Nicht nur in geologischen Schichten und in klimatischen Veränderungen haben sich Kohle, Öl und Erdgas bemerkbar gemacht. Auch in den Leben von Autorinnen und Autoren und ihren literarischen Figuren, in Gedichten, Dramen und Romanen schwelt es seit dem Übergang vom Holzzeitalter zum fossilenergetischen Zeitalter anders, brennen sich die fossilen Treibstoffe als Motiv und poetologische Triebkraft ein und werfen selbst am Kaminfeuer noch neuartige Schatten ins Erzählte wie in die politisch-soziale Geschichte - sei es bei Novalis, der als kursächsischer Beamter die Oberaufsicht über Braunkohlenbergwerke hatte, sei es bei Émile Zola, der in seinem berühmten Roman Germinal schildert, wie Kohle die Körper der Minenarbeiter durchdringt. Diesen »Leucht- und Aschespuren« folgt Susanne Stephan, auch mit Blick auf die im deutschsprachigen Raum erst noch zu entdeckenden Energy Humanities, in ihrem essayistischen Brennstoffbericht. Sie misst die Emissionen in der Atmosphäre des Literaturkanonsund stößt dabei etwa in den Werken von Rilke, Goethe, Shelley, Melville, Krauß und Hilbig auf ein energetisches Unbewusstes, das nicht nur die Literatur-, Philosophie- und Erdgeschichte seit Langem schon befeuert, sondern auch die Gegenwart poetisch zu erhellen vermag.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der Mensch hat sich immer nach Wärme gesehnt, so gesehen war auch Heizen immer ein Thema, auch für Dichter, lernt Rezensent Wolfgang Schneider aus diesem "faszinierenden, aspektereichen" Buch von Susanne Stephan. Ohne Feuer keine Geschichten, wussten schon die Urvölker. Und selbst für den Adel war Frieren ein Thema, wie jeder weiß, der schon mal versucht hat, Vorder- und Rückseite gleichzeitig vor einem Kamin zu wärmen. Selbst der Kahlschlag in den Wäldern ist ein Thema für naturbewusste Autoren wie Goethe, Lichtenberg oder Fontane, liest der Kritiker. Hawthorne hasste den Ofen, der den Kamin verdrängte, Emerson liebte Kohle und Platonow hoffte auf Erdwärme - kurz, das Thema ist ein Füllhorn für interessante Anekdoten, versichert der hingerissene Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2023Im Ofen ist das Feuer doch nur eingesperrt
Heizungsstreit ist
keine Erfindung der Gegenwart: Susanne Stephan schreibt eine Literaturgeschichte zum Bedürfnis nach Wärme.
Der Mensch sei ein "heizungsbedürftiges Wesen", schrieb der legendäre Waldgänger Henry David Thoreau. "Ein etwas schärferer Wind aus dem Norden kann ihm jederzeit das Lebenslicht ausblasen." Auch Karl Philipp Moritz, Verfasser des Romans "Anton Reiser", in dem es um eine schockgefrostete Seele geht, hat diese Wahrheit auf eine treffende Formel gebracht: "In der Wildniß ist keine warme Stube."
Wie sollen wir heizen? Die Frage erhitzt aktuell die Gemüter, aber sie begleitet die Menschen seit je, wie Susanne Stephans Literaturgeschichte mit dem gewitzten Titel "Der Held und seine Heizung" im Gang durch die Jahrhunderte zeigt. Urszene der Literatur ist für Stephan das mündliche Erzählen von Geschichten, in einem Kreis, der sich um ein Lagerfeuer oder um den knisternden Kamin versammelt. Ohne den Wärmestrom eines gezähmten Feuers kommt das Erzählen nicht in Gang. Flammenschein, Fiktion und Flunkerei gehören zusammen. Ob bei Theodor Storm oder Fontane, bei Jane Austen, H. G. Wells, Robert Louis Stevenson oder J. K. Rowling - überall findet Stephan Kaminszenen und Kaminrahmenhandlungen.
