Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2003Mein ist dein
Geteilter Mantel: Manfred Becker-Huberti über St. Martin
Das waren noch Zeiten: Da soll einer Karriere machen und Bischof werden, er aber flüchtet in einen Gänsestall - das Gänsegeschnatter (das doch schon Rom gerettet hatte) soll ihn verraten haben: der heilige Martin, Bischof von Tours, 397 gestorben. St. Martin ist, das habe ich erst durch dieses Buch "Der Heilige Martin" von Manfred Becker-Huberti gelernt, auch in protestantischen Gegenden so populär, weil er gewissermaßen mit Martin Luther amalgamiert wurde, der natürlich auch noch am Martinstag, am 10. November also, Geburtstag hatte - und dann wiederum dem Bürgerrechtler Martin Luther King seinen Namen leihen mußte.
Martin - der Mars-Krieger, der Soldat, der Kämpfer - aber: der Kämpfer, der seinen Mantel mit dem Bedürftigen teilt. Vielleicht hat sich das Brauchtum zum Martinstag im neunzehnten Jahrhundert auch deshalb entwickelt, weil zu Martini 1810 durch die Steinschen Reformen endgültig die Leibeigenschaft aufgehoben worden war. Da gibt es Laternenumzüge, Festessen (nicht nur mit Gänsen), Prozessionen, Einsammeln mildtätiger Gaben.
Das alles wird von Becker-Huberti elegant aufgefächert, bis hin zu heutigen Rezepten (von Punsch bis Martinshörnchen, nicht zu verwechseln mit dem Martinshorn). Wir sehen Dutzende von Briefmarken mit dem St.-Martins-Motiv, Abbildungen aus der Kunstgeschichte, Lieder mit Noten, Bastelanleitungen für Laternen. Dazu gibt's eine Zeittafel und Literaturhinweise sowie ein kleines Martins-Lexikon von "Piepenkerl" (siehe "Weckmann") bis "Chlamys" - so lautet die Originalbezeichnung für den römischen Offiziersmantel, der übrigens weiß gewesen sein soll.
Unversehens transportiert der schön ausgestattete Band eine nicht unbedingt populäre Botschaft, deren Aktualität aber kaum zu übersehen ist: Danach "beinhaltet das Martinsbrauchtum die paradoxe Botschaft: wer teilt, gewinnt." Das "Martinshorn" übrigens hat nichts mit dem heiligen Martin zu tun. Es ist, wie Becker-Huberti schreibt, "nach dem Familiennamen des Herstellers" benannt.
KD WOLFF
Manfred Becker-Huberti: "Der Heilige Martin". Leben, Legenden und Bräuche. Greven Verlag, Köln 2003. 176 S., 190 Farb-Abb., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geteilter Mantel: Manfred Becker-Huberti über St. Martin
Das waren noch Zeiten: Da soll einer Karriere machen und Bischof werden, er aber flüchtet in einen Gänsestall - das Gänsegeschnatter (das doch schon Rom gerettet hatte) soll ihn verraten haben: der heilige Martin, Bischof von Tours, 397 gestorben. St. Martin ist, das habe ich erst durch dieses Buch "Der Heilige Martin" von Manfred Becker-Huberti gelernt, auch in protestantischen Gegenden so populär, weil er gewissermaßen mit Martin Luther amalgamiert wurde, der natürlich auch noch am Martinstag, am 10. November also, Geburtstag hatte - und dann wiederum dem Bürgerrechtler Martin Luther King seinen Namen leihen mußte.
Martin - der Mars-Krieger, der Soldat, der Kämpfer - aber: der Kämpfer, der seinen Mantel mit dem Bedürftigen teilt. Vielleicht hat sich das Brauchtum zum Martinstag im neunzehnten Jahrhundert auch deshalb entwickelt, weil zu Martini 1810 durch die Steinschen Reformen endgültig die Leibeigenschaft aufgehoben worden war. Da gibt es Laternenumzüge, Festessen (nicht nur mit Gänsen), Prozessionen, Einsammeln mildtätiger Gaben.
Das alles wird von Becker-Huberti elegant aufgefächert, bis hin zu heutigen Rezepten (von Punsch bis Martinshörnchen, nicht zu verwechseln mit dem Martinshorn). Wir sehen Dutzende von Briefmarken mit dem St.-Martins-Motiv, Abbildungen aus der Kunstgeschichte, Lieder mit Noten, Bastelanleitungen für Laternen. Dazu gibt's eine Zeittafel und Literaturhinweise sowie ein kleines Martins-Lexikon von "Piepenkerl" (siehe "Weckmann") bis "Chlamys" - so lautet die Originalbezeichnung für den römischen Offiziersmantel, der übrigens weiß gewesen sein soll.
Unversehens transportiert der schön ausgestattete Band eine nicht unbedingt populäre Botschaft, deren Aktualität aber kaum zu übersehen ist: Danach "beinhaltet das Martinsbrauchtum die paradoxe Botschaft: wer teilt, gewinnt." Das "Martinshorn" übrigens hat nichts mit dem heiligen Martin zu tun. Es ist, wie Becker-Huberti schreibt, "nach dem Familiennamen des Herstellers" benannt.
KD WOLFF
Manfred Becker-Huberti: "Der Heilige Martin". Leben, Legenden und Bräuche. Greven Verlag, Köln 2003. 176 S., 190 Farb-Abb., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
KD Wolff lobt, Manfred Becker-Huberti habe das in diesem "schön ausgestatteten" Band ausgebreitete kulturgeschichtliche Wissen rund um die Geschichte der St.- Martins-Bräuche und -Legenden "elegant aufgefächert" - bis hin zu heutigen Rezepten für Punsch und Martinshörnchen. Und wie der Rezensent bekennt, habe er zudem aus diesem Band zum ersten Mal erfahren, dass St. Martin auch in protestantischen Gegenden so populär ist, weil er "gewissermaßen mit Martin Luther amalgamiert wurde", der "natürlich auch noch" am Martinstag Geburtstag hatte. Neben "Dutzenden von Briefmarken" mit dem St. Martins-Motiv, Abbildungen aus der Kunstgeschichte, Liedern mit Noten, Bastelanleitungen für Laternen, einer Zeittafel, Literaturhinweisen und einem kleinen Martins-Lexikon von 'Piepenkerl' bis 'Weckmann', berichtet Wolff schließlich noch, biete der Band dem Leser zum Beispiel auch die Information, dass das "Martinshorn" nichts mit dem heiligen Martin zu tun habe - sondern "nach dem Familiennamen des Herstellers" benannt ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH