Jürgen Trimborn, mit seiner Riefenstahl-Biographie für den Deutschen Bücherpreis 2003 nominiert, zeichnet das facettenreiche Bild eines der größten deutschen Bühnen- und Filmstars. Seine Würdigung gibt Fans und Fachleuten Aufschluss über eine der längsten Schauspielerkarrieren überhaupt, für die Heesters sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde erhielt. Bonvivant, Liebling der Frauen, vollendeter Charmeur - das Image von Johannes Heesters wurde und wird von den Rollen bestimmt, die er im Laufe seiner langen Karriere auf deutschen und österreichischen Bühnen spielte. Jürgen Trimborn sieht hinter die Fassade des "Dauer-Lebemanns" (Hellmuth Karasek), der mit einem schier unauslöschlichen Lächeln auf den Lippen alle Schwierigkeiten mit links zu meistern scheint. Anhand zahlreicher bislang unbekannter Quellen sowie Gesprächen mit Angehörigen und Kollegen wie Marika Rökk, Peter Alexander, Artur Brauner, Carola Höhn und nicht zuletzt mit Heesters selbst zeichnet Trimborn die Sta
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2003Männer in Uniform
Man kann sich seine Verehrer nicht aussuchen: Der heute hundertjährige Johannes Heesters in einer Biographie von Jürgen Trimborn
Die moderne ferngesteuerte Kriegführung macht Uniformen als wiedererkennbare Zeichen auf dem Schlachtfeld überflüssig. Doch als Panzer männlicher Selbstdarstellung blieben sie bis heute unentbehrlich. Sie machen den Mann, wandeln seinen Körper zur Chiffre von Stärke und Standfestigkeit, entheben den Träger seiner Individualität. Mit der zweiten männlichen Uniform, dem Frack, verhält es sich genau umgekehrt: Er formt keine Körper, sondern fordert sie, unterstreicht Anmut, stellt körperliche Mängel gnadenlos bloß. Weil er die reine Kontur, ein pures Passepartout der Person ist, zwingt er seine Träger, Gesicht und damit Persönlichkeit zu zeigen. So stehen Waffenrock und Frack einander gegenüber wie Denkschwere und Geistesblitz, Marsch und Walzer, Krieg und Frieden. Oder wie Hermann Göring, den man im Dritten Reich wegen seiner überladenen Galauniformen heimlich "den Pfau" nannte, und Johannes Heesters, den Hitler als seinen Lieblingsschauspieler und "den besten Danilo aller Zeiten" bezeichnete. "Man kann sich seine Verehrer nicht aussuchen", heißt es in Jürgen Trimborns Heesters-Biographie.
Chapeau-claque, weißer Seidenschal, Frack und offene schöne Gesichtszüge, die nicht weich waren, aber auch nicht versteinert wie die der uniformierten Führungsclique und ihrer Nachahmer: So sang und spielte sich Johannes Heesters durch die zwölf Jahre des "tausendjährigen Reichs", in allem der strahlende leichtfüßige Bote einer zivilen Welt, in der nicht Gehorsam oberstes Gebot war, sondern Übereinkunft. "Ich werde jede Nacht von Ihnen träumen", sang Heesters 1937, ein Schlager, den ihm Peter Kreuder in die Operettenmelodien der Verfilmung von Karl Millöckers "Gasparone" hineinkomponiert hatte. "Ich hab' so viele Wünsche im geheimen", beginnt die zweite Strophe - dieses Flirren zwischen Kavalier und Verführer bewahrte Heesters sich und seinem Genre selbst dann noch, als er von 1940 an in Lehárs "Lustiger Witwe" beim berühmten "Heut geh' ich ins Maxim" nicht mehr "Lolo, Jou-Jou, Clo Clo" besingen durfte, sondern von "Annett, Babett, Lisett" schwärmen mußte. Auch er war umbenannt worden: Die Ufa hatte aus Jan, Hans und Hanns 1935 Johannes gemacht; merkwürdig, daß der Name von Jesu Lieblingsjünger gewählt wurde - vielleicht genoß man unbewußt den pikanten Reiz dieser Legierung von Apostel und Charmeur.
Schon seit 1935, als in Paul Linckes "Frau Luna" die Mondreisenden beim Blick auf die Erde Deutschlands Größe bestaunten und mit dem Satz "Wenn wir zurückkommen, ist es noch viel größer" Szenenapplaus provoziert hatten, war die Operette ein Schlachtfeld geworden. Nur Heesters blieb unsoldatisch. "Sie mit ihrem verdammten Charme", belferte ihm Goebbels einmal ein widerwilliges Kompliment ins Gesicht. Das Charisma des Zivilen trug Heesters' Aufstieg, die Emigration der vorherigen Stars von Operette, Revue und Revuefilm wie Joseph Schmidt, Max Hansen oder Jan Kiepura hatte ihn nur begünstigt.
"Lippen schweigen, 's flüstern Geigen" - wo Brüllaffen und wispernde Denunzianten die Szene beherrschten, muß solche Walzerseligkeit Erlösung für Minuten gewesen sein. Johannes Heesters bot sie vertrauenschenkend wie kein zweiter. Sogar der Schwachpunkt im künstlerischen Arsenal, seine für einen Tenor etwas zu tiefe und zu wenig tragende Stimme, die Kritiker am Beginn seiner Karriere in den Niederlanden und Österreich bemängelt hatten, ließ ihn siegen. Zum Ausgleich nämlich interpretierte er beim Singen wortgenau, dosierte Pointen auf den Punkt, war Arien stimmlich gewachsen und bei musikalisch anspruchsvollen Schlagern perfekt. Das Publikum sah damit einen, der sich hochgearbeitet hatte, Champagnergraf und doch "einer wie du und ich".
Heesters war, so sagt zu Recht Jürgen Trimborn, eigentlich "ein singender Schauspieler". Wenn die Scheinwerfer aufleuchteten und die Kameras kein Ausweichen in Posen erlaubten, wurde er, das zeigen die Ufa-Filme jener Jahre, tatsächlich jener hiesige Cary Grant, als den ihn Helmut Karasek im Vorwort von Trimborns Biographie sieht. Draußen aber, so entnimmt man den - oft in Nebensächlichkeiten schwelgenden - Schilderungen Trimborns, blieb er ein Durchschnittsbürger. Ein nachdenklicher Mann, fürsorglich seiner Frau und den beiden Töchtern gegenüber, in finanziellen Dingen so zurückhaltend und abwägend wie sein Vater, der im holländischen Ammersfoort als kleiner Kaufmann vier Söhne großgezogen hatte, in politischen Angelegenheiten abstinent. So wie viele Niederländer und viele Deutsche in jenen Jahren.
Das Ehepaar Heesters ließ seine Töchter in einer katholischen Klosterschule unterrichten, um sie dem nazistischen Drill zu entziehen, der Privatmann Heesters schaute weinend durch das Fenster zu, als in Berlin die oft besuchte Nachbarin, eine alte jüdische Dame, zur Deportation auf die Laderampe eines Lastwagens geprügelt wurde. "So etwas passiert mitten in Deutschland, und man ist machtlos und kann nichts dagegen unternehmen", steht als Reaktion des Sängers in der Biographie zu lesen.
War es dieselbe Angst, die auch den Star beherrschte, als er während eines Gastspiels am Münchner Gärtnerplatztheater im Mai 1941 der Einladung - eigentlich einer Order - der SS folgte, die das Ensemble zum Besuch im Konzentrationslager Dachau bat? Die Fotos zeigen Heesters mit leerem Blick, das Gesicht so ausdruckslos wie die Gesichter von Unfallopfern, die unverletzt sind, ansprechbar, aber infolge des Schocks geistig abwesend. 1978, als die Aufnahmen veröffentlicht wurden, kam es zum Skandal, im selben Jahr schrieb Heesters in seinen Memoiren: "Ich schämte mich, und ich habe bis heute nicht aufgehört, mich zu schämen." Welcher andere verstrickte Künstler hätte derart offen gesprochen? So ist Heesters das direkte Gegenteil der ewig ausweichenden Leni Riefenstahl, deren Biographie Jürgen Trimborn, ebenso diffus statt diskret kommentierend wie nun, vor seinem Heesters-Band publiziert hat. Er war mutig, nicht sein Biograph.
Heesters widerstand auch der Versuchung, nachträglich Widerborstigkeit oder innere Emigration anzuführen. Das holt Trimborn nach: Man liest, daß der Star in Berlin einen Amsterdamer Jugendfreund als Privatsekretär und Familienhilfe eingestellt hatte und daß er eine Ehe des Homosexuellen mit einer jüdischen Deutschen vermittelte, womit beide dem Zugriff der Nazis entzogen waren. Ein "unauffälliges, ganz normales Familienleben", wie Trimborn schreibt, ist dies weiß Gott nicht gewesen, aber eines, das in seiner Courage Achtung abfordert - so wie Heesters' Reise 1938 nach Holland, wo er, zum Zorn von Goebbels, mit einem Ensemble emigirierter jüdischer Darsteller in Kálmáns verbotener "Gräfin Mariza" auftrat.
Wachsam war der Künstler bei diesen Gelegenheiten, und sonderbar immun gegen die Zeichen der Zeit muß er gewesen sein, als er 1934, in der Wiener Volksoper im "Bettelstudent" debütierend, beim Lied vom "kleinen Land am Donaustrand", das sich allen Widrigkeiten zum Trotz "neu bewähren" werde, nicht die antinazistische Demonstration im aufbrandenden Szenenapplaus erkannte. Ein Zeichen aber, daß er nach 1945 auch als Künstler indirekt Rechenschaft ablegte, ist sein kurzfristiger Wechsel ins Charakterfach: In Wien spielte er 1948 überzeugend den kriegsmüden Soldaten in van Drutens "Das Lied der Taube".
Doch auf Dauer blieb es, zumal durch die Unversöhnlichkeit der Niederländer, beim Frack als deutscher Bonvivant. Oft an der Seite von Marika Rökk, die nun jene Traumpartnerin für Heesters wurde, zu der die Ufa sie vergebens hatte machen wollen, durchschritt er die künstlerische Talsohle von "Papas Kino". Relativ unbeschadet, wie seine Bühnenerfolge zunächst in Operetten, dann in Musicals bezeugten. Mit dem alternden desillusionierten Lebemann in Frederick Loewes "Gigi" fand Heesters die ideale Altersrolle seiner musikalischen Laufbahn. Mit Neil Simons "Sonny Boys" wuchs er 1982 zum Tragikomiker. Ein Wiener Angebot, den "Lear" zu spielen, lehnte er ab.
Er braucht ihn nicht zu spielen, denn in der Würde seiner nun hundert Jahre ist er es. Das zeigte sich, als Johannes Heesters, noch einmal im Frack, 2002 als greiser Diener Firs in Tschechows "Kirschgarten" brillierte. Ein Zeitalter in Person blickte sich um, entrückt und anwesend zugleich. Ein schöner Greis, der alles gesehen und erlebt hat in der Welt, schritt da über die Bühne, vorsichtig, als wäre ihr Boden und alles um ihn herum aus Glas. "Ist frei der Geist, dann fühlt der Körper zart", sagt Shakespeares Lear.
DIETER BARTETZKO
Jürgen Trimborn: "Der Herr im Frack". Johannes Heesters. Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2003. 528 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Man kann sich seine Verehrer nicht aussuchen: Der heute hundertjährige Johannes Heesters in einer Biographie von Jürgen Trimborn
Die moderne ferngesteuerte Kriegführung macht Uniformen als wiedererkennbare Zeichen auf dem Schlachtfeld überflüssig. Doch als Panzer männlicher Selbstdarstellung blieben sie bis heute unentbehrlich. Sie machen den Mann, wandeln seinen Körper zur Chiffre von Stärke und Standfestigkeit, entheben den Träger seiner Individualität. Mit der zweiten männlichen Uniform, dem Frack, verhält es sich genau umgekehrt: Er formt keine Körper, sondern fordert sie, unterstreicht Anmut, stellt körperliche Mängel gnadenlos bloß. Weil er die reine Kontur, ein pures Passepartout der Person ist, zwingt er seine Träger, Gesicht und damit Persönlichkeit zu zeigen. So stehen Waffenrock und Frack einander gegenüber wie Denkschwere und Geistesblitz, Marsch und Walzer, Krieg und Frieden. Oder wie Hermann Göring, den man im Dritten Reich wegen seiner überladenen Galauniformen heimlich "den Pfau" nannte, und Johannes Heesters, den Hitler als seinen Lieblingsschauspieler und "den besten Danilo aller Zeiten" bezeichnete. "Man kann sich seine Verehrer nicht aussuchen", heißt es in Jürgen Trimborns Heesters-Biographie.
Chapeau-claque, weißer Seidenschal, Frack und offene schöne Gesichtszüge, die nicht weich waren, aber auch nicht versteinert wie die der uniformierten Führungsclique und ihrer Nachahmer: So sang und spielte sich Johannes Heesters durch die zwölf Jahre des "tausendjährigen Reichs", in allem der strahlende leichtfüßige Bote einer zivilen Welt, in der nicht Gehorsam oberstes Gebot war, sondern Übereinkunft. "Ich werde jede Nacht von Ihnen träumen", sang Heesters 1937, ein Schlager, den ihm Peter Kreuder in die Operettenmelodien der Verfilmung von Karl Millöckers "Gasparone" hineinkomponiert hatte. "Ich hab' so viele Wünsche im geheimen", beginnt die zweite Strophe - dieses Flirren zwischen Kavalier und Verführer bewahrte Heesters sich und seinem Genre selbst dann noch, als er von 1940 an in Lehárs "Lustiger Witwe" beim berühmten "Heut geh' ich ins Maxim" nicht mehr "Lolo, Jou-Jou, Clo Clo" besingen durfte, sondern von "Annett, Babett, Lisett" schwärmen mußte. Auch er war umbenannt worden: Die Ufa hatte aus Jan, Hans und Hanns 1935 Johannes gemacht; merkwürdig, daß der Name von Jesu Lieblingsjünger gewählt wurde - vielleicht genoß man unbewußt den pikanten Reiz dieser Legierung von Apostel und Charmeur.
Schon seit 1935, als in Paul Linckes "Frau Luna" die Mondreisenden beim Blick auf die Erde Deutschlands Größe bestaunten und mit dem Satz "Wenn wir zurückkommen, ist es noch viel größer" Szenenapplaus provoziert hatten, war die Operette ein Schlachtfeld geworden. Nur Heesters blieb unsoldatisch. "Sie mit ihrem verdammten Charme", belferte ihm Goebbels einmal ein widerwilliges Kompliment ins Gesicht. Das Charisma des Zivilen trug Heesters' Aufstieg, die Emigration der vorherigen Stars von Operette, Revue und Revuefilm wie Joseph Schmidt, Max Hansen oder Jan Kiepura hatte ihn nur begünstigt.
"Lippen schweigen, 's flüstern Geigen" - wo Brüllaffen und wispernde Denunzianten die Szene beherrschten, muß solche Walzerseligkeit Erlösung für Minuten gewesen sein. Johannes Heesters bot sie vertrauenschenkend wie kein zweiter. Sogar der Schwachpunkt im künstlerischen Arsenal, seine für einen Tenor etwas zu tiefe und zu wenig tragende Stimme, die Kritiker am Beginn seiner Karriere in den Niederlanden und Österreich bemängelt hatten, ließ ihn siegen. Zum Ausgleich nämlich interpretierte er beim Singen wortgenau, dosierte Pointen auf den Punkt, war Arien stimmlich gewachsen und bei musikalisch anspruchsvollen Schlagern perfekt. Das Publikum sah damit einen, der sich hochgearbeitet hatte, Champagnergraf und doch "einer wie du und ich".
Heesters war, so sagt zu Recht Jürgen Trimborn, eigentlich "ein singender Schauspieler". Wenn die Scheinwerfer aufleuchteten und die Kameras kein Ausweichen in Posen erlaubten, wurde er, das zeigen die Ufa-Filme jener Jahre, tatsächlich jener hiesige Cary Grant, als den ihn Helmut Karasek im Vorwort von Trimborns Biographie sieht. Draußen aber, so entnimmt man den - oft in Nebensächlichkeiten schwelgenden - Schilderungen Trimborns, blieb er ein Durchschnittsbürger. Ein nachdenklicher Mann, fürsorglich seiner Frau und den beiden Töchtern gegenüber, in finanziellen Dingen so zurückhaltend und abwägend wie sein Vater, der im holländischen Ammersfoort als kleiner Kaufmann vier Söhne großgezogen hatte, in politischen Angelegenheiten abstinent. So wie viele Niederländer und viele Deutsche in jenen Jahren.
Das Ehepaar Heesters ließ seine Töchter in einer katholischen Klosterschule unterrichten, um sie dem nazistischen Drill zu entziehen, der Privatmann Heesters schaute weinend durch das Fenster zu, als in Berlin die oft besuchte Nachbarin, eine alte jüdische Dame, zur Deportation auf die Laderampe eines Lastwagens geprügelt wurde. "So etwas passiert mitten in Deutschland, und man ist machtlos und kann nichts dagegen unternehmen", steht als Reaktion des Sängers in der Biographie zu lesen.
War es dieselbe Angst, die auch den Star beherrschte, als er während eines Gastspiels am Münchner Gärtnerplatztheater im Mai 1941 der Einladung - eigentlich einer Order - der SS folgte, die das Ensemble zum Besuch im Konzentrationslager Dachau bat? Die Fotos zeigen Heesters mit leerem Blick, das Gesicht so ausdruckslos wie die Gesichter von Unfallopfern, die unverletzt sind, ansprechbar, aber infolge des Schocks geistig abwesend. 1978, als die Aufnahmen veröffentlicht wurden, kam es zum Skandal, im selben Jahr schrieb Heesters in seinen Memoiren: "Ich schämte mich, und ich habe bis heute nicht aufgehört, mich zu schämen." Welcher andere verstrickte Künstler hätte derart offen gesprochen? So ist Heesters das direkte Gegenteil der ewig ausweichenden Leni Riefenstahl, deren Biographie Jürgen Trimborn, ebenso diffus statt diskret kommentierend wie nun, vor seinem Heesters-Band publiziert hat. Er war mutig, nicht sein Biograph.
Heesters widerstand auch der Versuchung, nachträglich Widerborstigkeit oder innere Emigration anzuführen. Das holt Trimborn nach: Man liest, daß der Star in Berlin einen Amsterdamer Jugendfreund als Privatsekretär und Familienhilfe eingestellt hatte und daß er eine Ehe des Homosexuellen mit einer jüdischen Deutschen vermittelte, womit beide dem Zugriff der Nazis entzogen waren. Ein "unauffälliges, ganz normales Familienleben", wie Trimborn schreibt, ist dies weiß Gott nicht gewesen, aber eines, das in seiner Courage Achtung abfordert - so wie Heesters' Reise 1938 nach Holland, wo er, zum Zorn von Goebbels, mit einem Ensemble emigirierter jüdischer Darsteller in Kálmáns verbotener "Gräfin Mariza" auftrat.
Wachsam war der Künstler bei diesen Gelegenheiten, und sonderbar immun gegen die Zeichen der Zeit muß er gewesen sein, als er 1934, in der Wiener Volksoper im "Bettelstudent" debütierend, beim Lied vom "kleinen Land am Donaustrand", das sich allen Widrigkeiten zum Trotz "neu bewähren" werde, nicht die antinazistische Demonstration im aufbrandenden Szenenapplaus erkannte. Ein Zeichen aber, daß er nach 1945 auch als Künstler indirekt Rechenschaft ablegte, ist sein kurzfristiger Wechsel ins Charakterfach: In Wien spielte er 1948 überzeugend den kriegsmüden Soldaten in van Drutens "Das Lied der Taube".
Doch auf Dauer blieb es, zumal durch die Unversöhnlichkeit der Niederländer, beim Frack als deutscher Bonvivant. Oft an der Seite von Marika Rökk, die nun jene Traumpartnerin für Heesters wurde, zu der die Ufa sie vergebens hatte machen wollen, durchschritt er die künstlerische Talsohle von "Papas Kino". Relativ unbeschadet, wie seine Bühnenerfolge zunächst in Operetten, dann in Musicals bezeugten. Mit dem alternden desillusionierten Lebemann in Frederick Loewes "Gigi" fand Heesters die ideale Altersrolle seiner musikalischen Laufbahn. Mit Neil Simons "Sonny Boys" wuchs er 1982 zum Tragikomiker. Ein Wiener Angebot, den "Lear" zu spielen, lehnte er ab.
Er braucht ihn nicht zu spielen, denn in der Würde seiner nun hundert Jahre ist er es. Das zeigte sich, als Johannes Heesters, noch einmal im Frack, 2002 als greiser Diener Firs in Tschechows "Kirschgarten" brillierte. Ein Zeitalter in Person blickte sich um, entrückt und anwesend zugleich. Ein schöner Greis, der alles gesehen und erlebt hat in der Welt, schritt da über die Bühne, vorsichtig, als wäre ihr Boden und alles um ihn herum aus Glas. "Ist frei der Geist, dann fühlt der Körper zart", sagt Shakespeares Lear.
DIETER BARTETZKO
Jürgen Trimborn: "Der Herr im Frack". Johannes Heesters. Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2003. 528 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Thomas Leuchtenmüller blickt beeindruckt auf die Karriere des Johannes Heesters zurück, die vor mehr als 80 Jahren begann und noch immer nicht beendet ist. Was also läge zum hundertsten Geburtstag näher als eine "voluminöse, üppig bebilderte" Biografie wie die von Jürgen Trimborn? Wenn er sie denn nur nicht - oje, oje - mit all ihrem Gewicht selber versenkt hätte! Dabei mache Trimborn eigentlich "vieles richtig": Er reflektiert Zeitgeschichte und die Entwicklung des Theaters mit, er hat tadellos recherchiert, er hat seine Darstellung ausgewogen gewichtet und Bühnenverzeichnis sowie Filmografie sind gelungen. Das Problem, das entscheidende: Der Autor weist Heesters, der während der Nazizeit üppig verdiente, entgegen dessen Aussagen einen Auftritt im KZ Dachau nach, enthält sich dann aber eines Urteils - um sich, wie Leuchtenmüller vermutet, seine exklusiven Recherchemöglichkeiten nicht entgehen zu lassen. Damit aber habe er die Integrität seiner Darstellung geopfert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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