Das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) blieb auch nach seiner formellen Gleichberechtigung mit dem sowjetischen Geheimdienst KGB 1958 ein »Diener zweier Herren«. Es agierte weiterhin zugleich als »Schild und Schwert« der herrschenden Staatspartei SED und als Dienstleister für die sowjetischen »Freunde«.Tatsächlich prägte nicht Gleichberechtigung, sondern informelle Unterwerfung des MfS die Kooperation mit dem KGB. Kaum bekannt ist, dass der KGB nicht nur die Möglichkeiten und Kapazitäten des MfS benutzte, sondern auch jene von Volkspolizei und Innenministerium, um seine Agenten-Netze für die Spionage im Westen zu stärken und auszubauen oder Informationen in der DDR zu sammeln - und dies oftmals ohne Wissen des MfS. Der KGB betrachtete die DDR als seine operative Spielwiese, in der er alleine die Gesetze des Handelns bestimmte.Dieser Band veranschaulicht anhand neu ausgewerteter Dokumente mit vielen konkreten Beispielen die unterschiedlichen Facetten der KGB-Präsenz in derDDR.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Ulrich Schmidt lernt in dem von Douglas Selvage und Georg Herbstritt herausgegebenen Band, wie der KGB die Stasi auch nach 1958 kontrollierte. Was die Autoren aus dem Bundesarchiv und dem Mitrochin-Archiv in Cambridge ans Licht holen, erschließt Schmidt das skrupellose Vorgehen des KGB bei der Erschaffung künstlicher Identitäten, die Störaktionen gegen Sacharow wie auch Pleiten und Pannen im Verhältnis des sowjetischen und des ostdeutschen Geheimdienstes. Neben dem historischen Wert des Bandes betont Schmidt auch seine erhellende Wirkung in Bezug auf heutige Praktiken des russischen Geheimdienstes.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2022Nicht auf Augenhöhe
Ein neuer Sammelband untersucht das Verhältnis von KGB und DDR-Staatssicherheit
Am 31. Dezember 1985 erhielt der KGB-Major Wladimir Putin in Dresden einen Dienstausweis des Ministeriums für Staatssicherheit. Das bedeutete allerdings nicht, dass er für den DDR-Geheimdienst arbeitete. Das Dokument war bezeichnend für das Autoritätsgefälle zwischen KGB und Stasi: Putin bekam Zugang zum Dienstgebäude der Staatssicherheit und konnte dort Akten einsehen. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Geheimdiensten war 1978 durch ein Protokoll geregelt worden. Im Vordergrund standen dabei "der Austausch von Mustern operativer Technik", "die abwehrmäßige Sicherung von Objekten der UdSSR" und "der Schutz sowjetischer militärischer Einheiten, Einrichtungen und Bürger" in der DDR. Allerdings war klar, dass die geheimdienstliche Kooperation nicht auf Augenhöhe erfolgte. Der KGB gab den Ton an, und die Stasi musste sich nach den Vorgaben des "großen Bruders" richten.
Douglas Selvage und Georg Herbstritt von der Forschungsabteilung Stasi-Unterlagen im Bundesarchiv haben nun einen instruktiven Band herausgegeben, der das Verhältnis des sowjetischen und des ostdeutschen Geheimdienstes neu ausleuchtet. Die Autoren stützen sich auf rekonstruierte Stasi-Bestände und das sogenannte Mitrochin-Archiv. Wassili Mitrochin war ein KGB-Mitarbeiter, der während seiner Arbeit zahlreiche Notizen anfertigte. Er floh 1992 nach Großbritannien. Seine Papiere sind nun an der Universität Cambridge für Forscher zugänglich.
Der KGB hatte die Stasi zwar 1958 in die formelle Unabhängigkeit entlassen, achtete aber sorgfältig auf eine weitere Kontrolle. Es gab nicht nur "legale" KGB-Vertretungen wie in Karlshorst oder in der sowjetischen Botschaft in Ostberlin, sondern seit 1974 auch "illegale Residenturen", über deren Existenz die DDR-Behörden im Dunkeln gelassen wurden. Die Aufgabe dieser Spionage unter Freunden bestand darin, den Kreml aus primären Quellen über die Westpolitik des SED-Regimes zu unterrichten. Allerdings kam es bei dieser verdeckten Tätigkeit immer wieder zu Pannen, die das eigenmächtige Vorgehen des KGB offenlegten. Der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke und sein Stellvertreter protestierten in diesen Fällen gegen die sowjetische Einschränkung der Souveränität der DDR. Allerdings änderten solche Einsprüche nichts an den Operationen des KGB, der seinen Informanten bisweilen sogar vorgaukelte, sie arbeiteten für die Stasi. Neben den IM gab es auch "vertraute Personen", die nichts über die Geheimdienstverbindungen ihres Gegenübers wussten und - wie es im Spionagejargon heißt - "abgeschöpft" wurden.
Eine ähnliche Asymmetrie des Informationsstandes lässt sich bei der Legalisierung von künstlichen Identitäten beobachten. Spione im Westen wurden auf unterschiedliche Weise mit biographischen Legenden ausgestattet. Erstens gab es Doppelgänger von lebenden Personen, die sorgfältig von der Außenwelt abgeschottet wurden. Der vielleicht berühmteste Fall ist Johanna Olbrach, die unter der falschen Identität der westdeutschen Friseurin Sonja Lüneburg zur Chefsekretärin des FDP-Politikers Martin Bangemann aufstieg. Die Identitätsspenderin wurde in einer Ostberliner Psychiatrieklinik festgehalten und mit Medikamenten sediert. Zweitens konnten durch Manipulation von Zivilstandsregistern fiktive Kinder von realen Eltern entstehen. Hier griff der KGB oft ohne Wissen der Stasi direkt in die Standesämter der DDR ein. Schließlich wurden Identitäten auch frei erfunden.
Der KGB spannte die Stasi bei einzelnen "aktiven Maßnahmen" ein. Ein Dorn im Auge war beiden Geheimdiensten etwa die 1972 gegründete westdeutsche "Internationale Gesellschaft für Menschenrechte", die sich später für die Einhaltung der Helsinki-Schlussakte von 1975 einsetzte. Die Stasi destabilisierte im Auftrag des KGB die Organisation, indem sie im Namen des Vorstandes gefälschte Briefe an die Mitglieder und an hochrangige Politiker verschickte, in denen Menschenrechtsverletzungen in der Bundesrepublik angeprangert wurden. Ein in die Gesellschaft eingeschleuster IM brüstete sich damit, dass sich die Gesellschaft aufgrund seiner Aktivität 1978 in einen Westberliner und Frankfurter Flügel spaltete. Allerdings waren eher persönliche Rivalitäten im Vorstand und parteipolitische Dissonanzen für die Spaltung verantwortlich - die Erfolgsmeldung des IM diente wahrscheinlich der Selbstprofilierung der Geheimdienste.
Auch Störaktionen gegen den Menschenrechtler Andrej Sacharow wurden vom KGB initiiert und von der Stasi unterstützt. Nachdem der Physiker 1975 den Friedensnobelpreis erhalten hatte, versuchte man zunächst, Sacharow aus der sowjetischen Akademie der Wissenschaften auszuschließen - dieses Vorhaben scheiterte allerdings am Widerstand der Akademiemitglieder. Auch eine Internierung wurde erwogen - sie wurde erst fünf Jahre später umgesetzt. Sacharows internationale Prominenz schützte ihn vor einem Zugriff der sowjetischen Behörden. Allerdings orchestrierte der KGB mithilfe der Stasi eine mediale Hetzkampagne gegen Sacharow, dessen Wirkung allerdings überschaubar blieb. Die Stasi war zunächst nur im Auftrag des KGB gegen Sacharow aktiv geworden, entwickelte aber Eigeninitiative, als Sacharow auch Menschenrechtsverletzungen in der DDR thematisierte.
Die wechselvolle Zusammenarbeit der beiden Geheimdienste wurde übersteuert durch direkte Denunziationen aus der DDR-Führung. So beklagte sich Werner Krolikowski 1981 beim Moskauer Zentralkomitee der Kommunistischen Partei über den BRD-freundlichen Kurs Honeckers und seines Planwirtschaftssekretärs Günter Mittag. Krolikowski fordert offen die Entfernung von Mittag aus dem Politbüro - im moskautreuen Kreis in der DDR scherzte man in einem plumpen Wortspiel "Wer kommt nach Mittag?". Allerdings mochte der greise Breschnew nicht bis nach Ostberlin durchregieren und begnügte sich mit einigen ermahnenden Bemerkungen an Honecker. Das deutsch-deutsche Verhältnis war nicht der einzige Punkt, der zwischen Ostberlin und Moskau für Verstimmungen sorgte. Man stritt sich auch über den Preis für Uran aus Wismut, über die Kosten für die Stationierung der sowjetischen Armee und über die Förderung der russischen Sprache und Kultur in der DDR.
Der Sammelband über die Geheimdienstpraktiken des KGB und der Stasi hat nicht nur historischen Wert: Viele "aktive Maßnahmen" des FSB sind bis heute von sowjetischen Mustern beeinflusst - von der Vergiftung Skripals bis zur Diskreditierung Nawalnyjs. ULRICH SCHMID
Douglas Selvage/Georg Herbstritt (Hrsg.): Der "große Bruder". Studien zum Verhältnis von KGB und MfS 1958 -1989.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2022. 364 S., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein neuer Sammelband untersucht das Verhältnis von KGB und DDR-Staatssicherheit
Am 31. Dezember 1985 erhielt der KGB-Major Wladimir Putin in Dresden einen Dienstausweis des Ministeriums für Staatssicherheit. Das bedeutete allerdings nicht, dass er für den DDR-Geheimdienst arbeitete. Das Dokument war bezeichnend für das Autoritätsgefälle zwischen KGB und Stasi: Putin bekam Zugang zum Dienstgebäude der Staatssicherheit und konnte dort Akten einsehen. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Geheimdiensten war 1978 durch ein Protokoll geregelt worden. Im Vordergrund standen dabei "der Austausch von Mustern operativer Technik", "die abwehrmäßige Sicherung von Objekten der UdSSR" und "der Schutz sowjetischer militärischer Einheiten, Einrichtungen und Bürger" in der DDR. Allerdings war klar, dass die geheimdienstliche Kooperation nicht auf Augenhöhe erfolgte. Der KGB gab den Ton an, und die Stasi musste sich nach den Vorgaben des "großen Bruders" richten.
Douglas Selvage und Georg Herbstritt von der Forschungsabteilung Stasi-Unterlagen im Bundesarchiv haben nun einen instruktiven Band herausgegeben, der das Verhältnis des sowjetischen und des ostdeutschen Geheimdienstes neu ausleuchtet. Die Autoren stützen sich auf rekonstruierte Stasi-Bestände und das sogenannte Mitrochin-Archiv. Wassili Mitrochin war ein KGB-Mitarbeiter, der während seiner Arbeit zahlreiche Notizen anfertigte. Er floh 1992 nach Großbritannien. Seine Papiere sind nun an der Universität Cambridge für Forscher zugänglich.
Der KGB hatte die Stasi zwar 1958 in die formelle Unabhängigkeit entlassen, achtete aber sorgfältig auf eine weitere Kontrolle. Es gab nicht nur "legale" KGB-Vertretungen wie in Karlshorst oder in der sowjetischen Botschaft in Ostberlin, sondern seit 1974 auch "illegale Residenturen", über deren Existenz die DDR-Behörden im Dunkeln gelassen wurden. Die Aufgabe dieser Spionage unter Freunden bestand darin, den Kreml aus primären Quellen über die Westpolitik des SED-Regimes zu unterrichten. Allerdings kam es bei dieser verdeckten Tätigkeit immer wieder zu Pannen, die das eigenmächtige Vorgehen des KGB offenlegten. Der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke und sein Stellvertreter protestierten in diesen Fällen gegen die sowjetische Einschränkung der Souveränität der DDR. Allerdings änderten solche Einsprüche nichts an den Operationen des KGB, der seinen Informanten bisweilen sogar vorgaukelte, sie arbeiteten für die Stasi. Neben den IM gab es auch "vertraute Personen", die nichts über die Geheimdienstverbindungen ihres Gegenübers wussten und - wie es im Spionagejargon heißt - "abgeschöpft" wurden.
Eine ähnliche Asymmetrie des Informationsstandes lässt sich bei der Legalisierung von künstlichen Identitäten beobachten. Spione im Westen wurden auf unterschiedliche Weise mit biographischen Legenden ausgestattet. Erstens gab es Doppelgänger von lebenden Personen, die sorgfältig von der Außenwelt abgeschottet wurden. Der vielleicht berühmteste Fall ist Johanna Olbrach, die unter der falschen Identität der westdeutschen Friseurin Sonja Lüneburg zur Chefsekretärin des FDP-Politikers Martin Bangemann aufstieg. Die Identitätsspenderin wurde in einer Ostberliner Psychiatrieklinik festgehalten und mit Medikamenten sediert. Zweitens konnten durch Manipulation von Zivilstandsregistern fiktive Kinder von realen Eltern entstehen. Hier griff der KGB oft ohne Wissen der Stasi direkt in die Standesämter der DDR ein. Schließlich wurden Identitäten auch frei erfunden.
Der KGB spannte die Stasi bei einzelnen "aktiven Maßnahmen" ein. Ein Dorn im Auge war beiden Geheimdiensten etwa die 1972 gegründete westdeutsche "Internationale Gesellschaft für Menschenrechte", die sich später für die Einhaltung der Helsinki-Schlussakte von 1975 einsetzte. Die Stasi destabilisierte im Auftrag des KGB die Organisation, indem sie im Namen des Vorstandes gefälschte Briefe an die Mitglieder und an hochrangige Politiker verschickte, in denen Menschenrechtsverletzungen in der Bundesrepublik angeprangert wurden. Ein in die Gesellschaft eingeschleuster IM brüstete sich damit, dass sich die Gesellschaft aufgrund seiner Aktivität 1978 in einen Westberliner und Frankfurter Flügel spaltete. Allerdings waren eher persönliche Rivalitäten im Vorstand und parteipolitische Dissonanzen für die Spaltung verantwortlich - die Erfolgsmeldung des IM diente wahrscheinlich der Selbstprofilierung der Geheimdienste.
Auch Störaktionen gegen den Menschenrechtler Andrej Sacharow wurden vom KGB initiiert und von der Stasi unterstützt. Nachdem der Physiker 1975 den Friedensnobelpreis erhalten hatte, versuchte man zunächst, Sacharow aus der sowjetischen Akademie der Wissenschaften auszuschließen - dieses Vorhaben scheiterte allerdings am Widerstand der Akademiemitglieder. Auch eine Internierung wurde erwogen - sie wurde erst fünf Jahre später umgesetzt. Sacharows internationale Prominenz schützte ihn vor einem Zugriff der sowjetischen Behörden. Allerdings orchestrierte der KGB mithilfe der Stasi eine mediale Hetzkampagne gegen Sacharow, dessen Wirkung allerdings überschaubar blieb. Die Stasi war zunächst nur im Auftrag des KGB gegen Sacharow aktiv geworden, entwickelte aber Eigeninitiative, als Sacharow auch Menschenrechtsverletzungen in der DDR thematisierte.
Die wechselvolle Zusammenarbeit der beiden Geheimdienste wurde übersteuert durch direkte Denunziationen aus der DDR-Führung. So beklagte sich Werner Krolikowski 1981 beim Moskauer Zentralkomitee der Kommunistischen Partei über den BRD-freundlichen Kurs Honeckers und seines Planwirtschaftssekretärs Günter Mittag. Krolikowski fordert offen die Entfernung von Mittag aus dem Politbüro - im moskautreuen Kreis in der DDR scherzte man in einem plumpen Wortspiel "Wer kommt nach Mittag?". Allerdings mochte der greise Breschnew nicht bis nach Ostberlin durchregieren und begnügte sich mit einigen ermahnenden Bemerkungen an Honecker. Das deutsch-deutsche Verhältnis war nicht der einzige Punkt, der zwischen Ostberlin und Moskau für Verstimmungen sorgte. Man stritt sich auch über den Preis für Uran aus Wismut, über die Kosten für die Stationierung der sowjetischen Armee und über die Förderung der russischen Sprache und Kultur in der DDR.
Der Sammelband über die Geheimdienstpraktiken des KGB und der Stasi hat nicht nur historischen Wert: Viele "aktive Maßnahmen" des FSB sind bis heute von sowjetischen Mustern beeinflusst - von der Vergiftung Skripals bis zur Diskreditierung Nawalnyjs. ULRICH SCHMID
Douglas Selvage/Georg Herbstritt (Hrsg.): Der "große Bruder". Studien zum Verhältnis von KGB und MfS 1958 -1989.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2022. 364 S., 25,- Euro.
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