Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2001...dann fressen ihn die Raben
PS-Stärken sponsern Pferdeflüsterer: Laura Hillenbrand berichtet vom amerikanischen Galopprennen zur Zeit der großen Depression
Die kleinen Drahtigen haben im Leben ein Handicap. Mit ihrem schmächtigen Körper fällt es ihnen schwer, Autorität glaubhaft auszuüben. Deshalb bekommen sie nie die guten Jobs als Zuhälter, Professor oder Bundeskanzler. Zu den wenigen Orten, wo sie gefragt sind, zählen die Pferderennbahnen. Als Jockey muß man klein und drahtig sein.
Red Pollard war ein legendärer amerikanischer Jockey. Auf Seabiscuit errang er in den Jahren 1936 bis 1940 einige der großartigsten Siege in der Geschichte des Rennsports. In Laura Hillenbrands Buch mit dem etwas albernen deutschen Titel "Der Hufschlag des Siegers" wird von diesen vier Jahren seines Lebens berichtet, die in die Annalen des Rennsports eingingen.
Vordergründig betrachtet, steht der Hengst im Mittelpunkt des Berichts. Auch er war klein und drahtig, und sein Aussehen entsprach ganz und gar nicht dem Schönheitsideal des siegreichen Vollbluts. In Wirklichkeit ist das Buch aber die Geschichte einer Symbiose von Mensch und Tier, die nur funktionierte, weil der Zufall die richtigen Partner zusammenbrachte.
Charles Howard hatte seine Millionen verdient, indem er frühzeitig auf diese seltsame Erfindung namens Automobil gesetzt hatte. Im Grunde war das eine Wette auf einen krassen Außenseiter. Nur wenige sahen damals den Siegeszug dieser klapprigen motorisierten Kutschen voraus. Nachdem Howard damit reich geworden war, leistete er sich einen Reitstall. Auch hier versuchte er wieder sein Glück mit Außenseitern: mit billigen Tieren, die vielleicht Potential hatten.
Sein Trainer war Tom Smith, ein notorischer alter Eigenbrötler, der sich mit Pferden unendlich viel besser verstand als mit Menschen. Die Indianer nannten ihn den "Einsamen der Ebenen". Er gab Howard 1936 den Rat, den bis dahin erfolglosen Seabiscuit zu erwerben: "Kaufen Sie mir das Pferd. Es hat, was es braucht. Ich kann es verbessern. Ich bin mir ganz sicher." Dieses Plädoyer muß eine der längsten Reden seines Lebens gewesen sein.
Als Jockey engagierte man Red Pollard. Er war ein Verlierer wie Smith, wie Seabiscuit. Auf einem Auge war er blind, was er aber verheimlichen mußte, um nicht seine Lizenz zu verlieren. In seiner Freizeit las er Shakespeare, Ralph Waldo Emerson und Omar Khayyam. Smith erinnerte sich vage an Pollards Erfolge in der Vergangenheit und daran, daß man ihn früher einmal den "Puma" genannt hatte. Pollard wurde Seabiscuits Reiter. Nur wenn er sich wieder einmal von einem seiner schweren Stürze erholte, vertrat ihn sein alter Freund George Woolf, genannt der Eismann. Dieser litt bereits unter dem Diabetes, an dem er mit fünfunddreißig sterben sollte.
Zwischen 1936 und 1940 entwickelte sich Seabiscuit zu einem der besten Rennpferde, die es je gab. Die Popularität des Hengstes war in den Vereinigten Staaten immens. Zwischendurch wurde er immer wieder von Pechsträhnen geplagt. Mit Nässe tat er sich ähnlich schwer wie der großartige Feuerball. Deshalb mußte er oft kurzfristig zurückgezogen werden, wofür seine Fans kein Verständnis hatten. Nach einer langen Verletzungspause von einem Jahr gewann Seabiscuit 1940 als krönenden Abschluß seiner Karriere noch überlegen das Santa Anita Handicap, das bestbezahlte Rennen der Welt.
Das Buch ist mitreißend geschrieben. Hillenbrand hat vier Jahre daran gearbeitet, also genauso lange, wie die geschilderten Hauptereignisse dauerten. Die Quellenangaben umfassen 27 engbedruckte Seiten. Über das eigentliche Thema hinaus erfährt man viel über das Leben der Menschen, speziell der Jockeys, auf den Rennbahnen in den Vereinigten Staaten während und nach der Zeit der großen Depression. Und das ist eigentlich eine sehr traurige Geschichte. Das Los der Reiter war längst nicht so angenehm wie das der Pferde. Die Bezahlung war schlecht, schwere Unfälle häufig und die Absicherung im Notfall miserabel. Das war selbst bei dem Star Red Pollard so und noch weit ausgeprägter bei seinen anonymen Kollegen. Wer in den Graben fällt, wird bekanntlich von den Raben gefressen.
ERNST HORST
Laura Hillenbrand: "Der Hufschlag des Siegers". Die Geschichte eines legendären Rennpferds. Aus dem Amerikanischen von Gunter Blank. Econ Verlag, München 2001. 446 S., Abb., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
PS-Stärken sponsern Pferdeflüsterer: Laura Hillenbrand berichtet vom amerikanischen Galopprennen zur Zeit der großen Depression
Die kleinen Drahtigen haben im Leben ein Handicap. Mit ihrem schmächtigen Körper fällt es ihnen schwer, Autorität glaubhaft auszuüben. Deshalb bekommen sie nie die guten Jobs als Zuhälter, Professor oder Bundeskanzler. Zu den wenigen Orten, wo sie gefragt sind, zählen die Pferderennbahnen. Als Jockey muß man klein und drahtig sein.
