This volume presents a collection of papers by scholars from Europe and the USA on a question which is currently again the subject of intensive discussion - the figure of the historical Jesus. One main problem is that of methodology - how in general can history be constructed from texts, how is it possible in this particular case to draw a picture of Jesus the person from the texts about him? This question is placed within the wider context of epistemological and historiographical enquiry. A further major question is that of the relationship between Jesus' work and the development of the Christian faith. Whereas earlier scholars often saw a gap between the two, many of the present contributors put forward a different point of view. In addition, a number of questions of detail are treated which are important for research into the historical Jesus (the law, Jesus' concept of death, judgement and salvation).
Der Band vereinigt Beiträge von Forschern aus Europa und den USA zur gegenwärtig wieder intensiv diskutierten Frage nach dem historischen Jesus ("Third Quest"). Ein Schwerpunkt ist die methodische Problematik: Wie kann - allgemein - aus Texten Geschichte konstruiert werden, wie ist es - speziell - möglich, aus den Zeugnissen über Jesus ein Bild seiner Person zu zeichnen? Diese Frage wird in den breiteren Rahmen erkenntnis- und geschichtstheoretischer Erwägungen eingeordnet. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Frage nach dem Verhältnis vom Wirken Jesu und der Entstehung des christlichen Glaubens. Wurde in der älteren Forschung des öfteren eine Diastase gesehen, so wird hier in etlichen der Beiträge eine andere Sicht entwickelt. Darüber hinaus werden für die historische Jesusforschung wichtige Einzelfragen (Gesetz, Todesverständnis Jesu, Gericht und Heil) behandelt.
Der Band vereinigt Beiträge von Forschern aus Europa und den USA zur gegenwärtig wieder intensiv diskutierten Frage nach dem historischen Jesus ("Third Quest"). Ein Schwerpunkt ist die methodische Problematik: Wie kann - allgemein - aus Texten Geschichte konstruiert werden, wie ist es - speziell - möglich, aus den Zeugnissen über Jesus ein Bild seiner Person zu zeichnen? Diese Frage wird in den breiteren Rahmen erkenntnis- und geschichtstheoretischer Erwägungen eingeordnet. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Frage nach dem Verhältnis vom Wirken Jesu und der Entstehung des christlichen Glaubens. Wurde in der älteren Forschung des öfteren eine Diastase gesehen, so wird hier in etlichen der Beiträge eine andere Sicht entwickelt. Darüber hinaus werden für die historische Jesusforschung wichtige Einzelfragen (Gesetz, Todesverständnis Jesu, Gericht und Heil) behandelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2004Von kirchlichem Zwang befreit
Alte Deutungen neu: Auf der Suche nach dem wirklichen Jesus
Zum eigenen Leidwesen produzieren die Geisteswissenschaften keine Fortschritte. Anders als bei der naturwissenschaftlichen Konkurrenz geht ihre Geschichte nicht bergauf, sondern eher in Kreisen. Dies gilt besonders für die Theologie und deren Grunddisziplin, die Bibelwissenschaft. Ihr Gegenstand ist mehr als bekannt. Die möglichen Deutungen haben sich längst herauskristallisiert. Daß man keinen Fortschritt macht, heißt aber nicht, daß man unproduktiv wäre. Ein Erkenntnisgewinn kann auch in der Wiederholung liegen, und die Erinnerung an Altbekanntes kann zur fruchtbaren Vergegenwärtigung der Geschichte führen. So etwa in der Jesusforschung. Sie war im neunzehnten Jahrhundert eine deutsche Domäne. Nach einer antihistoristischen Wende wurde sie abgeschaltet. Nun wird sie aus England und Amerika reimportiert. Wie angelsächsische Jesusforscher die deutsche Exegese beleben, dokumentiert der vorzügliche Sammelband "Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung" (hrsg. von Jens Schröter und Ralph Brucker, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002).
Eine ewig unerledigte Frage ist das Verhältnis Jesu zum Judentum. Geza Vermes, Altmeister der englischen Judaistik, deutet Jesus ganz als Juden seiner Zeit. Damit verbindet er ein persönliches Motiv. 1924 als Kind assimilierter Juden in Ungarn geboren, katholisch erzogen und nach dem Krieg zum Priester geweiht, will er einem traditionell-kirchlichen Antijudaismus einen anderen Jesus vorhalten. So porträtierte er in "The Changing Faces of Jesus" (2001) Jesus als charismatischen Wunderweisen. Das eigentliche Christentum beginne erst mit Johannes und Paulus. In "The Authentic Gospel of Jesus" (Penguin Books, 2003) hat Vermes diese These bekräftigt.
