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Die lückenlos dokumentierte Geschichte einer Freundschaft zwischen der jungen, attraktiven Fotografin Irene Scheffler und dem jüdischen Kaufmann Leo Katzenberger. Hitlers willige Vollstrecker im Häuserblock sorgen mit beharrlicher Denunziation dafür, daß er hingerichtet wird und sie ins Zuchthaus kommt. Auch nach dem Krieg findet sie vor deutschen Gerichten keine Gerechtigkeit. Eine Geschichte von Mut und Freundschaft, aber auch von Feigheit und Schuld.

Produktbeschreibung
Die lückenlos dokumentierte Geschichte einer Freundschaft zwischen der jungen, attraktiven Fotografin Irene Scheffler und dem jüdischen Kaufmann Leo Katzenberger. Hitlers willige Vollstrecker im Häuserblock sorgen mit beharrlicher Denunziation dafür, daß er hingerichtet wird und sie ins Zuchthaus kommt. Auch nach dem Krieg findet sie vor deutschen Gerichten keine Gerechtigkeit. Eine Geschichte von Mut und Freundschaft, aber auch von Feigheit und Schuld.
Autorenporträt
Christiane Kohl, geboren 1954, war Korrespondentin in Bonn, Pressechefin im Umweltministerium von Hessen und "SPIEGEL"-Redakteurin, bevor sie als Italienkorrespondentin der Süddeutschen Zeitung nach Rom ging. Heute ist sie SZ-Korrespondentin für Ost-Deutschland und lebt in Dresden. Bereits in ihrem ersten Buch "Der Jude und das Mädchen" gelang ihr auf der Basis akribischer Recherche ein beklemmendes Stimmungsbild aus dem Nazi-Deutschland der 30er Jahre.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.1998

Blutjustiz und Datenschutz
Der Fall Katzenberger, ein Buch über den Fall Katzenberger und Sonderbares aus Nürnberg

Christiane Kohl: Der Jude und das Mädchen. Eine verbotene Freundschaft in Nazideutschland. SPIEGEL Buchverlag, Hamburg 1997. 384 Seiten, 8 Seiten Bildteil, 44,- Mark.

Nürnberg: die Stadt der Lebkuchen, des Kinderspielzeugs, des Christkindlmarktes. Nürnberg: die Stadt der Meistersinger und der Reichsparteitage. Nürnberg: der Tatort eines der perfidesten NS-Verbrechen. Die Täter: Männer in Richterrobe. Und in der Robe des Staatsanwalts. Gegenwärtig amtieren in Nürnberg Staatsanwälte, die sich hartnäckig weigern, dem Rezensenten - er lehrt an der Philipps-Universität Marburg Strafrecht und Rechtsphilosophie - sinnvoll zu helfen, wenn es ihm darum geht, nicht nur für den Leser und seine Studenten herauszubekommen, wie später, sehr spät, versucht wurde, das Unrecht aufzuarbeiten. Unterstellt, das sei justizförmig überhaupt möglich.

Solche Weigerung indessen ist nicht neu. Nur weniger gravierend als seinerzeit. Damals, am 19. April 1960, hatte der freidemokratische bayerische Justizminister Dr. Albrecht Haas die Nürnberger Staatsanwälte angewiesen - keiner von ihnen war auf das Selbstverständliche von selbst gekommen -, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten gegen die ehemaligen Richter des Sondergerichts in Nürnberg, die Mörder des Juden Leo Katzenberger. Dessen einziges Verbrechen war, Jude zu sein. Der Minister mußte erfahren, daß seine Staatsanwälte nach der damals wie heute nicht allein in Franken vermeintlich bewährten Devise verfuhren: "Verdrängen, verschieben, verweigern".

Das Zitat entstammt dem Buch der Christiane Kohl "Der Jude und das Mädchen". Sie zeigt, wozu Männer der Justiz fähig sind, wenn Männer der Justiz zur Verantwortung gezogen werden sollen. Die Nürnberger Staatsanwälte wollten das Verfahren einfach einstellen. Aber sie mußten weisungsgemäß weitermachen. "Fünf Jahre lang zog sich das Hickhack hin, hartnäckig bereiteten die Nürnberger in dieser Zeit viermal die Einstellung des Verfahrens vor. Dabei wurden stets lange Begründungen vorgeschoben." Zum ersten Entwurf einer Einstellungsverfügung schreibt die Autorin: "Fast las sich die Einstellungsbegründung wie ein Aufguß des alten Bluturteils."

