In der ruhmlosen deutschen Kolonialgeschichte dürfte das Kapitel über Kamerun eines der finstersten sein. Die unter fragwürdigen Begleitumständen ergaunerte Kolonie wurde in einträglicher Zusammenarbeit zwischen wilhelminischen Kolonialbeamten und ehrbaren Kaufleuten in ein Inferno für die versklavte Bevölkerung verwandelt. Einem Sohn des ehemaligen Königs wurde dennoch gestattet, in Deutschland Jura zu studieren. Als Prinz Manga Bell allerdings vom Gelernten Gebrauch machte und vor Gerichten gegen die deutschen Gräueltaten in seiner Heimat klagte, wurde er zu Beginn des ersten Weltkriegs des Hochverrats bezichtigt und in Windeseile aufgehängt. Christian Bommarius, Publizist und Jurist, hat den Fall aufgerollt: Seine Geschichte eines Justizmordes ist zugleich eine Fallstudie über Rassismus, Gier und abgrundtiefe politische Dummheit.
buecher-magazin.deDie Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914 war der Anfang vom Ende der deutschen Kolonialpolitik. Kaum auszuhalten in ihrer rassistischen und menschenverachtenden Attitüde sind die vielen zeitgenössischen Beschreibungen und Zitate, die Christian Bommarius zusammengetragen hat, um den Justizmord des jungen Häuptlings der Duala zu rekonstruieren. Doch aushalten muss man es, denn dieses finstere Kapitel deutscher Allmachtsfantasien in Afrika ist ein blinder Fleck im kollektiven Gedächtnis. Der Fall des Prinzen Manga Bell macht den Schrecken an einem Einzelschicksal greifbar, den machthungrige Kolonialbeamte und geldgierige Kaufleute seit 1884 in der Kolonie Kamerun verbreiteten. Akribisch berichtet der Jurist Bommarius, wie die Duala den Deutschen die Hoheitsrechte übertrugen, in einem Schutzvertrag, der den Duala aber den Besitz ihres Bodens und das Monopol auf den Handel mit dem Hinterland garantierte. Diese Garantien wurden systematisch ausgehöhlt, die Bevölkerung ausgebeutet. Doch die Söhne der "Kings und Chiefs", die im Kaiserreich ihre Bildung kultivierten, lernten dort auch das deutsche Rechtssystem kennen. Als sich Prinz Manga Bell auf dieses Recht beruft, ist das sein Todesurteil - und gleichzeitig der Todesstoß für das rechtsbrecherische deutsche Kolonialsystem.
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.2015Verräter werden gehängt
Christian Bommarius notiert, was die wilhelminische Kolonialpolitik anrichtete
Am 8. August 1914, der Erste Weltkrieg hatte gerade begonnen, vollzog sich in Douala, der Wirtschaftsmetropole des deutschen "Schutzgebietes" Kamerun, der letzte Akt eines kolonialen Dramas. Prinz Rudolf Manga Bell, das wichtigste Oberhaupt der Duala und lange Zeit ein enger Gefolgsmann der deutschen Kolonialherren, wurde durch den Strang hingerichtet. Die Kolonialverwaltung hatte ihn, so verkündete es der Gouverneur noch am selben Tag in einer Ansprache, als "Verräter an Kaiser und Reich" überführt.
Die Exekution markierte den Höhepunkt eines Konfliktes, der sich vier Jahre zuvor entzündet hatte. Der Journalist und Jurist Christian Bommarius schildert in seiner eingängig geschriebenen Darstellung diese wenig bekannte Episode des deutschen Kolonialismus in Afrika. Sie widmet sich keineswegs nur der Ermordung Manga Bells, sondern bietet darüber hinaus informative, mit zahlreichen Quellenzitaten versehene Einblicke in die Geschichte Kameruns unter deutscher Herrschaft. Ohne Fußnoten zwar, aber in enger Tuchfühlung zumindest mit der deutschsprachigen Fachliteratur.
Vertreter der Duala hatten 1884 einen Vertrag mit Hamburger Kaufleuten geschlossen, der faktisch die formelle Kolonialherrschaft in Kamerun einleitete. Als die Deutschen jedoch diese Abmachungen ignorierten, zunehmend mit Zwang operierten, lokale Herrscher öffentlich auspeitschten und Landraub begingen, griffen die Afrikaner unter anderem zum Mittel der Petition. Sie listeten ihre Beschwerden auf und adressierten sie an den Reichstag; eine Delegation der Duala machte sich nach Berlin auf und brachte ihre Kritik beim Reichskolonialamt vor. Die Verwaltung in Kamerun verurteilte die Petenten darauf wegen "Beleidigung" zu hohen Gefängnisstrafen und Zwangsarbeit. Das erregte wiederum in der deutschen Öffentlichkeit und im Reichstag beträchtliches Aufsehen. Bommarius zitiert den sozialdemokratischen Abgeordneten Georg Ledebour, der von einem "Rechtsbruch schmählicher Art" sprach.
