Warum kam nach Kriegsende 1945 kein Friedensvertrag mit Deutschland zustande? Weshalb konnten sich die Alliierten auf den Konferenzen der vierziger und fünfziger Jahre nicht über die Inhalte verständigen? Hanns Jürgen Küsters hat erstmals umfassend die Verhandlungen der Vier Mächte und der beiden deutschen Staaten über einen Friedensvertrag untersucht.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Werner Bührer hat wenig Gutes zu dieser Studie über die Verhandlungen der vier Siegermächte über die Friedensregelungen mit Deutschland zu sagen. Ungehalten ist er über den überbordenden Anmerkungsapparat, den er schlicht "übertrieben" findet. Auch die Argumente zur "Westintegration" seien "wenig überzeugend". Das Fazit des Rezensenten ist allerdings überraschend: Zwar biete das Buch kaum "neue Erkenntnisse" zum Thema, doch als "präzise und fundierte Analyse" der Viermächte-Verhandlungen findet er die der klassischen Diplomatiegeschichte verpflichteten Studie "unübertroffen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2001Konferenz-Mikado
Wie Deutschland seinen Frieden fand
HANNS JÜRGEN KÜSTERS: Der Integrationsfriede. Viermächte-Verhandlungen über die Friedensregelung mit Deutschland 1945-1990. R. Oldenbourg Verlag, München 2000. 1026 Seiten, 128 Mark.
Zehn Jahre nach der Vereinigung des geteilten Deutschland nimmt die Beschäftigung mit den Ursachen der Teilung als auch der Erlangung der Einheit zunehmend akademischen Charakter an. Abgesehen von dem kurzen Streit darüber, wer die Einheit gewollt hat, ist von der früheren politischen Brisanz nicht mehr viel zu spüren. Geschichts- und Politikwissenschaftler haben sich des Themas bemächtigt: Nach der vierbändigen „Geschichte der deutschen Einheit” und der mehr als 1600 Seiten umfassenden Aktenedition „Deutsche Einheit”, zu der Küsters eine monographische Einleitung beigesteuert hat, liegt nun vom selben Autor ein weiteres Produkt akademischer Gelehrsamkeit vor. 900 Seiten Text, 100 Seiten Quellen- und Literaturverzeichnis, 20 Seiten Register, fast 4500 Anmerkungen – mitunter gleich drei pro Satz. Nichts gegen den Nachweis profunder Literaturkenntnis. Doch wenn beispielsweise die Erwähnung de Gaulles als Anlass dient, in einer Fußnote das vollständige Memoirenwerk plus deutscher Ausgaben sowie die Bände mit Reden, Briefen und Notizen des Generals aufzulisten, dann wirkt das übertrieben.
Sieg und Niederlage
Zum Inhalt: Die Studie versteht sich als „thematisch und zeitlich begrenzte empirische Untersuchung vorwiegend außenpolitisch-diplomatischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse der alliierten Hauptsiegermächte und der beiden deutschen Staaten”. Der Akzent liegt bewusst auf den Deutschland-Konferenzen zwischen 1945 und 1990 in der Erwartung, damit zu einem besseren Verständnis jener Entscheidungen in der Außenpolitik beizutragen, die in realpolitischen Interessen gründen. Besondere Aufmerksamkeit widmet Küsters der Frage, warum die Vier Mächte nach dem Krieg keinen Friedensvertrag mit Deutschland auszuhandelten. Der Autor untersucht die Verhandlungen zwischen den USA, Großbritannien, Frankreich und der UdSSR über die Zukunft Deutschlands zwischen 1945 und 1949. Wegen gegensätzlicher Interessen und Befürchtungen der Vier Mächte entstand bei den Treffen der Außenminister keine „Atmosphäre wirklichen Verhandelns”. Gemeinsame Entscheidungen wären jedoch seiner Ansicht nach selbst im Frühjahr 1947 noch möglich gewesen – „vorausgesetzt, der Wille zur Einigung war da”. Doch daran haperte es. Gleichwohl wagte keiner der