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Am Ende des 20. Jahrhunderts schreibt der indische Schriftsteller Shashi Tharoor seine moderne Version des rund 2000 Jahre alten indischen Epos Mahabharata.

Produktbeschreibung
Am Ende des 20. Jahrhunderts schreibt der indische Schriftsteller Shashi Tharoor seine moderne Version des rund 2000 Jahre alten indischen Epos Mahabharata.
Autorenporträt
Tharoor, Shashi
Shashi Tharoor wurde 1956 in London geboren, er studierte in Bombay, Kalkutta, Delhi Geschichte und in den USA Jura. Seit 1978 arbeitet er für die UNO. Von 1989 bis 1996 war er verantwortlich für friedenserhaltene Maßnahmen im ehemaligen Jugoslawien, von 1997 bis 1998 Assistent von Kofi Annan, der ihn Ende Mai 2002 zum Leiter der Abteilung (mit mehr als 700 Mitarbeitern) für Öffentlichkeitsarbeit ernannt hat. Shashi Tharoor ist Autor zahlreicher Artikel, Kurzgeschichten und politischer Kommentare. Für seine schriftstellerische Arbeit hat er mehrere Auszeichnungen erhalten, u.a. den "Commenwealth Writers Prize". www.shashitharoor.com

Anke Kreutzer studierte Anglistik, Germanistik und Kunstwissenschaft. Neben ihrer Tätigkeit als Übersetzerin leistet sie internationale Friedensarbeit, u.a. für die UNO.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.1996

Der Große Mango-Marsch
Unterwegs mit Gandhi: Shashi Tharoor schreibt den Roman Indiens

Als Shashi Tharoor 1988 seinen Roman "The Great Indian Novel" veröffentlichte, befürchtete der Kolumnist Khushwant Singh ein Verbot des Buches durch die indische Regierung. Denn der Schriftsteller hatte sich gleich zweifach gegen die Nation versündigt. Tharoor hatte das bedeutendste Epos der indischen Kultur, das "Mahabharata", zur Vorlage eines dreisten satirischen Romans über die Geschichte Indiens von den Anfängen der Befreiungsbewegung bis zur Gegenwart genommen, und dabei mußte nicht nur das ehrwürdige Sanskrit-Epos Federn lassen, auch historische Figuren Indiens wie Mahatma Gandhi und Indira Gandhi werden mit beißendem Witz beschrieben.

Wie stark sich das zeitgenössische Indien mit seinem Mythos identifiziert, zeigt die Entwicklung des politischen Hindu-Fundamentalismus. Beim Streit um den Geburtsort Ramas, des Helden des Epos "Ramayana", haben die rechtsgerichteten politischen Kräfte einen starken Aufschwung genommen. Zwar ist der Mythos im Hinduismus offen, er darf sich weiterentwickeln, doch ist Rücksichtnahme auf die religiösen Gefühle geboten. Dennoch blieb Tharoor ein Bannspruch, wie ihn kürzlich noch Salman Rushdie für seinen Roman "Des Mauren letzter Seufzer" hinnehmen mußte, erspart. Weil Rushdie einen mächtigen indischen Lokalpolitiker karikiert hatte, wurde die Einfuhr des Buches ein halbes Jahr lang untersagt. Tharoors Aufstieg in die erste Reihe der englischschreibenden indischen Schriftsteller vollzog sich hingegen ungehindert. Bereits sein Erstlingswerk trug ihm den Vergleich mit Rushdie, Vikram Seth und Amitav Ghosh ein.

Tharoors Biographie ähnelt der seiner bekannteren Kollegen: geboren in London, aufgewachsen in Bombay und Kalkutta, Student in Delhi und den Vereinigten Staaten. Nach dem Examen hat der Jurist und Diplomat bei der UN-Kommission für Flüchtlinge in Genf, Singapur und New York gearbeitet. Tharoor teilt mit den genannten Autoren aber auch den Ehrgeiz. Er will den "Großen Roman" des klassischen Indien, das "Mahabharata", im zeitgenössischen Idiom weiterschreiben und versucht, die jüngste Zeitgeschichte auf ihre wesentlichen Linien zu konzentrieren und in den Bereich des Mythos zu heben.