Red Pollard war ein legendärer amerikanischer Jockey. Auf Seabiscuit errang er in den Jahren 1936 bis 1940 einige der großartigsten Siege in der Geschichte des Rennsports. In Laura Hillenbrands Buch mit dem etwas albernen deutschen Titel "Der Hufschlag des Siegers" wird von diesen vier Jahren seines Lebens berichtet, die in die Annalen des Rennsports eingingen.
Vordergründig betrachtet, steht der Hengst im Mittelpunkt des Berichts. Auch er war klein und drahtig, und sein Aussehen entsprach ganz und gar nicht dem Schönheitsideal des siegreichen Vollbluts. In Wirklichkeit ist das Buch aber die Geschichte einer Symbiose von Mensch und Tier, die nur funktionierte, weil der Zufall die richtigen Partner zusammenbrachte.
Charles Howard hatte seine Millionen verdient, indem er frühzeitig auf diese seltsame Erfindung namens Automobil gesetzt hatte. Im Grunde war das eine Wette auf einen krassen Außenseiter. Nur wenige sahen damals den Siegeszug dieser klapprigen motorisierten Kutschen voraus. Nachdem Howard damit reich geworden war, leistete er sich einen Reitstall. Auch hier versuchte er wieder sein Glück mit Außenseitern: mit billigen Tieren, die vielleicht Potential hatten.
Sein Trainer war Tom Smith, ein notorischer alter Eigenbrötler, der sich mit Pferden unendlich viel besser verstand als mit Menschen. Die Indianer nannten ihn den "Einsamen der Ebenen". Er gab Howard 1936 den Rat, den bis dahin erfolglosen Seabiscuit zu erwerben: "Kaufen Sie mir das Pferd. Es hat, was es braucht. Ich kann es verbessern. Ich bin mir ganz sicher." Dieses Plädoyer muß eine der längsten Reden seines Lebens gewesen sein.
Als Jockey engagierte man Red Pollard. Er war ein Verlierer wie Smith, wie Seabiscuit. Auf einem Auge war er blind, was er aber verheimlichen mußte, um nicht seine Lizenz zu verlieren. In seiner Freizeit las er Shakespeare, Ralph Waldo Emerson und Omar Khayyam. Smith erinnerte sich vage an Pollards Erfolge in der Vergangenheit und daran, daß man ihn früher einmal den "Puma" genannt hatte. Pollard wurde Seabiscuits Reiter. Nur wenn er sich wieder einmal von einem seiner schweren Stürze erholte, vertrat ihn sein alter Freund George Woolf, genannt der Eismann. Dieser litt bereits unter dem Diabetes, an dem er mit fünfunddreißig sterben sollte.
Zwischen 1936 und 1940 entwickelte sich Seabiscuit zu einem der besten Rennpferde, die es je gab. Die Popularität des Hengstes war in den Vereinigten Staaten immens. Zwischendurch wurde er immer wieder von Pechsträhnen geplagt. Mit Nässe tat er sich ähnlich schwer wie der großartige Feuerball. Deshalb mußte er oft kurzfristig zurückgezogen werden, wofür seine Fans kein Verständnis hatten. Nach einer langen Verletzungspause von einem Jahr gewann Seabiscuit 1940 als krönenden Abschluß seiner Karriere noch überlegen das Santa Anita Handicap, das bestbezahlte Rennen der Welt.
Das Buch ist mitreißend geschrieben. Hillenbrand hat vier Jahre daran gearbeitet, also genauso lange, wie die geschilderten Hauptereignisse dauerten. Die Quellenangaben umfassen 27 engbedruckte Seiten. Über das eigentliche Thema hinaus erfährt man viel über das Leben der Menschen, speziell der Jockeys, auf den Rennbahnen in den Vereinigten Staaten während und nach der Zeit der großen Depression. Und das ist eigentlich eine sehr traurige Geschichte. Das Los der Reiter war längst nicht so angenehm wie das der Pferde. Die Bezahlung war schlecht, schwere Unfälle häufig und die Absicherung im Notfall miserabel. Das war selbst bei dem Star Red Pollard so und noch weit ausgeprägter bei seinen anonymen Kollegen. Wer in den Graben fällt, wird bekanntlich von den Raben gefressen.
ERNST HORST
Laura Hillenbrand: "Der Hufschlag des Siegers". Die Geschichte eines legendären Rennpferds. Aus dem Amerikanischen von Gunter Blank. Econ Verlag, München 2001. 446 S., Abb., geb., 44,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Um Pferde geht's, doch mitnichten um den Stoff, aus dem die Mädchenträume sind. Vielmehr erkennt Michael Althen in diesem Buch den "ungerührten Blick der Ethnografin auf einen Menschenschlag, der sein Leben den seltsamen Ritualen des Pferderennsports widmet". Was wieder bedeutet, dass neben dem Pferd ("Sea Biscuit"), "das populärer war als Roosevelt, Hitler und Mussolini", auch die Geschichte der Leute an seiner Seite sowie die Geschichte ihres Landes zur Sprache kommt. Spannend, in der Lesart des amerikanischen Traums geschildert findet Althen, wie den tragischen Niederlagen endlich der Ruhm folgte, aber auch, wie Pferde und Jockeys in den Dreißigern "gnadenlos verheizt" wurden: Berichte über Methoden wie das Bandwurmeierschlucken zwecks Gewichtsregulierung lehren den Leser das Gruseln.
© Perlentaucher Medien GmbH
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