Die Angst vor dem Brennstoffmangel und das Frieren in der kalten Jahreshälfte können wir uns in unserem Wärmewohlstand heute nur noch schwer vorstellen. Auch der Adel fröstelte in den schwer beheizbaren Schlössern. Georg Christoph Lichtenberg beschrieb, wie er, in einen dicken Schlafrock gehüllt, um den Ofen seines Göttinger Arbeitszimmers wie um eine "schwarze Sonne" kreiste, während weite Teile des Hauses wegen der hohen Holzpreise eiskalt blieben. Lichtenberg klagte auch bereits über den "ewigen Krieg" gegen die Wälder zu Heizungszwecken. Diesen Krieg zeigt Stephan eindrucksvoll im Zusammenhang mit Goethes Gedicht "Wanderers Nachtlied". Auf zeitgenössischen Darstellungen sind die Gipfel rund um den Kickelhahn, wo die stimmungsvollen Verse entstanden, bis zum Horizont entwaldet. Auch die Waldeslust der Romantik ist begleitet von einer Ökonomie des Kahlschlags. Und Fontane schildert in den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg", wie eine wachsende Großstadt innerhalb weniger Jahre riesige Waldbestände verfeuerte: Der ganze Menzer Forst sei "durch die Berliner Schornsteine geflogen".
Einer der wichtigsten Autoren für Stephans Suche nach den energetischen Kontexten in der Literatur ist Rilke. Er, der immer auf der Suche nach einem ruhigen und vor allem gut beheizbaren Arbeitszimmer war, finde starke Bilder für das "untergründige Wirken der Brennstoffe in unserem Leben". Viel ist in seinen Werken und Briefen von kalten Zimmern, schlechter Kohle und rauchenden Öfen als Verhinderung literarischer Arbeit die Rede. Opfer seines Ofens wurde auch Émile Zola. Ausgerechnet der Schriftsteller, der mit "Germinal" den berühmtesten Roman über den Kohlebergbau schrieb, starb an einer Kohlenmonoxidvergiftung, weil der Schornstein seines Hauses verstopft war.
Heizungsstreit ist jedenfalls keine Erfindung der Gegenwart. Nathaniel Hawthorne beklagte als Liebhaber des stimmungsvollen Kaminfeuers den Siegeszug des "freudlosen Ofens", in dem das Feuer eingesperrt sei. Das hinderte ihn freilich nicht, sein Haus mit modernen Eisenöfen zu bestücken, weil sie die Belästigung durch Rauch und Ruß erheblich minderten. Ralph Waldo Emerson wiederum stimmte einen großen Lobgesang auf die Kohle an: "Denn Kohle ist ein tragbares Klima. Sie bringt die Hitze der Tropen nach Labrador und dem Polarkreis." Auch der Schriftsteller Andrej Platonow, ein Spezialist für die Elektrifizierung der jungen Sowjetunion, träumte davon, Sibirien eisfrei zu machen - allerdings nicht mit Kohle, sondern mit Erdwärme, während Ernst Bloch im "Prinzip Hoffnung" auf die Atomenergie setzte: "Einige hundert Pfund Uranium würden ausreichen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln." H. G. Wells hatte bereits ähnliche Enteisungsutopien entwickelt, die heute, in Zeiten des Hitze-Alarmismus, irritieren könnten. Susanne Stephan stellt deshalb klar, dass bis vor wenigen Jahrzehnten die Kälte als "größter Feind des Menschen" galt. Nicht einige wüstenheiße Sommertage, sondern die Schrecken harter, opferreicher Winter, die tödliche Epidemien mit sich brachten, haben sich dem historischen Gedächtnis eingeprägt. Die Literaturgeschichte der Brennstoffe ist deshalb zugleich eine der "universalen Kälte", die nach Adorno durch die Menschheitsgeschichte weht.
Womöglich war es der schwierigeren Versorgungslage geschuldet, dass das Brennstoff-Motiv in der DDR-Literatur größere Bedeutung hat als in den Romanen der zentral beheizten Bundesrepublik. Schmutzige Energie hat die größere Affinität zum Erzählen. Die aufgerissene Landschaft im Braunkohletagebau und die aufgerissenen Seelen der dort arbeitenden Menschen spielen eine wichtige Rolle in vielen Werken, etwa denen Wolfgang Hilbigs, der hauptberuflich Heizer war, vom Dylan des Ostens, dem Baggerfahrer Gundermann, ganz abgesehen.
Susanne Stephan hat ein faszinierendes, aspektereiches Buch geschrieben, auch wenn sie sich manchmal zu sehr den Brennstoff-Assoziationen überlässt und feurige Metaphern über Gebühr strapaziert. Immerhin entgeht sie der Versuchung, Fontanes "Generalweltanbrennung" - eine wichtige Formel im "Stechlin" - als Prophezeiung des Klimawandels zu lesen. Wenn sich ihre Literaturgeschichte auf eine Formel bringen ließe, dann: Der Brennstoff bestimmt das Bewusstsein. WOLFGANG SCHNEIDER
Susanne Stephan: "Der Held und seine Heizung". Brennstoffe der Literatur.
Matthes & Seitz, Berlin 2023. 457 S., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heizungsstreit ist
keine Erfindung der Gegenwart: Susanne Stephan schreibt eine Literaturgeschichte zum Bedürfnis nach Wärme.
Der Mensch sei ein "heizungsbedürftiges Wesen", schrieb der legendäre Waldgänger Henry David Thoreau. "Ein etwas schärferer Wind aus dem Norden kann ihm jederzeit das Lebenslicht ausblasen." Auch Karl Philipp Moritz, Verfasser des Romans "Anton Reiser", in dem es um eine schockgefrostete Seele geht, hat diese Wahrheit auf eine treffende Formel gebracht: "In der Wildniß ist keine warme Stube."
Wie sollen wir heizen? Die Frage erhitzt aktuell die Gemüter, aber sie begleitet die Menschen seit je, wie Susanne Stephans Literaturgeschichte mit dem gewitzten Titel "Der Held und seine Heizung" im Gang durch die Jahrhunderte zeigt. Urszene der Literatur ist für Stephan das mündliche Erzählen von Geschichten, in einem Kreis, der sich um ein Lagerfeuer oder um den knisternden Kamin versammelt. Ohne den Wärmestrom eines gezähmten Feuers kommt das Erzählen nicht in Gang. Flammenschein, Fiktion und Flunkerei gehören zusammen. Ob bei Theodor Storm oder Fontane, bei Jane Austen, H. G. Wells, Robert Louis Stevenson oder J. K. Rowling - überall findet Stephan Kaminszenen und Kaminrahmenhandlungen.
Die Angst vor dem Brennstoffmangel und das Frieren in der kalten Jahreshälfte können wir uns in unserem Wärmewohlstand heute nur noch schwer vorstellen. Auch der Adel fröstelte in den schwer beheizbaren Schlössern. Georg Christoph Lichtenberg beschrieb, wie er, in einen dicken Schlafrock gehüllt, um den Ofen seines Göttinger Arbeitszimmers wie um eine "schwarze Sonne" kreiste, während weite Teile des Hauses wegen der hohen Holzpreise eiskalt blieben. Lichtenberg klagte auch bereits über den "ewigen Krieg" gegen die Wälder zu Heizungszwecken. Diesen Krieg zeigt Stephan eindrucksvoll im Zusammenhang mit Goethes Gedicht "Wanderers Nachtlied". Auf zeitgenössischen Darstellungen sind die Gipfel rund um den Kickelhahn, wo die stimmungsvollen Verse entstanden, bis zum Horizont entwaldet. Auch die Waldeslust der Romantik ist begleitet von einer Ökonomie des Kahlschlags. Und Fontane schildert in den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg", wie eine wachsende Großstadt innerhalb weniger Jahre riesige Waldbestände verfeuerte: Der ganze Menzer Forst sei "durch die Berliner Schornsteine geflogen".
