Was bedeutet Politik für die Menschen - ein überraschendes Buch über deutsche VerhältnisseWie aufregend Politik sein kann, wenn man sich nur traut, die ausgetretenen Pfade zu verlassen, das zeigt Frank Plasberg jede Woche in seiner erfolgreichen Fernsehsendung Hart aber fair. In seinem Buch berichtet er nun von Begegnungen und Erlebnissen in einem Land, das uns irgendwie fremd geworden ist: Deutschland.Der Inlandskorrespondent - dieser Buchtitel steht für eine Berufsbezeichnung, die es eigentlich gar nicht gibt. Vom Posten des Auslandskorrespondenten träumt jeder Volontär. Aber wer sagt eigentlich, dass die wahren journalistischen Abenteuer heute nicht auch im eigenen Land liegen können?Frank Plasberg nimmt seine Leser mit auf eine Entdeckungstour in die Wirklichkeit und trägt Geschichten zusammen, die in der Politikberichterstattung häufig unerzählt bleiben. Lakonisch und humorvoll beschreibt Plasberg, wie überfällige Debatten, kaum haben sie begonnen, schon wieder in Ritualen erstarren. Er überschreitet, wo es nötig ist, die Grenzen politischer Korrektheit, um dahin zu gelangen, wohin sich die Politik selten wagt: mitten ins Leben. Die Konfliktlinien in unserer Gesellschaft verlaufen längst nicht mehr entlang der Parteigrenzen, sondern zwischen denen, die Politik machen und denen, die die Auswirkungen der Politik zu spüren bekommen.Und je länger man Plasberg auf seiner Entdeckungstour durch das Dickicht der Meinungen und Interessen folgt, umso mehr schwant einem: Die Wirklichkeit erscheint nur solange einfach und wohl geordnet, wie Politiker und Funktionäre darüber reden. Wer genauer hinschaut entdeckt: Es wird viel geredet, aber nicht alles ausgesprochen."Bei Plasberg gibt es weder Geschwätz noch Gedröhne, kein eitles Rumgemache. Konzentriert bricht er die Klischees, lässt durch trockene, kurze Fragen die Kandidaten sich gegenseitig korrigieren, sich gegenseitig die Luft herausnehmen. In welcher Talk-Sendung gibt es das denn sonst: dass man nicht eine Minute lang das Gefühl hat, seine Lebenszeit zu verbraten?" Frankfurter Allgemeine Zeitung"Plasberg ist der Dranbleiber, einer der sich nicht abschütteln lässt." Süddeutsche Zeitung
Frank Plasberg lässt in seiner Sendung "Hart aber fair" Geschichten zu Wort kommen, die im Fernsehen sonst nicht zu finden sind. Die faszinierendsten dieser Geschichten legt er in diesem Buch vor.
Von Christian Geyer
Was sind für einen Journalisten "Schicksale"? Frank Plasberg spricht in seinem Buch an einer Stelle von "brauchbaren Schicksalen". Und dieses Wörtchen "brauchbar" ist in der Tat das Adjektiv, mit dem Schicksale gemeinhin verbunden werden, um im journalistischen Filter hängenzubleiben. Ein Schicksal, das den dramaturgischen Anforderungen der Berichterstattung nicht genügt - weil es zum Beispiel zu komplex ist, um sich einfach erzählen oder bebildern zu lassen -, ein solches Schicksal fällt aus dem Fernsehen von vorneherein heraus.
Nicht so bei Plasberg. Zunächst: Plasberg hat das Wörtchen "brauchbar" nur zitiert. Und zwar an der Stelle seines Buches "Der Inlandskorrespondent", wo er sich an die Einführung von Hartz IV erinnert: "Arbeitsloseninitiativen und Schuldnerberatungen bekamen hektische Anrufe der Medien, die nach brauchbaren Schicksalen für ihre Berichterstattung fahndeten." Es ist völlig selbstverständlich, dass jeder Dramaturg - und Journalisten sind auch Dramaturgen - nach Stoffen greift, mit denen sich eine Geschichte erzählen lässt, und dass er andere Stoffe, mit denen sich keine Geschichte erzählen lässt, links liegenlässt. Das kann man dem Jornalisten nicht vorhalten, das gehört zum Einmaleins des Handwerks. Die Frage ist allein, ob der Handwerker das Handwerk im Griff hat oder ob es umgekehrt ist: ob das Handwerk den Handwerker im Griff hat. Im letzteren Fall spricht man von déformation professionnelle.
Plasberg ist - bis jetzt - von derlei Deformation frei. Er hat sich die Fähigkeit erhalten, hinter seine Geschichten zurückzutreten und sie gleichwohl anzuleiten. Ihn interessieren die Schicksale, mit denen er beruflich zu tun hat, nicht als Techniker einer fertigen Dramaturgie, sondern als Künstler, der sich durch seinen Stoff verblüffen lässt und die dramaturgische Vorlage im Zweifel auch über den Haufen schmeißen kann, wenn die Schicksale nach einer anderen Dramaturgie als der vorbereiteten verlangen. Ebendeshalb darf man Plasberg einen begnadeten Dramaturgen nennen. Das ist jedenfalls der Eindruck, wenn man regelmäßig seine Sendung "Hart aber fair" sieht, die glücklicherweise demnächst ins Hauptprogramm der ARD kommen wird. Und das ist auch der Eindruck, den man gewinnt, wenn man Plasbergs Buch "Der Inlandskorrespondent" liest, ein Buch, in dem er besonders aussagekräftige Geschichten, die er für das Fernsehen recherchierte, uns noch einmal in schriftlicher Form vorstellt und kommentiert.
"Manchmal lohnt es sich", schreibt er in diesem Buch, "genauer hinzuschauen und vor allem über einen längeren Zeitraum, damit ein Beispiel mehr als einen flüchtigen Eindruck oder nur einen Beleg für eine vorgefasste Meinung liefert." Es ist dieser genaue Blick, der Plasbergs Sendungen auszeichnet, sein Wille, herauszubekommen, wie sich ein Fall in Wirklichkeit verhält - jenseits von den Stimmungen der politischen Korrektheit und völlig unabhängig von der im Grunde ja sehr unjournalistischen Ansicht, wonach eine Story schon dann als gelungen gilt, wenn sie sich als juristisch wasserdicht erweist. "Wer das Interesse der Zuschauer an Themen mit Gesprächswert befriedigen will, der muss eben selbst Lust an Geschichten und vor allem am Weitererzählen haben. Und genau da fängt im Fernsehen das Problem oft an: Ist die Story einfach und plastisch genug, um sie kompakt erzählen zu können? Oft heißt die Antwort: ,Toller Stoff, funktioniert aber nicht bei uns.'". Das Tolle an Plasberg ist, dass er sich durch solche Antworten nicht ins Boxhorn jagen lässt. Er realisiert immer wieder auch Storys, die bei anderen nicht funktionieren würden. Das vorliegende Buch gibt davon beredte, bisweilen atemlos machende Zeugnisse.
Eine einzige dieser faszinierenden Geschichten ist nicht verfilmt worden, steht also nur im Buch. Es ist die Geschichte, die unter der Überschrift "Wo kommen wir denn da hin?" zugleich von hoher literarischer Qualität ist. Erzählt wird darin der Leidensweg des Unternehmensberaters Thomas W., der im Bemühen, in eigener Regie ein Wohnatelier für seine Familie und seine Arbeit zu bauen, tief in den Sumpf der widersinnigen Behördenlogik gerät. Aber diese Geschichte blieb nicht etwa deshalb unverfilmt, weil sie Plasberg zu komplex gewesen wäre - sie ist wahrhaftig komplex! -, sondern weil ihre Hauptfigur um Vertrauensschutz gebeten hat und diesen Schutz auch erhielt.
Mit anderen Worten: Plasberg gehört nicht zu den Recherchemaschinen, nicht zu jenen Getriebenen, die heute euphorisch eine Geschichte hochziehen, die sie morgen schon wieder vergessen haben. Er lässt es sich nicht nehmen, seine Geschichten auch zu durchdenken, Spielraum für ein Urteil zu gewinnen, das über den Tag hinaus Bestand hat. Deshalb macht er mit den Schicksalen, die ihm begegnen, nicht einfach kurzen professionellen Prozess, sondern lässt sie in ihren Widersprüchen zu Wort kommen, gewichtet, was an ihnen verallgemeinerungsfähig ist und was gerade nicht. "In politischen Diskussionen", schreibt er, "können Beispiele trotz ihrer Beliebigkeit wichtige Argumente sein. Sie ersetzen keine Statistiken, und sie widerlegen keine Konzepte, aber sie erinnern Volksvertreter daran, warum sie so heißen. Gerade dann, wenn Politiker auf Automatik schalten und ihre Mauer vorgefertigter Textbausteine aufschichten, können Beispiele etwas Wohltuendes bei ihnen auslösen: sprachloses Erstaunen. Das sind - auch wenn sie selbst es vielleicht anders empfinden - nicht ihre schlechtesten Momente. Ich gebe gerne zu, dass ich diebische Freude empfinde, wenn ich erlebe, wie eine mit hohem Erregungspegel geführte Diskussion aus den Höhen politischer Rhetorik durch ein lebendiges Beispiel auf den Boden der Tatsachen zurückstürzt."
Es ist diese diebische Freude, die sich den Zuschauern von "Hart aber fair" ebenso mitteilt wie den Lesern dieses Buches. Bei alledem vermeidet Plasberg jedes Gewese um "Betroffenheit". Er nähert sich den Betroffenen nicht mit der Betulichkeit der "Einfühlung", die aus manchem Fernsehmoderator einen Anstandswauwau macht. Plasberg legt es nicht darauf an, in seinen Gesprächspartnern "Vertrauen aufzubauen", er interessiert sich einfach für sie. Deshalb vertrauen sie ihm. Deshalb schauen wir ihm zu. Und können ihn - in diesem Buch hier - jetzt auch lesen.
Frank Plasberg: "Der Inlandskorrespondent". Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft. Mit Klaus Frings. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 200 S., geb., 14,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Tolle Sendung, tolles Buch, findet Christian Geyer, der Frank Plasberg als TV-Journalist offenkundig hoch schätzt. Dafür, dass Plasberg weder "Recherchemaschine" noch betulicher "Anstands-Wauwau" ist, sondern sich bevorzugt für die sperrigen Geschichten interessiert, dankt er dem Autor herzlich. Sogar bereits Gesendetes macht ihn in Plasbergs Text-Präsentation wiederum atemlos und lässt ihn die Widersprüche der geschilderten Schicksale spüren. Die "diebische Freude" Plasbergs bei der Erdung politischer Rhetorik durch lebendige Beispiele teilt sich dem Rezensenten, schauend wie lesend, unmittelbar mit.
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»Das Tolle an Plasberg ist, dass er sich nicht ins Boxhorn jagen lässt. Er realisiert immer wieder auch Storys, die bei anderen nicht funktionieren würden.« Christian Geyer FAZ