Die abenteuerliche Geschichte eines modernen Don Quijote, der voller Zuversicht und Tatendrang die Mission verfolgt, Nachhaltigkeit, Identitätspolitik und Wokeness in die Provinz zu tragen. Eine scharfsinnige Satire auf die Debatten unserer Zeit. Enrique zieht zu seiner Tante nach La Cañada, einem Dorf im Osten von Spanien, um dem Stadtleben zu entfliehen, einen Gemeinschaftsgarten anzulegen und seine Ex-Freundin zu vergessen. Morgens macht er Yoga im Hof, im Dorfladen sucht er vergebens nach Quinoa und auf den höchsten Punkten der Umgebung nach Handyempfang. Auch wenn sich zu seinem Workshop zum Thema Neue Männlichkeit vorerst nur seine Tante und vier weitere Frauen einfinden und die Drohne, die seine Amazon-Bestellung liefert, eine Scheune in Brand setzt - Enrique kämpft tapfer dafür, die Landbevölkerung in der Moderne zu verorten, und wird schließlich sogar zum Bürgermeister gewählt. Als jedoch ein Filmdreh über den Spanischen Bürgerkrieg die Mitglieder einer rechten Partei auf den Plan ruft, weil sie denken, es sei die anarchistische Revolution ausgebrochen, und ein amerikanischer Sänger der kulturellen Aneignung beschuldigt wird, weil er in der traditionellen Tracht von La Cañada auftritt, wird Enriques Idealismus auf eine harte Probe gestellt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2023Den Planeten retten – oder doch erst die Dorfschule?
„Der Hipster von der traurigen Gestalt“: Daniel Gascóns in Spanien gefeierte Satire auf die Wokeness-Debatten der Gegenwart.
Don Quijote war der Ritter von der traurigen Gestalt, der nach einem komplizierten mittelalterlichen Kodex lebte, gegen Windmühlen in La Mancha kämpfte und zum Urvater aller modernen Anti-Helden wurde, die sich in so ehrenhafte wie absurde Missionen verrennen. Wie sähe ein moderner Don Quijote aus? Vielleicht wie Enrique Notivol, 30-jähriger Madrilene, der gegen die „tyrannischen Triebkräfte des Spätkapitalismus“ kämpft und versucht, die komplexen Prinzipien der Wokeness im 21. Jahrhundert ausgerechnet in einem Dorf im „leeren Spanien“ durchzusetzen, wo sich seit Cervantes’ Zeiten nicht viel verändert zu haben scheint.
Von Liebeskummer geplagt und von seiner linken Splittergruppe als Dissident ausgeschlossen, zieht sich Enrique zu Onkel und Tante nach La Cañada zurück, einem Flecken in Spaniens Provinz Teruel, wo die Besiedlungsdichte nicht größer ist als in Lappland und vor einigen Jahren eine Partei mit dem Namen „Teruel existiert“ gegen das Vergessenwerden ankämpfte. Die Debatte über „La España Vacía“, das leere Spanien abseits der Strände und Metropolen, über verlassene Dörfer, verödete Marktplätze, verbrannte Landschaften, war geboren – und der junge Autor Daniel Gascón lieferte ihr eine literarisch-satirische Referenz, als 2020 sein Roman „Un hipster en la España vacía“ herauskam. Als „Der Hipster von der traurigen Gestalt“ ist er jetzt auf Deutsch erschienen.
Im Kern geht es um die zivilisationsmüde Romantisierung vergessener Landstriche, die ja keine spanische Domäne ist. Auch Hipster Enrique reist mit Klischees beladen im Dorf an: Er träumt von einem Dasein „fernab der Frivolität und leeren Geschwindigkeit des modernen Lebens“ und hat seine Meinung schon parat, bevor er richtig angekommen ist: „Die einfachen Leute sind klasse“. Das sind sie natürlich nicht. Es sind ehemalige Bergleute, Arbeitslose oder Rentner, die ihre Nachmittage damit verbringen „eine Flasche Bier nach der anderen zu trinken“, auf Wildschweine zu schießen oder ins Bordell am Ortsausgang zu gehen.
