Die Armen wohnen oben, auf dem Dach, in kleinen Kabüffchen, die ursprünglich als Abstellkammern konzipiert waren. In den Stockwerken darunter geht es weniger knapp zu. Dort hat ein durch die Revolution von 1952 teilenteigneter Grundbesitzer sein Büro mitsamt Liebesnest, ein Chefredakteur seine Wohnung, ein Neureicher das Domizil für seine Zweitfrau und viele Ungenannte ihr ganz normales Zuhause. Auf vielfältige Weise verweben sich die Leben der Bewohner. Das Haus wird zum Mikrokosmos für Ägypten.
Alaa al-Aswanis Roman stellt vieles dar, was es in Ägypten gibt, worüber aber nicht häufig - und eigentlich nie in dieser Direktheit - gesprochen wird. Da kommt der junge Mann nicht an die Polizeischule, weil sein Vater nur Türhüter ist. Da hält sich der wohlhabende Journalist einen armen Oberägypter als Bettgenossen. Da predigt der eine Geistliche für die Regierungspolitik, der andere für den Terror. Da bereichern sich manche schamlos mit den zweifelhaftesten Geschäften. Da wird das junge Mädchen, das für seine Familie sorgen muss, von allen Arbeitgebern systematisch belästigt. Da träumt der ehemalige Aristokrat von vorrevolutionären, besseren Zeiten. Da wird im Bereich der Politik geschmiert, geschnüffelt und gefoltert. Da wird eben das tägliche Leben Ägyptens gezeigt.
Alaa al-Aswanis Roman stellt vieles dar, was es in Ägypten gibt, worüber aber nicht häufig - und eigentlich nie in dieser Direktheit - gesprochen wird. Da kommt der junge Mann nicht an die Polizeischule, weil sein Vater nur Türhüter ist. Da hält sich der wohlhabende Journalist einen armen Oberägypter als Bettgenossen. Da predigt der eine Geistliche für die Regierungspolitik, der andere für den Terror. Da bereichern sich manche schamlos mit den zweifelhaftesten Geschäften. Da wird das junge Mädchen, das für seine Familie sorgen muss, von allen Arbeitgebern systematisch belästigt. Da träumt der ehemalige Aristokrat von vorrevolutionären, besseren Zeiten. Da wird im Bereich der Politik geschmiert, geschnüffelt und gefoltert. Da wird eben das tägliche Leben Ägyptens gezeigt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2007Der Gotteskrieger auf dem Dach
Ein ägyptischer Bestseller: Alaa al-Aswani erzählt aus Kairo
Was bei uns Hinterhöfe oder Souterrainwohnungen sind, ist am Jakubijân-Bau in Kairo das Dach. Immerhin: Zimmer mit Aussicht, in luftiger Höhe! Aber wer, bitte, will in einer Eisenkammer von vier Quadratmetern wohnen? Einem Abstellraum? Mit Familie und Hausvieh, unter der sengenden Sonne Ägyptens? Glückliche Häuser gleichen einander, jedes unglückliche ist unglücklich auf seine Art.
Das Haus gibt es wirklich. Von einem reichen Armenier 1934 in der Innenstadt der Metropole für die Hautevolee gebaut, wird der zehnstöckige Prachtbau im Romandebüt des 1957 geborenen Ägypters Alaa al-Aswani zur spektakulären Kulisse eines Politdramas und zum nostalgisch verklärten Sinnbild des gesellschaftlichen Niedergangs. Die Großbürger von einst sind in den Jahren nach der Revolution von 1952 bis auf wenige verschwunden, in den Beletagen haben sich die neue militärische Elite und andere Sozialaufsteiger eingerichtet. Dienstboten und Hungerleider dürfen sich auf dem Dach einmieten, dem neuen Domizil der kleinen Leute.
