»Vielleicht ist einer von uns morgen schon nicht mehr da.«
Über fünfzig Jahre lang teilen sie ihr Leben. Doch nun ist der Mann schwer krank. Lange schon wird er palliativ umsorgt; und so wird der Radius des Paares immer eingeschränkter, der Besuch seltener, die Abhängigkeit voneinander größer.
Kraftvoll und poetisch erzählt Helga Schubert davon, wie man in solchen Umständen selbst den Verstand und der andere die Würde behält.
»Helga Schubert erzählt davon, wie man Frieden machen kann mit diesem Leben. Sie zeigt, wie man Lebensgeschichte in Literatur verwandeln kann.«
Insa Wilke
»Ich war so berührt, dass ich dachte, man müsste eine neue literarische Skala eröffnen: den Schubert-Moment.«
Katrin Schumacher
Über fünfzig Jahre lang teilen sie ihr Leben. Doch nun ist der Mann schwer krank. Lange schon wird er palliativ umsorgt; und so wird der Radius des Paares immer eingeschränkter, der Besuch seltener, die Abhängigkeit voneinander größer.
Kraftvoll und poetisch erzählt Helga Schubert davon, wie man in solchen Umständen selbst den Verstand und der andere die Würde behält.
»Helga Schubert erzählt davon, wie man Frieden machen kann mit diesem Leben. Sie zeigt, wie man Lebensgeschichte in Literatur verwandeln kann.«
Insa Wilke
»Ich war so berührt, dass ich dachte, man müsste eine neue literarische Skala eröffnen: den Schubert-Moment.«
Katrin Schumacher
Die Pflege eines geliebten Menschen erzeugt oft Spannungen, die die Beziehung sehr belasten. Helga Schubert erzählt davon, dass diese schwierige Aufgabe auch ein wertvolles Geschenk sein kann, für den, der gepflegt wird und auch für die Pflegeperson. Ein Buch voller Stärke und Liebe.
Der heutige Tag, Helga Schubert
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Cornelia Geißler kann aus dem neuen Roman von Helga Schubert Kraft schöpfen. Die Schriftstellerin schildert hier aus der Ich-Perspektive den Alltag mit ihrem an Demenz erkrankten Mann, lesen wir: die aufwendige Pflege, gemeinsame Rituale, die Liebe zu ihm. Der Roman ist geprägt von Positivität und Ruhe, schreibt Geißler, die es inspirierend findet, wie sich die Erzählerin von den alltäglichen Widrigkeiten nicht unterkriegen lässt, auch wenn sich der Zustand ihres Mannes zusehends verschlechtert. Durch den ruhigen Erzählton fallen der Kritikerin pointierte Formulierungen besonders auf, wenn die DDR als "Diktatur der Gartenzwerge" bezeichnet wird, beispielsweise. Ein wenig irritiert ist sie lediglich von dem Pathos, mit dem kleine Momente zuweilen aufgeladen werden. Alles in allem aber liest sie ein berührendes Buch über den Abschied.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2023Niemand stirbt
für sich allein
Helga Schuberts zärtliches, hartes Buch
über die Pflege ihres Mannes
„In genau diesem Moment bleiben“ wird einem in jeder Yogastunde geraten, es ist modernes Achtsamkeitsblabla für all diejenigen, die versuchen, den Rushhour-Alltag zu überstehen. Für die Erzählerin in Helga Schuberts neuem Buch „Der heutige Tag“ ist es Lebensmotto. Die 83-jährige Erzählerin pflegt ihren 96-jährigen, schwer dementen Ehemann und freut sich an jeder gemeinsamen Sekunde.
Ganz richtig gelesen. Sie freut sich über jede Sekunde, obwohl in diesen Sekunden auch herausgerissene Blasenkatheter vorkommen, umgekippte Rollstühle, Dutzende Tabletten täglich, aber manchmal kein gegenseitiges Erkennen. Lieber sterben, sagen da viele, für die der Tod noch einige Jahrzehnte entfernt ist. Werden Menschen gefragt, wie sie sich das eigene Ableben vorstellen, sagen die meisten: schnell, schmerzlos. Am liebsten einfach umkippen. Oder einschlafen und nie wieder erwachen.
