ERZÄHLUNGEN DES INTERNATIONAL AUSGEZEICHNETEN AUTORS, VERLEGERS UND ÜBERSETZERSIn den Geschichten von MICHAEL KRÜGER geht es nicht ganz geheuer zu: Ein Mann hinter dem Fenster bildet sich ein, alle Menschen seines Viertels am Gang und an ihren Gesten zu erkennen - bis auf einen, der regelmäßig im Zwielicht kommt und sich beharrlich den gierigen Blicken des Beobachters entzieht. Dem Wanderer in den Schweizer Bergen ergeht es nicht besser - nicht genug, dass er auf Spuren von Wölfen stößt, hat er bald einen Weggenossen, der aus dem Nichts auftaucht und versucht, den einsamen Spaziergänger in seine Gewalt zu bringen. Und auch das Mädchen auf der Haustreppe erscheint ohne Vorwarnung und zieht in das Leben des perplexen Bewohners ein, in dem kein Stein auf dem anderen bleibt. HERZBEWEGENDE KOMIK UND SANFTE MELANCHOLIESo frohgemut und selbstsicher die Figuren in Michael Krügers Erzählungen auftreten, scheitern sie letztlich an ihrem Glauben, die Welt sei eine geordnete. Sie alle findensich früher oder später an dem Punkt wieder, an dem die Wirklichkeit den Blick freigibt auf ihre Bodenlosigkeit. Was dann zum Vorschein kommt, bringt Krüger atmosphärisch dicht zur Sprache. Mit herzbewegender Komik und sanfter Melancholie erzählt er von Zuwendung und Abkehr, von Widersprüchen und Harmonie, von Nähe und Distanz. Und über allem schweift der Blick eines unbestechlichen Beobachters, der auch die hintersten Winkel der Seele durchdringt - und den Leser direkt in seinem Innersten berührt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2015Ist Vergangenheit ohne Zukunft denkbar?
Ironisch-melancholisch: Michael Krüger befasst sich in seinen neuen Erzählungen mit Grundsatzfragen
Geplaudert wird hier nicht. Michael Krüger, als Lyriker und Essayist ein Meister dichter Formen, erweist sich auch in seinem ersten eigenständigen Erzählband als nachdenklicher, konzentrierter, skeptischer Autor. Dreizehn Geschichten, alle aus der Ich-Perspektive gestaltet, handeln von den unterschiedlichsten Themen, stimmen aber in einem Kern existentieller Fragen überein: Schreiben als Lebensform, Altern und Tod, Identität, Einsamkeit und Erinnerung, die Undurchschaubarkeit des Menschen.
Krüger erzählt sparsam, direkt, gern mit offenem Ende. Kürze liegt ihm. "Post" ist etwa der Titel eines kaum zwei Seiten umfassenden Textes, der Rätsel aufgibt: Ein Mann erhält korrekt adressierte, aber nicht unterzeichnete Briefe in großer Zahl, die ihn mit vielen fremden Namen ansprechen und zugleich intimstes Wissen über sein Leben verraten. Woher kommen sie und warum? Aus Träumen, dem Unterbewussten, der Phantasie? Dann ein kafkaesker Schluss: "Dennoch muss ich mich damit abfinden, dass nur ich der Briefschreiber sein kann." Oder die ebenso kurze Legende "Zukunft", die sich in einen Satz fassen lässt: "Sie ging hinaus und ward nicht mehr gesehen." "Sie", eine junge Frau, behauptet in einer Runde, Vergangenheit ohne Zukunft sei nicht denkbar. Der Erzähler entgegnet, er könne sich eine Zukunft mit ihr vorstellen, doch angesichts seines Alters entspreche der dann wenig Vergangenheit. Er sieht "sie" entschwinden, erblickt sie am Ende seines Lebens aber wieder - winkend. Schlusssatz: "Mit letzter Kraft hob ich die Hand und winkte zurück."
Andere Geschichten sind weniger rätselhaft, keiner fehlt es aber an Tiefe. Ihre Protagonisten sind in aller Regel Suchende. Durchaus als in Georg Lukács' Sinn moderne, also problematische Romanfiguren leiden sie alle an einer gewissen Verunsicherung, Haltlosigkeit, Unentschiedenheit, Orientierungsschwäche, mangelnder Tatkraft in Bezug auf ihre eigenen Geschicke. Sie tun wenig und sinnieren viel - vor allem begeben sie sich gern auf eine Suche nach der verlorenen Zeit, geraten in Abgründe ihrer Familiengeschichten, scheitern an der Undurchschaubarkeit anderer, besonders von Frauen, fahren ins Beliebige hinaus und überlassen lieber Trampern die Bestimmung ihres Reiseziels. Kafkas Aphorismus "Wer sucht, findet nicht, aber wer nicht sucht, wird gefunden", kommt einem da mehr als einmal in den Sinn.