Der Konflikt zwischen den Duala und den Deutschen sollte sich noch weiter zuspitzen. Anlass war ein 1910 von den kolonialen Behörden lanciertes Projekt, das innerhalb von fünf Jahren die Umwandlung der flussnahen Stadtviertel in eine reine Europäerstadt vorsah. Man plante, die dort ansässigen Einheimischen gegen eine minimale Entschädigung zu enteignen und in neue Quartiere am Stadtrand umzusiedeln. Europäerstadt und Afrikanersiedlungen sollten durch eine einen Kilometer breite Freizone getrennt werden. Jeder Europäer erhielt das Recht, drei schwarze Bedienstete bei sich unterzubringen. Alle anderen Afrikaner aber sollten die Europäerstadt nurmehr tagsüber betreten dürfen. Die Gründe für diesen Entscheid waren, wie Bommarius zeigt, vielfältig: das Bestreben, das "Negerdorf" in eine moderne Stadt umzuwandeln und dabei allein von der Wertsteigerung des Bodens zu profitieren; außerdem folgerten deutschen Ärzte aus der Tatsache, dass die afrikanische Bevölkerung und besonders Kinder wichtige Zwischenwirte für die Malariaerreger waren, die Rassentrennung sei das einzig taugliche Mittel, die Weißen vor der Krankheit zu schützen.
Die Duala protestierten energisch gegen Enteignung und Segregation. An die Spitze der Bewegung stellte sich Rudolf Manga Bell. Als Jugendlicher hatte Rudolf Bell mehrere Jahre in Ulm verbracht, in seiner Funktion als "Häuptling" pflegte er zu den Deutschen gute Beziehungen. Doch die Umsiedlungsmaßnahmen desillusionierten ihn, er schrieb Petitionen an den Reichstag, mobilisierte Parlamentarier, Missionare und Journalisten gegen den "Rechtsbruch der Enteignung". Der Reichstag befasste sich mit dem Konflikt, die Presse im Reich berichtete ausführlich, Anwälte in Berlin nahmen sich der Angelegenheit an. Die Kolonialadministration beschloss, Manga Bell loszuwerden. Zunächst dachte sie an Verbannung, doch der Ausbruch der Ersten Weltkriegs und die Furcht vor einem Aufstand in Douala ließen die Kolonialherren ein Exempel statuieren. Bommarius schildert mit zum Teil bisher unbekannten Details Hintergründe und Verlauf dieses "Justizmordes".
Leider unterlässt es der Autor, die Geschichte der Ermordung Manga Bells in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Nirgendwo im kolonialen Afrika wurde die städtische Segregation so brutal und so umfassend durchgesetzt wie in Kamerun. Aber in keiner anderen westlichen Metropole wäre den Kolonisierten eine vergleichbare Parlamentsdebatte gewährt worden. Überdies illustriert die Enteignung der Duala einen Grundwiderspruch nicht nur der deutschen kolonialen Herrschaft. Einerseits betrachteten die Kolonialherren sich selbst als uneingeschränktes Vorbild, andererseits verweigerten sie den Kolonisierten die Möglichkeit, dieses Vorbild zu erreichen. Diese Dialektik sollte zu einer wichtigen Antriebskraft der Dekolonisation werden.
ANDREAS ECKERT.
Christian Bommarius: "Der gute Deutsche". Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914.
Berenberg Verlag, Berlin 2015. 148 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christian Bommarius notiert, was die wilhelminische Kolonialpolitik anrichtete
Am 8. August 1914, der Erste Weltkrieg hatte gerade begonnen, vollzog sich in Douala, der Wirtschaftsmetropole des deutschen "Schutzgebietes" Kamerun, der letzte Akt eines kolonialen Dramas. Prinz Rudolf Manga Bell, das wichtigste Oberhaupt der Duala und lange Zeit ein enger Gefolgsmann der deutschen Kolonialherren, wurde durch den Strang hingerichtet. Die Kolonialverwaltung hatte ihn, so verkündete es der Gouverneur noch am selben Tag in einer Ansprache, als "Verräter an Kaiser und Reich" überführt.
Die Exekution markierte den Höhepunkt eines Konfliktes, der sich vier Jahre zuvor entzündet hatte. Der Journalist und Jurist Christian Bommarius schildert in seiner eingängig geschriebenen Darstellung diese wenig bekannte Episode des deutschen Kolonialismus in Afrika. Sie widmet sich keineswegs nur der Ermordung Manga Bells, sondern bietet darüber hinaus informative, mit zahlreichen Quellenzitaten versehene Einblicke in die Geschichte Kameruns unter deutscher Herrschaft. Ohne Fußnoten zwar, aber in enger Tuchfühlung zumindest mit der deutschsprachigen Fachliteratur.