Niemand will krank und pflegebedürftig werden, am Ende des Lebens „dahinsiechen“, wie es oft heißt, ein Wort, das man es in Schuberts Buch nicht finden wird. Und doch kommt es für die allermeisten Menschen am Lebensende genau so. Sich damit auseinanderzusetzen ist daher nicht die dümmste Idee und die Lektüre von „Der heutige Tag“ nicht der dümmste Start.
Die Erzählerin ist, unschwer zu erkennen, Helga Schubert selbst, die auch im wahren Leben ihren Mann pflegt, den Maler und Psychologieprofessor Johannes Helm. Im Buch heißt er Derden, das soll für „der, den ich liebe“ stehen. Dann beschreibt sie ihren Tag, ihre Tage, kleinteilig bis hin zum „Sahnejoghurt im Schatten, eine Amsel singt, Stille.“ Derlei sind die letzten kleinen Freuden, die ihrem Mann noch geblieben sind, doch Helga Schubert schreibt darüber zärtlich: „So darf ein Leben doch ausatmen.“
Bei genauerem Hinspüren ist es ein hartes Buch, das einem zwischen den weichen, liebevollen, poetischen Sätzen Kinnhaken versetzt. Jede Seite erinnert daran: Auch du wirst nicht einfach tot umfallen, höchstwahrscheinlich. Auch du wirst in deinen letzten Lebensjahren gewickelt werden müssen und niemanden mehr erkennen, du wirst halluzinieren und sabbern, hilflos sein, verwirrt.
Kann man so ein Leben dann lieben? Von so einem Wesen noch zurückgeliebt werden? Das wird die Erzählerin von so vielen Menschen gefragt, dass man es sich irgendwann auch selbst fragt. Ab wann wird der Preis zu hoch, wann ist man zu alt, wann übersteigt der Schmerz und der Aufwand die Liebe und war es überhaupt je Liebe, wenn das irgendwann passiert?
Schubert beantwortet diese Fragen auch mit vielen Rückblenden auf ihr gemeinsames Leben, das Kennenlernen am Lehrstuhl für Psychologie, das gemeinsame Leben in der DDR, die sie schon damals ihm zuliebe, der Liebe zuliebe, nicht verließ. Heute lässt sie sich wieder ein auf seine Welt, die nicht die ihre ist, lässt sich verwechseln („Wer weiß, vielleicht bestehe ich ja aus drei Frauen. Vielleicht hat er das gerade erkannt. Nur ich wusste es noch nicht.“) und feiert Weihnachten im Februar, weil er eben glaubt, es sei der
24. Dezember und andernfalls traurig wäre. Als sie digital an einer Sitzung des Schriftstellerverbands PEN teilnimmt, fährt „Derden“ mit dem Rollstuhl die Auffahrt hinunter, kippt um, verletzt sich, ist verwirrt.
Auch das eine Irritation, dass eine Frau so geradeheraus schreibt, wie viel sie für ihren Mann aufgegeben hat, und gleichzeitig, wie glücklich sie das gemeinsame Leben macht, immer noch, auch wenn es eines ist, das viele Menschen für keines mehr halten. Es ist ein grundsätzliches Dilemma des Schreibens und der öffentlichen Debatte, dass die, die es tun und daran teilnehmen, oft nur indirekte Kenntnisse haben. Wer pflegt, schreibt nicht, spricht nicht – keine Zeit für so was.
Helga Schubert ist da eine Ausnahme. Die Geschichte, die „Der heutige Tag“ erzählt, hat sie – teilweise wortgleich – in den vergangenen Jahren auch in vielen Interviews erzählt, die sie gegeben hat, nachdem sie im Alter von 80 Jahren den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat. Der westdeutschen Öffentlichkeit ist sie erst seitdem so richtig ein Begriff, obwohl sie schon seit vielen Jahrzehnten Romane schreibt und veröffentlicht.
So viel Liebe auch vorkommt (schon im Untertitel, der lautet „Ein Stundenbuch der Liebe”), die bitteren, traurigen, harten Momente, die die Pflege eines schwer kranken Menschen mit sich bringt, lässt Schubert nicht aus: Menschen, die ihr vorschlagen, dem Mann Morphium zu geben oder ihn mit einem kalten Waschlappen im Gesicht morgens zu wecken; die Unmöglichkeit, mal wegzufahren, weil es niemanden gibt, der sie in der Pflege ersetzen kann; ihr inneres Verbot, darüber nachzudenken, was sein nahender Tod für sie auch für Vorteile hat.
Am stärksten ist Schuberts Erzählung, wenn sie in den Details bleibt, minutiös ihren Alltag beschreibt und ihre Gefühle dazu aufs Papier legt. Seltsam steht dagegen so manche Begegnung mit anderen Sterbenden und Pflegenden. Gerade noch war man so unglaublich nah an Derden und der Erzählerin, dann kommt ein Kapitel über den Tod eines Mannes 1994, dessen Frau sich kurz danach umbrachte, und ja, vermutlich soll diese Episode auch noch mal unterstreichen, wie stark eine Verbindung zwischen zwei Menschen sein kann. Aber das hat man an der Stelle schon längst verstanden.
Dem Buch vorangestellt hat Helga Schubert ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium. Sie ist gläubig, weswegen sich alle Gedanken daran, einem anderen Leben ein Ende zu setzen, und sei es nur durch ein bisschen weniger Hingabe, für sie komplett verbieten. Dort steht: „Darum sorgt nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Jederzeit im Moment zu leben, sich auf Sonnenstrahlen und Sahnejoghurt zu konzentrieren, ist vielleicht die einzige Möglichkeit, ihre Situation auszuhalten.
BARBARA VORSAMER
Die bitteren Momente,
die die Pflege mit sich bringt,
lässt Schubert nicht aus
Helga Schubert:
Der heutige Tag.
Ein Stundenbuch
der Liebe.
Dtv, München 2023.
272 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
für sich allein
Helga Schuberts zärtliches, hartes Buch
über die Pflege ihres Mannes
„In genau diesem Moment bleiben“ wird einem in jeder Yogastunde geraten, es ist modernes Achtsamkeitsblabla für all diejenigen, die versuchen, den Rushhour-Alltag zu überstehen. Für die Erzählerin in Helga Schuberts neuem Buch „Der heutige Tag“ ist es Lebensmotto. Die 83-jährige Erzählerin pflegt ihren 96-jährigen, schwer dementen Ehemann und freut sich an jeder gemeinsamen Sekunde.
Ganz richtig gelesen. Sie freut sich über jede Sekunde, obwohl in diesen Sekunden auch herausgerissene Blasenkatheter vorkommen, umgekippte Rollstühle, Dutzende Tabletten täglich, aber manchmal kein gegenseitiges Erkennen. Lieber sterben, sagen da viele, für die der Tod noch einige Jahrzehnte entfernt ist. Werden Menschen gefragt, wie sie sich das eigene Ableben vorstellen, sagen die meisten: schnell, schmerzlos. Am liebsten einfach umkippen. Oder einschlafen und nie wieder erwachen.
Niemand will krank und pflegebedürftig werden, am Ende des Lebens „dahinsiechen“, wie es oft heißt, ein Wort, das man es in Schuberts Buch nicht finden wird. Und doch kommt es für die allermeisten Menschen am Lebensende genau so. Sich damit auseinanderzusetzen ist daher nicht die dümmste Idee und die Lektüre von „Der heutige Tag“ nicht der dümmste Start.
Die Erzählerin ist, unschwer zu erkennen, Helga Schubert selbst, die auch im wahren Leben ihren Mann pflegt, den Maler und Psychologieprofessor Johannes Helm. Im Buch heißt er Derden, das soll für „der, den ich liebe“ stehen. Dann beschreibt sie ihren Tag, ihre Tage, kleinteilig bis hin zum „Sahnejoghurt im Schatten, eine Amsel singt, Stille.“ Derlei sind die letzten kleinen Freuden, die ihrem Mann noch geblieben sind, doch Helga Schubert schreibt darüber zärtlich: „So darf ein Leben doch ausatmen.“
Bei genauerem Hinspüren ist es ein hartes Buch, das einem zwischen den weichen, liebevollen, poetischen Sätzen Kinnhaken versetzt. Jede Seite erinnert daran: Auch du wirst nicht einfach tot umfallen, höchstwahrscheinlich. Auch du wirst in deinen letzten Lebensjahren gewickelt werden müssen und niemanden mehr erkennen, du wirst halluzinieren und sabbern, hilflos sein, verwirrt.
Kann man so ein Leben dann lieben? Von so einem Wesen noch zurückgeliebt werden? Das wird die Erzählerin von so vielen Menschen gefragt, dass man es sich irgendwann auch selbst fragt. Ab wann wird der Preis zu hoch, wann ist man zu alt, wann übersteigt der Schmerz und der Aufwand die Liebe und war es überhaupt je Liebe, wenn das irgendwann passiert?
Schubert beantwortet diese Fragen auch mit vielen Rückblenden auf ihr gemeinsames Leben, das Kennenlernen am Lehrstuhl für Psychologie, das gemeinsame Leben in der DDR, die sie schon damals ihm zuliebe, der Liebe zuliebe, nicht verließ. Heute lässt sie sich wieder ein auf seine Welt, die nicht die ihre ist, lässt sich verwechseln („Wer weiß, vielleicht bestehe ich ja aus drei Frauen. Vielleicht hat er das gerade erkannt. Nur ich wusste es noch nicht.“) und feiert Weihnachten im Februar, weil er eben glaubt, es sei der
24. Dezember und andernfalls traurig wäre. Als sie digital an einer Sitzung des Schriftstellerverbands PEN teilnimmt, fährt „Derden“ mit dem Rollstuhl die Auffahrt hinunter, kippt um, verletzt sich, ist verwirrt.
Auch das eine Irritation, dass eine Frau so geradeheraus schreibt, wie viel sie für ihren Mann aufgegeben hat, und gleichzeitig, wie glücklich sie das gemeinsame Leben macht, immer noch, auch wenn es eines ist, das viele Menschen für keines mehr halten. Es ist ein grundsätzliches Dilemma des Schreibens und der öffentlichen Debatte, dass die, die es tun und daran teilnehmen, oft nur indirekte Kenntnisse haben. Wer pflegt, schreibt nicht, spricht nicht – keine Zeit für so was.
Helga Schubert ist da eine Ausnahme. Die Geschichte, die „Der heutige Tag“ erzählt, hat sie – teilweise wortgleich – in den vergangenen Jahren auch in vielen Interviews erzählt, die sie gegeben hat, nachdem sie im Alter von 80 Jahren den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat. Der westdeutschen Öffentlichkeit ist sie erst seitdem so richtig ein Begriff, obwohl sie schon seit vielen Jahrzehnten Romane schreibt und veröffentlicht.
So viel Liebe auch vorkommt (schon im Untertitel, der lautet „Ein Stundenbuch der Liebe”), die bitteren, traurigen, harten Momente, die die Pflege eines schwer kranken Menschen mit sich bringt, lässt Schubert nicht aus: Menschen, die ihr vorschlagen, dem Mann Morphium zu geben oder ihn mit einem kalten Waschlappen im Gesicht morgens zu wecken; die Unmöglichkeit, mal wegzufahren, weil es niemanden gibt, der sie in der Pflege ersetzen kann; ihr inneres Verbot, darüber nachzudenken, was sein nahender Tod für sie auch für Vorteile hat.
Am stärksten ist Schuberts Erzählung, wenn sie in den Details bleibt, minutiös ihren Alltag beschreibt und ihre Gefühle dazu aufs Papier legt. Seltsam steht dagegen so manche Begegnung mit anderen Sterbenden und Pflegenden. Gerade noch war man so unglaublich nah an Derden und der Erzählerin, dann kommt ein Kapitel über den Tod eines Mannes 1994, dessen Frau sich kurz danach umbrachte, und ja, vermutlich soll diese Episode auch noch mal unterstreichen, wie stark eine Verbindung zwischen zwei Menschen sein kann. Aber das hat man an der Stelle schon längst verstanden.
Dem Buch vorangestellt hat Helga Schubert ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium. Sie ist gläubig, weswegen sich alle Gedanken daran, einem anderen Leben ein Ende zu setzen, und sei es nur durch ein bisschen weniger Hingabe, für sie komplett verbieten. Dort steht: „Darum sorgt nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Jederzeit im Moment zu leben, sich auf Sonnenstrahlen und Sahnejoghurt zu konzentrieren, ist vielleicht die einzige Möglichkeit, ihre Situation auszuhalten.
BARBARA VORSAMER
Die bitteren Momente,
die die Pflege mit sich bringt,
lässt Schubert nicht aus
Helga Schubert:
Der heutige Tag.
Ein Stundenbuch
der Liebe.
Dtv, München 2023.
272 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein Buch, in das man sich verlieben kann. Denis Scheck ARD Druckfrisch 20230521
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2023West-östliche Trostbücher
Zwei autobiographische Zeit- und Liebesbilder: Sybil Gräfin Schönfeldts "Er und ich" und Helga Schuberts "Der heutige Tag"
Sie und er sind ein Jahrgang: 1927. Sybil Gräfin Schönfeldt und Johannes Helm, die eine Autorin, der andere der reale Mann hinter der Romanfigur Derden in Helga Schuberts Roman "Der heutige Tag". Die Autorin letzteren Werks ist 13 Jahre jünger, geboren 1940.
Die Berührungspunkte oder Parallelen zwischen den beiden Autorinnen sind sogar noch eklatanter. Beide haben nach langer Ehe eine Doppelbiographie vorgelegt, mit der sie über sich und ihren Mann Auskunft geben. Beide sind berufstätig, haben ihren eigenen Kopf, sehen in ihrem Partner einen Menschen aus Fleisch und Blut, keinen Prinzen aus einschlägigen Filmen, und zeichnen auf dieser gut geprüften Grundlage ein sehr anrührendes Bild von ihrem Miteinander.
Beide sind durchaus kritisch gegenüber dem eigenen Staat, Schubert pikt die Stasi-Bespitzelung auf, Schönfeldt die Kontinuitäten nach 1945. Die beiden Werke fügen sich damit auch zu einer Doppelbiographie der zwei deutschen Staaten zusammen - was zu den Unterschieden führt.
Beide Autorinnen haben durchaus anders gelagerte Temperamente. Die im letzten Jahr verstorbene Schönfeldt berichtet deutlich unprätentiöser, während Schubert letztlich ihr Anliegen nicht verhehlt: Sie möchte mit Literatur praktische Lebenshilfe leisten und auf diese Weise einen anderen Teil ihrer Erfahrung weitergeben: In ihrem Band über Tschechow räumt sie freiheraus ein, eine seiner Kurzgeschichten habe ihr in jungen Jahren geholfen, "den kleinen lebensrettenden Schritt vor dem Abgrund zurückzuweichen." Sie nimmt sich nicht nur die Länge, sondern auch den Inhalt der Geschichte "Gram" zu Herzen, "die Menschenfreundlichkeit und das Wissen um die gefährliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Kummer, dem Gram eines Gegenübers, die er nur leise und vorsichtig andeutet." In der Folge gewichtet Schönfeldt die Zeit stärker, Schubert die (mitmenschliche) Liebe.
Bei Schönfeldt geht es immer wieder um die nach 1945 drängenden Fragen. Da mussten aus dem Exil zurückgekehrte Journalisten "aus Befehlsempfängern denkende Menschen" machen. Diese Bewusstseinsarbeit ist für sie von grundlegender Bedeutung, denn ihr Mann Heinrich hat mütterlicherseits jüdische Vorfahren, die sich bis auf Moses Mendelssohn zurückverfolgen lassen, Antisemitismus zieht sich als roter Faden durch den Text - und die Weigerung, neben einem "alten Nazi" wie Hans Baumann zu sitzen, durch Schönfeldts Leben. (Ein wenig erstaunt angesichts dieser resoluten Offenheit, dass sie kaum auf die Kontinuitäten eingeht, die das Leben der gehobenen Kreise oder des Adels prägen, denen sie auch selbst angehörte. Nur in ihren Übersetzungen hat sie gekonnt gestichelt: "Übrigens, man ist der Edle Erwin Lampe von Löffel" - Worte, die sie dem Hasen aus Saxbys "Die Abenteuer von Eduard Speck" in den Mund legt.)
Schubert stellt die Pflege Derdens in den Vordergrund, denn die Pflege ihres Mannes Johannes ist es, die ihren Alltag prägt. Dadurch rückt der eigene Tod buchstäblich in greifbare Nähe. "Auch jetzt als alte Frau, dachte ich plötzlich, habe ich ja noch richtige Lebensaufgaben zu lösen", vor allem die, ihren inneren Frieden zu finden. Trost findet sie selbst in ihrem Glauben, der ihr für ihr Verhalten klare Leitlinien an die Hand gibt: lebensbeendende Maßnahmen verbieten sich von selbst. "Was für eine Anmaßung gegenüber der Schöpfung, dachte ich." Ihr Alltag wird geprägt durch den Balanceakt, den die Pflege dementer Menschen darstellt. In die an den Kräften zehrende Routine muss immer wieder ein improvisierter Wechsel von Rolle und Szene integriert werden. Wenn Derden im Februar Weihnachten feiern will, bitte. Schwieriger wird es bei der größten Herausforderung in solchen Pflegefällen: nicht mehr wiedererkannt zu werden. Für die Sechzehnjährige war es kein Problem, wenn die Oma in ihr die eigene, längst tote ältere Schwester gesehen hat. "Aber Derden ist ein Teil von mir, das ist etwas anderes als damals am Ende der elften Klasse, als meine Welt weit war und das Leben noch vor mir." (Sie meistert mit ihrem Glauben auch das, was gelegentlich zu sentenzenhaften Aussagen führt.)
Und ein letzter Punkt, der die Ehen beider Autorinnen vergleichbar macht: Sie suchen in ihrem Mann nicht nach dem eigenen Spiegelbild, sondern sind sich der Unterschiede klar bewusst, tolerieren sie, lieben womöglich gerade sie. Das Alter ist zu nennen, die Religionszugehörigkeit oder Geldverhältnisse. Die seit dem Faschismus vernarbte Haut des einen, die glatte der anderen. Für beide Frauen ist es nicht die erste Beziehung, für Schubert sogar die zweite Ehe. Alle vier achten auf ihre Eigenständigkeit. Schönfeldt hält für das Kriegsende fest, ihr Mann marschierte mit einem Mal "allein, und es war ihm nur recht. Kein Leben mehr in der Masse, allein. Allein in der großen Stille des Sommers."
Beide Frauen wissen um Zufälle im Leben, vor allem Schönfeldt beschreibt plastisch etliche Bereits-damals-hätten- wir-uns-Situationen, in denen Heinrich und sie sich schon hätten kennenlernen können. Nun ist es ein Zufall, dass ihre Werke fast zeitgleich erschienen sind. Sie stellen freilich nicht unbedingt eine intellektuelle Offerte dar. Profunde Überlegungen, die zum eigenen Nachdenken einladen, finden sich kaum. Ihren Reiz gewinnen sie durch die warmherzige Art, mit der die beiden Frauen das eigene Leben Revue passieren lassen. Es ist ein Blick zurück in Dankbarkeit für die Zufälle im eigenen Leben. Schönfeldt hält es explizit fest. Eine frühere jüdische Freundin ihres Mannes hatte ihm geraten, das Land der Mörder zu verlassen. "Er ist geblieben, sonst wäre zumindest mein Leben anders verlaufen." CHRISTIANE PÖHLMANN
Sybil Gräfin Schönfeldt: "Er und ich".