Dieses schändliche Urteil konnte jeder, der wollte, schon 1964 in einer bemerkenswerten, von Ilse Staff herausgegebenen Dokumentation nachlesen: "Justiz im Dritten Reich". Ein Hinweis auf dieses wichtige Buch fehlt leider bei Christiane Kohl. Sie enthält ihren Lesern auch vor - oder hat es gar nicht bemerkt -, daß der Würzburger Strafrechtler Günter Spendel dem Fall des jüdischen Kaufmanns Katzenberger und seiner Mörder eine eindringliche Studie gewidmet hat unter der bezeichnenden Überschrift "Justizmord durch Rechtsbeugung". Der Untertitel konkretisiert den Vorwurf gegen die NS-Richter und - so ist hinzuzusetzen - die ihnen zuarbeitenden Staatsanwälte. Sie alle nämlich haben zu verantworten, was seinerzeit in Nürnberg gefällt wurde: "ein Todesurteil wegen ,Rassenschande'".

Inbegriff der Überzeugung

Hätte sich Christiane Kohl auch um diese "streng juristische" Literatur gekümmert, wäre ihr vermutlich eine Dimension des Falles Katzenberger nicht entgangen. Für viele Juristen die entscheidende Dimension: Sie erleben hier in bestürzender Weise, daß eine prima vista unschuldige Vorschrift - im NS-Unrechtsstaat so gültig wie zuvor und heute -, nämlich die Beweisregel der Strafprozeßordnung, in den Händen von Mördern zum Mordwerkzeug wird. Sie lautet seit mehr als einhundert Jahren unverändert: "Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung."

So steht es jetzt in § 261 StPO, der, durchaus de lege artis gehandhabt - hier eine wahrhaft teuflische Kunst -, den Richtern die Bahn freimachte zum todbringenden Urteil vom 14. März 1942. Am 3. Juni 1942 wurde es vollstreckt, Katzenberger "mittels Fallbeil geköpft". Ein Gnadengesuch, wie zuvor das Urteil "dem Führer vorgetragen", war abschlägig beschieden worden. Im Erlaß des Reichsjustizministers wurde verfügt, "daß der Gerechtigkeit freier Lauf zu lassen sei".

Aber auf welche Wahrheit gab diese Gerechtigkeit die Antwort? Was war geschehen? Wenig mehr als nichts. Falls aber doch, dann wußte es niemand. Was die Nürnberger Richter nicht hinderte, im Wege der freien Beweiswürdigung festzustellen, daß Katzenberger, ein Mann Mitte der Sechzig, der "zugegebenermaßen noch heute in der Lage ist, den normalen Beischlaf auszuüben", dies auch getan hatte. Und zwar mit der Mitangeklagten Irene Seiler, einer gutaussehenden jungen deutschen Frau. Das war nach dem "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" vom 15. 9. 1935 verboten und wurde gemäß § 5 Abs. 2 des Blutschutzgesetzes "mit Gefängnis oder mit Zuchthaus bestraft".

Gefängnis oder Zuchthaus! Leo Katzenberger wurde aber zum Tode verurteilt. Wie war das möglich? Ganz einfach. Man mußte nur wollen. Und die Nürnberger Richter wie die Nürnberger Staatsanwälte wollten. Allen voran der Gerichtsvorsitzende, der zu seinen Kollegen in einer Verhandlungspause sagte: "Mir genügt es, daß das Judenschwein zugibt, ein deutsches Mädchen auf dem Schoß gehabt zu haben."

