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Akira Kumo, Modeschöpfer in Paris, erfüllt sich einen Lebenstraum: Endlich wird er seine riesige Bibliothek zum Thema Wolken und Meteorologie ordnen. Wer waren sie, die Wolkenjäger vor unserer Zeit? Wer waren die Maler, Dichter, Wissenschaftler, die der Einzigartigkeit der Wolken und ihrer Bedeutung für unsere Welt auf die Spur gegangen sind? Ein eleganter, poetischer Abenteuer-Wissenschaftsroman, der ebenso beunruhigt wie bezaubert.

Produktbeschreibung
Akira Kumo, Modeschöpfer in Paris, erfüllt sich einen Lebenstraum: Endlich wird er seine riesige Bibliothek zum Thema Wolken und Meteorologie ordnen. Wer waren sie, die Wolkenjäger vor unserer Zeit? Wer waren die Maler, Dichter, Wissenschaftler, die der Einzigartigkeit der Wolken und ihrer Bedeutung für unsere Welt auf die Spur gegangen sind? Ein eleganter, poetischer Abenteuer-Wissenschaftsroman, der ebenso beunruhigt wie bezaubert.
Autorenporträt
Stéphane Audeguy, geboren 1964 in Tours, Literaturwissenschaftler, Studium in Paris und an der Universität von Charlottesville/Virginia, unterrichtet heute Literatur- und Kinogeschichte an einem Gymnasium außerhalb von Paris. Er lebt in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2006

Unter den Wolken
Mit Goethe in die Luft starrend: Stéphane Audeguys Romandebüt

In Leipzig existiert seit kurzem ein Apparat, der in manchen Meldungen als der einzige seiner Art, in anderen immerhin als der größte bezeichnet wird: ein Wolkensimulator. Es stimmt also nicht, wenn in Stéphane Audeguys Roman "Der Herr der Wolken" behauptet wird: "Für die Wissenschaftler ist die Zeit der Wolken vorbei." Vielmehr gelten Wolken den Meteorologen nach wie vor als die kompliziertesten Gebilde der Atmosphäre.

Mit den Wolken ist die Meteorologie also noch lange nicht fertig, auch nicht, gut zweihundert Jahre nachdem im Dezember 1802 der englische Quäker Luke Howard, im Hauptberuf Apotheker in London, in der dortigen Askesian Society einen Vortrag mit dem Titel "On the Modification of Clouds" hielt. Darin entwickelte er die Einteilung der Wolkenformen in Cirrus, Cumulus, Stratus und Nimbus. Howards Vortrag wurde 1803 veröffentlicht, Jahre später ins Deutsche übersetzt und erreichte schließlich einen Dichter und Forscher in Weimar, der schon früh in einem seiner berühmtesten Gedichte an prominenter Stelle das Wort "Wolkendunst" untergebracht hatte. Begeistert über die neu gewonnene Begrifflichkeit schrieb Goethe das Gedicht "Howards Ehrengedächtnis", in dem er die einzelnen Wolkentypen unter den von Howard kreierten Namen besang und ihren Benenner bejubelte: "Er aber, Howard, gibt mit reinem Sinn / Uns neuer Lehre herrlichsten Gewinn."

Um Näheres über den von ihm Gerühmten zu erfahren, bat Goethe einen deutschen Diplomaten in London, ihm Informationen über Howard zu beschaffen. Der bescheidene Quäker hielt jedoch - fast zwei Jahrzehnte nach jenem Vortrag - den Brief eines Konsuls mit der Mitteilung, ein berühmter deutscher Dichter bewundere ihn zutiefst und wolle ihn näher kennenlernen, für einen Scherz. Erst als er Goethes gereimte Würdigungen seiner Person erhielt, erkannte Howard seinen Irrtum und verfaßte "eine ziemlich kurze autobiographische Notiz, in der, wie zu erwarten, ein wenig von ihm selbst die Rede ist, häufig von den Wolken und überall von Gott".

So jedenfalls erzählt es Akira Kumo, Hauptfigur der Rahmenhandlung in Audeguys Debütroman, der Bibliothekarin Virginie Latour. Der japanische Modeschöpfer bewohnt ein Pariser Stadtpalais, sinnigerweise in der Rue Lamarck, benannt nach dem französischen Wissenschaftler, der unmittelbar vor Howard seinerseits ein System zur Kategorisierung von Wolken erstellt hat, das sich jedoch nicht durchsetzen konnte, unter anderem weil Lamarck französische statt lateinischer Begriffe wählte. In seiner Residenz hat Kumo eine umfangreiche Sammlung von Literatur zur Geschichte der Meteorologie und speziell zu den Wolken angelegt, die er nun mit Hilfe der Bibliothekarin ordnen will. Vor allem aber erzählt er ihr Geschichten zu seinen Besitzstücken.

Später erfährt Virginie weitere solcher Geschichten vom Enkel des schottischen Meteorologen Richard Abercrombie, dessen Nachlaß sie in London für Kumo erwerben soll. Helden der Erzählungen aus der Historie der Wolkenkunde sind, neben Howard und Abercrombie, der Wolkenmaler Carmichael und der Mathematiker und Meteorologe Lewis Fry Richardson. Dabei ist für den Roman nicht von Belang, daß es sich bei Howard und Richardson (auch er war Quäker) um reale historische Persönlichkeiten, bei Carmichael und Abercrombie aber wohl um Erfindungen des 1964 geborenen französischen Autors handelt. Abercrombie, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts zu einer Weltreise aufbricht, um überall Wolken für einen meteorologischen Weltatlas zu fotografieren, statt dessen aber mit einer Sammlung von Fotos weiblicher Geschlechtsteile zurückkommt, ist neben Howard die eindrucksvollste Gestalt des Buches. In der Schilderung einer Begegnung des schottischen Forschers mit einem Orang-Utan-Weibchen, das dann von Großwildjägern hingemeuchelt wird, findet der Roman seinen erzählerischen Höhepunkt.

Problematischer ist die Rahmenhandlung um Akira Kumo und Virginie Latour. Während letztere, obwohl auch ihr Privatleben thematisiert wird, im Grunde nur die Funktion hat, sich Wolkengeschichten erzählen zu lassen, verbindet sich mit dem Modeschöpfer ein Handlungsstrang, der im Wortsinn den Rahmen sprengt. Man ahnt es früh, wenn man erfährt, daß Kumo in Hiroshima geboren wurde. Als Geburtsjahr wird zunächst 1946 angegeben, doch stellt sich bald heraus, das er deutlich älter ist, er also den Tag, an dem aus wolkenlosem Himmel die Atombombe abgeworfen wurde, bereits miterlebt und überlebt hat.

Freilich werden nun so viele "reale" und "fiktive" Geburtsdaten Kumos angedeutet, daß man glaubt, Audeguy habe sich verheddert. Dann stellt sich jedoch heraus, daß es sich um eine Marotte des Autors handelt, die sich auch bei anderen Figuren ausgetobt hat, etwa wenn Abercrombie 1889 dreiundvierzig Jahre alt ist, 1891 neununddreißig und 1892 fünfundvierzig. Offenbar soll betont werden, wie wenig nüchternem Zahlenmaterial zu trauen ist und daß dichterische Freiheit wohl grenzenlos sein muß. Aber albern ist es doch.

Was das Buch zusammenhält, ist ein konsequent durchgehaltener Tonfall, eine Mischung aus sachlich-nüchternem Bericht und märchenhafter Fabulierlust. Erzählt wird im Präsens, bei völligem Verzicht auf wörtliche Rede. Manchmal ergeben sich bewußt ironische Wirkungen, wenn es beispielsweise über Streifen auf Boxershorts heißt: "Der Hersteller hat auf den breitesten jeder dieser Streifen sechsmal das Abbild einer Comicfigur gedruckt, eine Art geschlechtslose Maus, die aufrecht auf ihren vereinfachten Füßen dasteht, mit ihren vier Fingern an jeder Hand, mit ihren stilisierten schwarzen Ohren und mit ihrem breiten Lächeln."

Bei aller sprachlichen Sorgfalt verfügt der Roman aber doch nicht über die Brillanz, die notwendig wäre, damit die stilistische Einförmigkeit nicht gelegentliche Ermüdungseffekte beim Leser hervorruft. Mag sein, daß durch Elsbeth Ranke-Heins Übertragung ins Deutsche ein wenig von der poetischen Qualität, die dem Buch in Frankreich bescheinigt worden ist, verlorengeht. Insgesamt jedoch macht die Übersetzung einen seriösen Eindruck, abgesehen von Kleinigkeiten wie "der zweite diesen Vor- und Nachnamens" oder "Surfer" für die Ersteller (statt Benutzer) von Internetseiten.