Was tut da der woke Typ aus der Stadt, für den Schaf-Melken „eine Form sexueller Belästigung“ darstellt und Humor eine „entmystifizierende Dominanzstruktur“? Er entwirft ein Umerziehungsprogramm, veranstaltet „didaktisch-lebenspraktische Workshops zur Neuen Männlichkeit; er versucht die Dorfjugend zu überzeugen, dass beim Fußball die Tore nicht zählen sollen; und nicht mal die Tiere sind vor seinem Missionierungseifer sicher: „Mich erstaunt die heteropatriarchalische Ordnung im Hühnerstall“, notiert der Hipster ins Tagebuch. Dem einzigen Marokkaner im Dorf, dem Schafhirten Mohamed, versucht er Bier und Schinken auszureden („Es gefällt mir nicht, dass er seine religiösen Prinzipien aufgibt, um sich einer fremden Umgebung anzupassen.“). Als Lourdes, Serviererin in der Dorfbar, ihm Avancen macht, versucht er, sich von diesem „ungewollten erotischen Impuls zu befreien“, in dem er wie ein Hohepriester moderner Enthaltsamkeit verbissen an die „Erderwärmung und die Rückkehr des Faschismus“ denkt.
„Fick dich Fremder“, steht irgendwann an einer Hauswand, und als der Hipster die Dorfbewohner wegen des ausländerfeindlichen Spruchs zur Rede stellen will, raunt ihm am Tresen einer zu: „Das richtet sich nicht gegen den Araber. Ich glaube, du bist gemeint.“ Doch bevor es zur Katastrophe kommen kann und diese traurige Karikatur eines Großstädters in die „Schlucht des unbekannten Fremden“ geworfen wird, geschieht das Wunder: Es entfaltet sich etwas sehr Spanisches, nämlich die integrative Kraft des Dorfes. Nicht Enrique ist es, der das Dorf umformt – das Dorf formt ihn, allen voran die clevere Lourdes: Mit ihrer Hilfe rettet Enrique das Bildnis der Schutzheiligen vor katalanischen Kirchendieben, fängt einen entlaufenen Kampfstier ein wie ein moderner Torero, statt der Lanze ist seine Waffe die Empathie. Und als er dem korrupten Bürgermeister nachweist, dass der mit verdorbenen Wurstgeschenken auf Stimmengang gegangen war - da stellt die Mehrheit des Dorfes plötzlich fest, dass der Junge einer von ihnen ist. Der Hipster zieht selbst mit übersetzten Passagen aus Bruce-Springsteen-Songs, („die passten gut zu Aragon“) in die Wahlkampagne und wird prompt zum neuen Bürgermeister gewählt.
Die dann folgende Wandlung des woken Städters zum Realpolitiker macht klar, wen Autor Daniel Gascón sich eigentlich zum Vorbild genommen hat: Pablo Iglesias, Galionsfigur der linksalternativen Partei Unidas Podemos, die es in den Zehnerjahren schaffte, aus dem politikwissenschaftlichen Seminar heraus eine prägende politische Kraft in Spanien zu werden. Und wie bei Podemos geht auch bei Hipster Enrique der Machtzuwachs mit einer inneren Entideologisierung einher: „Du musst dir die Hände schmutzig machen, dich der wahren Politik stellen, mit ihrer ganzen Bandbreite an Grautönen“, notiert er nun ins Tagebuch: „Was sind die Auswirkungen des Handelskrieges mit China schon verglichen mit einer veränderten Verkehrsführung auf der Hauptstraße?“
Ähnlich wie einst Cervantes’ Don Quijote ist auch Gascóns Hipster zwar eine sehr spanische, im Kern aber globale Romangestalt. Enriques gibt es in Neuseeland, Island oder Aragón, die Handlung könnte sogar ohne Weiteres in ein brandenburgisches Dorf versetzt werden. Man müsste nur die jeweiligen innenpolitischen Ereignisse anpassen, die Gascón lakonisch-trocken in die Handlung verwoben hat: vom katalanischen Separatismus, über das Aufkommen der Rechtspartei Vox bis zur besessenen Suche angloamerikanischer Zeitungskorrespondenten nach Überbleibseln der Franco-Ära in der spanischen Einöde. Als schließlich Putins Schergen Greta Thunberg von einer Klimakonferenz in Madrid entführen und ausgerechnet über die Investitionsruine des leerstehenden Flughafens Teruel ausfliegen wollen, erhält Enrique die Chance, durch die Rettung der Aktivistin auch internationalen Ruhm zu erringen. Um sich am Ende vor die Entscheidung gestellt zu sehen, was wohl die wichtigere Mission sein könnte: den Planeten zu retten – oder doch erst mal die Dorfschule von La Cañada?
SEBASTIAN SCHOEPP
Daniel Gascón, geboren 1981, ist auch Kolumnist für „El Pais“.
Foto: Kunstmann
Daniel Gascón:
Der Hipster von der traurigen Gestalt.
Aus dem Spanischen
von Christian Hansen.
Kunstmann,
München 2023.
180 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Der Hipster von der traurigen Gestalt“: Daniel Gascóns in Spanien gefeierte Satire auf die Wokeness-Debatten der Gegenwart.
Don Quijote war der Ritter von der traurigen Gestalt, der nach einem komplizierten mittelalterlichen Kodex lebte, gegen Windmühlen in La Mancha kämpfte und zum Urvater aller modernen Anti-Helden wurde, die sich in so ehrenhafte wie absurde Missionen verrennen. Wie sähe ein moderner Don Quijote aus? Vielleicht wie Enrique Notivol, 30-jähriger Madrilene, der gegen die „tyrannischen Triebkräfte des Spätkapitalismus“ kämpft und versucht, die komplexen Prinzipien der Wokeness im 21. Jahrhundert ausgerechnet in einem Dorf im „leeren Spanien“ durchzusetzen, wo sich seit Cervantes’ Zeiten nicht viel verändert zu haben scheint.
Von Liebeskummer geplagt und von seiner linken Splittergruppe als Dissident ausgeschlossen, zieht sich Enrique zu Onkel und Tante nach La Cañada zurück, einem Flecken in Spaniens Provinz Teruel, wo die Besiedlungsdichte nicht größer ist als in Lappland und vor einigen Jahren eine Partei mit dem Namen „Teruel existiert“ gegen das Vergessenwerden ankämpfte. Die Debatte über „La España Vacía“, das leere Spanien abseits der Strände und Metropolen, über verlassene Dörfer, verödete Marktplätze, verbrannte Landschaften, war geboren – und der junge Autor Daniel Gascón lieferte ihr eine literarisch-satirische Referenz, als 2020 sein Roman „Un hipster en la España vacía“ herauskam. Als „Der Hipster von der traurigen Gestalt“ ist er jetzt auf Deutsch erschienen.
Im Kern geht es um die zivilisationsmüde Romantisierung vergessener Landstriche, die ja keine spanische Domäne ist. Auch Hipster Enrique reist mit Klischees beladen im Dorf an: Er träumt von einem Dasein „fernab der Frivolität und leeren Geschwindigkeit des modernen Lebens“ und hat seine Meinung schon parat, bevor er richtig angekommen ist: „Die einfachen Leute sind klasse“. Das sind sie natürlich nicht. Es sind ehemalige Bergleute, Arbeitslose oder Rentner, die ihre Nachmittage damit verbringen „eine Flasche Bier nach der anderen zu trinken“, auf Wildschweine zu schießen oder ins Bordell am Ortsausgang zu gehen.
Was tut da der woke Typ aus der Stadt, für den Schaf-Melken „eine Form sexueller Belästigung“ darstellt und Humor eine „entmystifizierende Dominanzstruktur“? Er entwirft ein Umerziehungsprogramm, veranstaltet „didaktisch-lebenspraktische Workshops zur Neuen Männlichkeit; er versucht die Dorfjugend zu überzeugen, dass beim Fußball die Tore nicht zählen sollen; und nicht mal die Tiere sind vor seinem Missionierungseifer sicher: „Mich erstaunt die heteropatriarchalische Ordnung im Hühnerstall“, notiert der Hipster ins Tagebuch. Dem einzigen Marokkaner im Dorf, dem Schafhirten Mohamed, versucht er Bier und Schinken auszureden („Es gefällt mir nicht, dass er seine religiösen Prinzipien aufgibt, um sich einer fremden Umgebung anzupassen.“). Als Lourdes, Serviererin in der Dorfbar, ihm Avancen macht, versucht er, sich von diesem „ungewollten erotischen Impuls zu befreien“, in dem er wie ein Hohepriester moderner Enthaltsamkeit verbissen an die „Erderwärmung und die Rückkehr des Faschismus“ denkt.