Verblüffend ist, mit welcher Naivität Vermes vom "wirklichen" und "authentischen" Jesus spricht. Interessant ist, wie er eine einhundert Jahre alte These wiederbelebt. William Wrede hatte Paulus als den "zweiten Stifter des Christentums" bezeichnet. Er wollte die Leitfigur des Luthertums zurückstufen und einen Jesus aufwerten, der keine Rechtfertigungslehre ausgearbeitet, sondern ein freies religiöses Leben gestiftet hatte. Vermes übernimmt diese Gegenüberstellung, stilisiert Jesus nun aber zum Gründer einer anti-antijudaistischen Religiosität. Doch das Problem von Wredes These bleibt. Sie führt zu einem letztlich aporetischen Geschichtsbild, das nicht erklären kann, wie aus dem Leben und Sterben Jesu eine neue Religion erwuchs.
Vielversprechender ist ein Weg, den Harry W. Hurtado einschlägt ("Lord Jesus Christ. Devotion to Jesus in earliest Christianity", Eerdmans, 2003). Er setzt beim urchristlichen Kult an. Die Entwicklung von Jesus zur Kirche wird nicht von Lehren - der Christologie etwa - bestimmt, auch nicht von hellenistischen Fremdeinflüssen, sondern folgt der Logik der eigenen Kultpraxis. Damit aktualisiert Hurtado eine Perspektive, die vor einhundert Jahren Adolf Deissmann entwickelt hatte. Sie paßt übrigens gut zum gegenwärtig neuen Geschmack an Ritualen und Liturgien.
Wie ertragreich dieser Ansatz ist, hat Christopher Rowland in einer instruktiven Sammelrezension hervorgehoben ("Wonder workers. Pretender, messiah, teacher: ways of seeing the historical Jesus", in: Times Literary Supplement, December 2003). Ergänzend weist er darauf hin, daß der Jesuskult mystische Züge besessen habe. Damit greift er wiederum Thesen von Ernst Troeltsch und Albert Schweitzer auf. Zusätzlich setzt Rowland einen Akzent, der nicht mehr ganz so à la mode ist: Die Jesus-Bewegung sei nicht nur ein Kultverein, sondern auch eine sozial bewegte Gegengesellschaft gewesen. Rowland schärft ein, daß sich weder Jesus noch das Urchristentum auf nur einen Begriff bringen lassen.
Was geschieht, wenn man solche Gegenläufigkeiten nicht bedenkt, sondern nur ein einziges theologisches Privatinteresse verfolgt, sieht man bei Elaine Pagels. "Beyond Belief. The Secret Gospel of Thomas" (Random House, New York 2003) ist eine Mischung aus Lebensrückblick, Forschungsbericht und Reformprogramm. Eines Morgens - sie hatte gerade von der tödlichen Erkrankung eines ihrer Kinder erfahren - sei sie nach langer Zeit wieder in eine Kirche gegangen. Im gemeinschaftlichen Kult habe sie Trost gefunden. Nun habe sie sich zu fragen begonnen, wie man eine christliche Spiritualität gestalten könne, die frei sei von kirchlicher Zwanghaftigkeit. In ihren Forschungen zu den gnostischen Fragmenten aus Nag Hammadi habe sie die Antwort gefunden. Das Thomas-Evangelium zeigte ihr endlich den "wirklichen" Jesus, der in allen Menschen ein "inneres Licht" leuchten sah. Sein "authentisches" Evangelium war genau das, was sie suchte: theologisch offen und spirituell intensiv.
Ganz unsympathisch ist das nicht. Doch liest man dieses Buch mit wachsendem Unbehagen. Wie Pagels ihre Ergriffenheit vorführt, wie sie den Tod eines Kindes als Aufhänger und Dringlichkeitsverstärker bringt, das kennt man allzugut aus dem Fernsehen. Pagels scheint die Oprah Winfrey der christlichen Religionsgeschichte werden zu wollen. Ihr Jesusbild jedenfalls fügt sich paßgenau in die religiöse Bedürfnislage aufgeklärter Großstädter. Da es den herkömmlichen Quellen widerspricht, muß sie auf apokryphe, aber natürlich allein "authentische" Texte zurückgreifen. Das ist hermeneutisch naiv und kann schnell zu allerlei Verschwörungstheorien führen. Man sieht, das Bemühen um Fortschrittlichkeit kommt der Sache nicht zugute.
