Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2004Fosse Ardeatine
Repressalien von Wehrmacht und SS in Italien
Christiane Kohl: Der Himmel war strahlend blau. Vom Wüten der Wehrmacht in Italien. Picus Verlag, Wien 2004, 160 Seiten, 19,90 [Euro].
Christiane Kohl vereinigt in diesem Band teils schon in der Tagespresse erschienene Essays über deutsche Repressalien in Italien in den Jahren 1943 bis 1945 und über das damalige Schicksal italienischer Zwangsarbeiter in Deutschland. Mit Recht will sie darüber eine breitere Öffentlichkeit informieren. Den Anfang machte das Massaker an Tausenden italienischen Soldaten auf der jonischen Insel Kefalonia im September 1943, das auch anhand des Tagebuches eines darüber empörten deutschen (österreichischen) Soldaten geschildert wird. Es folgen Aufsätze über die "Jagd auf die römischen Juden" im Herbst 1943, für die SS und Gestapo verantwortlich waren, und über die Zerstörung des Klosters Montecassino im März 1944 durch alliierte Truppen; die Wehrmacht hat immerhin für die Rettung seiner Kunstschätze gesorgt. Sodann werden deutsche Repressalien zu Lasten der Zivilbevölkerung in Mittelitalien ausführlich und eindringlich geschildert. Frau Kohl stützt sich auf Aussagen von Überlebenden und Verwandten der Opfer. Von den wenigen beteiligten Soldaten, die sie aufgespürt hat, war wenig zu erfahren. Zeitzeugen, die beide Seiten sehen, wurden offenbar nicht befragt. Insgesamt sind zirka 10 000 Zivilisten getötet worden, das heißt: mindestens so viele wie in den Wirren bei Kriegsende durch die Partisanen.
Aber wenn man die damaligen schlimmen Taten einem breiten Publikum vermitteln will, sollte man deren Hintergründe aufweisen, und daran fehlt es in diesem Buch. So erfährt der Leser nicht, daß die Wehrmacht seit dem Herbst 1943 in Italien gegen die laufend verstärkten Angloamerikaner und deren australische, neuseeländische, kolonialfranzösische und polnische Hilfstruppen kämpfte und daß auch das Königreich Italien Deutschland noch den Krieg erklärt hatte, aus dem sich freilich die meisten Italiener herauszuhalten verstanden. Er erfährt auch nicht, daß die Wehrmacht die Kunststädte Mittelitaliens geschont und Rom als "offene Stadt" respektiert hat, in der nur alliierte Bomben einige Schäden angerichtet haben. Von einer "Plünderung Roms" weiß die seriöse Forschung nichts. Erst ein Bombenattentat kommunistischer Partisanen im März 1944, bei dem 33 Südtiroler Polizisten und zirka zehn italienische Zivilisten getötet worden waren, hatte die ebenso gräßliche wie törichte Massenerschießung in den Fosse Ardeatine zur Folge. Und erst die Partisanenaktionen gegen die seit dem Sommer 1944 auf eine apenninische Verteidigungslinie zurückziehende Wehrmacht provozierten die in diesem Buch geschilderten Repressalien. Die schlimmsten beging eine von der Autorin mit Recht herausgestellte Division der Waffen-SS, von deren meist zwangsverpflichteten jungen Soldaten immerhin einige das Töten verweigerten. Man sollte auch erwähnen, daß russische Hilfswillige einer Infanteriedivision nach der Kapitulation von Partisanen erschossen wurden.
Heftig tadelt Frau Kohl die Regierungen der frühen Nachkriegszeit, weil sie die meisten Täter nicht verfolgt haben. Der bis zu diesem Frühjahr amtierende Bundespräsident Johannes Rau und die derzeitige Regierung werden dafür gelobt, daß sie sich endlich zu den damaligen Taten bekennen. Daß Theodor Heuss schon 1957 die Gräber der erschossenen Geiseln in den Fosse Ardeatine besuchte, wird ebensowenig gewürdigt wie die beharrliche Versöhnungsarbeit deutscher Diplomaten seit den achtziger Jahren. Immerhin wird Altbundespräsident Richard von Weizsäcker erwähnt. Daß die Regierungen Adenauer und De Gasperi dem Aufspüren einzelner Schuldiger den Aufbau einer insgesamt besseren Gegenwart vorzogen, in der Kriege zwischen Europäern nicht mehr möglich sind, wird nicht gewürdigt. Der dafür mitverantwortliche Außenminister Martino wird fälschlich als Christdemokrat bezeichnet - er war Liberaler. Das für die Versöhnung sehr wichtige Entschädigungsabkommen von 1961 wird mehr am Rande erwähnt.
Erleichtert zeigt sich Frau Kohl darüber, daß italienische Militärstaatsanwälte die Ermittlungen gegen die inzwischen greisen Täter oder Mittäter seit 1994 wiederaufgenommen haben, also erst, nachdem alle Italiener, die im Jahrzehnt vor 1943 ähnliches in Äthiopien, Albanien, Griechenland und Jugoslawien getan hatten, tot waren. Die kürzlich von Ingo von Münch aufgeworfene Frage, ob Strafprozesse wegen Kriegshandlungen nach so langer Zeit noch Rechtens oder vernünftig sind, wird nicht gestellt, die Unterscheidung eines deutschen Staatsanwalts zwischen NS-Verbrechen und Kriegsverbrechen als "spitzfindig" abgetan.
Von deutschen und italienischen Historikern erwähnt Frau Kohl nur solche, die sich im letzten Jahrzehnt mit ähnlich akkusatorischer Tendenz auf deutsche Kriegsverbrechen konzentriert haben. Daß man diese, ohne irgend jemanden zu exkulpieren, auch historisch darstellen kann, hat Gian Enrico Rusconi im vergangenen Jahr mit dem Buch "Germania-Italia-Europa " bewiesen.
RUDOLF LILL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Repressalien von Wehrmacht und SS in Italien
Christiane Kohl: Der Himmel war strahlend blau. Vom Wüten der Wehrmacht in Italien. Picus Verlag, Wien 2004, 160 Seiten, 19,90 [Euro].
Christiane Kohl vereinigt in diesem Band teils schon in der Tagespresse erschienene Essays über deutsche Repressalien in Italien in den Jahren 1943 bis 1945 und über das damalige Schicksal italienischer Zwangsarbeiter in Deutschland. Mit Recht will sie darüber eine breitere Öffentlichkeit informieren. Den Anfang machte das Massaker an Tausenden italienischen Soldaten auf der jonischen Insel Kefalonia im September 1943, das auch anhand des Tagebuches eines darüber empörten deutschen (österreichischen) Soldaten geschildert wird. Es folgen Aufsätze über die "Jagd auf die römischen Juden" im Herbst 1943, für die SS und Gestapo verantwortlich waren, und über die Zerstörung des Klosters Montecassino im März 1944 durch alliierte Truppen; die Wehrmacht hat immerhin für die Rettung seiner Kunstschätze gesorgt. Sodann werden deutsche Repressalien zu Lasten der Zivilbevölkerung in Mittelitalien ausführlich und eindringlich geschildert. Frau Kohl stützt sich auf Aussagen von Überlebenden und Verwandten der Opfer. Von den wenigen beteiligten Soldaten, die sie aufgespürt hat, war wenig zu erfahren. Zeitzeugen, die beide Seiten sehen, wurden offenbar nicht befragt. Insgesamt sind zirka 10 000 Zivilisten getötet worden, das heißt: mindestens so viele wie in den Wirren bei Kriegsende durch die Partisanen.
