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In der Praxis der Psychiaterin Cora taucht ein merkwürdiger junger Mann auf, Stanislaus Nagy. Er erzählt Cora von nächtlichen Visionen, in denen ihm Maria Callas erscheint. Eine harmlose Marotte, glaubt Cora zuerst. Doch dann behauptet Nagy plötzlich, der leibhaftige Teufel zu sein und zu Lebzeiten der Callas deren Schicksal bestimmt zu haben. Immer bizarrer werden seine Ausführungen, und doch fühlt sich Cora mehr und mehr zu diesem eigentümlichen Patienten hingezogen.

Produktbeschreibung
In der Praxis der Psychiaterin Cora taucht ein merkwürdiger junger Mann auf, Stanislaus Nagy. Er erzählt Cora von nächtlichen Visionen, in denen ihm Maria Callas erscheint. Eine harmlose Marotte, glaubt Cora zuerst. Doch dann behauptet Nagy plötzlich, der leibhaftige Teufel zu sein und zu Lebzeiten der Callas deren Schicksal bestimmt zu haben. Immer bizarrer werden seine Ausführungen, und doch fühlt sich Cora mehr und mehr zu diesem eigentümlichen Patienten hingezogen.
Autorenporträt
Helmut Krausser, geboren 1964 in Esslingen, schrieb Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Tagebücher und Opernlibretti. Er veröffentlicht zudem Beiträge und Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften und verfasst Musikaufzeichnungen und Hörspiele. Zwei seiner Romane wurden bereits verfilmt. Für seinen Roman «Melodien» wurde er mit dem Tukan-Preis der Stadt München ausgezeichnet.Helmut Krausser ist verheiratet und lebt in Rom und Potsdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.1998

Schnüffeln am Hocker der Diva
Der Witz kommt gern im Dauerlauf: Helmut Krausser erzählt obskur

Diesem Stanislaus Nagy erscheint die Callas, und außerdem ist er der Teufel! Jedenfalls erzählt er seiner Psychiaterin Cora Dulz erst das eine, etwas später auch das andere. Ein Glück ist es dann, daß sie "diesem obskuren Menschen gegenüber eine noch obskurere Zuneigung empfand. Ihr war, als schmelze sie unter seinen Worten hin und triebe auf einer Gondel davon."

Allerdings lebt sie mit dem Steuerberater Robert auch in einer verödeten Ehe. Gegen alle Regeln der Kunst trifft sie ihren Patienten dann auch privat. Da er sie aber verschmäht, lauert sie ihm auf und folgt ihm in jenen Varieté-Nightclub, wo er als "der große Bagarozy" den Zauberkünstler spielt, und in seinen Keller, wo er ihr einen Kuß verpaßt, bei dem ihr übel wird, ehe er sie zynisch von sich weist: "Dein Körper ist ein Massengrab verschenkter Möglichkeiten" (den Körper der jungen Maria Callas hatte er "einen überbelegten Pralinenfriedhof" genannt). Da erschießt sie mit der von Nagy geklauten Pistole ihren Robert und lenkt den Verdacht auf den Patienten. Der aber ist verschwunden.

So plump darf man diese Geschichte natürlich nicht erzählen. Denn sie läuft für Leserinnen und Leser unter der Voraussetzung ab, daß dieser Nagy geisteskrank ist. Er glaubt fest daran, daß er der Leibhaftige ist, ein armer Teufel freilich, der jemanden braucht, der ihm beim Erzählen zuhört. Jahrelang hat er, wie er meint, das Schicksal der Callas bestimmt, sozusagen als Kern jenes Pudels, den er seiner Psychiaterin auf einem Foto zeigt (die Fotos sind dem Text beigegeben): Er schnüffelt da zu Füßen der auf einem Barhocker sitzenden Diva: "Mein Lieblingsfoto von uns." Freilich hat er (wie schon bei Gretchen) nicht ganz freie Hand: "Es gibt ein Foto von Maria, Gott und mir. Da. Der schwarze Pudel - das bin ich!"

Auf dem Bild sieht man die Callas mit ihren Pudeln, einem schwarzen und einem weißen! Dies ist die andere, die hintergründige Geschichte: das Leben der Diva aus der Perspektive ihres sie anhimmelnden satanischen Chef-Impresarios, der sich ihr nur in Gestalt dieses Pudels hat nähern können. Jetzt, viele Jahre nach dem Tod der Callas, ist er ein müder Mephisto geworden: "Die Welt braucht mich nicht mehr. Ich hätte gehen sollen, als Gott ging."