Daß eine konventionelle Sicht der Dinge die bessere ist, zeigt James D. G. Dunn. Mit dem Charme des Unsensationellen führt er vor, daß den guten alten Synoptikern immer noch am meisten zu trauen ist (",All that glisters is not gold.'" In Quest of the right key to unlock the way to the historical Jesus", in: Der historische Jesus). Sie geben am genauesten den Eindruck wieder, den Jesus auf seine Mitmenschen gemacht hat. Von diesem Eindruck her kann Dunn eine kontinuierliche Entwicklung vom historischen Jesus über das Neue Testament hin zum jungen Christentum nachzeichnen, etwa in seinem großen neuen Werk "Jesus Remembered. Christianity in the Making. Vol. One" (Eerdmans, 2003).
Überblickt man die neuere Jesusliteratur, ergibt sich kein einheitliches Bild. Das ist nicht verwunderlich. Das Bild einer welthistorisch wirksamen Figur zu zeichnen ist ein komplexer Vorgang, in den die persönliche Lebensposition des Forschers immer mit hineinspielt. Die Bibelwissenschaft ist keine Datensammelanlage. Geschichtsdeutung ist die Aneigung und Fortschreibung von Geschichte, manchmal allerdings auch deren Verzerrung und Annexion. Jesusforscher agieren auf einem schmalen Grat. Einen Fortschritt an objektiver Erkenntnis sollte man nicht erwarten. Was nicht heißt, daß ihre Bemühungen aussichtslos wären.
Ein stimmiges Jesusbild hat viele Voraussetzungen: eine skrupulöse Quellenauswertung, einen weiten historischen Sinn, ein von Prinzipien geleitetes Urteilsvermögen und eine künstlerische Begabung. Spielt alles zusammen, entsteht ein Jesusbild, das auch ein Spiegelbild des Autors ist. Das kann nur Positivisten stören. Solange den Quellen ein Vetorecht eingeräumt wird, muß man Projektionen nicht fürchten. Sie sind unvermeidlich, ja sogar unerläßlich. Wer ein Jesusbild zeichnet, bestimmt damit das Wesen des Christentums, und nach einem berühmten Wort von Troeltsch gilt: "Wesensbestimmung ist Wesensgestaltung." In diesem Sinne erschöpft sich Exegese nicht in Philologie, sondern ist selbst konstruktive Theologie.
Kirchenamtliche Reglementierungsbedürfnisse wird sie jedoch nicht befriedigen. Jesusbücher stellen den Pluralismus nicht ab, sondern spiegeln ihn wider. Dabei aber richten sie ihn auf einen Gegenstand aus. Er erhält einen Fokus. So kann die Gestalt Jesu zum Medium religiöser Selbstaufklärung werden. Dies gelingt nicht immer - vor allem dann nicht, wenn ein Autor meint, er habe den "wirklichen" Jesus entdeckt. Bemerkenswert ist aber doch, wie sich die Gestalt Jesu zumindest als Fluchtpunkt behauptet. Daß Jesusforscher ebenso unter der Notwendigkeit stehen wie unter der Unfähigkeit leiden, ein angemessenes Jesusbild zu zeichen, könnte übrigens durchaus seinen guten theologischen Sinn haben.
JOHANN HINRICH CLAUSSEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alte Deutungen neu: Auf der Suche nach dem wirklichen Jesus
Zum eigenen Leidwesen produzieren die Geisteswissenschaften keine Fortschritte. Anders als bei der naturwissenschaftlichen Konkurrenz geht ihre Geschichte nicht bergauf, sondern eher in Kreisen. Dies gilt besonders für die Theologie und deren Grunddisziplin, die Bibelwissenschaft. Ihr Gegenstand ist mehr als bekannt. Die möglichen Deutungen haben sich längst herauskristallisiert. Daß man keinen Fortschritt macht, heißt aber nicht, daß man unproduktiv wäre. Ein Erkenntnisgewinn kann auch in der Wiederholung liegen, und die Erinnerung an Altbekanntes kann zur fruchtbaren Vergegenwärtigung der Geschichte führen. So etwa in der Jesusforschung. Sie war im neunzehnten Jahrhundert eine deutsche Domäne. Nach einer antihistoristischen Wende wurde sie abgeschaltet. Nun wird sie aus England und Amerika reimportiert. Wie angelsächsische Jesusforscher die deutsche Exegese beleben, dokumentiert der vorzügliche Sammelband "Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung" (hrsg. von Jens Schröter und Ralph Brucker, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002).
Eine ewig unerledigte Frage ist das Verhältnis Jesu zum Judentum. Geza Vermes, Altmeister der englischen Judaistik, deutet Jesus ganz als Juden seiner Zeit. Damit verbindet er ein persönliches Motiv. 1924 als Kind assimilierter Juden in Ungarn geboren, katholisch erzogen und nach dem Krieg zum Priester geweiht, will er einem traditionell-kirchlichen Antijudaismus einen anderen Jesus vorhalten. So porträtierte er in "The Changing Faces of Jesus" (2001) Jesus als charismatischen Wunderweisen. Das eigentliche Christentum beginne erst mit Johannes und Paulus. In "The Authentic Gospel of Jesus" (Penguin Books, 2003) hat Vermes diese These bekräftigt.
Verblüffend ist, mit welcher Naivität Vermes vom "wirklichen" und "authentischen" Jesus spricht. Interessant ist, wie er eine einhundert Jahre alte These wiederbelebt. William Wrede hatte Paulus als den "zweiten Stifter des Christentums" bezeichnet. Er wollte die Leitfigur des Luthertums zurückstufen und einen Jesus aufwerten, der keine Rechtfertigungslehre ausgearbeitet, sondern ein freies religiöses Leben gestiftet hatte. Vermes übernimmt diese Gegenüberstellung, stilisiert Jesus nun aber zum Gründer einer anti-antijudaistischen Religiosität. Doch das Problem von Wredes These bleibt. Sie führt zu einem letztlich aporetischen Geschichtsbild, das nicht erklären kann, wie aus dem Leben und Sterben Jesu eine neue Religion erwuchs.
Vielversprechender ist ein Weg, den Harry W. Hurtado einschlägt ("Lord Jesus Christ. Devotion to Jesus in earliest Christianity", Eerdmans, 2003). Er setzt beim urchristlichen Kult an. Die Entwicklung von Jesus zur Kirche wird nicht von Lehren - der Christologie etwa - bestimmt, auch nicht von hellenistischen Fremdeinflüssen, sondern folgt der Logik der eigenen Kultpraxis. Damit aktualisiert Hurtado eine Perspektive, die vor einhundert Jahren Adolf Deissmann entwickelt hatte. Sie paßt übrigens gut zum gegenwärtig neuen Geschmack an Ritualen und Liturgien.
Wie ertragreich dieser Ansatz ist, hat Christopher Rowland in einer instruktiven Sammelrezension hervorgehoben ("Wonder workers. Pretender, messiah, teacher: ways of seeing the historical Jesus", in: Times Literary Supplement, December 2003). Ergänzend weist er darauf hin, daß der Jesuskult mystische Züge besessen habe. Damit greift er wiederum Thesen von Ernst Troeltsch und Albert Schweitzer auf. Zusätzlich setzt Rowland einen Akzent, der nicht mehr ganz so à la mode ist: Die Jesus-Bewegung sei nicht nur ein Kultverein, sondern auch eine sozial bewegte Gegengesellschaft gewesen. Rowland schärft ein, daß sich weder Jesus noch das Urchristentum auf nur einen Begriff bringen lassen.
Was geschieht, wenn man solche Gegenläufigkeiten nicht bedenkt, sondern nur ein einziges theologisches Privatinteresse verfolgt, sieht man bei Elaine Pagels. "Beyond Belief. The Secret Gospel of Thomas" (Random House, New York 2003) ist eine Mischung aus Lebensrückblick, Forschungsbericht und Reformprogramm. Eines Morgens - sie hatte gerade von der tödlichen Erkrankung eines ihrer Kinder erfahren - sei sie nach langer Zeit wieder in eine Kirche gegangen. Im gemeinschaftlichen Kult habe sie Trost gefunden. Nun habe sie sich zu fragen begonnen, wie man eine christliche Spiritualität gestalten könne, die frei sei von kirchlicher Zwanghaftigkeit. In ihren Forschungen zu den gnostischen Fragmenten aus Nag Hammadi habe sie die Antwort gefunden. Das Thomas-Evangelium zeigte ihr endlich den "wirklichen" Jesus, der in allen Menschen ein "inneres Licht" leuchten sah. Sein "authentisches" Evangelium war genau das, was sie suchte: theologisch offen und spirituell intensiv.