„Fick dich Fremder“, steht irgendwann an einer Hauswand, und als der Hipster die Dorfbewohner wegen des ausländerfeindlichen Spruchs zur Rede stellen will, raunt ihm am Tresen einer zu: „Das richtet sich nicht gegen den Araber. Ich glaube, du bist gemeint.“ Doch bevor es zur Katastrophe kommen kann und diese traurige Karikatur eines Großstädters in die „Schlucht des unbekannten Fremden“ geworfen wird, geschieht das Wunder: Es entfaltet sich etwas sehr Spanisches, nämlich die integrative Kraft des Dorfes. Nicht Enrique ist es, der das Dorf umformt – das Dorf formt ihn, allen voran die clevere Lourdes: Mit ihrer Hilfe rettet Enrique das Bildnis der Schutzheiligen vor katalanischen Kirchendieben, fängt einen entlaufenen Kampfstier ein wie ein moderner Torero, statt der Lanze ist seine Waffe die Empathie. Und als er dem korrupten Bürgermeister nachweist, dass der mit verdorbenen Wurstgeschenken auf Stimmengang gegangen war - da stellt die Mehrheit des Dorfes plötzlich fest, dass der Junge einer von ihnen ist. Der Hipster zieht selbst mit übersetzten Passagen aus Bruce-Springsteen-Songs, („die passten gut zu Aragon“) in die Wahlkampagne und wird prompt zum neuen Bürgermeister gewählt.
Die dann folgende Wandlung des woken Städters zum Realpolitiker macht klar, wen Autor Daniel Gascón sich eigentlich zum Vorbild genommen hat: Pablo Iglesias, Galionsfigur der linksalternativen Partei Unidas Podemos, die es in den Zehnerjahren schaffte, aus dem politikwissenschaftlichen Seminar heraus eine prägende politische Kraft in Spanien zu werden. Und wie bei Podemos geht auch bei Hipster Enrique der Machtzuwachs mit einer inneren Entideologisierung einher: „Du musst dir die Hände schmutzig machen, dich der wahren Politik stellen, mit ihrer ganzen Bandbreite an Grautönen“, notiert er nun ins Tagebuch: „Was sind die Auswirkungen des Handelskrieges mit China schon verglichen mit einer veränderten Verkehrsführung auf der Hauptstraße?“
Ähnlich wie einst Cervantes’ Don Quijote ist auch Gascóns Hipster zwar eine sehr spanische, im Kern aber globale Romangestalt. Enriques gibt es in Neuseeland, Island oder Aragón, die Handlung könnte sogar ohne Weiteres in ein brandenburgisches Dorf versetzt werden. Man müsste nur die jeweiligen innenpolitischen Ereignisse anpassen, die Gascón lakonisch-trocken in die Handlung verwoben hat: vom katalanischen Separatismus, über das Aufkommen der Rechtspartei Vox bis zur besessenen Suche angloamerikanischer Zeitungskorrespondenten nach Überbleibseln der Franco-Ära in der spanischen Einöde. Als schließlich Putins Schergen Greta Thunberg von einer Klimakonferenz in Madrid entführen und ausgerechnet über die Investitionsruine des leerstehenden Flughafens Teruel ausfliegen wollen, erhält Enrique die Chance, durch die Rettung der Aktivistin auch internationalen Ruhm zu erringen. Um sich am Ende vor die Entscheidung gestellt zu sehen, was wohl die wichtigere Mission sein könnte: den Planeten zu retten – oder doch erst mal die Dorfschule von La Cañada?
SEBASTIAN SCHOEPP
Daniel Gascón, geboren 1981, ist auch Kolumnist für „El Pais“.
Foto: Kunstmann
Daniel Gascón:
Der Hipster von der traurigen Gestalt.
Aus dem Spanischen
von Christian Hansen.
Kunstmann,
München 2023.
180 Seiten, 18 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Maximilian Mengeringhaus sieht in Daniel Gascons Geschichte eines woken Stadt-Hipsters, der sich in der spanischen Provinz behaupten muss, nicht mehr als Kasperletheater für Intellektuelle. Für mehr reicht es leider nicht, bedauert der Rezensent, der dafür vor allem die episodische Erzählweise, den klamaukigen Witz und das Holzschnittartige der Figuren verantwortlich macht. Als Strandlektüre taugt das Buch dennoch, meint er, für etwas Geschmunzel ist es auch gut, aber eine richtige Parabel ist es nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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