Ein Leben für die Kunst
Als 26-jähriger, junger promovierter Kunsthistoriker tritt Wilhelm Wartmann seine Stelle in der Züricher Kunstgesellschaft nur wenig vor der Eröffnung des neuen Züricher Kunsthauses an und sollte dieses während seiner über 40-jährigen Amtszeit von 1910 bis 1950 als einer
der bedeutendsten Museumsdirektoren der Schweiz prägen. „Die Grenzüberschreitungen des…mehrEin Leben für die Kunst
Als 26-jähriger, junger promovierter Kunsthistoriker tritt Wilhelm Wartmann seine Stelle in der Züricher Kunstgesellschaft nur wenig vor der Eröffnung des neuen Züricher Kunsthauses an und sollte dieses während seiner über 40-jährigen Amtszeit von 1910 bis 1950 als einer der bedeutendsten Museumsdirektoren der Schweiz prägen. „Die Grenzüberschreitungen des kunsthistorischen, wissenschaftlichen, publizistischen und sozialen Engagement und ihre Einbettung in einen zeitgeschichtlichen Kontext bilden den Rahmen dieser [kunstwissenschaftlichen] Biografie.“ (aus der Einleitung)
Die Inhalte basieren auf dem Archiv des Kunsthauses und des Familienbesitzes Wartmanns. Der Reiz liegt hier besonders in dem Wechsel der administrativen Sprache Wartmanns aus den offiziellen Unterlagen des Kunsthauses und dem Privatnachlass, welcher mehr Denkvorgänge, persönliche Vorstellungen und Gedanken offenbart.
Mit einem Gewicht von über einem Kilogramm ist der etwa 25 x 18 cm große Band etwas schwer, um ihn ermüdungsfrei in der Hand haltend zu lesen. Das Buch ist mittels Fadenheftung, die heute leider nicht immer selbstverständlich ist, in einem matt kaschierten, farbigen Hardcovereinband gebunden. Auf die rosa-beigen und grünen Farben des von Edvard Munch gemalten Porträts Wilhelm Wartmanns auf dem Einband, sind die Vorsätze und ebenso die Kapitalbänder und das Lesebändchen abgestimmt. Mit den gleichen Farben ganzseitig bedruckte Seiten trennen die einzelnen Kapitel auch optisch voneinander.
So zeigt sich im Äußeren bereits eine liebevolle Gestaltung in solider Verarbeitung.
Eine übersichtliche Gliederung, die sich innerhalb der Kapitel an der Chronologie der Ereignisse orientiert, erleichtert mit Inhaltsverzeichnis und ausführlichem Personenregister im Anhang auch das nachträgliche Auffinden der Inhalte in den 17 einzelnen, jeweils etwa zwischen 10 bis 30 Seiten langen Kapiteln. Zahlreiche, zumeist farbige Abbildungen von Kunstwerken oder Schwarz-Weiß-Fotografien von Ausstellungsansichten oder aus dem Familienleben Wartmanns lockern die Lektüre auf.
Die Autorin Iris Bruderer-Oswald vermittelt dem Leser anschaulich die Leitung und die Arbeit eines Kunsthauses, eingebettet in die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der Zeit. Geschildert wird dies zuweilen sehr detailliert und ausführlich.
Besonders aufschlussreich empfand ich die Passagen, in denen Begegnungen von Wilhelm Wartmann mit Künstlern beschrieben werden: mit Ferdinand Hodler, von dem das Kunsthaus Zürich recht früh einen umfangreichen Sammlungsbestand aufbauen kann, und mit Edvard Munch sowie Oskar Kokoschka. Beiden letzteren werden eigene Kapitel gewidmet, in dem die Autorin das mühsame Zusammentragen verstreuter Munch-Werke aus Privat- und Künstlerbesitz bzw. Museumsbeständen für eine große Munch-Ausstellung im Kunsthaus Zürich und ausführlich den Entstehungsprozess des von Munch gemalten Porträts, welches als Ausschnitt einer später überarbeiteten Version auf dem Bucheinband und als Ganzes als Farbabbildung im Kapitel abgebildet wird, schildert. Die Genese des Porträts wird mit zahlreichen Abbildungen von Skizzen, Studien und Fotografien bebildert. Das Kunsthaus beherbergt in der Folge die größte Sammlung Munchs ausserhalb Norwegens.
Obwohl sich das Kunsthaus betont schweizerischer Kunst zuwendet, werden dort auch völlig andere Themen präsentiert und im Buch dargestellt: Glasgemälde und Wappenscheiben (zu denen Wartmann promovierte), mittelalterliche Tafelmalerei, fernöstliche Holzschnitte. Gemeinschaftsausstellungen wechseln mit monografischen Ausstellungen zu Schweizer und internationalen Künstlern: Max Liebermann, Lovis Corinth, Henri Matisse, Picasso, Félix Vallotton, Camille Corot, Gustave Courbet, Eugène Dekacroix, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Le Corbusier, Pierre Bonnard, Georges Rouault ... um nur einige zu nennen.
Das Kunsthaus Zürich bildet nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland bewusst einen Gegenpol, um der einsetzenden Verunglimpfung moderner Kunst entgegen zu wirken. Auch dient das Kunsthaus vorerst als Zufluchtsort für einen Teil der in Deutschland bedrohten Werke oder Sammlungen aus jüdischem Besitz, indem diese im Kunsthaus ausgestellt oder dort eingelagert werden. Ein Aspekt, der mir in dieser Weise nicht bekannt war.
Der Leser erhält wertvolle Einblicke in die Gedanken- und Arbeitswelt eines Kunstinstitutsleiters und -kurators sowie in die Konzeption, Vorbereitung und Durchführung von Ausstellungen und deren wissenschaftliche Begleitung mit Vorträgen und herausgegebenen Ausstellungskatalogen.
Eine Welt, die dem Ausstellungsbesucher in der Regel verborgen bleibt. Manches mag sich in ähnlicher Weise auf andere Ausstellungshäuser und Kunstinstitute übertragen lassen. Somit stellt diese wissenschaftliche Biografie Wilhelm Wartmanns letztlich für alle Kunstinteressierten und Ausstellungsbesucher eine bereichernde Lektüre dar.