Diese wenigen Daten allein genügten schon, um Reinhardts Darstellung von Michelangelos "Self-fashioning" - im Geiste von Stephen Greenblatt - als überfälligen Beitrag zur Kunstliteratur zu begrüßen. Irritierend bleibt der arg antiquierte Titel. "Der Göttliche" - wie Michelangelo, aber auch Raffael von Zeitgenossen genannt wurde - ist ein kunsthistorisch gut erforschtes Epitheton, das Reinhardt etwas leichtfertig verwendet.
ANDREAS BEYER
Volker Reinhardt: "Der Göttliche". Leben des Michelangelo. Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2010. 381 S., geb., Abb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michelangelo durfte auf den Nachruhm setzen, den seine Werke ihm eintragen würden. Doch Volker Reinhardt zeigt, dass die Selbstdarstellung des Künstlers sich an einem anderen Lebensziel orientierte.
So viel man in Michelangelos Werk hineingesehen hat, so viel wollte man aus seinen Schriften herauslesen. Vor allem die Gedichte boten Anlass, dem in seiner Biographie merkwürdig flüchtigen Künstler, von dem doch kaum einmal wirklich verlässliche Porträts existieren, empfindsam näherzukommen. Thomas Manns später Essay über die "Erotik Michelangelos" ist das vielleicht berührendste Beispiel dafür, wie ein solcher Versuch sich weit eher eigenen Sehnsüchten des Autors annähert als der kaum greifbaren Sexualität und seelischen Verfassung Michelangelos.
Dass Michelangelo sich seinen Zeitgenossen und mehr noch der Nachwelt wirkungsvoll entzogen hat, ist häufig schon als bewusste Strategie gewertet worden. Nun aber darf man sich sicher sein: Michelangelo hat sich zeitlebens inszeniert und ambitioniert an seinem Selbstbild gearbeitet. Wobei die Verschleierung zu einem geschickt eingesetzten Verfahren wurde, dem eigentlichen Lebensziel näher zu kommen: sozialem Aufstieg, familiärer Bonität und finanziell sorgenfreiem Alter.
Der Historiker Volker Reinhardt hat, auf der Basis einer Auswertung der rund anderthalbtausend Briefe von und an Michelangelo und gestützt auf eine mittlerweile erfrischend entmystifizierend verfahrende kunsthistorische Michelangelo-Forschung, ein Lebensbild des Künstlers entworfen, das den Anspruch erheben kann, Epoche zu machen. In ihr eigenes Recht stellt Reinhardt die Werke Michelangelos dabei zwar nicht, was ihm als Historiker auch unbenommen bleibt; der genuin kunstanalytische Ertrag des Buches bleibt deshalb gering. Vielmehr wird hier in sämtlichen Malereien, Skulpturen und Architekturen, mehr noch aber in den sie begleitenden, im Falle Michelangelos sich verlässlich immer verkomplizierenden Entstehungsbedingungen dem Ausdruck einer Grundhaltung nachgespürt, die auf individuelle und das heißt in der frühen Neuzeit nach Reinhardt immer auch familiäre Durchsetzung zielt.
Michelangelo entstammte einer toskanischen Familie, die sich zu einem der ältesten lokalen Geschlechter zählen durfte. Das nun aber scheint einem Künstler nicht zur inneren Ruhe verholfen zu haben, der in den ersten Kreisen von Florenz, dann Rom verkehrte, mit den Medici ebenso wie mit Vittoria Colonna und den wechselnden Inhabern des päpstlichen Thrones. Es spricht sich in Michelangelos Selbstzeugnissen ein Unabgegoltenes in der eigenen Wahrnehmung aus. Es hat ihn zeitlebens angehalten, wenn schon nicht für eine eigene Nachkommenschaft, so doch für Neffen und andere Verwandte auf gesellschaftlichen Aufstieg zu dringen.