Verantwortlichen, „die Tür zu Deutschland-Verhandlungen ganz zu schließen”. So verkümmerten die Vierer-Gespräche in den fünfziger Jahren zum bloßen „Konferenz-Mikado”, bei dem die Teilnehmer in erster Linie darauf bedacht waren, „Gesichtsverluste” zu vermeiden – während die Integration West- und Ostdeutschlands in den jeweiligen Block zügig vorankam. Insofern erscheint auch die These des Autors, auf dem Berliner Außenminister-Treffen vom Frühjahr 1954 habe sich „das Schicksal der Westintegration” entschieden, wenig überzeugend. Wie dieser Stillstand überwunden werden konnte, ist Thema des letzten Kapitels. Küsters erklärt den Erfolg der Zwei-plus-Vier-Gespräche über die „äußere” Einheit Deutschlands unter anderem mit der kompromissbereiten und „deutschlandfreundlichen” Einstellung der amerikanischen wie der sowjetischen Führung, dem von Gorbatschow initiierten Umschwung in der Sowjetunion, der „bedingungslosen Politik der Westintegration” seitens der Regierung Kohl, den massiven deutschen Finanzhilfen für die UdSSR, der „Nichtangriffsfähigkeit” Deutschlands und dem Vertrauen, welches die Bundesrepublik inzwischen genoss. Von einem formellen Friedensvertrag – für Außenminister Genscher ein „Begriff der Vergangenheit” – wollte die Bundesregierung nun nichts mehr wissen, schon um neuerliche Anklagen und Reparationsforderungen zu vermeiden. Die eigentlichen Schwierigkeiten mit einem Friedensschluss nach dem Krieg, so fasst der Autor seine Ergebnisse zusammen, bestanden nicht zwischen Siegern und Besiegten; vielmehr konnten sich die Sieger nicht einigen. Deshalb entschieden sich die Westmächte für einen „Integrationsfrieden”, der den Deutschen die Möglichkeit zur „Rückkehr in die internationale Staatengemeinschaft in fester politischer, wirtschaftlicher und militärischer Bindung” eröffnete. Küsters Buch bietet insgesamt wenige grundlegend neue Erkenntnisse. Doch als präzise und fundierte Analyse der Verhandlungen der Vier Mächte und bald auch der Deutschen auf dem langen Weg von der Teilung zur Einheit Deutschlands ist diese der klassischen Diplomatiegeschichte verpflichtete Studie unübertroffen. WERNER BÜHRER
Der Rezensent ist Historiker in München.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Wie Deutschland seinen Frieden fand
HANNS JÜRGEN KÜSTERS: Der Integrationsfriede. Viermächte-Verhandlungen über die Friedensregelung mit Deutschland 1945-1990. R. Oldenbourg Verlag, München 2000. 1026 Seiten, 128 Mark.
Zehn Jahre nach der Vereinigung des geteilten Deutschland nimmt die Beschäftigung mit den Ursachen der Teilung als auch der Erlangung der Einheit zunehmend akademischen Charakter an. Abgesehen von dem kurzen Streit darüber, wer die Einheit gewollt hat, ist von der früheren politischen Brisanz nicht mehr viel zu spüren. Geschichts- und Politikwissenschaftler haben sich des Themas bemächtigt: Nach der vierbändigen „Geschichte der deutschen Einheit” und der mehr als 1600 Seiten umfassenden Aktenedition „Deutsche Einheit”, zu der Küsters eine monographische Einleitung beigesteuert hat, liegt nun vom selben Autor ein weiteres Produkt akademischer Gelehrsamkeit vor. 900 Seiten Text, 100 Seiten Quellen- und Literaturverzeichnis, 20 Seiten Register, fast 4500 Anmerkungen – mitunter gleich drei pro Satz. Nichts gegen den Nachweis profunder Literaturkenntnis. Doch wenn beispielsweise die Erwähnung de Gaulles als Anlass dient, in einer Fußnote das vollständige Memoirenwerk plus deutscher Ausgaben sowie die Bände mit Reden, Briefen und Notizen des Generals aufzulisten, dann wirkt das übertrieben.