Ganz unsympathisch ist das nicht. Doch liest man dieses Buch mit wachsendem Unbehagen. Wie Pagels ihre Ergriffenheit vorführt, wie sie den Tod eines Kindes als Aufhänger und Dringlichkeitsverstärker bringt, das kennt man allzugut aus dem Fernsehen. Pagels scheint die Oprah Winfrey der christlichen Religionsgeschichte werden zu wollen. Ihr Jesusbild jedenfalls fügt sich paßgenau in die religiöse Bedürfnislage aufgeklärter Großstädter. Da es den herkömmlichen Quellen widerspricht, muß sie auf apokryphe, aber natürlich allein "authentische" Texte zurückgreifen. Das ist hermeneutisch naiv und kann schnell zu allerlei Verschwörungstheorien führen. Man sieht, das Bemühen um Fortschrittlichkeit kommt der Sache nicht zugute.
Daß eine konventionelle Sicht der Dinge die bessere ist, zeigt James D. G. Dunn. Mit dem Charme des Unsensationellen führt er vor, daß den guten alten Synoptikern immer noch am meisten zu trauen ist (",All that glisters is not gold.'" In Quest of the right key to unlock the way to the historical Jesus", in: Der historische Jesus). Sie geben am genauesten den Eindruck wieder, den Jesus auf seine Mitmenschen gemacht hat. Von diesem Eindruck her kann Dunn eine kontinuierliche Entwicklung vom historischen Jesus über das Neue Testament hin zum jungen Christentum nachzeichnen, etwa in seinem großen neuen Werk "Jesus Remembered. Christianity in the Making. Vol. One" (Eerdmans, 2003).
Überblickt man die neuere Jesusliteratur, ergibt sich kein einheitliches Bild. Das ist nicht verwunderlich. Das Bild einer welthistorisch wirksamen Figur zu zeichnen ist ein komplexer Vorgang, in den die persönliche Lebensposition des Forschers immer mit hineinspielt. Die Bibelwissenschaft ist keine Datensammelanlage. Geschichtsdeutung ist die Aneigung und Fortschreibung von Geschichte, manchmal allerdings auch deren Verzerrung und Annexion. Jesusforscher agieren auf einem schmalen Grat. Einen Fortschritt an objektiver Erkenntnis sollte man nicht erwarten. Was nicht heißt, daß ihre Bemühungen aussichtslos wären.
Ein stimmiges Jesusbild hat viele Voraussetzungen: eine skrupulöse Quellenauswertung, einen weiten historischen Sinn, ein von Prinzipien geleitetes Urteilsvermögen und eine künstlerische Begabung. Spielt alles zusammen, entsteht ein Jesusbild, das auch ein Spiegelbild des Autors ist. Das kann nur Positivisten stören. Solange den Quellen ein Vetorecht eingeräumt wird, muß man Projektionen nicht fürchten. Sie sind unvermeidlich, ja sogar unerläßlich. Wer ein Jesusbild zeichnet, bestimmt damit das Wesen des Christentums, und nach einem berühmten Wort von Troeltsch gilt: "Wesensbestimmung ist Wesensgestaltung." In diesem Sinne erschöpft sich Exegese nicht in Philologie, sondern ist selbst konstruktive Theologie.
Kirchenamtliche Reglementierungsbedürfnisse wird sie jedoch nicht befriedigen. Jesusbücher stellen den Pluralismus nicht ab, sondern spiegeln ihn wider. Dabei aber richten sie ihn auf einen Gegenstand aus. Er erhält einen Fokus. So kann die Gestalt Jesu zum Medium religiöser Selbstaufklärung werden. Dies gelingt nicht immer - vor allem dann nicht, wenn ein Autor meint, er habe den "wirklichen" Jesus entdeckt. Bemerkenswert ist aber doch, wie sich die Gestalt Jesu zumindest als Fluchtpunkt behauptet. Daß Jesusforscher ebenso unter der Notwendigkeit stehen wie unter der Unfähigkeit leiden, ein angemessenes Jesusbild zu zeichen, könnte übrigens durchaus seinen guten theologischen Sinn haben.
JOHANN HINRICH CLAUSSEN
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