"Der Herr der Wolken" erweist sich zwar als durchaus lesenswertes Romandebüt, läßt sich aber kaum so hoch oben verorten, wie es dem zweifellos großen Ehrgeiz seines Verfassers entspricht. Er erreicht vielmehr, um noch einmal "Howards Ehrengedächtnis" zu zitieren, "Die Mittelhöhe, beidem gleich geneigt, / Ob's fallend wässert oder luftig steigt".

HARDY REICH

Stéphane Audeguy: "Der Herr der Wolken". Aus dem Französischen übersetzt von Elsbeth Ranke-Hein. Verlag SchirmerGraf, München 2006. 288 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2007

Schauen Sie, da ist ein Schaf! Und da ein Menschenohr!
Wie man das Gehirn in reine Atmosphäre verwandelt: Stéphane Audeguys Roman „Der Herr der Wolken”
Ein wenig Stille, Zeit, Regelmäßigkeit und sicher auch eine gewisse Begabung gehören dazu, dann aber ist es eine der leichtesten und schönsten Übungen: das Nachdenken. Die Gedanken kommen und gehen lassen, ihnen zusehen, wie sie sich wiederholen, auftauchen und verschwinden: glückliches Herumsitzen. Fast immer findet es im Freien statt oder am Fenster, und ganz automatisch geht der Blick Richtung Himmel. Sein Blau wölbt sich wie eine Kuppel, die den Gedanken Raum bietet, jenseits der eigenen Schädeldecke. Und manchmal gibt es noch ein paar Wolken dazu, dann ist die Situation perfekt. Stéphane Audeguys Roman „Der Herr der Wolken” ist dieser Stimmung auf der Spur. Er handelt von der Meteorologie, aber auch von der Morphologie, der verblüffenden Fähigkeit des Menschen, in der disparaten Vielfalt der ErscheinungenFormen des Wandels zu erkennen. Seine Stärke liegt in der Erzeugung von Atmosphären. Wissenschaftshistorisch sollte man ihn nicht allzu ernst nehmen. Denn der 1964 geborene, in Paris lebende Autor geht recht lässig mit den Fakten um.
Im Juni 2005 wird die Bibliothekarin Virginie Latour von einem berühmten japanischen Modeschöpfer engagiert. Angeblich soll sie die Privatbibliothek des leidenschaftlichen Sammlers ordnen, doch bald merkt sie, dass der alternde Akira Kumo vor allem eine Zuhörerin sucht. Ihr ist es recht, denn so leicht hat sie ihr Geld noch nie verdient. Außerdem findet sie ihren Auftraggeber anziehend. Das ist ihr zwar etwas unheimlich, aber sie nimmt es hin, zumal ihr Freund sie gerade verlassen hat: erotische Gestimmtheit kann niemals schaden, mal sehen, was sich damit anfangen lässt. In dieser Laissez-faire-Haltung der weiblichen Hauptfigur deutet sich das Charmepotential des Romans an. Er hat einen einnehmenden Ton, eine Art prinzipielle Zustimmung zu allem, was geschieht. Und er wimmelt von Menschen, die das Dasein hinnehmen können, so wie es ist.
Gut, dass es Enkel gibt
Und so lässt sich auch der Leser eine Menge gefallen. Denn die Rahmenhandlung muss ein wildes Sammelsurium an Geschichten zusammenhalten. Akira Kumo erzählt seiner Zuhörerin Herkunft und Inhalt sämtlicher Bücher über die Geschichte der Meteorologie, die er in der Bibliothek seines Pariser Stadtpalais’ stehen hat. Munter vermischt Audeguy fiktives und historisch verbürgtes Personal, von einem der ersten Wolkenkundler, dem Quäker und Apotheker Luke Howard und dessen Leser Goethe bis hin zum amerikanischen Mathematiker John von Neumann. Dass es dabei um weit mehr als um Wetterkunde geht, wird spätestens bei der abenteuerlichen Geschichte um den fiktiven Meteorologen Richard Abercrombie deutlich, der sich Ende des 19. Jahrhunderts aufmacht, um die unterschiedlichsten Formen der Wolken in allen Winkeln der Welt zu erkunden und fotografisch zu dokumentieren. Als er stirbt, hinterlässt er das rätselhafte „Abercrombie-Protokoll”, in dem die Nachwelt einen Wolkenatlas vermutet. Virginie Latour ist die Glückliche, die es nach Jahrzehnten unter Verschluss endlich einsehen darf (weil sie mit seinem Enkel schläft, der ihr endlich die Orgasmen beschert, die sie sonst nur alleine zustande bringt, „ozeanische” nämlich).
