49,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
  • Gebundenes Buch

Die Forschung zur Weimarer Republik konzentriert sich vor allem auf die Städte, insbesondere Berlin; die Forschung zum Stifterwesen insbesondere auf das deutsche Kaiserreich. Das Werk behandelt einen beispiellosen Ausnahmefall jüdischen Mäzenatentums in der Zwischenkriegszeit auf dem Land. Der amerikanisch-jüdische Philanthrop James Loeb zog noch vor dem Ersten Weltkrieg auf einen Landsitz in Murnau im bayerischen Oberland. Während der Weimarer Republik finanzierte er u.a. das örtliche Kriegerdenkmal, eine gemeinnützige Baugenossenschaft, eine Mädchenschule, eine Wohltätigkeitsstiftung für…mehr

Produktbeschreibung
Die Forschung zur Weimarer Republik konzentriert sich vor allem auf die Städte, insbesondere Berlin; die Forschung zum Stifterwesen insbesondere auf das deutsche Kaiserreich. Das Werk behandelt einen beispiellosen Ausnahmefall jüdischen Mäzenatentums in der Zwischenkriegszeit auf dem Land. Der amerikanisch-jüdische Philanthrop James Loeb zog noch vor dem Ersten Weltkrieg auf einen Landsitz in Murnau im bayerischen Oberland. Während der Weimarer Republik finanzierte er u.a. das örtliche Kriegerdenkmal, eine gemeinnützige Baugenossenschaft, eine Mädchenschule, eine Wohltätigkeitsstiftung für Bedürftige, schließlich das örtliche Krankenhaus. Gleichzeitig entwickelte sich Murnau seit den frühen 1920er Jahren zu einer Hochburg des Nationalsozialismus, wo bereits (atypisch für Oberbayern) seit 1924 bei allen Reichs- und Landtagswahlen mehrheitlich völkisch bzw. nationalsozialistisch gewählt wurde. Das Buch blickt auf dieses Spannungsverhältnis zwischen Philanthropie und Rassenwahn.

Autorenporträt
Edith Raim, Universität Augsburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2024

