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»Was war denn das für ein Doktorand!«
Zwei Jahre schon warten die Greilachs mit an Verzweiflung grenzender Vorfreude auf die Ankunft eines jungen Doktoranden in ihrer abgelegenen Mühle. Er soll dem alternden Maler Günter Greilach zu neuem Ruhm verhelfen. Für seine Frau Natascha dagegen wird er zum Lichtblick ihrer Alltagsroutine. Ihre Hoffnungen reichen nahezu bis ins Unendliche, doch als der junge Mann nach mehreren Absagen plötzlich doch vor ihrer Tür steht, kommt alles anders als selbst in wildesten Träumen ausgemalt.
Nach »Der amerikanische Investor« gelingt dem vielfach preisgekrönten Jan Peter Bremer eine wunderbare Gesellschaftsparabel über unser allgegenwärtiges Bedürfnis gesehen zu werden. Kurzweilig, klug und voller Sprachwitz erweist er sich einmal mehr als »ein wahrer Chaplin der Schreibfeder« (FAZ).
»Die karge, hinterlistige Prosa Bremers, seine träumenden, gebrochenen Narrenfiguren, haben dem Autor nicht ganz zu Unrecht den gern bemühten Vergleich mit Kafka und Robert Walser eingehandelt. Dabei sollte sich Bremers Prosa inzwischen selbst genug sein.« Der Tagesspiegel
»Was war denn das für ein Doktorand!«
Zwei Jahre schon warten die Greilachs mit an Verzweiflung grenzender Vorfreude auf die Ankunft eines jungen Doktoranden in ihrer abgelegenen Mühle. Er soll dem alternden Maler Günter Greilach zu neuem Ruhm verhelfen. Für seine Frau Natascha dagegen wird er zum Lichtblick ihrer Alltagsroutine. Ihre Hoffnungen reichen nahezu bis ins Unendliche, doch als der junge Mann nach mehreren Absagen plötzlich doch vor ihrer Tür steht, kommt alles anders als selbst in wildesten Träumen ausgemalt.
Nach »Der amerikanische Investor« gelingt dem vielfach preisgekrönten Jan Peter Bremer eine wunderbare Gesellschaftsparabel über unser allgegenwärtiges Bedürfnis gesehen zu werden. Kurzweilig, klug und voller Sprachwitz erweist er sich einmal mehr als »ein wahrer Chaplin der Schreibfeder« (FAZ).
»Die karge, hinterlistige Prosa Bremers, seine träumenden, gebrochenen Narrenfiguren, haben dem Autor nicht ganz zu Unrecht den gern bemühten Vergleich mit Kafka und Robert Walser eingehandelt. Dabei sollte sich Bremers Prosa inzwischen selbst genug sein.« Der Tagesspiegel
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019Der stumme Gast der Zimmerschlacht
Jan Peter Bremers theatralische Erzählung "Der junge Doktorand" ist witzig und brillant.
Von Jan Wiele
Wie beschreibt man diese sehr gelungene Satire, ohne zu viel von ihrem Witz vorwegzunehmen? Vielleicht, indem man tiefstapelt und ihre Grundfunktion als eine Art "Loriot reloaded" charakterisiert. Wir belauschen Mann und Frau nachts im Bett: "Du sprichst", sagt er. "Wie kommst du denn darauf?", entgegnet sie. "Wie kommt man wohl darauf?", wieder er. Und sie: "Das frage ich doch dich. Du kannst mir nicht einfach vorwerfen, dass ich spreche." So geht das noch eine Weile hin und her und droht zu einem handfesten Streit zu werden, bevor dann doch der Schlaf beide erlöst.
So wie ein altes Ehepaar verhalten sich Günter und Natascha Greilach auch tagsüber, und bis etwa zur Hälfte des Buches könnte man noch annehmen, in diesem Konflikt sollte sich dasselbe schon erschöpfen, ausgetragen in Gegenwart der Titelfigur: ebenjenes jungen Doktoranden, der plötzlich bei ihnen vor der Tür steht. Diese Figur hat die theatralisch höchst wirkungsvolle Funktion eines stummen Gastes: Es wird immer nur über ihn, nicht mit ihm geredet, und wenn einer der Ehepartner dem Gast eine Frage stellt, kommt der andere Partner dessen Antwort zuvor. Was aber will dieser junge Mann eigentlich bei den Greilachs?
Der Leser weiß darauf lange nur die Antwort, die in der Erwartung des Ehepaares selbst liegt. Günter Greilach ist ein ehemals berühmter Maler, der sich vor Jahrzehnten in die Provinz zurückgezogen hat, in eine alte Mühle nahe einem deutschen "Städtchen", wie es heißt, dessen Provinzialität er nicht müde wird zu schmähen, während seine Frau offenbar verkümmert, aber dennoch das Beste daraus zu machen sucht. Der "junge Doktorand" beschäftige sich mit Greilachs Werk, weiß das Paar von einigen Postkarten, die schon mehrmals einen Besuch zu Forschungszwecken für seine Dissertation angekündigt und dann doch immer wieder verschoben hatten. Nun also findet dieser Besuch tatsächlich statt, und sofort entsteht ein erstaunlicher Schlagabtausch zwischen den Eheleuten, der durch den vorherigen Aufschub und die Kollision der somit ins Kraut geschossenen Phantasien mit der Wirklichkeit umso heftiger verläuft.