Erinnerungen.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2023. 264 S., geb., 26,- Euro.
Helga Schubert:
"Der heutige Tag". Ein Stundenbuch der Liebe.
Dtv, München 2023. 272 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei autobiographische Zeit- und Liebesbilder: Sybil Gräfin Schönfeldts "Er und ich" und Helga Schuberts "Der heutige Tag"
Sie und er sind ein Jahrgang: 1927. Sybil Gräfin Schönfeldt und Johannes Helm, die eine Autorin, der andere der reale Mann hinter der Romanfigur Derden in Helga Schuberts Roman "Der heutige Tag". Die Autorin letzteren Werks ist 13 Jahre jünger, geboren 1940.
Die Berührungspunkte oder Parallelen zwischen den beiden Autorinnen sind sogar noch eklatanter. Beide haben nach langer Ehe eine Doppelbiographie vorgelegt, mit der sie über sich und ihren Mann Auskunft geben. Beide sind berufstätig, haben ihren eigenen Kopf, sehen in ihrem Partner einen Menschen aus Fleisch und Blut, keinen Prinzen aus einschlägigen Filmen, und zeichnen auf dieser gut geprüften Grundlage ein sehr anrührendes Bild von ihrem Miteinander.
Beide sind durchaus kritisch gegenüber dem eigenen Staat, Schubert pikt die Stasi-Bespitzelung auf, Schönfeldt die Kontinuitäten nach 1945. Die beiden Werke fügen sich damit auch zu einer Doppelbiographie der zwei deutschen Staaten zusammen - was zu den Unterschieden führt.
Beide Autorinnen haben durchaus anders gelagerte Temperamente. Die im letzten Jahr verstorbene Schönfeldt berichtet deutlich unprätentiöser, während Schubert letztlich ihr Anliegen nicht verhehlt: Sie möchte mit Literatur praktische Lebenshilfe leisten und auf diese Weise einen anderen Teil ihrer Erfahrung weitergeben: In ihrem Band über Tschechow räumt sie freiheraus ein, eine seiner Kurzgeschichten habe ihr in jungen Jahren geholfen, "den kleinen lebensrettenden Schritt vor dem Abgrund zurückzuweichen." Sie nimmt sich nicht nur die Länge, sondern auch den Inhalt der Geschichte "Gram" zu Herzen, "die Menschenfreundlichkeit und das Wissen um die gefährliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Kummer, dem Gram eines Gegenübers, die er nur leise und vorsichtig andeutet." In der Folge gewichtet Schönfeldt die Zeit stärker, Schubert die (mitmenschliche) Liebe.
Bei Schönfeldt geht es immer wieder um die nach 1945 drängenden Fragen. Da mussten aus dem Exil zurückgekehrte Journalisten "aus Befehlsempfängern denkende Menschen" machen. Diese Bewusstseinsarbeit ist für sie von grundlegender Bedeutung, denn ihr Mann Heinrich hat mütterlicherseits jüdische Vorfahren, die sich bis auf Moses Mendelssohn zurückverfolgen lassen, Antisemitismus zieht sich als roter Faden durch den Text - und die Weigerung, neben einem "alten Nazi" wie Hans Baumann zu sitzen, durch Schönfeldts Leben. (Ein wenig erstaunt angesichts dieser resoluten Offenheit, dass sie kaum auf die Kontinuitäten eingeht, die das Leben der gehobenen Kreise oder des Adels prägen, denen sie auch selbst angehörte. Nur in ihren Übersetzungen hat sie gekonnt gestichelt: "Übrigens, man ist der Edle Erwin Lampe von Löffel" - Worte, die sie dem Hasen aus Saxbys "Die Abenteuer von Eduard Speck" in den Mund legt.)