Vertreter der Duala hatten 1884 einen Vertrag mit Hamburger Kaufleuten geschlossen, der faktisch die formelle Kolonialherrschaft in Kamerun einleitete. Als die Deutschen jedoch diese Abmachungen ignorierten, zunehmend mit Zwang operierten, lokale Herrscher öffentlich auspeitschten und Landraub begingen, griffen die Afrikaner unter anderem zum Mittel der Petition. Sie listeten ihre Beschwerden auf und adressierten sie an den Reichstag; eine Delegation der Duala machte sich nach Berlin auf und brachte ihre Kritik beim Reichskolonialamt vor. Die Verwaltung in Kamerun verurteilte die Petenten darauf wegen "Beleidigung" zu hohen Gefängnisstrafen und Zwangsarbeit. Das erregte wiederum in der deutschen Öffentlichkeit und im Reichstag beträchtliches Aufsehen. Bommarius zitiert den sozialdemokratischen Abgeordneten Georg Ledebour, der von einem "Rechtsbruch schmählicher Art" sprach.
Der Konflikt zwischen den Duala und den Deutschen sollte sich noch weiter zuspitzen. Anlass war ein 1910 von den kolonialen Behörden lanciertes Projekt, das innerhalb von fünf Jahren die Umwandlung der flussnahen Stadtviertel in eine reine Europäerstadt vorsah. Man plante, die dort ansässigen Einheimischen gegen eine minimale Entschädigung zu enteignen und in neue Quartiere am Stadtrand umzusiedeln. Europäerstadt und Afrikanersiedlungen sollten durch eine einen Kilometer breite Freizone getrennt werden. Jeder Europäer erhielt das Recht, drei schwarze Bedienstete bei sich unterzubringen. Alle anderen Afrikaner aber sollten die Europäerstadt nurmehr tagsüber betreten dürfen. Die Gründe für diesen Entscheid waren, wie Bommarius zeigt, vielfältig: das Bestreben, das "Negerdorf" in eine moderne Stadt umzuwandeln und dabei allein von der Wertsteigerung des Bodens zu profitieren; außerdem folgerten deutschen Ärzte aus der Tatsache, dass die afrikanische Bevölkerung und besonders Kinder wichtige Zwischenwirte für die Malariaerreger waren, die Rassentrennung sei das einzig taugliche Mittel, die Weißen vor der Krankheit zu schützen.
Die Duala protestierten energisch gegen Enteignung und Segregation. An die Spitze der Bewegung stellte sich Rudolf Manga Bell. Als Jugendlicher hatte Rudolf Bell mehrere Jahre in Ulm verbracht, in seiner Funktion als "Häuptling" pflegte er zu den Deutschen gute Beziehungen. Doch die Umsiedlungsmaßnahmen desillusionierten ihn, er schrieb Petitionen an den Reichstag, mobilisierte Parlamentarier, Missionare und Journalisten gegen den "Rechtsbruch der Enteignung". Der Reichstag befasste sich mit dem Konflikt, die Presse im Reich berichtete ausführlich, Anwälte in Berlin nahmen sich der Angelegenheit an. Die Kolonialadministration beschloss, Manga Bell loszuwerden. Zunächst dachte sie an Verbannung, doch der Ausbruch der Ersten Weltkriegs und die Furcht vor einem Aufstand in Douala ließen die Kolonialherren ein Exempel statuieren. Bommarius schildert mit zum Teil bisher unbekannten Details Hintergründe und Verlauf dieses "Justizmordes".
Leider unterlässt es der Autor, die Geschichte der Ermordung Manga Bells in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Nirgendwo im kolonialen Afrika wurde die städtische Segregation so brutal und so umfassend durchgesetzt wie in Kamerun. Aber in keiner anderen westlichen Metropole wäre den Kolonisierten eine vergleichbare Parlamentsdebatte gewährt worden. Überdies illustriert die Enteignung der Duala einen Grundwiderspruch nicht nur der deutschen kolonialen Herrschaft. Einerseits betrachteten die Kolonialherren sich selbst als uneingeschränktes Vorbild, andererseits verweigerten sie den Kolonisierten die Möglichkeit, dieses Vorbild zu erreichen. Diese Dialektik sollte zu einer wichtigen Antriebskraft der Dekolonisation werden.
ANDREAS ECKERT.
Christian Bommarius: "Der gute Deutsche". Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914.
Berenberg Verlag, Berlin 2015. 148 S., geb., 20,- [Euro].
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