Die Kunst
des Stifters
Ein neues Buch erinnert an den Mäzen James Loeb.
Die Nationalsozialisten versuchten, seine Spuren
in München und Murnau zu tilgen.
VON SABINE REITHMAIER
Nichts davon hätte er machen müssen. Trotzdem erwies James Loeb (1887–1933) den Murnauer ungezählte Wohltaten. Finanzierte ihnen ein Krankenhaus, unterstützte sie beim Bau ihres Kriegerdenkmals, gewährte bereitwillig bedürftigen Bürgern finanzielle Unterstützung, hatte für große und kleine Sorgen immer ein offenes Ohr. Dass sich Murnau in den 1920er-Jahren zügig zur Hochburg des erstarkenden Nationalsozialismus entwickelte, nahm er zwar zur Kenntnis, doch an seiner Spendierfreudigkeit änderte sich trotz Anfeindungen nichts. Warum hat er sich so verhalten? Dieser Frage spürt Edith Raim nach. In ihrem sehr lesenswerten Buch „Der jüdische Mäzen und die Nazis“ beleuchtet die Historikerin nicht nur die Lebensgeschichte des deutsch-amerikanischen Mäzens, sondern verbindet dessen Jahre in München und Murnau auch mit einer Analyse der Geschichte der Weimarer Republik im bayerischen Oberland.
Raim hat bereits mehrere Publikationen zu NS-Geschichte und Nachkriegszeit im Oberland vorgelegt. Bereits 2020 wies sie in „Es kommen kalte Zeiten“ (Volk Verlag) nach, dass Murnau, was völkisch-braunes Denken betrifft, früh eine Sonderstellung in Bayern einnahm. Auf ihre damaligen Forschungsergebnisse greift sie auch im zweiten Kapitel ihrer in sechs Teile gegliederten Untersuchung zurück.
Zunächst aber widmet sie sich dem bereits gut erforschten Leben und Werk des 1867 in New York geborenen Loeb. Dessen Eltern Salomon und Betty Loeb waren Mitte des 19. Jahrhunderts aus Worms in die USA eingewandert. Der Vater hatte schnell Erfolg als Textilkaufmann. 1867 eröffnete er mit seinem Schwager und anderen Familienangehörigen die Bank Kuhn, Loeb & Co – nur eine der vielen amerikanischen Banken mit süddeutschen Wurzeln, die im Übrigen 1977 mit Lehmann Brothers verschmolz.
Der Sohn studierte Philologie, Kunstgeschichte, Geschichte des klassischen Altertums, Nationalökonomie und Wirtschaftsgeschichte in Harvard. Begann bald leidenschaftlich antike Kunst zu sammeln. Um die Erwartungen des Vaters zu erfüllen, blieb ihm aber nichts anderes übrig, als 1888 ins Familienunternehmen einzutreten. 1894 war er bereits Teilhaber der Bank. Doch acht Jahre später schied er aufgrund einer psychischen Erkrankung aus.
1906 zog er dauerhaft nach München, sah endlich die Möglichkeit, sich als Privatgelehrter für Altertumswissenschaften und Altphilologie zu betätigen. München wählte er, weil er den hier ansässigen Altertumswissenschaftler Adolf Furtwängler sehr schätzte. Zudem genoss München den Ruf einer herausragenden Kunststadt. Murnau dagegen eignete sich ausgezeichnet für die Sommerfrische. Doch Anfang 1911 kaufte Loeb Grundstücke in Hochried am Südufer des Staffelsees und ließ sich dort ein Landhaus bauen, das sich bald zu seinem Hauptwohnsitz entwickelte.
Der wohlhabende Loeb – die wenigen Bankjahre waren des Eisenbahnbaus wegen, sehr lukrativ gewesen – hatte zur jüdischen Religion nur geringen Bezug; gleichwohl war die politische und gesellschaftliche Gleichstellung der Juden für ihn ein großes Thema. Als großzügiger Stifter bewegte er sich ganz in der Tradition seiner Familie und des reichen amerikanischen Bürgertums. 1910 etablierte er die Loeb Classical Library, die lateinische und griechische Texte in englischer Übersetzung und Kommentierung zur Verfügung stellt, eine Publikationsreihe, die bis heute existiert. Unterstützte er in seinen Anfangsjahren vor allem wissenschaftliche, künstlerische und kulturelle Bereiche, berücksichtigte er vom Ersten Weltkrieg an auch soziale Projekte. Half Waisenhäusern oder finanzierte ein Studentinnen-Wohnheim in der Kaulbachstraße. 1916 stiftete er hohe Summen an die Stadt München, die damit günstige Lebensmittel für die bedürftigen Bewohner besorgte. In München gründete er auch 1917 die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie (Max-Planck-Institut für Psychiatrie), sein zweites mäzenatisches Großprojekt, das ebenfalls bis heute existiert. Dazu bewogen haben könnten ihn auch die psychischen Probleme, mit denen er lebenslang zu kämpfen hatte. Nach einer besonders langen Krankheitsphase heiratete er 1921 seine Krankenschwester Marie Antonie Hambüchen, eine Witwe mit zwei Söhnen.
Für seine Großprojekte wurde Loeb mit Ehrendoktorwürden, Ehrenmedaillen und Festschriften überhäuft, ob in Cambridge oder in München; die Harvard-Ehrungen musste er ablehnen, weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht in die USA reisen konnte. In den meisten Fällen beharrte erauf Anonymität, verlangte, als Spender nicht genannt zu werden. Beispielsweise als er dem Weilheimer Gerichtsvollzieher 1000 Reichsmark lieh, damit der Menschen, die ihre Miete nicht mehr zahlen konnten, nicht auf die Straße setzen musste. Dass er freilich auch die Errichtung des Murnauer Kriegerdenkmals in den Jahren 1922/23 mit großen Summen unterstützte, stieß den Nazis bitter auf. Allen voran ereiferten sich Gottfried Feder, Wirtschaftstheoretiker, völkischer Netzwerker und früher Förderer Hitlers, der sich 1920 in Murnau eine Villa gebaut hatte, und der völkische Abgeordnete Graf Ernst von Treuberg gegen das jüdische Geld. Was Loeb nicht von weiterer Großzügigkeit abhielt: 1932 stiftete er dem Markt ein Krankenhaus mit 60 Betten. Die Ehrentafel freilich, die anlässlich der Eröffnung zur Erinnerung an den „edlen Stifter“ dort angebracht wurde, überlebte nicht lang. Wenige Monate später setzte die systematische Auslöschung seines Andenkens ein, die Raim exakt und ausführlich nachzeichnet. Loeb selbst erlebte das nicht mehr, er starb 1933.
Die Wiederentdeckung des Mäzens zog sich Jahrzehnte hin. Doch es ist tröstlich, dass seine großen Stiftungen den Hass der Nationalsozialisten überlebt haben. Seine herausragende Sammlung griechischer, etruskischer und römischer Kunstwerke befindet sich übrigens heute in den Staatlichen Antikensammlungen am Königsplatz.
Edith Raim: Der jüdische Mäzen und die Nazis. James Loeb und Murnau 1919–1933. Band 14 der Reihe Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern. De Gruyter Oldenburg, Preis: 49,95 Euro
Als Privatgelehrter für
Altertumswissenschaften
kam er nach München.
James Loeb wurde 1867 in New York geboren und zog 1906 dauerhaft nach München.
Foto: Schlossmuseum Murnau
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr