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Die in diesem Band versammelten Nachlasserzählungen sind zwischen 1980 und 1986 in engerem oder weiterem Zusammenhang mit dem Buch "Enzyklopädie der Toten" entstanden. Der Tod ist das zentrale Thema auch hier, ob Kis die letzten Tage Horvaths, des "Heimatlosen", in Paris beschreibt, ob er die letzten Stunden Ivo Andrics in einem Belgrader Krankenhausbett vergegenwärtigt oder Jurij Goletz von Piotr Rawicz erzählt, der seiner Frau, die wie er das Lager überlebt hat, vierzig Jahre später freiwilig in den Tod folgte. Die "Nichtanpassungsfähigkeit des menschlichen Wesens an die Existenz"…mehr

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Produktbeschreibung
Die in diesem Band versammelten Nachlasserzählungen sind zwischen 1980 und 1986 in engerem oder weiterem Zusammenhang mit dem Buch "Enzyklopädie der Toten" entstanden. Der Tod ist das zentrale Thema auch hier, ob Kis die letzten Tage Horvaths, des "Heimatlosen", in Paris beschreibt, ob er die letzten Stunden Ivo Andrics in einem Belgrader Krankenhausbett vergegenwärtigt oder Jurij Goletz von Piotr Rawicz erzählt, der seiner Frau, die wie er das Lager überlebt hat, vierzig Jahre später freiwilig in den Tod folgte. Die "Nichtanpassungsfähigkeit des menschlichen Wesens an die Existenz" beschäftigt Kis auch in anderen Geschichten, die nicht von Schriftstellern handeln: der plötzliche Tod eines Häftlings in einem sibirischen Lager, oder das Schicksal der Schwester seiner Belgrader Zimmerwirtin. Der Allgegenwart des Todes vermag nur das Schreiben ein Stückweit zu widerstehen.
Autorenporträt
Danilo Kis wurde 1935 in Subotica geboren. Er studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Belgrad und veröffentlichte 1962 seinen ersten Roman Die Dachkammer. Kis arbeitete als Lektor für Serbokroatisch und für Jugoslawische Literatur in Straßburg, Bordeaux und Lille und übersetzte u.a. Mandelstam, Baudelaire, Lautréamont und Verlaine ins Serbokroatische. 1980 erhielt er für sein Gesamtwerk den Grand Aigle d'Or. Kis gehört, mit Konrad und Kundera, zu den drei Ks, die die Frage nach einem geistigen Mitteleuropa wieder zur Diskussion gestellt haben. Kis starb 1989 in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.1996

Zwei Kronen für die Seele
Aus dem Nachlaß von Danilo Kis / Von Christoph Bartmann

Sieben Erzählungen aus dem Nachlaß von Danilo Kis, der 1989 in Paris gestorben ist, enthält dieser Band. Zeitlich, formal und thematisch gehören sie in den Umkreis der "Enzyklopädie der Toten" aus dem Jahre 1983. Doch anders als in der "Enzyklopädie" handelt es sich hier fast ausnahmslos um autobiographische, nichtfiktionale Texte; Kis mochte sie deshalb nicht in jenen Erzählungsband aufnehmen. Doch "authentisch" und "fiktional" bedeutet hier nicht viel: Es gibt keinen Text von Danilo Kis, in dem nicht die eigene Schreckenserfahrung gegenwärtig wäre. Und ebensowenig existiert ein Text, in dem diese Erfahrung nicht überführt wäre in eine komplexe literarische Ordnung. Die nachgelassenen Erzählungen bestätigen abermals den außerordentlichen Rang dieses OEuvres, das Felix Philipp Ingold "zu den größten Leistungen der europäischen Nachkriegsliteratur" gerechnet hat.

Vorherrschendes Thema der Erzählungen sind letzte Tage und der Tod. Bei den Figuren handelt es sich immer wieder um Künstler oder Schriftsteller, "Heimatlose" wie der Autor selbst. Ihre Biographien sind beschädigt von Diktatur und Gewalt. In der Titelerzählung bilden Leben und Sterben Ödön von Horváths in Paris den realen Hintergrund einer biographischen Phantasie über Egon von Németh, einen Schriftsteller und Kosmopoliten aus Fiume. In "Jurij Golez" erzählt Kis ebenfalls eine wahre Geschichte: Ihr Protagonist, ein Pariser Bekannter des Autors von ukrainisch-jüdischer Herkunft und Überlebender von Auschwitz, nimmt sich wenige Tage nach dem Tod der Frau, mit der er dreiunddreißig Jahre verheiratet war, das Leben.

Eine "nichtfiktionale Erzählung", wie Kis dieses Genre nennt, ist auch "Das Lautenspiel und die Narben". Der Autor erinnert sich darin an ein altes russisches Emigrantenpaar im Belgrad der fünfziger Jahre, das ihm als Student eine Unterkunft bot. Jahre später, bei Gelegenheit eines Moskau-Besuchs, soll der Erzähler auf Wunsch der Frau deren Schwester aufsuchen. Doch die Schwester und ihre beste Freundin sind seit langem tot. Eine andere Freundin ist noch am Leben, doch sie entläßt den Besucher mit den Worten: "Ich bereite mich auf den Tod vor. Für mich gibt es keine Begegnungen mehr auf dieser Welt . . . Wir haben gelebt, als wären wir tot. Leben Sie wohl." Zurück in Belgrad, zieht er es vor, der Alten sein Erlebnis zu verschweigen.

Vom Autor eines titokritischen Sonetts ist in der Erzählung "Der Dichter" die Rede. In langer Haft arbeitet er sein Werk in eine Huldigung um und wird schließlich aus dem Gefängnis entlassen. Der Dichter geht nach Hause, nimmt ein Bad und hängt sich auf. "Die Schuld" schließlich handelt vom Entschluß eines Schriftstellers - Kis hat dabei auf die Biographie von Ivo Andric zurückgegriffen -, auf dem Sterbebett all seinen ideellen Gläubigern die Schulden zurückzuzahlen. So erhält etwa "Tugomir Alaupovic, der über meine Seele und meinen Körper wachte wie über seinen eigenen", zwei Kronen. Aus der Aufzählung der Gönner und ihrer Wohltaten entsteht wie von selbst eine Lebenserzählung des Schuldners.

Kis' Methode sei die "radikale fiktionale Reduktion", schreibt Mirjana Miócinovic in ihren höchst aufschlußreichen Anmerkungen. Kis verzichtet beinahe vollständig auf die Fabrikation von Illusionen. Und das wenige, das sich bei ihm an Handlung ereignet, bietet er auf eine so beiläufige Weise dar, daß sich, unbehelligt von der Fabel, das Leben der Details entfalten kann. Sie sind es, die in diesen Totengeschichten Trost spenden, indem sie gelebte Individualität aufbewahren. Etwa die Geste des verstorbenen Malers Leonid Sejka, als der dem Autor die seltsame Geschichte vom Marathonläufer zum ersten Mal erzählte. "Während er drei Finger seiner Rechten zusammendrückte", heißt es da, "suchte er nach dem richtigen Wort und Ausdruck, als prüfte er mit den Fingerkuppen die Feinheit eines Pigments oder die Dicke der Farbschicht; seine Linke blieb derweil reglos, seltsam reglos, wie starr: sie hielt die herunterbrennende Zigarette, wobei die Asche bis zuletzt senkrecht und ganz blieb."

Danilo Kis: "Der Heimatlose". Erzählungen. Aus dem Serbokroatischen übersetzt von Ilma Rakusa. Carl Hanser Verlag, München 1996. 136 S., br., 28,- DM.

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