Aber wenn man die damaligen schlimmen Taten einem breiten Publikum vermitteln will, sollte man deren Hintergründe aufweisen, und daran fehlt es in diesem Buch. So erfährt der Leser nicht, daß die Wehrmacht seit dem Herbst 1943 in Italien gegen die laufend verstärkten Angloamerikaner und deren australische, neuseeländische, kolonialfranzösische und polnische Hilfstruppen kämpfte und daß auch das Königreich Italien Deutschland noch den Krieg erklärt hatte, aus dem sich freilich die meisten Italiener herauszuhalten verstanden. Er erfährt auch nicht, daß die Wehrmacht die Kunststädte Mittelitaliens geschont und Rom als "offene Stadt" respektiert hat, in der nur alliierte Bomben einige Schäden angerichtet haben. Von einer "Plünderung Roms" weiß die seriöse Forschung nichts. Erst ein Bombenattentat kommunistischer Partisanen im März 1944, bei dem 33 Südtiroler Polizisten und zirka zehn italienische Zivilisten getötet worden waren, hatte die ebenso gräßliche wie törichte Massenerschießung in den Fosse Ardeatine zur Folge. Und erst die Partisanenaktionen gegen die seit dem Sommer 1944 auf eine apenninische Verteidigungslinie zurückziehende Wehrmacht provozierten die in diesem Buch geschilderten Repressalien. Die schlimmsten beging eine von der Autorin mit Recht herausgestellte Division der Waffen-SS, von deren meist zwangsverpflichteten jungen Soldaten immerhin einige das Töten verweigerten. Man sollte auch erwähnen, daß russische Hilfswillige einer Infanteriedivision nach der Kapitulation von Partisanen erschossen wurden.
Heftig tadelt Frau Kohl die Regierungen der frühen Nachkriegszeit, weil sie die meisten Täter nicht verfolgt haben. Der bis zu diesem Frühjahr amtierende Bundespräsident Johannes Rau und die derzeitige Regierung werden dafür gelobt, daß sie sich endlich zu den damaligen Taten bekennen. Daß Theodor Heuss schon 1957 die Gräber der erschossenen Geiseln in den Fosse Ardeatine besuchte, wird ebensowenig gewürdigt wie die beharrliche Versöhnungsarbeit deutscher Diplomaten seit den achtziger Jahren. Immerhin wird Altbundespräsident Richard von Weizsäcker erwähnt. Daß die Regierungen Adenauer und De Gasperi dem Aufspüren einzelner Schuldiger den Aufbau einer insgesamt besseren Gegenwart vorzogen, in der Kriege zwischen Europäern nicht mehr möglich sind, wird nicht gewürdigt. Der dafür mitverantwortliche Außenminister Martino wird fälschlich als Christdemokrat bezeichnet - er war Liberaler. Das für die Versöhnung sehr wichtige Entschädigungsabkommen von 1961 wird mehr am Rande erwähnt.
Erleichtert zeigt sich Frau Kohl darüber, daß italienische Militärstaatsanwälte die Ermittlungen gegen die inzwischen greisen Täter oder Mittäter seit 1994 wiederaufgenommen haben, also erst, nachdem alle Italiener, die im Jahrzehnt vor 1943 ähnliches in Äthiopien, Albanien, Griechenland und Jugoslawien getan hatten, tot waren. Die kürzlich von Ingo von Münch aufgeworfene Frage, ob Strafprozesse wegen Kriegshandlungen nach so langer Zeit noch Rechtens oder vernünftig sind, wird nicht gestellt, die Unterscheidung eines deutschen Staatsanwalts zwischen NS-Verbrechen und Kriegsverbrechen als "spitzfindig" abgetan.
Von deutschen und italienischen Historikern erwähnt Frau Kohl nur solche, die sich im letzten Jahrzehnt mit ähnlich akkusatorischer Tendenz auf deutsche Kriegsverbrechen konzentriert haben. Daß man diese, ohne irgend jemanden zu exkulpieren, auch historisch darstellen kann, hat Gian Enrico Rusconi im vergangenen Jahr mit dem Buch "Germania-Italia-Europa " bewiesen.
RUDOLF LILL
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Bei den Recherchen, die Christiane Kohl über die Verbrechen der Waffen-SS und von Wehrmachtssoldaten in Italien vorgelegt hat, handelt es sich um ein "oft vertuschtes Kapitel deutsch-italienischer Geschichte", bemerkt Hansjakob Stehle in seiner knappen Rezension des Buches. In achtzehn "eindrucksvollen Reportagen", für die die Autorin Archive, Zeitzeugen und Schauplätze aufgesucht hat, berichtet sie von den Gräueltaten der Deutschen, so der Rezensent berührt. Dabei hat offenbar vor allem die Schilderung des schrecklichen Massakers von Sant' Anna, mit dem sich Stehle besonders intensiv auseinandersetzt und bei dem 650 Menschen umgebracht wurden, den Rezensenten erschüttert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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