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"Große Kunst" Le Monde
Mitte des 18. Jahrhunderts. Der junge Prinz Ferdinand von Parma, Enkel des französischen Königs, wird zum Gegenstand eines einzigartigen pädagogischen Experiments. Seine Eltern wollen einen modernen, aufgeklärten Monarchen aus ihm machen und holen dafür die besten Lehrer aus Frankreich. Das Experiment soll den Glauben der Zeit an die Macht der Erziehung bestätigen. Halb Europa schaut gespannt nach Parma. Doch die Hoffnungen der Zeit, die das Kind auf seinen schwachen Schultern trägt, werden bitter enttäuscht. Denn schon früh entwickelt sich der Zögling der Aufklärung…mehr

Produktbeschreibung
"Große Kunst"
Le Monde

Mitte des 18. Jahrhunderts. Der junge Prinz Ferdinand von Parma, Enkel des französischen Königs, wird zum Gegenstand eines einzigartigen pädagogischen Experiments. Seine Eltern wollen einen modernen, aufgeklärten Monarchen aus ihm machen und holen dafür die besten Lehrer aus Frankreich. Das Experiment soll den Glauben der Zeit an die Macht der Erziehung bestätigen. Halb Europa schaut gespannt nach Parma. Doch die Hoffnungen der Zeit, die das Kind auf seinen schwachen Schultern trägt, werden bitter enttäuscht. Denn schon früh entwickelt sich der Zögling der Aufklärung zu einem Sohn der Finsternis. Hatte der Vater Ferdinands noch die Jesuiten aus seinem Herzogtum vertrieben und die Kirchengüter konfisziert, so neigt Ferdinand bereits als Kind zu Frömmelei und Aberglauben. Als Herrscher von Parma führt er die Inquisition wieder ein, stärkt die Macht der Kirche und holt die Jesuiten zurück ins Land.

Elisabeth Badinter, die große Erforscherin der europäischen Aufklärung, erzählt die Geschichte Ferdinands in ihrem schlanken Buch mit Spannung und funkelnder Eleganz. Es ist die Geschichte einer ehrgeizigen Erziehung, die das Herz ihres Zöglings nicht zu erreichen vermag.
Autorenporträt
Elisabeth Badinter, geboren 1944 in Boulogne-Billancourt, ist Professorin für Philosophie an der Ecole Polytechnique in Paris. Sie veröffentlichte zahlreiche Studien zur Soziologie und Familie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2010

Nicht ohne meine Reliquien!

Ein Fürst der Aufklärung hätte aus ihm werden sollen, doch es kam ganz anders: Elisabeth Badinter beschwört am Beispiel des jungen Herzogs von Parma die Grenzen der Erziehung.

In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, als während des siebenjährigen Krieges auf den Schlachtfeldern Europas gerade über die Verteilung der Macht gerungen wurde, wuchs in dem kleinen Herzogtum Parma ein Junge heran. Vermutlich hätte sich niemand weiter für ihn interessiert, wäre er nicht Teil eines "pädagogischen Experiments" gewesen, das so krachend scheiterte, dass man auch in Paris, Madrid und Wien davon Notiz nehmen musste. Ferdinand von Parma war im Jahr 1757 gerade sechs Jahre alt, als seine Mutter beschloss, aus ihm einen Vorzeigefürsten zu machen. In ganz Frankreich hatte sich Louise Elisabeth, eine Tochter des französischen Königs Ludwig XV., nach geeigneten Lehrern für ihren Sohn umgesehen. Und anders als jahrhundertelang üblich, fiel ihre Wahl dabei nicht auf einen Geistlichen, sondern auf zwei Vertreter der Aufklärung.

Den aus niederem bretonischen Adel stammenden Auguste de Keralio hatte man ihr als "gradlinigen, kultivierten, polyglotten Berufssoldaten" beschrieben. Ihn machte sie zum Hofmeister ihres Sohnes, der mit der "moralischen Erziehung" des Knaben betraut war. Gleichzeitig wurde der Abbé de Condillac - ein Mann, dem man großen Einfluss auf das Triumvirat um die Enzyklopädie nachsagte - als Hauslehrer damit beauftragt, dem Jungen Wissen zu vermitteln. Im Klartext hieß das: Man erwartete von den beiden nicht weniger, als aus dem Jungen einen "Fürsten der Aufklärung", einen vernünftigen Herrscher, zu formen.

Die Geschichte dieses eigenwilligen Projektes hat die französische Soziologin und Philosophin Elisabeth Badinter aufgeschrieben. In ihrem Buch versucht sie anhand von Briefen, Zeitzeugenberichten und Aufsätzen zu ergründen, warum es misslang. Natürlich ist die Deutung solcher Ereignisse mit einem zeitlichen Abstand von mehr als zweihundertfünfzig Jahren immer schwierig. Und doch scheint die Quellenlage einigermaßen ergiebig, jedenfalls reicht sie aus, um eine ausgesprochen spannende Geschichte von dem Ringen zwischen Aufklärung und religiösem Fanatismus zu erzählen.

Kaum waren die beiden Erzieher in Parma eingetroffen, befand sich der junge Prinz von früh bis spät in ihrer Begleitung. Condillac lehrte dabei nach einer Methode, die er selbst entwickelt hatte und die den Schüler das Tempo des Unterrichts bestimmen lassen wollte. "An die Stelle der Autorität tritt die Kooperation", schreibt Badinter, was allerdings nicht heißen soll, dass die Erziehungsberechtigten auch auf die seinerzeit üblichen körperlichen Züchtigungen verzichtet hätten. In seinen Memoiren, die Ferdinand schon im Alter von neunzehn Jahren schrieb, hielt er fest, dass er häufig bestraft wurde - "mal für meine Ungeduld, mal für meine Faulheit, hauptsächlich aber wegen meiner Schreibübungen". Interessant ist in diesem Zusammenhang eine im Buch zitierte Schrift, die Ferdinands ältere Schwester Isabella in den Jahren 1762 und 1763 verfasst hat. In den nie veröffentlichten "Réflexions sur l'éducation" (Betrachtungen über die Erziehung) weist Isabella auf die Gefahren der Machtfülle hin, welche die Lehrer genießen würden. Die daraus resultierende Erziehung war in ihren Augen Schuld daran, dass die Kinder "gewalttätig, ungeduldig und störrisch" würden.

Auch Ferdinand selbst machte später ebenjene Erziehung dafür verantwortlich, dass er sich früh Nischen schaffte, in denen er sich vor dem Einfluss seiner Lehrer sicher fühlte. Denn schon als Kind empfand er eine Neigung zur Religion. Sein Studierzimmer hatte er bald wie eine Kirche eingerichtet, an deren Wänden zahlreiche Heiligenfiguren hingen, die ihn über die Maßen faszinierten. Seine Lehrer kritisierten diese Begeisterung für Reliquien und den Rosenkranz zwar als "Dienstmagdfrömmelei". Aber Diener sorgten dafür, dass Ferdinand in regem Austausch mit Priestern und Mönchen aus Parma stand - heimlich. In den Briefen der Besucher, die seinerzeit in der Stadt Station machten, findet sich deswegen auch so gut wie gar keine Bemerkung über die tiefe Religiosität des Prinzen. Stattdessen ergingen sich die meisten Gäste in Lobeshymnen über seine Erziehung, die sich bald in ganz Europa verbreiteten.

Auch Condillac und Keralio haben wenig getan, um die Zweifel, die sie hegten, in die Öffentlichkeit zu tragen. Fest steht aber, dass ihnen die religiösen Neigungen ihres Zöglings keineswegs verborgen geblieben waren. Elisabeth Badinter zitiert aus Briefen Keralios, in denen er seinem Unmut sowohl über die obsessive Frömmigkeit als auch über den Hang des Prinzen, sich mit Menschen unterhalb seines Standes, mit Dienern und Bauern, zu umgeben, sehr deutlich Ausdruck verleiht.

Aber vergebens: Prinz Ferdinand wurde genau der, der er nicht werden sollte. Kaum hatten seine Erzieher den Hof im Jahr 1769 verlassen, schaffte er dort die Etikette ab, ließ zuvor verbannte Jesuiten zurück nach Parma kommen und führte die Inquisition wieder ein. Der Darstellung Badinters zufolge wirkt es beinahe, als hätte er sich mit kindlichem Trotz für all die Einschränkungen rächen wollen, denen er in seiner Jugend ausgesetzt war. Er vertrieb den Premierminister, der jahrelang die Geschicke des Herzogtums geleitet hatte, und widersetzte sich so lange den Ermahnungen der französischen, spanischen und österreichischen Königshäuser, bis die ihm jede Unterstützung entzogen. Das Herzogtum von Parma verarmte.

Nichtsdestotrotz - und darin liegt ein Verdienst dieses Buches - beschreibt Elisabeth Badinter Ferdinand keineswegs nur als den "Frömmler", als der er bald überall in Europa galt. Für sie war er vielmehr beides: ein aufgeklärter Herzog, der sich für die Fortschritte der Naturwissenschaften und der Künste interessierte, und gleichzeitig ein Mann mit einem "unwiderstehlichen Hang" zu religiösen Praktiken, die seinem Stande nicht angemessen waren. Folgt man Badinter, dann lag der Fehler deswegen auch weniger bei Ferdinand. Vielmehr bei seinen Zeitgenossen, die so verbissen an die Kräfte der Vernunft glaubten, dass sie den Einflüssen der Natur, der Umgebung und der Art der Erziehung selbst keinerlei Bedeutung beimaßen. "Der Infant von Parma" ist deswegen nicht nur ein Buch über Ferdinand, sondern vor allem ein glänzendes Lehrstück über die Erziehung - und ihre Grenzen.

LENA BOPP

Elisabeth Badinter: "Der Infant von Parma oder Die Ohnmacht der Erziehung". Aus dem Französischen von Thomas Schultz. C.H. Beck Verlag, München 2010. 144 Seiten, geb., 17,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das Buch würde Jutta Person der Autorin gern selbst zur aufmerksamen Lektüre geben. So schlank, geist- und kenntnisreich die feministische Philosophin Elisabeth Badinter der Rezensentin den historischen Fall einer an ihren hohen Ambitionen gescheiterten Erziehung im Sinne der Aufklärung vermittelt und dabei Grundsätzliches zutage fördert, so blind scheint ihr die Autorin mitunter im Hinblick auf den eigenen "Systemzwang" zu sein. Laut Person gilt das allerdings für Badinters Polemik gegen eigentlich emanzipierte Frauen, nicht für die hier schon mal mit Empörung erzählte Geschichte eines Super-Lehrplans, eines überforderten Infanten und eines politischen Kräftespiels. Spannung gewinnt der Text für Person aber dennoch aus dem Umstand, dass die Autorin sich selbst durchaus als Erzieherin zum Guten sieht.

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