Familiengeschichte ist einer der Forschungsschwerpunkte des Autors, und in seinem Buch gelingt es ihm, selbst ein so übergroß in der Geschichte stehendes Individuum wie Michelangelo als lebenslang gebeuteltes Opfer schier unentwirrbarer Familienbande zu schildern. Michelangelos Werk: eine immense Kompensationsleistung in einem von familiären und genealogischen Ansprüchen durchwirkten Italien der frühen Neuzeit. Noch Reinhardts Deutung von Michelangelos Ausstattung der auf den mediceischen Nachruhm zielenden Alten Sakristei von San Lorenzo ist ganz biographisch begründet.
Eine solche Lesart widerstrebt einer auf sinnlichen Genuss oder die Logik des Bildlichen zielenden Kunstbetrachtung. Doch dafür weiß Reinhardt mit einer immensen Fülle von Dokumenten und einem stringent argumentierenden Text aufzuwarten. Die Zitate aus Michelangelos Briefen entfalten tatsächlich ein nicht endendes Lamento. Sprachlich ist Michelangelos Selbstdarstellung höchst virtuos und reagiert auf den jeweiligen Adressaten: Das Spektrum reicht von gekonnten Flüchen bis zur humanistisch versierten höfischen Schmeichelei. Seine meist unbotmäßigen Forderungen, sein eklatanter Durchsetzungswille und seine Selbststilisierung aber stehen nach Reinhardt gar nicht im unmittelbaren Dienst der Kunst. Michelangelo suche vielmehr nach einem hervorgehobenen Platz in der zeitgenössischen gesellschaftlichen Hierarchie und nach einem Nachleben in der Familie.
Immer ist es die Klage eines Mannes, dem selbst das sichere Bewusstsein um den Ruhm, den ihm seine Werke einbringen würden, dem auch sein Verkehr in höchsten Kreisen nicht die Angst vor Altersarmut und sozialem Abstieg haben nehmen können. Selbst in die Brautwahl seines Neffen hat Michelangelo eingegriffen, ganz nach dem Vorbild höfisch-dynastischer Heiratspolitik.
Als Michelangelo starb, fand sich in der kargen römischen Behausung des asketisch lebenden - und diesen Umstand beständig betonenden - Künstlers eine Schatulle mit 9985 Dukaten. Das entsprach etwa zweitausend Jahreseinkommen eines gutsituierten römischen Handwerkers, auf heutige Verhältnisse umgerechnet etwa 80 Millionen Euro. Dazu kamen erworbene Immobilien im Wert von 150 Millionen Euro sowie Staatsanleihen und weitere Geldanlagen. An beweglichem Gut fanden sich freilich nur Bettgestell, Schrank, Tisch und Stuhl.
Diese wenigen Daten allein genügten schon, um Reinhardts Darstellung von Michelangelos "Self-fashioning" - im Geiste von Stephen Greenblatt - als überfälligen Beitrag zur Kunstliteratur zu begrüßen. Irritierend bleibt der arg antiquierte Titel. "Der Göttliche" - wie Michelangelo, aber auch Raffael von Zeitgenossen genannt wurde - ist ein kunsthistorisch gut erforschtes Epitheton, das Reinhardt etwas leichtfertig verwendet.
ANDREAS BEYER
Volker Reinhardt: "Der Göttliche". Leben des Michelangelo. Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2010. 381 S., geb., Abb., 24,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kia Vahland weiß, dass über Michelangelo bereits mehr Bücher veröffentlicht wurden, als ein Mensch in seinem Leben lesen kann. Neuerscheinungen haben es also schwer sich überhaupt zu rechtfertigen, und so attestiert sie Volker Reinhardt und Antonio Forcelino erst einmal Mut, überhaupt Biografien vorzulegen. Reinhardt zeichnet nach Informationen der Rezensentin das Renaissance-Genie vor allem als Sohn einer verarmten Adelsfamilie, der sich seinem Vater gegenüber immer unter Beweis stellen musste. Und während er die Familie großzügig "durchfütterte", lebte er selbst ausgesprochen asketisch. Auch wenn Vahland dem Autor bescheinigt, die Quellen gründlich gelesen zu haben, moniert sie doch "Mutmaßungen und Ungenauigkeiten" und empfiehlt letztendlich doch wieder Leo Steinbergs und Alexander Nagels Analysen oder die "dicken Bänden der Sixtina-Restauratoren".
© Perlentaucher Medien GmbH
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