Schubert stellt die Pflege Derdens in den Vordergrund, denn die Pflege ihres Mannes Johannes ist es, die ihren Alltag prägt. Dadurch rückt der eigene Tod buchstäblich in greifbare Nähe. "Auch jetzt als alte Frau, dachte ich plötzlich, habe ich ja noch richtige Lebensaufgaben zu lösen", vor allem die, ihren inneren Frieden zu finden. Trost findet sie selbst in ihrem Glauben, der ihr für ihr Verhalten klare Leitlinien an die Hand gibt: lebensbeendende Maßnahmen verbieten sich von selbst. "Was für eine Anmaßung gegenüber der Schöpfung, dachte ich." Ihr Alltag wird geprägt durch den Balanceakt, den die Pflege dementer Menschen darstellt. In die an den Kräften zehrende Routine muss immer wieder ein improvisierter Wechsel von Rolle und Szene integriert werden. Wenn Derden im Februar Weihnachten feiern will, bitte. Schwieriger wird es bei der größten Herausforderung in solchen Pflegefällen: nicht mehr wiedererkannt zu werden. Für die Sechzehnjährige war es kein Problem, wenn die Oma in ihr die eigene, längst tote ältere Schwester gesehen hat. "Aber Derden ist ein Teil von mir, das ist etwas anderes als damals am Ende der elften Klasse, als meine Welt weit war und das Leben noch vor mir." (Sie meistert mit ihrem Glauben auch das, was gelegentlich zu sentenzenhaften Aussagen führt.)
Und ein letzter Punkt, der die Ehen beider Autorinnen vergleichbar macht: Sie suchen in ihrem Mann nicht nach dem eigenen Spiegelbild, sondern sind sich der Unterschiede klar bewusst, tolerieren sie, lieben womöglich gerade sie. Das Alter ist zu nennen, die Religionszugehörigkeit oder Geldverhältnisse. Die seit dem Faschismus vernarbte Haut des einen, die glatte der anderen. Für beide Frauen ist es nicht die erste Beziehung, für Schubert sogar die zweite Ehe. Alle vier achten auf ihre Eigenständigkeit. Schönfeldt hält für das Kriegsende fest, ihr Mann marschierte mit einem Mal "allein, und es war ihm nur recht. Kein Leben mehr in der Masse, allein. Allein in der großen Stille des Sommers."
Beide Frauen wissen um Zufälle im Leben, vor allem Schönfeldt beschreibt plastisch etliche Bereits-damals-hätten- wir-uns-Situationen, in denen Heinrich und sie sich schon hätten kennenlernen können. Nun ist es ein Zufall, dass ihre Werke fast zeitgleich erschienen sind. Sie stellen freilich nicht unbedingt eine intellektuelle Offerte dar. Profunde Überlegungen, die zum eigenen Nachdenken einladen, finden sich kaum. Ihren Reiz gewinnen sie durch die warmherzige Art, mit der die beiden Frauen das eigene Leben Revue passieren lassen. Es ist ein Blick zurück in Dankbarkeit für die Zufälle im eigenen Leben. Schönfeldt hält es explizit fest. Eine frühere jüdische Freundin ihres Mannes hatte ihm geraten, das Land der Mörder zu verlassen. "Er ist geblieben, sonst wäre zumindest mein Leben anders verlaufen." CHRISTIANE PÖHLMANN
Sybil Gräfin Schönfeldt: "Er und ich".
Erinnerungen.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2023. 264 S., geb., 26,- Euro.
Helga Schubert:
"Der heutige Tag". Ein Stundenbuch der Liebe.
Dtv, München 2023. 272 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Dank Ruth Reineckes Stimme entwickelt dieses Hörbuch eine besondere Nähe.« Ariane Heimbach Brigitte 20231208