Erfahrungssätze

In der Tat, das hatte er. Und das hatten beide sogar zugegeben. Der Täter und sein Opfer, das dann selbst zur "Täterin" geworden war, nämlich einer meineidigen Zeugin. Meineidig in den Augen ihrer Richter, weil sie im Ermittlungsverfahren gegen Katzenberger wie dieser den später "festgestellten" Beischlaf stets bestritten und die Wahrheit ihrer Aussage beschworen hatte. Weshalb sie - in demselben Verfahren neben Katzenberger auf der Anklagebank - zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Dagegen hatten "der Jude und das Mädchen" nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie gelegentlich auf seinem Schoß saß, sie sich mitunter küßten und er sie manchmal über der Kleidung am Schenkel streichelte. Das alles während eines Zeitraums von etwa zehn Jahren.

Wer "das" so lange Zeit tut, der geht auch miteinander ins Bett. Nach diesem "Erfahrungssatz" urteilten die Richter und Staatsanwälte. Christiane Kohl: "Es war zu einem guten Teil auch bornierte Männerjustiz. Und diese sollte, wie sich später zeigte, das Ende der Nazizeit durchaus überdauern."

Nicht allein der einstige Ankläger, Staatsanwalt Markl, der sich vor seinem Mordplädoyer allerletzte Instruktionen bei dem Gerichtsvorsitzenden geholt hatte, bekannte sich noch in den sechziger Jahren ausdrücklich zu diesem Erfahrungssatz. Nach den Recherchen der Autorin kam Markl im übrigen nach dem Kriege "wieder im bayerischen Staatsdienst unter und brachte es bis zum Richter am Oberlandesgericht München". Und lebt bis heute, so jedenfalls Kohl 1997, ungeschoren in der Nähe der Stadt. Ein Verfahren gegen ihn sei eingestellt worden, weil er, "wie es hieß, nur auf Weisung gehandelt habe". Offenkundig also nicht nur auf Instruktion des Vorsitzenden. Aber wozu bedurfte es dieser dann überhaupt? Waren die Vorgesetzten des Staatsanwalts vielleicht weniger streng als der Vorsitzende des Gerichts? Das und manches andere wüßte man gern genauer.

Und dazu müßte der Rezensent nicht nur "mal" in die Akten sehen dürfen, vielmehr über Kopien entscheidender Passagen und ganzer Schriftstücke verfügen können. Das gilt nicht zuletzt bezüglich der dann endlich doch gegen die ehemaligen Sonderrichter Ferber und Hoffmann erhobenen Anklage.

Der Doktor der Rechte Ferber, seit 1934 förderndes Mitglied der SS, war 1937 der NSDAP beigetreten, in der er nebenberuflich für das rassepolitische Amt arbeitete. In dem 1947 von den Amerikanern durchgeführten sogenannten Juristenprozeß trat er als Kronzeuge gegen Rothaug auf. So der Name des "Scharfrichter" genannten Vorsitzenden des Mördertribunals. Auch er ein promovierter Jurist, der zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch bereits nach neun Jahren - das war Ende 1956 - entlassen und bis 1967 wieder als freier Mann in Köln lebte. Dem dritten Richter Dr. Heinz Hugo Hoffmann, mit "zunächst gemäßigt liberaler Einstellung", Parteigenosse seit 1937, war es beschieden, nach dem Kriege noch viele Jahre als Anwalt zu praktizieren. Und dies, nachdem das Strafverfahren gegen ihn aus Krankheitsgründen eingestellt werden "mußte".

Doch zuvor gab es ebendieses Strafverfahren aufgrund der meines Wissens nirgends publizierten Nürnberger Anklage, die dem Rezensenten ein Rätsel aufgibt. Das liegt an der Autorin, die es möglicherweise hätte lösen können. Wäre sie eben auch um die vermeintlich rein juristischen Aspekte des Falles Katzenberger - und des Falles der Nürnberger Justiz - mehr bemüht gewesen. Statt dessen unterläuft ihr sogar ein gravierender Fehler. Der wiederum durch mehr veranlaßt sein muß als ihre laienhafte Vorstellung vom deutschen Strafprozeß.

Also denn: Auf die Anklage der Nürnberger Staatsanwaltschaft hin wurden verurteilt: Dr. Ferber zu 3 Jahren und Dr. Hoffmann zu 2 Jahren Gefängnis wegen Rechtsbeugung und - man will es nicht glauben: Totschlags. Für Frau Kohl sogar wegen Totschlags in einem minderschweren Falle. Doch das dürfte ein Irrtum sein. Wie auch immer: Wenn je ein Mord in Richterrobe verübt wurde, dann an dem schuldlosen Juden Katzenberger.

Und worauf hatte nun die Anklage gelautet? Richtigerweise auf Mord oder zu Unrecht lediglich auf vorsätzliche Tötung? Wir erfahren es nicht. Jedenfalls aber ist Christiane Kohl mit der Anklageschrift offenbar irgendwie unzufrieden. Sie selbst schreibt, nach der Aufhebung des fehlerhaften Urteils gegen Ferber und Hoffmann durch den BGH - beide und die Staatsanwaltschaft hatten es gleichermaßen angefochten - sei erneut Anklage erhoben worden. Das ist strafprozessual, milde gesagt, ein Unding. Gewiß wurde nach erfolgreicher Revision erneut verhandelt, aber nicht aufgrund einer neuen Anklage. Gleichwohl lesen wir, die "neue Anklage (sei) generalstabsmäßig" vorbereitet worden. Gelobt wird hierfür der "durch und durch vom Kampf um die Gerechtigkeit beseelt(e)", im übrigen "politisch eher konservativ" eingestellte Staatsanwalt Brandl, auch nach dessen "Ansicht . . . es ,Mord in der Robe' (war), wessen sich die Angeklagten 1942 schuldig gemacht hatten".

Das spricht dafür, daß die Nürnberger Staatsanwälte es ursprünglich fälschlich anders sahen, also nur wegen Totschlags anklagten. Der Verdacht wird fast zur Gewißheit, wenn man an deren für jeden rechtlich Denkenden völlig unverständliche penetrante Weigerung denkt, überhaupt Anklage zu erheben, eine Obstruktion, die schließlich 1966 - das ist jetzt unbedingt noch nachzutragen - in einem Eklat endete. "Da sandten die Nürnberger die Katzenberger-Akten, inzwischen siebzehn dicke Bände . . . als ,Wertpaket'per Post nach München - der zuständige Sachbearbeiter in der Frankenstadt wie auch sein Vorgesetzter weigerten sich, den Fall weiter zu bearbeiten." Aber damals halfen die Weigerungen den Nürnbergern nichts. Denn: "Im Bayerischen Justizministerium . . ., das damals noch unter liberaler Führung stand, pochte besonders der Ministerialdirigent Holzbauer stets aufs neue darauf, den Fall weiterzuverfolgen."

Heute führt das Haus der Staatsminister Leeb, von dem im Moment nur interessiert, daß er die Entscheidungen des Generalstaatsanwalts in Nürnberg und des Leitenden Oberstaatsanwalt in Nürnberg in "letzter Instanz" bestätigt hat, wonach der Rezensent nicht erhält, worum er sie bat - und dies ausdrücklich auch im Interesse von Forschung und Lehre.

Gegenstand der Bitte waren die für eine vertiefte Auseinandersetzung unbedingt erforderlichen Kopien zumindest der Anklageschrift und des gegen Ferber und Hoffmann ergangenen erstinstanzlichen Urteils des Schwurgerichts in Nürnberg. Zunächst seitens des Leitenden Oberstaatsanwalts fernmündlich zugesagt, erging alsbald die schriftliche Weigerung. Die Kopierarbeit sei der Behörde nicht zuzumuten. Vielleicht nicht überflüssig zu betonen, daß nach anfänglich umfänglicherer Bitte zum Schluß tatsächlich nur noch die genannten beiden Schriftstücke zur Debatte standen und die Übernahme der Kopierkosten ausdrücklich zugesagt wurde. Auf die Unhaltbarkeit seiner Einlassung der Unzumutbarkeit hingewiesen, schob der Leitende Oberstaatsanwalt eine neue Begründung nach.