Tharoor bedient sich der Technik des Schlüsselromans. Dadurch wird der geschichtliche Stoff ein weiteres Mal verfremdet und in eine mythische Zeitlosigkeit gehoben. So sind die historischen Grundlagen des Romans, insbesondere für den deutschen Leser, noch schwerer nachzuvollziehen. In einem Interview zeigte sich der Autor erstaunt darüber, daß sein Buch in mehrere europäische Sprachen übersetzt worden ist. Er habe allein für den indischen Leser geschrieben, und tatsächlich darf man die zum Verständnis erforderlichen Grundkenntnisse des "Mahabharata" sowie der indischen Geschichte dieses Jahrhunderts wohl nur vom gebildeten Inder erwarten.

Das "Mahabharata" (eine handliche Zusammenfassung ist beim Diederichs Verlag erschienen) beschreibt in verflochtenen Handlungssträngen den Kampf der Clans der Kauravas und der Pandavas. Höhepunkt ist die Entscheidungsschlacht von Kurukshetra, vor der die "Bhagavad-Gita", das berühmte Lehrgedicht, verkündet wird. Tharoor funktioniert die Fehde der beiden Clans kurzerhand in die Feindschaft zwischen Indien und Pakistan um. Jinnah, der Begründer Pakistans, nimmt den Namen Karna an, der im Mythos der illegitime Sohn von Kunti ist, der Mutter der fünf Pandava-Brüder.

Daß mit der Romanfigur Ganga Datta der historische Mahatma Gandhi gemeint ist, wird sich jeder Leser denken können, vielleicht auch noch, daß hinter Dhritarashtra Jawaharlal Nehru steckt und seine Tochter Priya Duryodhani Züge der herrischen Indira Gandhi trägt. Aber wer ist Draupadi Mokrasi, wer Pandu, wer Sishu Pal? Hinzu kommt, daß der Übersetzung, die geschickt und kenntnisreich ist, zahlreiche Andeutungen und Persiflagen zum Opfer fallen, die auf einem kaum übersetzbaren Wortwitz beruhen. Wenn zum Beispiel in einer Kapitelüberschrift "Rigged Veda" zu einem nichtssagenden "Rigg-Veda" verkümmert, bleibt nichts übrig von der frechen Verballhornung des Namens "Rig-Veda", eines berühmten heiligen Hindutextes, durch die Assoziation mit dem englischen "rigged" (manipuliert, geschoben).

Geht für den deutschen Leser also allzuviel von der Handlung verloren? Nein, denn man kann diese amüsante Prosa mit ihren meisterhaft knappen Charakterisierungen auch dann genießen, wenn der zeitgeschichtliche Hintergrund nur in großen Zügen bekannt ist. Erzählfleisch und literarische Aufbereitung erwecken den historischen Kern zum Leben. Packend ist zum Beispiel die Darstellung des tragischen Massakers von Jallianwala Bagh (1913), das hier als Massaker von Hastinapur firmiert. Ebenso eindringlich wird Gandhis berühmter Salzmarsch ("der Große Mango-Marsch") geschildert. Gandhi steht im Mittelpunkt des Buches, solange er lebt, immer wieder reißt er, wie der Autor beklagt, "die Geschichte an sich". Doch sosehr der Erzähler diese auch schrullige Figur bespöttelt, er kann ihr seinen Respekt nicht versagen. Dafür läßt er an den Briten kein gutes Haar: er versetzt ihnen, erbost über ihren kolonialen Regierungsstil, Seitenhiebe, wo er kann. Während er Kashmir zu Minmir, Tibet zu Tibia verschlüsselt, nennt er Großbritannien beim Namen. Sein Zorn will treffen.

Shashi Tharoor war gerade dreiunddreißig Jahre, als der Roman erschien; es ist ein jugendlich schwungvoller, frecher und blitzgescheiter Roman. Seine beiden nächsten Bücher, eine Sammlung von Erzählungen ("Five-Dollar Smile") und ein zweiter Roman ("Show Business") über die Filmindustrie in Bombay, haben bei den Kritikern keine Gnade gefunden. Schon wird Tharoors erster Erfolg als sein letzter bezeichnet. Man sollte ihm mehr Zeit lassen. MARTIN KÄMPCHEN

Shashi Tharoor: "Der Große Roman Indiens". Aus dem Englischen übersetzt von Anke Kreutzer. Claassen Verlag, Hildesheim 1995. 559 S., geb., 58,- DM.

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