Der Autor ist im bürgerlichen Leben Zahnarzt, in den Vereinigten Staaten ausgebildet und ein scharfer Gegner des Regimes von Hosni Mubarak. Jahrelang lag seine Praxis in jenem legendären Gebäude, wo schon sein Vater als Anwalt praktiziert hatte. Das Buch erschien vor zwei Jahren im Original, wurde ein Bestseller und diente als Vorlage für die bisher teuerste Filmproduktion Ägyptens. Der Erfolg ist sicher nicht nur der orientalischen Opulenz und den deftigen Sexszenen zu verdanken. Bei aller Nähe zur Kolportage wird dem Leser eindrucksvoll demonstriert, welcher Sumpf aus Korruption, Gewalt, sozialem Elend und bigotter Frömmelei zum Nährboden für einen radikalen Islam werden konnte, dem die potentiellen jungen Gotteskrieger von der seelenlosen Elite nur so in die Arme getrieben werden.
Taha, der Sohn des Hauswarts, lebt auf dem Dach, in jener sozialen Gemengelage, die Wut und Träume nährt. Während des zweiten Golfkrieges, Anfang der neunziger Jahre, will er in die Beletage der Nation, die renommierte Polizeiakademie bietet dafür das Entree. Mit Bravour besteht er die Aufnahmeprüfung, nur um an der Frage nach der sozialen Herkunft zu scheitern. Der Hauswartssohn wird von den Angehörigen einer sich längst selbst reproduzierenden Führungskaste verhöhnt. Seine Angebetete, eine Schönheit aus der Eisenkammer von nebenan, kann mit einem armen Studenten wenig anfangen. Nach dem Tod des Vaters muss sie die vielköpfige Familie ernähren, für Sozialromantik ist auf dem Dach kein Platz.
An der Universität, wo Taha sich schließlich einschreibt, bleibt er wie andere Arme-Leute-Kinder ein Paria, dem erst die Begegnung mit der Oberschicht klarmacht, wie weit unten er selbst agiert. Da fällt die milde Agitationspoesie der Kommilitonen und Mullahs auf fruchtbaren Boden. Doch erst nachdem er auf einer Demonstration gegen den Golfkrieg verhaftet und danach gefoltert und vergewaltigt wird, bekennt er sich zum militanten Islam und lechzt nach Rache. Die Muslimbrüder nehmen sich nicht nur seiner geschundenen Seele an, sondern verheiraten ihn in einem Camp für Gotteskrieger mit einer Märtyrerwitwe. Dass dieses Trainingslager für Terroristen geradezu als Hort der Menschlichkeit erscheint, mag befremden. Am Ende wird aus dem Opfer ein Täter, einer von vielen in dieser beklemmenden Haus-Saga.
Al-Aswani gilt bereits als ein literarischer Erbe des ägyptischen Nobelpreisträgers Machfus und seiner Romane über die kleinen Leute der Kairoer Midaq-Gasse, der Cafés und Pensionen. Doch während bei Machfus beispielsweise die homosexuelle Neigung eines Teehausbesitzers lediglich Klatschnahrung für die Gassenbewohner liefert und allein die Ehefrau zur Verzweiflung bringt, wird die Homosexualität eines Journalisten im Jakubijân-Bau zum Terrain für soziale Erpressung und Mord. Die Ehe nach islamischem Recht dient als Camouflage für Prostitution, und wenn sich Tahas Dachschönheit in Hinterzimmern von ihrem Vorgesetzten befingern lassen muss, bleibt - islamisch korrekt - die Jungfräulichkeit bewahrt, doch Kleid und Seele bekommen unschöne Flecken. Al-Aswanis Kairo ist keine Kaffeehausidylle der kleinen Leute mehr, sondern ein brutaler Moloch, eine Kampfzone von Macht und Ohnmacht in einem Schurkenstaat. Hier ist die Religion Fluch und Rettung zugleich. Im Gravitationszentrum dieser Macht, einer Villa weit vor der Stadt, sammelt ein höhnisch lachender Großinquisitor Dossiers über jeden mit politischer Ambition. Je übler die Schurken, desto besser fürs System.
