Eine selbstbewusste Frau, ein alter, weiser Mann, reichlich Sake, etwas Walfischspeck und immer wieder Lotuswurzel - Zutaten dieser stillen, faszinierend fremden Liebesgeschichte aus Japan. Tsukiko ist achtunddreißig und lebt allein. Zur Liebe, glaubt sie, sei sie nicht begabt. Da trifft sie in einer Kneipe ihren alten Japanisch-Lehrer wieder, den sie nur den Sensei nennt. Auch er lebt allein, in einer etwas verwahrlosten Wohnung, wo er merkwürdige Gegenstände sammelt. Einer sucht die Nähe des anderen und scheint gleichzeitig vor ihr zu fliehen. Selten wurde die Annäherung zweier Menschen so subtil und zugleich eindringlich beschrieben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2008Lotuswurzelbehandlung
Die Liebe folgt der Jahreszeit: Hiromi Kawakami erzählt von der Einsamkeit japanischer Großstadtmenschen und dem Glück eines ungleichen Paares.
Kirschblüten, die auf dem Wasser einen rosa Teppich bilden. Ein Mann und eine Frau in einem kleinen Ruderboot beim Hanami, der Kirschblütenschau. Der Umschlag des Buches erinnert mit dem Blick durch Blütenzweige unwillkürlich an eine der Schlüsselszenen in Doris Dörries gerade angelaufenem Film. Nicht mehr als ein Zufall natürlich, diese jahreszeitengerechte Konjunktur eines für Japan zentralen, alle Generationen begeistert einenden Brauchs. Dabei müssen Japaner von heute die Bäume nicht unbedingt identifizieren können, Hauptsache, sie feiern mit, wenn sie blühen. Erstaunlich, wie nüchtern sie ansonsten damit umgehen: "Sie sind anfällig für Schädlinge, im Herbst liegt der ganze Garten voller Laub, und im Winter hat man nur kahle Äste vor der Nase."
Eine berufstätige Frau Ende dreißig in einer Großstadt, die am Feierabend regelmäßig die Restaurant-Kneipen in ihrer Wohngegend aufsucht, um sich beim Sake oder Bier zu vielen kleinen Speisen zu entspannen. Nichts daran ist ungewöhnlich. So ist das neuerdings in Tokio und anderswo: "Frei, aber einsam", hätte man früher gesagt.
Diese Tsukiko trifft eines Abends per Zufall auf ihren alten Japanisch-Lehrer aus Oberschultagen. Sie hat ihn nur bemerkt, weil er nahezu gleichzeitig dieselben Gerichte wie sie bestellt. Der Sensei ("Herr Lehrer"), wie sie ihn nennt, ist jedenfalls ähnlich wählerisch wie sie: "Thunfisch mit fermentierten Sojabohnen, einmal gebratene Lotuswurzel in süßer Sojasoße und eingelegte Perlzwiebeln dazu", "gegrillte Aubergine und Krake mit Wasabi", "heißer Tofu und Gelbschwanz-Teriyaki", "Oden mit Rettich, Sardinenpastete und Fischklößchen normal" ordern sie, und so geht es weiter, das ganze Buch hindurch, denn, so der Sensei: "Wer sein Essen genießt, ist ein guter Mensch."
Der Gleichklang dieses ungleichen Paares zeigt sich denn auch eher in den Speisen als in der recht belanglosen und spärlichen Konversation der beiden, die sich auch schon einmal über einem im Radio übertragenen Baseball-Spiel entzweien, dann aber wieder in der nächsten Kneipe aufeinandertreffen und es sich gemeinsam in der familiären Thekenatmosphäre gutgehen lassen.
Solche Szenen scheinen aus dem Leben gegriffen, denn viele teilen in Japan die Leidenschaft fürs gute Essen und Trinken, für kulinarische Entdeckerfreuden, die sich in kleinen und kleinsten Bistros und Kellerlokalen ausleben lassen. Zugleich ist dieser beliebte Zeitvertreib wohl auch dem Umstand geschuldet, dass in den verdichteten Städten anders Entspannung und Genuss nur mit wesentlich größerem Aufwand zu haben wären. Und schließlich kosten auf diese Weise die in ihrem Alltag isolierten Großstädter etwas Nestwärme im unverbindlich-jovialen Austausch mit gleichgesinnten Zechern und Genießern. Man verabredet sich vielleicht sogar mit dem Restaurantbesitzer zur gemeinsamen Pilzsuche am Wochenende und zum Kirschblütenfest in der alten Schule. Und während sich in solchen Anlässen der Wechsel der Jahreszeiten abbildet, kommen die Ich-Erzählerin und ihr Sensei einander ganz allmählich näher.
Was diese nicht ganz klischeefreie Geschichte von einer Frau, die nicht wirklich erwachsen werden will, und ihrem verwitweten Lehrer, der immer noch insgeheim seiner Frau nachtrauert, dennoch zur unterhaltsam-vergnüglichen Lektüre werden lässt, sind verblüffend unscheinbar, aber dabei überraschend natürlich und überzeugend wirkende, geradeheraus erzählte Szenen, denen nichts von Gedankenschwere oder Symboltiefe anhaftet. Manchmal streifen die Situationen das Skurrile, etwa wenn die Frau beim ersten Besuch in der Wohnung des Sensei mit seiner Vorliebe für ausgediente Keramikkännchen aus Reisezügen und seiner Abneigung, verbrauchte Batterien wegzuwerfen, Bekanntschaft macht.
Andererseits aber wird er mit seiner allzu weltfremd-steifen Sprache und seiner Sprödigkeit in ein liebenswertes Licht gerückt, etwa, wenn er sich mit den Worten an Tsukiko wendet: "Ich möchte ein Date mit Ihnen machen." Übrigens sind die beiden davor schon gemeinsam auf eine Insel gereist. Doch erst kurz vor Ende des Buchs fällt der denkwürdige Satz: "Würden Sie zum Zweck eines Liebesverhältnisses eine Beziehung mit mir eingehen?" Tsukiko reagiert auf diese verquält-umständliche Formulierung so ungeduldig wie vielleicht der Leser: "Was? Sensei, was wollen Sie damit sagen? Ich bin doch längst in Sie verliebt. Das wissen Sie doch. Was soll dieses komische ,zum Zweck eines Liebesverhältnisses'?"
Als sie ihr Gesicht dann an sein Jackett presst, saugt sie "den herben Geruch nach Mottenkugeln" ein. Die Szene im Park geht natürlich noch weiter - der Sensei geniert sich, weil sich die Frau an ihn schmiegt, und was sich die beiden dann noch zu sagen haben, changiert wie so oft zwischen Komik und anrührender, unmerklich wachsender Offenheit und Vertrautheit. Nicht, dass wir nicht schon genügend Geschichten über jüngere Frauen und alte Männer gelesen hätten, und nicht, dass wir nicht ahnten, worauf diese nur kurz währende Beziehung hinausliefe. Aber hier wird sie in ganz neuem Tonfall serviert. Das hat etwas packend Authentisches und ist von einer erfrischenden Leichtigkeit.
IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT.
Hiromi Kawakami: "Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler. Carl Hanser Verlag, München 2008. 189 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Liebe folgt der Jahreszeit: Hiromi Kawakami erzählt von der Einsamkeit japanischer Großstadtmenschen und dem Glück eines ungleichen Paares.
Kirschblüten, die auf dem Wasser einen rosa Teppich bilden. Ein Mann und eine Frau in einem kleinen Ruderboot beim Hanami, der Kirschblütenschau. Der Umschlag des Buches erinnert mit dem Blick durch Blütenzweige unwillkürlich an eine der Schlüsselszenen in Doris Dörries gerade angelaufenem Film. Nicht mehr als ein Zufall natürlich, diese jahreszeitengerechte Konjunktur eines für Japan zentralen, alle Generationen begeistert einenden Brauchs. Dabei müssen Japaner von heute die Bäume nicht unbedingt identifizieren können, Hauptsache, sie feiern mit, wenn sie blühen. Erstaunlich, wie nüchtern sie ansonsten damit umgehen: "Sie sind anfällig für Schädlinge, im Herbst liegt der ganze Garten voller Laub, und im Winter hat man nur kahle Äste vor der Nase."
Eine berufstätige Frau Ende dreißig in einer Großstadt, die am Feierabend regelmäßig die Restaurant-Kneipen in ihrer Wohngegend aufsucht, um sich beim Sake oder Bier zu vielen kleinen Speisen zu entspannen. Nichts daran ist ungewöhnlich. So ist das neuerdings in Tokio und anderswo: "Frei, aber einsam", hätte man früher gesagt.