Sieg und Niederlage
Zum Inhalt: Die Studie versteht sich als „thematisch und zeitlich begrenzte empirische Untersuchung vorwiegend außenpolitisch-diplomatischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse der alliierten Hauptsiegermächte und der beiden deutschen Staaten”. Der Akzent liegt bewusst auf den Deutschland-Konferenzen zwischen 1945 und 1990 in der Erwartung, damit zu einem besseren Verständnis jener Entscheidungen in der Außenpolitik beizutragen, die in realpolitischen Interessen gründen. Besondere Aufmerksamkeit widmet Küsters der Frage, warum die Vier Mächte nach dem Krieg keinen Friedensvertrag mit Deutschland auszuhandelten. Der Autor untersucht die Verhandlungen zwischen den USA, Großbritannien, Frankreich und der UdSSR über die Zukunft Deutschlands zwischen 1945 und 1949. Wegen gegensätzlicher Interessen und Befürchtungen der Vier Mächte entstand bei den Treffen der Außenminister keine „Atmosphäre wirklichen Verhandelns”. Gemeinsame Entscheidungen wären jedoch seiner Ansicht nach selbst im Frühjahr 1947 noch möglich gewesen – „vorausgesetzt, der Wille zur Einigung war da”. Doch daran haperte es. Gleichwohl wagte keiner der Verantwortlichen, „die Tür zu Deutschland-Verhandlungen ganz zu schließen”. So verkümmerten die Vierer-Gespräche in den fünfziger Jahren zum bloßen „Konferenz-Mikado”, bei dem die Teilnehmer in erster Linie darauf bedacht waren, „Gesichtsverluste” zu vermeiden – während die Integration West- und Ostdeutschlands in den jeweiligen Block zügig vorankam. Insofern erscheint auch die These des Autors, auf dem Berliner Außenminister-Treffen vom Frühjahr 1954 habe sich „das Schicksal der Westintegration” entschieden, wenig überzeugend. Wie dieser Stillstand überwunden werden konnte, ist Thema des letzten Kapitels. Küsters erklärt den Erfolg der Zwei-plus-Vier-Gespräche über die „äußere” Einheit Deutschlands unter anderem mit der kompromissbereiten und „deutschlandfreundlichen” Einstellung der amerikanischen wie der sowjetischen Führung, dem von Gorbatschow initiierten Umschwung in der Sowjetunion, der „bedingungslosen Politik der Westintegration” seitens der Regierung Kohl, den massiven deutschen Finanzhilfen für die UdSSR, der „Nichtangriffsfähigkeit” Deutschlands und dem Vertrauen, welches die Bundesrepublik inzwischen genoss. Von einem formellen Friedensvertrag – für Außenminister Genscher ein „Begriff der Vergangenheit” – wollte die Bundesregierung nun nichts mehr wissen, schon um neuerliche Anklagen und Reparationsforderungen zu vermeiden. Die eigentlichen Schwierigkeiten mit einem Friedensschluss nach dem Krieg, so fasst der Autor seine Ergebnisse zusammen, bestanden nicht zwischen Siegern und Besiegten; vielmehr konnten sich die Sieger nicht einigen. Deshalb entschieden sich die Westmächte für einen „Integrationsfrieden”, der den Deutschen die Möglichkeit zur „Rückkehr in die internationale Staatengemeinschaft in fester politischer, wirtschaftlicher und militärischer Bindung” eröffnete. Küsters Buch bietet insgesamt wenige grundlegend neue Erkenntnisse. Doch als präzise und fundierte Analyse der Verhandlungen der Vier Mächte und bald auch der Deutschen auf dem langen Weg von der Teilung zur Einheit Deutschlands ist diese der klassischen Diplomatiegeschichte verpflichtete Studie unübertroffen. WERNER BÜHRER
Der Rezensent ist Historiker in München.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2001Vom geteilten Frieden zur friedlichen Vereinigung
Die zwölf Deutschland-Konferenzen der vier Siegermächte 1945 bis 1990: Eine Analyse von respektgebietender Gelehrsamkeit
Hanns Jürgen Küsters: Der Integrationsfriede. Oldenbourg Verlag, München 2000. 1026 Seiten, 128,- Mark.