Vielleicht braucht ihn die Welt aber auch nicht mehr, um die Biographie der Callas zu erzählen? Obwohl das Buch, alle Vorsatz- und Titelblätter mitgerechnet, nur 184 Seiten hat, zieht es sich in die Länge, wenn der Teuflische erzählt. Das liegt daran, daß der Ureinfall zuerst zwar grotesk wirkt, auf die Dauer jedoch schal, wenn nicht sogar albern: "Ich kann diesen Park nicht länger ertragen", stöhnt er, "Da! An diesem Baum dort . . . hab ich mein Hinterbein gehoben."

Ein vielleicht unfreiwilliges Konstruktionsprinzip beherrscht diesen kleinen Roman. Es läßt sich am leichtesten an der ersten Schlußpointe erkennen (die zweite soll nicht verraten werden): die Mordkommission findet Nagy nicht in seiner Wohnung. Obwohl er keinen Hund hatte, trifft sie dort nur einen schwarzen Pudel an, der sich davon macht und im Lift mit der Schnauze den Knopf "Erdgeschoß" drückt!

Bei einer gewissen Art von Witzen, so meinte Sigmund Freud, rührt die Wirkung daher, daß "ein einzelner Aufwand erspart wird, den wir zu machen gewohnt sind, und den wir auch diesmal zu machen schon in Bereitschaft waren". Genau das Gegenteil geschieht bei Nagys mephistophelischem Abgang. Der Aufwand, den der Erzähler uns zumutet, diesem Nagy immer tiefer in seiner Teufelsrolle zu folgen, wird nicht aufgehoben, sondern verdoppelt. Eine Zumutung wird durch eine andere überboten. Die Überführung Mephistos aus der psychiatrischen Fiktion in die epische Realität kann man eine enttäuschende Überraschung nennen. Sie mag dem, der sie erfand, diebisches Vergnügen bereitet haben, aber dem, der sie liest, entlockt sie bestenfalls eine etwas müde Heiterkeit.

Dieses Prinzip steuert auch die Metamorphose des verrückten Callas-Fans zum neuen Mephisto: Nachdem er seine Visionen mehrfach ausgemalt hat, gesteht er, daß er gar keine hat, denn er sieht die Callas ja wirklich, wann immer er will, "in einer Halle hinter der Sehnsucht". Er ist eben nicht an Raum und Zeit gebunden, und außerdem hat er sie gut gekannt - eben als Teufel in Pudelgestalt. So schürzt sich auch der dramatische Knoten: in seinem Keller macht Nagy der Psychiaterin schließlich das vernichtende Geständnis (kurz vor dem erwähnten bösen Kuß), daß er sich für sie gar nicht als Ärztin oder gar als Frau interessiert hätte, sondern weil sie der Callas ähnlich sehe, der Callas auf jenem letzten Foto der zu früh gealterten krummen Frau mit ihrer Einkaufstasche und dem Pudel im Arm vor ihrer Haustür in Paris.

Auch stilistisch wird mit solcherart Überraschungen gespielt: Die Ärztin macht sich Notizen in sonderbar abgekürzten Wörtern, die man spielerisch zu entziffern versucht. Eine Seite später werden die Kürzel aufgelöst, und, Gipfel der Platitüde, die Auflösung wird auch noch episch motiviert: "Cora vergewisserte sich der Bedeutung ihrer Kürzel." Und dann erst der große Bagarozy! Den Namen liest Cora auf dem Plakat des Varieté-Theaters, wo Nagy als Zauberkünstler auftritt, und der allwissende Epiker setzt in Klammern hinzu: "(klang von irgendwoher vertraut)" - wie bedeutungsschwanger und peinlich, denn wer den Namen nicht kannte, hatte knapp hundert Seiten vorher Gelegenheit, von Nagy selber zu erfahren, daß Bagarozy der zwar windige, aber doch wenigstens ganz diesseitige, wirkliche Impresario der Callas war.

In einem Interview hat Krausser seinen Roman "ein urbanes Märchen für einen Nachmittag im Schwimmbad" genannt, mit dem er habe beweisen wollen, daß er etwas "wirklich Witziges schreiben kann". Witz bekommen die enttäuschenden Überraschungen erstaunlicherweise erst, wenn man das Buch zum zweitenmal zu lesen versucht: da kann man sich, von der Handlung unbehelligt, in den Autor versetzen und sich vorstellen, wie witzig er es gefunden haben muß, dieses Festival des Recycling zu organisieren. Wem das noch nicht witzig genug ist, der sollte es vielleicht einmal im Schwimmbad versuchen! HANS-HERBERT RÄKEL

Helmut Krausser: "Der große Bagarozy". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 1997. 192 S., 8 Fotos, geb., 29,80 DM.

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Eine beeindruckende Hommage an die Callas und ihre überirdische Musik. Spiegel Special