Besonders erhellend sind einige der Schriftstellerfiguren. In der Erzählung "Aus dem Leben eines Schriftstellers" ist es ein über siebzigjähriger Autor, der seinen größten Erfolg - "Der Patriarch", erschienen vor vier Jahrzehnten und inzwischen Schullektüre - neu fassen soll. Statt aber diese Lieblingsidee seines Verlegers zu verwirklichen, lenkt sich dieser "Arbeiter des Kopfes" mit Essays und Nachworten ab. Ansonsten beschäftigt er sich mit seiner Lektorin, die in sein Gartenhaus gezogen ist und über die Lektüre seiner Tagebücher immer tiefer in sein Leben vordringt. Diesem einsamen Grübler mit ausgeprägter Abneigung gegen Theorie, der "allergisch gegen Originalität" ist, vermittelt die junge Frau so etwas wie einen Weltbezug. Vor allem in dieser Geschichte voll feiner Ironie und sanfter Melancholie ist der Ton Michael Krügers, wie man ihn aus Reden und Laudationes kennt, am stärksten ausgeprägt. Als Leiter des Hanser Verlags kam er ein Leben lang täglich mit allen möglichen Typen von Literaten zusammen. Ein Wort seines erzählerisch porträtierten Autors wirkt da wie ein Aperçu, das alle denkbaren Schrullen und Empfindlichkeiten parodiert: "Ein Schriftsteller, der nicht schreibt, schien mir nun endgültig das höchste Ziel des Schreibens zu sein."
ALEXANDER KOSENINA.
Michael Krüger: "Der Gott hinter dem Fenster".
Erzählungen.
Haymon Verlag, Innsbruck, Wien 2015. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ironisch-melancholisch: Michael Krüger befasst sich in seinen neuen Erzählungen mit Grundsatzfragen
Geplaudert wird hier nicht. Michael Krüger, als Lyriker und Essayist ein Meister dichter Formen, erweist sich auch in seinem ersten eigenständigen Erzählband als nachdenklicher, konzentrierter, skeptischer Autor. Dreizehn Geschichten, alle aus der Ich-Perspektive gestaltet, handeln von den unterschiedlichsten Themen, stimmen aber in einem Kern existentieller Fragen überein: Schreiben als Lebensform, Altern und Tod, Identität, Einsamkeit und Erinnerung, die Undurchschaubarkeit des Menschen.
Krüger erzählt sparsam, direkt, gern mit offenem Ende. Kürze liegt ihm. "Post" ist etwa der Titel eines kaum zwei Seiten umfassenden Textes, der Rätsel aufgibt: Ein Mann erhält korrekt adressierte, aber nicht unterzeichnete Briefe in großer Zahl, die ihn mit vielen fremden Namen ansprechen und zugleich intimstes Wissen über sein Leben verraten. Woher kommen sie und warum? Aus Träumen, dem Unterbewussten, der Phantasie? Dann ein kafkaesker Schluss: "Dennoch muss ich mich damit abfinden, dass nur ich der Briefschreiber sein kann." Oder die ebenso kurze Legende "Zukunft", die sich in einen Satz fassen lässt: "Sie ging hinaus und ward nicht mehr gesehen." "Sie", eine junge Frau, behauptet in einer Runde, Vergangenheit ohne Zukunft sei nicht denkbar. Der Erzähler entgegnet, er könne sich eine Zukunft mit ihr vorstellen, doch angesichts seines Alters entspreche der dann wenig Vergangenheit. Er sieht "sie" entschwinden, erblickt sie am Ende seines Lebens aber wieder - winkend. Schlusssatz: "Mit letzter Kraft hob ich die Hand und winkte zurück."