Dann der Vorschlag des mittlerweile mit der Sache befaßten Generalstaatsanwalts: Die gewünschten Unterlagen sollten an das Amtsgericht Düsseldorf gesandt werden, dem Wohnort des Rezensenten. Allerdings nur zur Einsichtnahme in den Räumen des Amtsgerichts. Nach erneuter Intervention dann schließlich doch die Erlaubnis der Möglichkeit, Anklageschrift und Urteil dort ablichten zu lassen. Es sei dankbar erwähnt: Für die Düsseldorfer war das den Nürnbergern Unzumutbare eine pure Selbstverständlichkeit. Indessen, die Nürnberger hatten ihr Pulver noch nicht verschossen, denn das Ablichten war an eine Bedingung geknüpft, an eine erkennbar unerfüllbare. Der Rezensent sollte sich verpflichten, alle Daten zu anonymisieren. Das heißt man in Bayern Datenschutz. Geschützt werden sollen Daten von NS-Mördern, sie alle Personen der Zeitgeschichte und Rechtsgeschichte, Daten zudem, die nachzulesen sind in der genannten ausgezeichneten Dokumentation von Ilse Staff.

Und bei Christiane Kohl. Sie hat noch ein übriges getan, und zwar den Daten ihrer Helden und Unhelden Kurzbiografien beigefügt. Man kann ihre peniblen Nachforschungen nicht genügend loben. Nachforschungen, bei denen ihr der Leitende Oberstaatsanwalt von Nürnberg, Klaus Hubmann, geholfen hat. In den Quellen nennt sie ihn als Gewährsmann. Im Nachwort bedankt sie sich ausdrücklich bei ihm. Es ist derselbe, der dem Rezensenten effektive Hilfe verweigert. Freilich hat sie sich ihm gegenüber auch zur Anonymisierung verpflichtet. So hat es mir jedenfalls der Generalstaatsanwalt Dr. Stöckel versichert.

Man begreift es nicht. Oder doch nur zu gut? Der ehemalige Staatsanwalt und inzwischen pensionierte Richter am Oberlandesgericht Markl lebt vermutlich noch. Dann gewiß als sehr alter Mann. Aber die Frage ist primär auch nicht, ob heute noch gegen ihn Anklage erhoben werden soll. Wohl aber, warum das alle die Jahre vorher unterblieb. Und: Wie ein Mittäter der Mordgesellen auf der Richterbank im Freistaat Bayern Richterkarriere machen konnte.

Offene Fragen

Es gibt noch viele weitere Fragen. Daß sie heute nicht nur von Insidern gestellt werden können, ist das Verdienst der Christiane Kohl. Dafür nimmt man die Schwächen ihres Werkes am Ende in Kauf. Und die sind nicht ganz unerheblich. Dazu nur dieses: Sie hat aus der Geschichte von dem Juden und dem Mädchen, dem Schuhhändler Leo Katzenberger und der Fotografin Irene Seiler, einen Kolportageroman gemacht. In einem der aufwühlendsten Kapitel des Buches, dem Bericht über die Hauptverhandlung im "Schauprozeß" gegen Katzenberger und Irene Seiler, läßt sie den Angeklagten im Hinblick auf die Aussagen der ihn belastenden Zeugen sagen, "er fühle sich wie ,in einen Hintertreppen-Roman von der Courths-Mahler versetzt'". Das ergeht dem Leser leider nicht anders. In jedem Kapitel des Buches. Nur einige Kapitelüberschriften aus der mit Macht trivialisierten Geschichte: "Onkel Leo, der fromme Lebemann", "Das Geheimnis der Schuhschachteln", "Das verschwundene Brillantcollier", "Hat er Ihnen unter die Röcke gelangt?", "Blumen für den Scharfrichter" und "Was ist mit den Mundküssen?"