Krieg und Frieden zugleich zu gewinnen war in den von Nationalismus, Imperialismus und schließlich Totalitarismus geprägten letzten beiden Jahrhunderten kaum noch möglich. Auch unter den furchtbarsten modernen Krieg - den Zweiten Weltkrieg - konnte die Diplomatie erst Jahrzehnte nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht den Schlußstrich ziehen. Die einvernehmliche Friedensregelung gelang, als der Zusammenschluß der ehemaligen europäischen Großmächte unumkehrbar und der Zusammenbruch des sowjetischen Zwangssozialismus unabwendbar war.
Der am 15. März 1991 in Kraft getretene "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" brachte doch noch die Einheit in Freiheit und eine endgültige Antwort auf die deutsche Frage, die seit dem frühen 19. Jahrhundert gestellt war: Wie verlaufen die Staatsgrenzen Deutschlands, welche außenpolitische Orientierung wählt das Land in der Mitte Europas, welche innere Ordnung setzt sich durch? Diese vertrauten Fragen (vermehrt um die extraharte Nuß der Reparationenregelung) beherrschten auch die zwölf Deutschland-Konferenzen der Siegermächte vom Treffen in Potsdam 1945 bis zu den Zwei-plus-vier-Verhandlungen 1990.
Zur Geschichte dieser Konferenzdiplomatie legt Hanns Jürgen Küsters jetzt die erste Gesamtdarstellung vor - eine Analyse von respektgebietender Gelehrsamkeit. In drei großen Abschnitten behandelt er die Besatzungsjahre, in denen das Tauziehen Frankreichs, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion um einen Friedensvertrag für Deutschland scheiterte; sodann die fast in Vergessenheit geratenen Konferenzen der Westmächte und der Sowjetunion über den Status Deutschlands (und Berlins) während der fünfziger Jahre; schließlich die zehn Monate diplomatischen Pokers 1989/90. Hier drängten plötzlich die altbekannten Themen und Ressentiments wieder auf die Tagesordnung. Doch es gelang den meisterlich zusammenspielenden Hauptakteuren George Bush und Helmut Kohl (mit ihren Außenministern Baker und Genscher), die geschwächte, aber mit uneingeschränkter Vetomacht ausgestattete Sowjetunion Michail Gorbatschows zu Zugeständnissen zu bewegen, die seit der Bildung der Anti-Hitler-Koalition 1941 immer für ausgeschlossen galten.
Bei allen bereits 1942/43 aufplatzenden Gegensätzen in diesem Zweckbündnis der westlichen Demokratien mit dem östlichen Totalitarismus zur Vernichtung des noch gefährlicheren deutschen Rasseimperialismus bestand zwischen den Alliierten Einverständnis darüber, das Deutsche Reich künftig unter Kuratel zu stellen. Es sollte für immer die Fähigkeit verlieren, die Welt neuerlich in Brand zu stecken. Voraussetzung für die Zähmung war nicht die Teilung Deutschlands - Ergebnis des Streits, nicht des Einvernehmens der Alliierten -, sondern dessen strukturelle Nichtangriffsfähigkeit: sei es durch langfristige Umgestaltung der inneren Ordnung, sei es durch Einschnürung in ein internationales Verbundsystem oder eine Kombination von beidem. Um diesen Wandel herbeizuführen und zu sichern, hielten die Siegermächte bis 1990 an ihrer Verantwortung für Deutschland als Ganzes fest, die sie Anfang Juni 1945 in der zerstörten Hauptstadt des zum bloßen Objekt der Politik herabgesunkenen Reiches förmlich übernommen hatten.
Küsters betont, daß es keine Chance für einen Friedensvertrag gab. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion hatten vor Prüfung der tatsächlichen Lage in Deutschland keine konsistente Strategie entwickelt, sondern in Erinnerung an Versailles eine "Abkühlungsphase" vorgesehen und zunächst die Friedensregelungen mit Hitlers Verbündeten angepackt. Durch die Konflikte der Sieger außerhalb und innerhalb Deutschlands wurde die dünne Basis des Vertrauens schnell zerfressen. Zu dem kaltschnäuzigen Vorgehen Stalins in Polen seit 1943/44 gesellten sich 1945 die sofort einsetzende sowjetische Plünderung der Ostzone und die Vereitelung deutscher demokratischer Selbstbestimmung im Zuge der Diktaturdurchsetzung durch kollaborierende Moskauer KPD-Kader um Walter Ulbricht.
Die Grundlage einer einvernehmlichen Friedensregelung für Deutschland war längst zerstört, als diese 1947 auf die Agenda der Moskauer Außenministerkonferenz kam. Im Zeichen der sowjetischen Politik hermetischer Abschottung sowie umfassender Ausbeutung der neuen Einflußsphäre einerseits und der kombinierten amerikanischen Strategie der Eindämmung des Kommunismus bei gleichzeitiger massiver Aufbauhilfe für Europa andererseits ging es jetzt nur noch darum, die Verantwortung für die Spaltung des Landes dem weltpolitischen Rivalen zuzuschieben. Jeder wollte die "eigenen" Deutschen auf seine Seite herüberziehen und sie für die offerierte Gesellschaftsordnung erwärmen.
Durch den Kurswechsel der Vereinigten Staaten verlor die Sowjetunion die deutschlandpolitische Initiative. Die Westmächte erlangten mit ihrem Demokratie- und Konsumangebot mehr und mehr die "Meinungsführerschaft" im geteilten Deutschland. Dennoch war die 1945 statt einer Friedenskonferenz vorgenommene "Institutionalisierung der Friedensverhandlungen im Rat der Außenminister" und die auch noch nach Gründung von Bundesrepublik und DDR gepflogene Konferenzdiplomatie der Siegermächte keineswegs unsinnig geworden. Sie bildete eine sichere Klammer für das Festhalten der vier Mächte an ihrer gemeinsamen Verantwortung für ganz Deutschland. Ansonsten waren die Verhandlungen der fünfziger Jahre "nichts anderes als Schauspiele im Kalten Krieg". Küsters resümiert: "Eine Chance zur Lösung der deutschen Frage gab es in dieser Zeit nie."
Manch hartnäckiger Illusion bereitet der Autor in nüchternem Ton eine wissenschaftliche Beerdigung erster Klasse: so der Vorstellung, durch die Zurückweisung der berühmten Stalin-Noten von 1952 sei die Wiedervereinigung früh verspielt worden; oder der Annahme, Adenauer und die Westmächte hätten ernstlich damit gerechnet, den bereits durch Hitlers Pakt mit Stalin 1939 eingeleiteten Verlust der deutschen Ostgebiete eines Tages rückgängig machen zu können.
Der Kernbestand von Konsens und Konflikt über Deutschland blieb von 1945 bis 1990 weitgehend derselbe: Das war die Forderung der Sieger nach Respektierung der Sicherheitsinteressen aller Nachbarstaaten, garantiert durch Deckelung der deutschen Truppenstärken und den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen. Und da war die von Adenauer wie Kohl geteilte amerikanische Forderung nach freien Wahlen und der westlichen Bündniszugehörigkeit ganz Deutschlands als Vorbedingung einer Wiedervereinigung. Eine Option Westintegration oder Wiedervereinigung gab es nicht. Die von den Westmächten vorgegebene Alternative, so Küsters, lautete immer "Westintegration sofort und Wiedervereinigung später".
Mit dem seit 1947 angestrebten "Integrationsfrieden" war für die Westalliierten die ursprüngliche Alternative Verhandlungsfriede oder Straffriede entfallen. Es wurde ein geteilter Friede. Freiheit ging vor Einheit. Die Westdeutschen richteten sich zunehmend darin ein. Erst als der diktatorische Sozialismus bankrott war und der ostdeutschen Freiheitsbewegung - anders als am 17. Juni 1953 - keine Panzer mehr entgegengeschickt wurden, entstand eine Dynamik des Wandels. Diese war so gewaltig, daß es in einer Sternstunde der Diplomatie und Demokratie 1990 tatsächlich gelang, die Wiedervereinigung zu westlichen Maximalbedingungen zu erreichen. Die alliierten Vorbehaltsrechte fielen. Deutschland wurde wieder ein uneingeschränkt souveräner Staat. Ein förmlicher Friedensvertrag kam freilich auch jetzt nicht zustande, weil die Bundesregierung es ablehnte, 45 Jahre nach Kriegsende auf der internationalen Anklagebank Platz zu nehmen und womöglich die Reparationenfrage neu aufzurollen.
Entscheidend aber war, daß selbst ein skeptischer François Mitterrand und die ausnehmend obstruktive Margaret Thatcher nicht darüber hinwegsehen konnten, daß die Bundesrepublik inzwischen eine friedliche und gefestigte Demokratie war. Es gab keine deutsche Gefahr und deswegen seit dem 3. Oktober 1990 auch keine deutsche Frage mehr.
KLAUS-DIETMAR HENKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die zwölf Deutschland-Konferenzen der vier Siegermächte 1945 bis 1990: Eine Analyse von respektgebietender Gelehrsamkeit
Hanns Jürgen Küsters: Der Integrationsfriede. Oldenbourg Verlag, München 2000. 1026 Seiten, 128,- Mark.
Krieg und Frieden zugleich zu gewinnen war in den von Nationalismus, Imperialismus und schließlich Totalitarismus geprägten letzten beiden Jahrhunderten kaum noch möglich. Auch unter den furchtbarsten modernen Krieg - den Zweiten Weltkrieg - konnte die Diplomatie erst Jahrzehnte nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht den Schlußstrich ziehen. Die einvernehmliche Friedensregelung gelang, als der Zusammenschluß der ehemaligen europäischen Großmächte unumkehrbar und der Zusammenbruch des sowjetischen Zwangssozialismus unabwendbar war.
Der am 15. März 1991 in Kraft getretene "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" brachte doch noch die Einheit in Freiheit und eine endgültige Antwort auf die deutsche Frage, die seit dem frühen 19. Jahrhundert gestellt war: Wie verlaufen die Staatsgrenzen Deutschlands, welche außenpolitische Orientierung wählt das Land in der Mitte Europas, welche innere Ordnung setzt sich durch? Diese vertrauten Fragen (vermehrt um die extraharte Nuß der Reparationenregelung) beherrschten auch die zwölf Deutschland-Konferenzen der Siegermächte vom Treffen in Potsdam 1945 bis zu den Zwei-plus-vier-Verhandlungen 1990.
Zur Geschichte dieser Konferenzdiplomatie legt Hanns Jürgen Küsters jetzt die erste Gesamtdarstellung vor - eine Analyse von respektgebietender Gelehrsamkeit. In drei großen Abschnitten behandelt er die Besatzungsjahre, in denen das Tauziehen Frankreichs, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion um einen Friedensvertrag für Deutschland scheiterte; sodann die fast in Vergessenheit geratenen Konferenzen der Westmächte und der Sowjetunion über den Status Deutschlands (und Berlins) während der fünfziger Jahre; schließlich die zehn Monate diplomatischen Pokers 1989/90. Hier drängten plötzlich die altbekannten Themen und Ressentiments wieder auf die Tagesordnung. Doch es gelang den meisterlich zusammenspielenden Hauptakteuren George Bush und Helmut Kohl (mit ihren Außenministern Baker und Genscher), die geschwächte, aber mit uneingeschränkter Vetomacht ausgestattete Sowjetunion Michail Gorbatschows zu Zugeständnissen zu bewegen, die seit der Bildung der Anti-Hitler-Koalition 1941 immer für ausgeschlossen galten.
Bei allen bereits 1942/43 aufplatzenden Gegensätzen in diesem Zweckbündnis der westlichen Demokratien mit dem östlichen Totalitarismus zur Vernichtung des noch gefährlicheren deutschen Rasseimperialismus bestand zwischen den Alliierten Einverständnis darüber, das Deutsche Reich künftig unter Kuratel zu stellen. Es sollte für immer die Fähigkeit verlieren, die Welt neuerlich in Brand zu stecken. Voraussetzung für die Zähmung war nicht die Teilung Deutschlands - Ergebnis des Streits, nicht des Einvernehmens der Alliierten -, sondern dessen strukturelle Nichtangriffsfähigkeit: sei es durch langfristige Umgestaltung der inneren Ordnung, sei es durch Einschnürung in ein internationales Verbundsystem oder eine Kombination von beidem. Um diesen Wandel herbeizuführen und zu sichern, hielten die Siegermächte bis 1990 an ihrer Verantwortung für Deutschland als Ganzes fest, die sie Anfang Juni 1945 in der zerstörten Hauptstadt des zum bloßen Objekt der Politik herabgesunkenen Reiches förmlich übernommen hatten.
Küsters betont, daß es keine Chance für einen Friedensvertrag gab. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion hatten vor Prüfung der tatsächlichen Lage in Deutschland keine konsistente Strategie entwickelt, sondern in Erinnerung an Versailles eine "Abkühlungsphase" vorgesehen und zunächst die Friedensregelungen mit Hitlers Verbündeten angepackt. Durch die Konflikte der Sieger außerhalb und innerhalb Deutschlands wurde die dünne Basis des Vertrauens schnell zerfressen. Zu dem kaltschnäuzigen Vorgehen Stalins in Polen seit 1943/44 gesellten sich 1945 die sofort einsetzende sowjetische Plünderung der Ostzone und die Vereitelung deutscher demokratischer Selbstbestimmung im Zuge der Diktaturdurchsetzung durch kollaborierende Moskauer KPD-Kader um Walter Ulbricht.
Die Grundlage einer einvernehmlichen Friedensregelung für Deutschland war längst zerstört, als diese 1947 auf die Agenda der Moskauer Außenministerkonferenz kam. Im Zeichen der sowjetischen Politik hermetischer Abschottung sowie umfassender Ausbeutung der neuen Einflußsphäre einerseits und der kombinierten amerikanischen Strategie der Eindämmung des Kommunismus bei gleichzeitiger massiver Aufbauhilfe für Europa andererseits ging es jetzt nur noch darum, die Verantwortung für die Spaltung des Landes dem weltpolitischen Rivalen zuzuschieben. Jeder wollte die "eigenen" Deutschen auf seine Seite herüberziehen und sie für die offerierte Gesellschaftsordnung erwärmen.