Doch da sind keineswegs ausschließlich Wolken abgebildet, sondern vor allem weibliche Geschlechtsorgane, rund zweitausend an der Zahl, in bunter Vielfalt, von lauter verschiedenen Frauen der unterschiedlichsten Ethnien. Und neben den Fotos finden sich Zeichnungen, in denen organische Formen ineinander übergehen: Gehirne werden zu Wolken, Muscheln zu Menschenohren, ein Geschlecht verwandelt sich ins andere. Überall hat Abercrombie Ähnlichkeiten entdeckt. Der vermeintliche Wolkenatlas ist die reinste Orgie der Analogie.
Der Roman beschreibt die Geburtsstunde der fraktalen Geometrie. Doch das Stichwort fällt nicht. Denn Stéphane Audeguy ist auf etwas anderes aus, will partout das richtige vom falschen Denken unterscheiden. Und wird dabei leider ziemlich schlicht. So klug seine Figuren sind, so unterhaltsam seine Geschichten, so warmherzig die Ironie seiner Sprache, so einfältig lenkt seine Zivilisationskritik die Handlung: Kontemplation ist gut, auch Wahn und Verrücktheit haben ihre Würde, zweckgerichtetes Denken aber ist böse. Denn mit ihm kann man Apparate bauen, die Welt erobern und vernichten. Deshalb spielen in diesem Wolken-Roman die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki eine wichtige Rolle und stammt der Geschichtenerzählers Akira Kumo aus Japan.
Das mag zunächst einleuchten. Ein Roman über Wolken, der bis in die Gegenwart reicht, wäre ohne die Verheerungen radioaktiver Strahlung purer Romantizismus. Doch verwandelt sich dem Autor der politische Vorwurf gegen die USA unter der Hand in ein billiges Ressentiment. Denn er lässt die Vereinigten Staaten die Rolle der „steifen (. . . ), verkümmerten Zivilisation” verkörpern, die als erste das geschmeidige Denken der Analogie zugunsten des Herrschaftswissens aufgegeben habe. Das ist nicht nur historisch falsch, sondern es beschädigt auch sein Thema. Nein, man kann das gute Denken nicht vom bösen trennen, auch und erst recht dann nicht, wenn man für die Welt, von der man erzählt, einen Schuldigen sucht. Stéphane Audeguys „Herr der Wolken” ist ein seltsames Zwitterwesen: er könnte ein großes Lesevergnügen sein, wäre er nicht ein so großes Ärgernis beim Nachdenken.MEIKE FESSMANN
STÉPHANE AUDEGUY: Der Herr der Wolken. Roman. Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke. SchirmerGraf Verlag, München 2006. 309 S., 19,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hardy Reich findet den Debütroman von Stephane Audeguy, der von der französischen Kritik hochgelobt worden ist, zwiespältig. Als Rahmen hat der Autor den in Paris lebenden japanischen Modedesigner Akira Kumo in den Mittelpunkt gestellt, der historische Informationen über Wolken sammelt. Audeguy mische dabei historisch verbürgte und fiktive Figuren, wobei neben dem britischen Wolkenforscher Luke Howard die Fantasiegestalt des schottischen Photografen Richard Abercrombie auf den Rezensenten den größten Eindruck macht. Weniger überzeugend findetder Rezensent die ausufernden Dimensionen der Rahmenhandlung, in der angedeutet wird, dass Akira Überlebender der Hiroshimabombe ist. Die durchgängig im Präsens gehaltene Erzählweise würdigt der Rezensent zwar als konsequent, auf die Dauer findet er den Ton ,der zwischen Sachbuchstrenge und Märchen schwankt, wegen dieser Stilarmut aber etwas ermüdend, zumal der Autor auf Dialoge völlig verzichtet hat. Und dass die von der französischen Kritik viel gelobte "Poesie" in der deutschen Fassung nicht so recht spürbar ist, will er nicht allein der Übersetzung durch Elsbeth Ranke-Hein anlasten, die ihm alles in allem recht solide erscheint. Insgesamt lobt Reich den Roman als "lesenswert", findet ihn aber allgemein etwas überschätzt.

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