Nichts deutete auf die spätere Bedeutung Paul von Hindenburgs (1847-1934) hin, als er 1911 seine militärische Laufbahn als preußischer General beendete. Doch mit seiner Reaktivierung kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges begann seine zweite Karriere. Die »Schlacht von Tannenberg« und damit die Rettung Ostpreußens vor einer russischen Besetzung im August 1914 bildete das Fundament eines Mythos, welcher innerhalb weniger Wochen um den in der Öffentlichkeit bis dahin unbekannten Sieger entstand. Als »Held von Tannenberg« galt Hindenburg den Deutschen fortan als Retter aus einer Krise; er wurde zur nationalen Symbol- und Identifikationsfigur. Das Bedürfnis in der deutschen Gesellschaft nach Integration und Stabilität ließ den Hindenburg-Mythos die Kriegsniederlage und die Revolution überdauern. Der Mythos wurde zu einem entscheidenden Faktor im politischen Kräftefeld der Weimarer Republik. Eine systemstabilisierende Wirkung entfaltete er im »Dritten Reich« als Schutzschild der nationalsozialistischen Gleichschaltungspraxis. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass der Mythos kein Produkt einer staatlich gelenkten Propaganda war, sondern aus Dankbarkeit gegenüber dem »Befreier Ostpreußens« in der Bevölkerung entstand. Er deutet den Hindenburg-Mythos als Spiegel der Befindlichkeit der deutschen Gesellschaft, ihrer Werte, Vorstellungen und Sehnsüchte.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Neues Licht auf den Mythos Hindenburg sieht der hier rezensierende Zeithistoriker Manfred Kittel mit dieser Studie von Jesko von Hoegen geworfen, die ihn zwar nicht zu Lobeshymnen, aber doch zu einer angeregten Darstellung inspirierte. Denn auch wenn Kittel dem Militär und späteren Präsidenten Hindenburg ein "persönliches Fluidum" nicht absprechen kann, bleibt die mythische Wirkung dieses Mannes nahezu unerklärlich. Selbst "kapitale militärische und politische Fehler" wurden dem "Retter Ostpreußens" nicht übelgenommen, sein Kleben auf dem Posten wurde ihm gar als Pflichtgefühl ausgelegt. Groß war augenscheinlich die Sehnsucht der Deutschen nach väterlicher Führung, wo doch schon Kaiser Wilhelm hatte abdanken müssen. Kittel legt auch dar, wie der Mythos Hindenburg weiterwirkte, obwohl er selbst die eigenen Anhänger enttäuschte, und auch wie die Linke in "Beißhemmungen" verfangen blieb, obwohl Hindenburg mehr und mehr zum Hindernis der demokratischen Entwicklung wurde. Gewünscht hätte sich der insgesamt zufriedene Rezensent also allenfalls, dass der Autor den Mythos Hindenburg ab und ab mit der Realität kurzgeschlossen hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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