Einer der wichtigsten Autoren für Stephans Suche nach den energetischen Kontexten in der Literatur ist Rilke. Er, der immer auf der Suche nach einem ruhigen und vor allem gut beheizbaren Arbeitszimmer war, finde starke Bilder für das "untergründige Wirken der Brennstoffe in unserem Leben". Viel ist in seinen Werken und Briefen von kalten Zimmern, schlechter Kohle und rauchenden Öfen als Verhinderung literarischer Arbeit die Rede. Opfer seines Ofens wurde auch Émile Zola. Ausgerechnet der Schriftsteller, der mit "Germinal" den berühmtesten Roman über den Kohlebergbau schrieb, starb an einer Kohlenmonoxidvergiftung, weil der Schornstein seines Hauses verstopft war.
Heizungsstreit ist jedenfalls keine Erfindung der Gegenwart. Nathaniel Hawthorne beklagte als Liebhaber des stimmungsvollen Kaminfeuers den Siegeszug des "freudlosen Ofens", in dem das Feuer eingesperrt sei. Das hinderte ihn freilich nicht, sein Haus mit modernen Eisenöfen zu bestücken, weil sie die Belästigung durch Rauch und Ruß erheblich minderten. Ralph Waldo Emerson wiederum stimmte einen großen Lobgesang auf die Kohle an: "Denn Kohle ist ein tragbares Klima. Sie bringt die Hitze der Tropen nach Labrador und dem Polarkreis." Auch der Schriftsteller Andrej Platonow, ein Spezialist für die Elektrifizierung der jungen Sowjetunion, träumte davon, Sibirien eisfrei zu machen - allerdings nicht mit Kohle, sondern mit Erdwärme, während Ernst Bloch im "Prinzip Hoffnung" auf die Atomenergie setzte: "Einige hundert Pfund Uranium würden ausreichen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln." H. G. Wells hatte bereits ähnliche Enteisungsutopien entwickelt, die heute, in Zeiten des Hitze-Alarmismus, irritieren könnten. Susanne Stephan stellt deshalb klar, dass bis vor wenigen Jahrzehnten die Kälte als "größter Feind des Menschen" galt. Nicht einige wüstenheiße Sommertage, sondern die Schrecken harter, opferreicher Winter, die tödliche Epidemien mit sich brachten, haben sich dem historischen Gedächtnis eingeprägt. Die Literaturgeschichte der Brennstoffe ist deshalb zugleich eine der "universalen Kälte", die nach Adorno durch die Menschheitsgeschichte weht.
Womöglich war es der schwierigeren Versorgungslage geschuldet, dass das Brennstoff-Motiv in der DDR-Literatur größere Bedeutung hat als in den Romanen der zentral beheizten Bundesrepublik. Schmutzige Energie hat die größere Affinität zum Erzählen. Die aufgerissene Landschaft im Braunkohletagebau und die aufgerissenen Seelen der dort arbeitenden Menschen spielen eine wichtige Rolle in vielen Werken, etwa denen Wolfgang Hilbigs, der hauptberuflich Heizer war, vom Dylan des Ostens, dem Baggerfahrer Gundermann, ganz abgesehen.
Susanne Stephan hat ein faszinierendes, aspektereiches Buch geschrieben, auch wenn sie sich manchmal zu sehr den Brennstoff-Assoziationen überlässt und feurige Metaphern über Gebühr strapaziert. Immerhin entgeht sie der Versuchung, Fontanes "Generalweltanbrennung" - eine wichtige Formel im "Stechlin" - als Prophezeiung des Klimawandels zu lesen. Wenn sich ihre Literaturgeschichte auf eine Formel bringen ließe, dann: Der Brennstoff bestimmt das Bewusstsein. WOLFGANG SCHNEIDER
Susanne Stephan: "Der Held und seine Heizung". Brennstoffe der Literatur.
Matthes & Seitz, Berlin 2023. 457 S., geb., 32,- Euro.
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