Wolfgang Hultsch schreibt die Lebensgeschichte seines Großvaters auf Basis von dessen Tagebüchern. Ergänzt wird der Text durch eigene Internetrecherchen des Autors.
Die Geschichte ist plastisch erzählt: zu gerne würde ich die in der Werkstatt gefertigten Pyramiden sehen oder erfreue mich an
Neujahrskarten oder vergoldeten Nüssen. Die Sitte mit Geldgeschenken an Fremde, wenn sie an Neujahr…mehrWolfgang Hultsch schreibt die Lebensgeschichte seines Großvaters auf Basis von dessen Tagebüchern. Ergänzt wird der Text durch eigene Internetrecherchen des Autors.
Die Geschichte ist plastisch erzählt: zu gerne würde ich die in der Werkstatt gefertigten Pyramiden sehen oder erfreue mich an Neujahrskarten oder vergoldeten Nüssen. Die Sitte mit Geldgeschenken an Fremde, wenn sie an Neujahr Glückwünsche aussprechen, war mir gänzlich neu. Auch von einem Bienenkorb aus Makronenteig hatte ich noch nie gehört. Die Hinweise zum Kriegswillen in der Gesellschaft sind deutlich herausgearbeitet. Die Anzahl der Päckchen von zuhause während des Krieges hat mich sehr gewundert. Ich habe etwas gelernt und mich überraschen lassen.
Diese Teile des Buches gefallen mir sehr gut.
Es gibt örtliche Gemeinsamkeiten mit meiner Vita: Meißen, Leipzig, München. Oder auch ähnliche Erfahrungen, z.B. mit den Festen der schlagenden Verbindungen.
Ich wollte das Buch wirklich mögen.
Leider gibt es aus meiner Sicht sehr gewichtige Kritikpunkte:
Nicht gefallen haben mir z.B. ausführliche Passagen zum Betrieb der Familue de Großmutter; der seitenlange Einschub zu einer Sängerin (woher stammen diese Informationen?).
Mir war während des Lesens also nicht immer klar: was ist Tagebuch, was Internetrecherche, was Ergänzung des Autors (so auch Seite 144 oder 146).
Die Rolle des Großvaters im Zusammenhang mit dem Einmarsch nach Österreich ist mir zu unklar beschrieben: die Aufgabe seiner Einheit war u.a. die Verhaftung bekannter Nazigegner!
Damit kommen wir zum m.E. kritischten Punkt: Widerstand und 'stiller Held': Von 260 Seiten nimmt dieser Teil im Buches gerade mal 13 Seiten ein.
Als Beispiel wird ein Brief eines Juden an Hultsch von 1945 herangeführt.
Leider haben sich gerade zum Ende des Krieges Deutsche Briefe von Juden schreiben lassen, dass sie geholfen haben oder ähnliches, damit diese es nach dem Ende des Krieges leichter haben (bei der Entnazifizierung wurden solche Dokumente dann herangezogen). Einen solchen Brief als Beweis für Unterstützung von Juden anzuführen sehe ich deshalb kritisch. Es gefällt mir auch nicht, dass alles andere zum Widerstand eigene Wahrnehmung ist. "Seit 1934 gehörte ich der Widerstandsbewegung an"... dieser Satz steht so im Raum: woran wird das fest gemacht?
Und dann noch die Geschichte mit dem Bild aus dem Familienbesitz, welches am Ende aus einer jüdischen Familie stammt. Es soll keine Raubkunst sein; das wird nicht belegt, nur so geschrieben: das ist mir zu dünn.
Es kann nicht jeder Großvater ein Held sein; muss er auch nicht. Aber wenn man bei einer Biographie jemanden als Helden betitelt oder den Widerstand gegen das dritte Reich auf dem Cover benennt, dann muss dieser Teil Raum im Buch einnehmen und es müssen hieb- und stichfeste Beweise geliefert werden. Das leistet dieses Buch nicht. Das ist enttäuschend. So werden es gerade noch 3 Sterne.