Durch den Kurswechsel der Vereinigten Staaten verlor die Sowjetunion die deutschlandpolitische Initiative. Die Westmächte erlangten mit ihrem Demokratie- und Konsumangebot mehr und mehr die "Meinungsführerschaft" im geteilten Deutschland. Dennoch war die 1945 statt einer Friedenskonferenz vorgenommene "Institutionalisierung der Friedensverhandlungen im Rat der Außenminister" und die auch noch nach Gründung von Bundesrepublik und DDR gepflogene Konferenzdiplomatie der Siegermächte keineswegs unsinnig geworden. Sie bildete eine sichere Klammer für das Festhalten der vier Mächte an ihrer gemeinsamen Verantwortung für ganz Deutschland. Ansonsten waren die Verhandlungen der fünfziger Jahre "nichts anderes als Schauspiele im Kalten Krieg". Küsters resümiert: "Eine Chance zur Lösung der deutschen Frage gab es in dieser Zeit nie."
Manch hartnäckiger Illusion bereitet der Autor in nüchternem Ton eine wissenschaftliche Beerdigung erster Klasse: so der Vorstellung, durch die Zurückweisung der berühmten Stalin-Noten von 1952 sei die Wiedervereinigung früh verspielt worden; oder der Annahme, Adenauer und die Westmächte hätten ernstlich damit gerechnet, den bereits durch Hitlers Pakt mit Stalin 1939 eingeleiteten Verlust der deutschen Ostgebiete eines Tages rückgängig machen zu können.
Der Kernbestand von Konsens und Konflikt über Deutschland blieb von 1945 bis 1990 weitgehend derselbe: Das war die Forderung der Sieger nach Respektierung der Sicherheitsinteressen aller Nachbarstaaten, garantiert durch Deckelung der deutschen Truppenstärken und den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen. Und da war die von Adenauer wie Kohl geteilte amerikanische Forderung nach freien Wahlen und der westlichen Bündniszugehörigkeit ganz Deutschlands als Vorbedingung einer Wiedervereinigung. Eine Option Westintegration oder Wiedervereinigung gab es nicht. Die von den Westmächten vorgegebene Alternative, so Küsters, lautete immer "Westintegration sofort und Wiedervereinigung später".
Mit dem seit 1947 angestrebten "Integrationsfrieden" war für die Westalliierten die ursprüngliche Alternative Verhandlungsfriede oder Straffriede entfallen. Es wurde ein geteilter Friede. Freiheit ging vor Einheit. Die Westdeutschen richteten sich zunehmend darin ein. Erst als der diktatorische Sozialismus bankrott war und der ostdeutschen Freiheitsbewegung - anders als am 17. Juni 1953 - keine Panzer mehr entgegengeschickt wurden, entstand eine Dynamik des Wandels. Diese war so gewaltig, daß es in einer Sternstunde der Diplomatie und Demokratie 1990 tatsächlich gelang, die Wiedervereinigung zu westlichen Maximalbedingungen zu erreichen. Die alliierten Vorbehaltsrechte fielen. Deutschland wurde wieder ein uneingeschränkt souveräner Staat. Ein förmlicher Friedensvertrag kam freilich auch jetzt nicht zustande, weil die Bundesregierung es ablehnte, 45 Jahre nach Kriegsende auf der internationalen Anklagebank Platz zu nehmen und womöglich die Reparationenfrage neu aufzurollen.
Entscheidend aber war, daß selbst ein skeptischer François Mitterrand und die ausnehmend obstruktive Margaret Thatcher nicht darüber hinwegsehen konnten, daß die Bundesrepublik inzwischen eine friedliche und gefestigte Demokratie war. Es gab keine deutsche Gefahr und deswegen seit dem 3. Oktober 1990 auch keine deutsche Frage mehr.
KLAUS-DIETMAR HENKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Als präzise und fundierte Analyse der Verhandlungen der Vier Mächte und bald auch der Deutschen auf dem langen Weg von der Teilung zur Deutschen Einheit ist diese der klassischen Diplomatiegeschichte verpflichteten Studie unübertroffen." Werner Bührer in: Süddeutsche Zeitung vom 9.3.2001