Produktdetails
  • Verlag: Goldmann
  • ISBN-13: 9783442722204
  • Artikelnr.: 24919768
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.1996

Das Herz des Herrn Bplzznt
Linkische Avancen: Dreißig Geschichten des Spaniers Quim Monzó

Geliebt zu werden ist noch immer um vieles komplizierter, als nicht geliebt zu werden. Und so stürzen sich die Figuren in den dreißig Geschichten des Quim Monzó in ihre Beziehungen wie andere aufs Bahngleis - stets in der Angst, es könnte plötzlich doch funktionieren und das lustvolle Unglück fände ein Ende. Im Grunde haben wir es im literarischen Personal des jungen, erfolgreichen Autors aus Spanien sämtlich mit Monomanen zu tun, wie man sie auch von Alberto Moravia kennt. Ihre Avancen sind linkisch, ihre Kontaktversuche schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt, so als hätten sie nur den noch ausstehenden Beweis zu erbringen, daß es ohnehin keinen Zweck hat mit den Dingen der Liebe. Wo kämen wir auch hin, wenn jeder sein Lebensglück fände und im Halbdunkel abdankte, ohne zu klagen. Gar nicht auszudenken, welche Industrien alle in Bedrängnis kämen, lebten die Menschen harmonisch zusammen.

Gottlob ist es anders und permanent schwierig, wo die Körper stolpern und die Herzen brechen und den Herren Rdz und Zgdv und Grupf und Bplzznt und wie sie noch alle heißen auf Schritt und Tritt alles danebengerät. Auf 144 Seiten nichts als Verfehlungen, Verwechslungen und Irritationen. Falsche Erwartungen und falsche Namen unter falschen Telefonnummern. Luxusneurosen, Sexualdefizite, Paradoxien des Alltags. Wohin das Auge auch blickt, alles erscheint in Schieflage wie auf einem Aquarell von Chagall. Ist es tragisch, ist es komisch, was uns umgibt und hier erzählt wird?

Am Ende triumphiert noch das Phantastische über das Reale wie der Cartoon über den Tonfilm. Wo Chaplin nicht mehr aufstehen könnte, erhebt sich im Trick die Figur und wiederholt die Szenen des Sterbens, bis einem das Lachen gefriert - die Groteske kippt ins Absurde. Doch genau das entschärft sie um den Grad ihrer verlorenen Realität, und der groteske Inhalt ist allzuleicht abzuschieben in die Welt der Legenden und Märchen. Es geht einem dann ein wenig wie bei der Betrachtung des Elends im Fernsehen, das ja auch seine Derealisierung dadurch erfährt, daß es medial vermittelt und so seine Wahrheit zumindest in Frage gestellt wird.

Da fällt der Schiefe Turm von Pisa zusammen, just, als ein Paar ihn betritt; da brät eine Katze eine Maus, deren Augen noch blinzeln, am offenen Feuer; da verwandelt sich ein Ballkleid in Lumpen zurück. Und natürlich geht es hauptsächlich nur um das sogenannte Eine. Sie: "Vielleicht liebst du mich nicht." Er: "Ich liebe dich." Sie: "Woher weißt du das." Er: "Ich weiß es nicht. Ich fühle es." Sie: "Wie kannst du sicher sein, daß das, was du fühlst, Liebe ist?" Er: "Ich liebe dich, weil du anders bist als alle Frauen." Sie: "Sagst du das im Ernst?" Er: "Ja." Sie: "Wie sollte ich nicht daran zweifeln?" - und so weiter, und so weiter. Was hier immer noch als harmloser Dialog aneinander vorbeigeht, ist an anderer Stelle dann schon nicht mehr so lustig. Er erzieht sie wie ein Herr seinen Haushund, und als sie ihm alle Wünsche erfüllt, schimpft er sie Hure und wirft sie aus dem Haus hinaus auf die Straße. Oder er kommt mit Zärtlichkeiten, doch sie will geschlagen werden. Oder sie geht in eine Lesung und verliebt sich in den Schriftsteller. Der verliebt sich ebenfalls, heiratet sie, zeugt mit ihr Kinder und gibt sein Schreiben schließlich für ein bürgerliches Leben und einen einträglicheren Brotberuf auf. Abends sinkt er müde ins Bett, während sie das Buch eines Schriftstellers liest, der anderntags an eben jenem Ort eine Lesung abhalten soll, an dem sie ihren Mann kennenlernte. Und dann verliebt sie sich wieder.

Atemberaubendes Tempo und überraschende Wendungen mit mehreren übereinandergeschobenen Pointen sind üblich bei Quim Monzó. Zehn Jahre Lebensgeschichte auf einer dreiviertel Seite sind durchaus normal, ehe es dann plötzlich heißen kann: "Ab diesem Moment überstürzten sich die Ereignisse." Die Figuren sind Schatten von Figuren, mit einer Kamera aus einem Schnellzug fotografiert, ihre Geschichten Slapsticks und groteske Parabeln. Vielleicht ist das Buch mehr noch als kurzweilige Prosa eine brillante Drehbuchvorlage. Wahrscheinlich hatte der Rezensent von "World Literature Today" auch eher die Filmvariante im Sinn, als er schrieb, Quim Monzós Kurzgeschichten seien das Beste, "was Europa im letzten Jahrzehnt hervorgebracht hat". KURT DRAWERT

Quim Monzó: "Der Grund der Dinge". Geschichten. Aus dem Katalanischen übersetzt von Monika Lübcke. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1995. 144 S., geb., 29,80 DM.

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