Andere Geschichten sind weniger rätselhaft, keiner fehlt es aber an Tiefe. Ihre Protagonisten sind in aller Regel Suchende. Durchaus als in Georg Lukács' Sinn moderne, also problematische Romanfiguren leiden sie alle an einer gewissen Verunsicherung, Haltlosigkeit, Unentschiedenheit, Orientierungsschwäche, mangelnder Tatkraft in Bezug auf ihre eigenen Geschicke. Sie tun wenig und sinnieren viel - vor allem begeben sie sich gern auf eine Suche nach der verlorenen Zeit, geraten in Abgründe ihrer Familiengeschichten, scheitern an der Undurchschaubarkeit anderer, besonders von Frauen, fahren ins Beliebige hinaus und überlassen lieber Trampern die Bestimmung ihres Reiseziels. Kafkas Aphorismus "Wer sucht, findet nicht, aber wer nicht sucht, wird gefunden", kommt einem da mehr als einmal in den Sinn.
Besonders erhellend sind einige der Schriftstellerfiguren. In der Erzählung "Aus dem Leben eines Schriftstellers" ist es ein über siebzigjähriger Autor, der seinen größten Erfolg - "Der Patriarch", erschienen vor vier Jahrzehnten und inzwischen Schullektüre - neu fassen soll. Statt aber diese Lieblingsidee seines Verlegers zu verwirklichen, lenkt sich dieser "Arbeiter des Kopfes" mit Essays und Nachworten ab. Ansonsten beschäftigt er sich mit seiner Lektorin, die in sein Gartenhaus gezogen ist und über die Lektüre seiner Tagebücher immer tiefer in sein Leben vordringt. Diesem einsamen Grübler mit ausgeprägter Abneigung gegen Theorie, der "allergisch gegen Originalität" ist, vermittelt die junge Frau so etwas wie einen Weltbezug. Vor allem in dieser Geschichte voll feiner Ironie und sanfter Melancholie ist der Ton Michael Krügers, wie man ihn aus Reden und Laudationes kennt, am stärksten ausgeprägt. Als Leiter des Hanser Verlags kam er ein Leben lang täglich mit allen möglichen Typen von Literaten zusammen. Ein Wort seines erzählerisch porträtierten Autors wirkt da wie ein Aperçu, das alle denkbaren Schrullen und Empfindlichkeiten parodiert: "Ein Schriftsteller, der nicht schreibt, schien mir nun endgültig das höchste Ziel des Schreibens zu sein."
ALEXANDER KOSENINA.
Michael Krüger: "Der Gott hinter dem Fenster".
Erzählungen.
Haymon Verlag, Innsbruck, Wien 2015. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Auch wenn die Figuren dieses tragikomischen Erzählbandes allesamt Melancholiker sind, hat Rezensent Roman Bucheli Michael Krügers "Gott hinter dem Fenster" ausgesprochen gern gelesen. Mit Witz, Ironie und Sarkasmus erzähle der Autor von alten, müden und misanthropischen Männern, meist Schriftstellern, die sich ihn ihrem Kulturpessimismus ergehen, informiert der Kritiker, der insbesondere bewundert, wie brillant Krüger die Grenze zwischen Autobiografie und Fiktion auslotet. Dieses Buch ist eine ebenso einfühlsame wie amüsante Anatomie des Melancholikers, schließt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Michael Krüger arrangiert Tempi und die Stimmungen wie ein Komponist, der ein Andante mit einem Presto unterbricht, der hellen Witz mit Schwermut mischt." DIE ZEIT, Ulrich Greiner, 14.01.2016 "Michael Krüger, als Lyriker und Essayist ein Meister dichter Formen, erweist sich auch in seinem ersten eigenständigen Erzählband als nachdenklicher, konzentrierter, skeptischer Autor." FAZ, Alexander Kosenina "zarte, lyrische Momente" Süddeutsche Zeitung, Christoph Bartmann "Da schreibt sich einer die Gespenster vom Leibe, indem er sie mit ebenso zärtlicher Empathie schildert, wie er sie spöttisch dem Gelächter preisgibt. Keiner kennt die Anatomie der Melancholiker so gut wie der Melancholiker selber." NZZ, Roman Bucheli "schöne, unaufdringliche, bewundernswert souverän in Stil und Tonfall erzählte und bei aller melancholischen Grundierung durchaus vergnüglich zu lesende Geschichten, die Elegie mit Komik paaren" Ö1, Günter Kaindlstorfer "unaufgeregt, sprach- und gefühlsspielerisch" Nürnberger Nachrichten, Bernd Noack "ein wunderbarer Erzähler" Passauer Neue Presse, Mirja-Leena Zauner "Jedes Wort ist so behutsam gewogen und gesetzt. Alles trifft ins Schwarze, ohne darauf gezielt zu haben." Oberösterreichische Nachrichten, Peter Grubmüller