Diese Tsukiko trifft eines Abends per Zufall auf ihren alten Japanisch-Lehrer aus Oberschultagen. Sie hat ihn nur bemerkt, weil er nahezu gleichzeitig dieselben Gerichte wie sie bestellt. Der Sensei ("Herr Lehrer"), wie sie ihn nennt, ist jedenfalls ähnlich wählerisch wie sie: "Thunfisch mit fermentierten Sojabohnen, einmal gebratene Lotuswurzel in süßer Sojasoße und eingelegte Perlzwiebeln dazu", "gegrillte Aubergine und Krake mit Wasabi", "heißer Tofu und Gelbschwanz-Teriyaki", "Oden mit Rettich, Sardinenpastete und Fischklößchen normal" ordern sie, und so geht es weiter, das ganze Buch hindurch, denn, so der Sensei: "Wer sein Essen genießt, ist ein guter Mensch."
Der Gleichklang dieses ungleichen Paares zeigt sich denn auch eher in den Speisen als in der recht belanglosen und spärlichen Konversation der beiden, die sich auch schon einmal über einem im Radio übertragenen Baseball-Spiel entzweien, dann aber wieder in der nächsten Kneipe aufeinandertreffen und es sich gemeinsam in der familiären Thekenatmosphäre gutgehen lassen.
Solche Szenen scheinen aus dem Leben gegriffen, denn viele teilen in Japan die Leidenschaft fürs gute Essen und Trinken, für kulinarische Entdeckerfreuden, die sich in kleinen und kleinsten Bistros und Kellerlokalen ausleben lassen. Zugleich ist dieser beliebte Zeitvertreib wohl auch dem Umstand geschuldet, dass in den verdichteten Städten anders Entspannung und Genuss nur mit wesentlich größerem Aufwand zu haben wären. Und schließlich kosten auf diese Weise die in ihrem Alltag isolierten Großstädter etwas Nestwärme im unverbindlich-jovialen Austausch mit gleichgesinnten Zechern und Genießern. Man verabredet sich vielleicht sogar mit dem Restaurantbesitzer zur gemeinsamen Pilzsuche am Wochenende und zum Kirschblütenfest in der alten Schule. Und während sich in solchen Anlässen der Wechsel der Jahreszeiten abbildet, kommen die Ich-Erzählerin und ihr Sensei einander ganz allmählich näher.
Was diese nicht ganz klischeefreie Geschichte von einer Frau, die nicht wirklich erwachsen werden will, und ihrem verwitweten Lehrer, der immer noch insgeheim seiner Frau nachtrauert, dennoch zur unterhaltsam-vergnüglichen Lektüre werden lässt, sind verblüffend unscheinbar, aber dabei überraschend natürlich und überzeugend wirkende, geradeheraus erzählte Szenen, denen nichts von Gedankenschwere oder Symboltiefe anhaftet. Manchmal streifen die Situationen das Skurrile, etwa wenn die Frau beim ersten Besuch in der Wohnung des Sensei mit seiner Vorliebe für ausgediente Keramikkännchen aus Reisezügen und seiner Abneigung, verbrauchte Batterien wegzuwerfen, Bekanntschaft macht.
Andererseits aber wird er mit seiner allzu weltfremd-steifen Sprache und seiner Sprödigkeit in ein liebenswertes Licht gerückt, etwa, wenn er sich mit den Worten an Tsukiko wendet: "Ich möchte ein Date mit Ihnen machen." Übrigens sind die beiden davor schon gemeinsam auf eine Insel gereist. Doch erst kurz vor Ende des Buchs fällt der denkwürdige Satz: "Würden Sie zum Zweck eines Liebesverhältnisses eine Beziehung mit mir eingehen?" Tsukiko reagiert auf diese verquält-umständliche Formulierung so ungeduldig wie vielleicht der Leser: "Was? Sensei, was wollen Sie damit sagen? Ich bin doch längst in Sie verliebt. Das wissen Sie doch. Was soll dieses komische ,zum Zweck eines Liebesverhältnisses'?"
Als sie ihr Gesicht dann an sein Jackett presst, saugt sie "den herben Geruch nach Mottenkugeln" ein. Die Szene im Park geht natürlich noch weiter - der Sensei geniert sich, weil sich die Frau an ihn schmiegt, und was sich die beiden dann noch zu sagen haben, changiert wie so oft zwischen Komik und anrührender, unmerklich wachsender Offenheit und Vertrautheit. Nicht, dass wir nicht schon genügend Geschichten über jüngere Frauen und alte Männer gelesen hätten, und nicht, dass wir nicht ahnten, worauf diese nur kurz währende Beziehung hinausliefe. Aber hier wird sie in ganz neuem Tonfall serviert. Das hat etwas packend Authentisches und ist von einer erfrischenden Leichtigkeit.
IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT.
Hiromi Kawakami: "Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler. Carl Hanser Verlag, München 2008. 189 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Verführerischen Liebreiz, subtilen Spannungsaufbau und virtuose Gegenläufigkeit bescheinigt Rezensent Andreas Breitenstein dieser "kulinarischen Liebesgeschichte", die seinem Eindruck zufolge "Schlemmerei als Transzendenz" zelebriert. Das sei, da die Geschichte im eingeschlossenen Südkorea spiele, fast ein politischer Akt. Zwar kommt diese Liebesgeschichte zwischen einer Koreanerin und ihrem verwitweten Japanischlehrer für den Rezensenten mitunter recht plakativ und auch "nicht ganz kitschfrei" daher. Außerdem kommt es beim Lesen gelegentlich zu Irritationen, die der Rezensent aber lediglich west-östlichen Differenzen in den Kulturcodes zuschreibt. Insgesamt hat er diesen Parcour durch den Gefühlsdschungel der Ich-Erzählerin genossen, und er hält besonders "die Kaskade von feinen Häppchen" die darin stetig kredenzt würden, für geeignet, besonders "Liebhabern japanischer Küche die Tränen in die Augen zu treiben".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Kawakamis Kunst besteht in der erotischen Dehnung, im subtilen Spannungsaufbau und in der virtuosen Gegenläufigkeit." Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung, 01.03.08
"Dass diese einfühlsam übersetzte Erzählung in all ihrer Burschikosität die schönste und subtilste Liebesgeschichte dieses Bücherfrühlings sein dürfte, liegt nicht nur an der Art, wie die ich-Erzählerin mit ihrer Unfähigkeit zum Erwachsenwerden kokettiert." Ulrich Baron, Süddeutsche Zeitung, 11.03.08
"Endlich ist einmal wieder ein herrlicher, höchst gegenwärtiger und dennoch somnambuler Roman aus dem Japanischen übersetzt worden." Susanne Messmer, Die Tageszeitung, 13.03.08
"Kawakami erzählt in einer lakonischen und aufmerksam-zärtlichen Sprache. Unter der flimmernden Aura des Noch-Nicht ist hier ein lebenserotisches Buch entstanden, das die Leserin und den Leser glücklich machen kann." Angelika Overath, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 27.04.08
"Dem Literaturgott, falls es ihn gibt, möchte der Mitteleuropäer auf jeden Fall mindestens eine kleine Räucherkerze anzünden, dafür, dass er dieses Buch möglich gemacht hat." Elmar Krekeler, Die Welt, 21.06.08
"Hiromi Kawakami ist eine Meisterin der Andeutung und Zurückhaltung (...) Der Roman hat das Zeug, zum Liebesroman des Jahres aufzusteigen." Hubert Winkels, Die Zeit, 21.05.08
"Ein Bezaubernd unterhaltsames Buch." Ruth Klüger, Die Welt, 27.12.08
"Dass diese einfühlsam übersetzte Erzählung in all ihrer Burschikosität die schönste und subtilste Liebesgeschichte dieses Bücherfrühlings sein dürfte, liegt nicht nur an der Art, wie die ich-Erzählerin mit ihrer Unfähigkeit zum Erwachsenwerden kokettiert." Ulrich Baron, Süddeutsche Zeitung, 11.03.08
"Endlich ist einmal wieder ein herrlicher, höchst gegenwärtiger und dennoch somnambuler Roman aus dem Japanischen übersetzt worden." Susanne Messmer, Die Tageszeitung, 13.03.08
"Kawakami erzählt in einer lakonischen und aufmerksam-zärtlichen Sprache. Unter der flimmernden Aura des Noch-Nicht ist hier ein lebenserotisches Buch entstanden, das die Leserin und den Leser glücklich machen kann." Angelika Overath, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 27.04.08
"Dem Literaturgott, falls es ihn gibt, möchte der Mitteleuropäer auf jeden Fall mindestens eine kleine Räucherkerze anzünden, dafür, dass er dieses Buch möglich gemacht hat." Elmar Krekeler, Die Welt, 21.06.08
"Hiromi Kawakami ist eine Meisterin der Andeutung und Zurückhaltung (...) Der Roman hat das Zeug, zum Liebesroman des Jahres aufzusteigen." Hubert Winkels, Die Zeit, 21.05.08
"Ein Bezaubernd unterhaltsames Buch." Ruth Klüger, Die Welt, 27.12.08