Den einzigen Hoffnungsschimmer verkörpert in diesem Buch ein greiser Aristokrat, ein Junggeselle und Bonvivant mit europäischer Ausbildung. Am Ende verzaubert er die Dachschönheit mit dem Charme der alten Schule und - sonst wäre es wohl zu schön, um wahr zu sein - dem Versprechen, das Land mit ihr schnellstmöglich gen Paris zu verlassen.
SABINE BERKING
Alaa al-Aswani: "Der Jakubijân-Bau". Roman. Aus dem Arabischen übersetzt von Hartmut Fähndrich. Lenos Verlag, Basel 2006. 370 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein ägyptischer Bestseller: Alaa al-Aswani erzählt aus Kairo
Was bei uns Hinterhöfe oder Souterrainwohnungen sind, ist am Jakubijân-Bau in Kairo das Dach. Immerhin: Zimmer mit Aussicht, in luftiger Höhe! Aber wer, bitte, will in einer Eisenkammer von vier Quadratmetern wohnen? Einem Abstellraum? Mit Familie und Hausvieh, unter der sengenden Sonne Ägyptens? Glückliche Häuser gleichen einander, jedes unglückliche ist unglücklich auf seine Art.
Das Haus gibt es wirklich. Von einem reichen Armenier 1934 in der Innenstadt der Metropole für die Hautevolee gebaut, wird der zehnstöckige Prachtbau im Romandebüt des 1957 geborenen Ägypters Alaa al-Aswani zur spektakulären Kulisse eines Politdramas und zum nostalgisch verklärten Sinnbild des gesellschaftlichen Niedergangs. Die Großbürger von einst sind in den Jahren nach der Revolution von 1952 bis auf wenige verschwunden, in den Beletagen haben sich die neue militärische Elite und andere Sozialaufsteiger eingerichtet. Dienstboten und Hungerleider dürfen sich auf dem Dach einmieten, dem neuen Domizil der kleinen Leute.
Der Autor ist im bürgerlichen Leben Zahnarzt, in den Vereinigten Staaten ausgebildet und ein scharfer Gegner des Regimes von Hosni Mubarak. Jahrelang lag seine Praxis in jenem legendären Gebäude, wo schon sein Vater als Anwalt praktiziert hatte. Das Buch erschien vor zwei Jahren im Original, wurde ein Bestseller und diente als Vorlage für die bisher teuerste Filmproduktion Ägyptens. Der Erfolg ist sicher nicht nur der orientalischen Opulenz und den deftigen Sexszenen zu verdanken. Bei aller Nähe zur Kolportage wird dem Leser eindrucksvoll demonstriert, welcher Sumpf aus Korruption, Gewalt, sozialem Elend und bigotter Frömmelei zum Nährboden für einen radikalen Islam werden konnte, dem die potentiellen jungen Gotteskrieger von der seelenlosen Elite nur so in die Arme getrieben werden.
Taha, der Sohn des Hauswarts, lebt auf dem Dach, in jener sozialen Gemengelage, die Wut und Träume nährt. Während des zweiten Golfkrieges, Anfang der neunziger Jahre, will er in die Beletage der Nation, die renommierte Polizeiakademie bietet dafür das Entree. Mit Bravour besteht er die Aufnahmeprüfung, nur um an der Frage nach der sozialen Herkunft zu scheitern. Der Hauswartssohn wird von den Angehörigen einer sich längst selbst reproduzierenden Führungskaste verhöhnt. Seine Angebetete, eine Schönheit aus der Eisenkammer von nebenan, kann mit einem armen Studenten wenig anfangen. Nach dem Tod des Vaters muss sie die vielköpfige Familie ernähren, für Sozialromantik ist auf dem Dach kein Platz.