Andererseits: Die Autorin hat umfänglich, umsichtig und mit beachtlichen Erfolgen recherchiert. So erfahren wir ausführlich, wie es zu der Freundschaft der beiden gekommen ist. Daß Irene Seiler als behütete Tochter eines guten Bekannten von Katzenberger nach Nürnberg kam, von ihm väterlich betreut werden sollte und dies auch wurde. Daß sie in einem seiner Häuser zur Miete wohnte, auf demselben Grundstück, auf dem sich auch die Lagerräume und das Büro des Schuhhändlers befanden. Und nicht zuletzt erfährt der Leser eine Menge über das Schicksal und den Alltag der übrigen Bewohner des Hauses. Unter ihnen auch die, deren denunziatorisches Munkeln und Raunen am Ende den NS-Juristen das dürftige Material für Anklage und Urteil lieferten. Eingebettet ist die Geschichte in ein NS-Panorama der Führerstadt Nürnberg. Sachkundig ausgewählte Fotos zeigen eine Nazi-Hochburg in den dreißiger Jahren. Das erschütterndste Bild: ein Motivwagen beim Faschingsumzug 1936 mit der Aufschrift "Ab nach Dachau". Schließlich beschreibt die Autorin detailliert, was und wie es die Nazigrößen in Nürnberg "trieben". Wen sie vertrieben. Und wie die Schicksale einiger Mitglieder der Familie Katzenbergers verliefen. Auch das der Irene Seiler nach dem Kriege.

Schade, daß die Form einer seriöseren Darstellung verworfen wurde. Dem Grauen des Geschehens ein Gesicht zu geben, die Gesichter der Täter und ihrer Opfer, die Geschichte vom Juden und dem Mädchen emotional erfahrbar zu machen, das hätte auch anders gelingen können.

Interpretationswut

Wie auch immer: Einen Erfolg möchte man dem Buch der Christiane Kohl noch wünschen. Der wäre dann erreicht, wenn allgemein erkannt und konsequent darüber nachgedacht würde, daß es keineswegs nur verbrecherische Gesetze waren, die in der Zeit des Nationalsozialismus die Perversion des Rechts ermöglichten und beförderten. Kein Zweifel: Das Blutschutzgesetz ist eines der widerlichsten Unrechtsgesetze der unseligen Zeit. Doch es lieferte keine Handhabe, einen Menschen umzubringen. Auch der Vernichtungswille zum Mord entschlossener Nürnberger Richter und Staatsanwälte reichte dazu allein noch nicht. Ein weiteres "Gesetz" mußte her. Sie fanden es in der Volksschädlingsverordnung. Die sah nun wirklich die Todesstrafe für diesen Fall vor. Wenn es ihnen nur gelang, das "Verbrechen der Rassenschande" auch darunter zu subsumieren. Den Richtern half hierbei eine durch nichts gebremste Interpretationswut. Sie sahen Katzenberger unter anderem für überführt an, "unter Ausnutzung der zur Abwehr von Fliegergefahr getroffenen Maßnahmen" gehandelt zu haben, indem er sich wiederholt im Schutze der Verdunkelung "in die Wohnung der Seiler schlich". Gleichgültig, ob es gerade dann auch zum Geschlechtsverkehr kam. Sie begriffen das gesamte "rassenschänderische Treiben" als "einheitlichen Lebensvorgang", eine damals wie heute vielfach bemühte juristische Denkfigur. Und sie stellten überdies fest, daß die "im Schutze der Verdunkelungsmaßnahmen ausgeführten Besuche mindesten dazu dienten, das Verhältnis warmzuhalten". Die Blutrichter hatten schließlich auch keine Skrupel, eine weitere Voraussetzung für die Verhängung der Todesstrafe zu bejahen, nämlich ein "Verbrechen gegen (den) Leib". Für sie war der "rasseschändende Angriff . . . gegen den Leib der deutschen Frau gerichtet".

Es war nicht das einzige interpretatorische Verbrechen der Richter, ausführlicher nachzulesen bei Staff, der ich auch die vorstehenden Zitate aus der schriftlichen Begründung des Urteils gegen Katzenberger und Seiler verdanke. Christiane Kohl beruft sich unverständlicherweise nur auf die mündliche Urteilsbegründung. Doch auch die hatte es schon in sich. Danach Vorsitzender Rothaug: "Rassenschande sei "schlimmer als Mord . . ., denn sie vergiftet das Blut auf Generationen hinaus."

Am Ende bleibt - für uns alle - ein Problem. Das Problem, daß unsere Richter - nach wie vor - fast alles machen können, was sie wollen. Sie haben es gelernt. Die Methode ist immer dieselbe. Nur die Menschen haben sich gründlich geändert.

Walter Grasnick

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