An der Universität, wo Taha sich schließlich einschreibt, bleibt er wie andere Arme-Leute-Kinder ein Paria, dem erst die Begegnung mit der Oberschicht klarmacht, wie weit unten er selbst agiert. Da fällt die milde Agitationspoesie der Kommilitonen und Mullahs auf fruchtbaren Boden. Doch erst nachdem er auf einer Demonstration gegen den Golfkrieg verhaftet und danach gefoltert und vergewaltigt wird, bekennt er sich zum militanten Islam und lechzt nach Rache. Die Muslimbrüder nehmen sich nicht nur seiner geschundenen Seele an, sondern verheiraten ihn in einem Camp für Gotteskrieger mit einer Märtyrerwitwe. Dass dieses Trainingslager für Terroristen geradezu als Hort der Menschlichkeit erscheint, mag befremden. Am Ende wird aus dem Opfer ein Täter, einer von vielen in dieser beklemmenden Haus-Saga.
Al-Aswani gilt bereits als ein literarischer Erbe des ägyptischen Nobelpreisträgers Machfus und seiner Romane über die kleinen Leute der Kairoer Midaq-Gasse, der Cafés und Pensionen. Doch während bei Machfus beispielsweise die homosexuelle Neigung eines Teehausbesitzers lediglich Klatschnahrung für die Gassenbewohner liefert und allein die Ehefrau zur Verzweiflung bringt, wird die Homosexualität eines Journalisten im Jakubijân-Bau zum Terrain für soziale Erpressung und Mord. Die Ehe nach islamischem Recht dient als Camouflage für Prostitution, und wenn sich Tahas Dachschönheit in Hinterzimmern von ihrem Vorgesetzten befingern lassen muss, bleibt - islamisch korrekt - die Jungfräulichkeit bewahrt, doch Kleid und Seele bekommen unschöne Flecken. Al-Aswanis Kairo ist keine Kaffeehausidylle der kleinen Leute mehr, sondern ein brutaler Moloch, eine Kampfzone von Macht und Ohnmacht in einem Schurkenstaat. Hier ist die Religion Fluch und Rettung zugleich. Im Gravitationszentrum dieser Macht, einer Villa weit vor der Stadt, sammelt ein höhnisch lachender Großinquisitor Dossiers über jeden mit politischer Ambition. Je übler die Schurken, desto besser fürs System.
Den einzigen Hoffnungsschimmer verkörpert in diesem Buch ein greiser Aristokrat, ein Junggeselle und Bonvivant mit europäischer Ausbildung. Am Ende verzaubert er die Dachschönheit mit dem Charme der alten Schule und - sonst wäre es wohl zu schön, um wahr zu sein - dem Versprechen, das Land mit ihr schnellstmöglich gen Paris zu verlassen.
SABINE BERKING
Alaa al-Aswani: "Der Jakubijân-Bau". Roman. Aus dem Arabischen übersetzt von Hartmut Fähndrich. Lenos Verlag, Basel 2006. 370 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Gut unterhalten hat sich Andreas Pflitsch bei der Lektüre von Alaa al-Aswanis Roman "Der Jakubijan-Bau", der in der arabischen Welt der große Bestseller der letzten Jahre war und nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Zwar scheint ihm der Ansatz, über die Geschichte des titelgebenden zehngeschossigen Bauwerks und seiner Bewohner die ägyptische Gesellschaft abbilden zu wollen, nicht wirklich originell. Zudem wirkt der Roman wegen der Bemühungen des Autors, sämtliche soziale Schichten, politische und religiöse Strömungen, Generationen und Geschlechter zu Wort kommen zu lassen, auf ihn oft konstruiert. Auch aufgrund der enorm vielen Schicksalsschläge der Bewohner und der zahlreichen Tabubrüche erinnert ihn das Werk schließlich an die Lindenstraße: "Im angestrengten Bemühen um Realismus sind beide ähnlich überfrachtet". Für den Roman spricht seines Erachtens demgegenüber der hohe Unterhaltungswert, mit dem er ein "grellbuntes Panoptikum" zeichnet. Außerdem lobt Pflitsch den genauen Blick des Autors sowie seinen Sinn für Komik und die gesellschaftlichen Mechanismen. Auch wenn er letztlich einräumt, dass Ägypten heute vielfach "anspruchsvollere" Literatur zu bieten hat, scheint es ihm gegenwärtig schwer, einen "kurzweiligeren" Roman über Ägypten zu finden als vorliegenden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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