Der theatralische Effekt wird mit den Mitteln der Erzählung noch amüsanter und noch abgründiger, weil man eben nicht nur erfährt, was die Figuren sagen, sondern auch, was sie - oft völlig Gegenteiliges - dabei denken.
Natascha Greilach, die längst furchtbar bereut, ihrem Mann "an diesen abgelegenen und gottverlassenen Ort" gefolgt zu sein, hat sich in ihrer Verzweiflung den Doktoranden in wunderbarsten Farben ausgemalt und schöngeredet, ja sogar schon vor ihren Freundinnen mit diesem geprahlt und damit Eifersüchte erzeugt. Aufgrund spärlicher Informationen hatte sie sich einen schwarzgelockten Jüngling vorgestellt, der an königlichen Reitturnieren in Andalusien teilnimmt - nun aber muss sie widerwillig dessen eher "teigiges Gesicht" und seine "fleischigen Hände" registrieren, während der seltsam passiv wirkende Gast vor allem mit seinem Mobiltelefon beschäftigt zu sein scheint. Dennoch will sie von ihrer Wunschvorstellung nicht ablassen, was mitunter belustigend, mitunter bemitleidenswert anmutet. Ihr Mann ist am Äußeren des Gastes weniger interessiert, wird aber durch die Aussicht, kunstgeschichtliche Würdigung zu erfahren, angespornt, diesem große Vorträge über seine eigene sowie die Kunst an sich zu halten. Wiederum wird der "junge Doktorand" dabei nur als Wunscherfüllungsgehilfe benutzt, wenn auch unter selbstbetrügerischen Vorwänden: "Wie ein Vater, der tief gebückt seinen Sprössling mit ebenso entschlossener wie unsichtbarer Hand auf seinen ersten Metern begleitet, so würde er ihn über die anfänglichen Hürden seiner Doktorarbeit führen." Was solche Euphemismen verbergen, wird bald klarer: Greilach möchte dem Doktoranden die eigene Bedeutung geradezu in die Feder diktieren, damit dieser ein "vorerst allgemeingültiges Standardwerk" über ihn produziere.
Leider wird der "junge Doktorand" auch bei dieser Wunschvorstellung nicht mitspielen. Und warum das so ist, das gibt dem Buch zwar noch manche weitere witzige Pointe, aber auch eine plötzliche gegenwärtige Problematik, die mit jeder Genre-Erwartung bricht. Denn nicht nur wird aus dem anfänglich amüsanten Ehepaar-Sketch langsam, aber sicher eine veritable Zimmerschlacht mit immer härteren Anwürfen und immer schwereren Verletzungen, so wie in den gelegentlich durchschimmernden Vorbildern von Edward Albee oder Martin Walser. Sondern es entsteht auch, als der Gast schließlich selbst zu reden beginnt und man endlich auch einige von seinen Gedanken erfährt, ein überraschendes thematisches Gegengewicht zur bisherigen Ehe- und Kunstsatire.
Der junge Mann, er heißt Florian, steht in einem ganz konkreten Dilemma zwischen Kunst und Leben und wie viele vor der Grundfrage, ob man sich zwischen Kreativität und sozialer Verantwortung entscheiden muss. Dabei spielen wiederum Erwartungen von anderen eine Rolle, denen er sich aber - gerade auch durch die groteske Erfahrung im Hause Greilach? - vielleicht bald vehementer entgegenstellen wird. Insofern könnte man Bremers Erzählung fast als Keimzelle eines Entwicklungsromans begreifen, sie bricht aber vorher ab und bleibt dadurch in viele Richtungen offen, schillernd zwischen Heiterkeit und Verzweiflung (die Figuren sind sich selbst nicht sicher), zwischen Absurdität und Realismus.
Bei allem Witz gelingt es dem 1965 in Berlin geborenen Jan Peter Bremer in seiner wohl auch an Thomas Bernhard geschulten redundanten Erzählweise, die bisweilen gezielt strapaziös wirkt, die extreme Bevormundung der eigentlichen Hauptfigur fast physisch spürbar zu machen: Der "junge Doktorand" wird, wie viele seiner Art, auf gewisse Weise missbraucht, er laboriert letztlich an der Doktorarbeit des Lebens. "Danke", hört er sich selbst am Ende sagen, als er das Haus der Greilachs wieder verlässt.
Jan Peter Bremer: "Der junge Doktorand". Roman.
Piper Verlag, München 2019. 176 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jan Peter Bremers theatralische Erzählung "Der junge Doktorand" ist witzig und brillant.
Von Jan Wiele
Wie beschreibt man diese sehr gelungene Satire, ohne zu viel von ihrem Witz vorwegzunehmen? Vielleicht, indem man tiefstapelt und ihre Grundfunktion als eine Art "Loriot reloaded" charakterisiert. Wir belauschen Mann und Frau nachts im Bett: "Du sprichst", sagt er. "Wie kommst du denn darauf?", entgegnet sie. "Wie kommt man wohl darauf?", wieder er. Und sie: "Das frage ich doch dich. Du kannst mir nicht einfach vorwerfen, dass ich spreche." So geht das noch eine Weile hin und her und droht zu einem handfesten Streit zu werden, bevor dann doch der Schlaf beide erlöst.
So wie ein altes Ehepaar verhalten sich Günter und Natascha Greilach auch tagsüber, und bis etwa zur Hälfte des Buches könnte man noch annehmen, in diesem Konflikt sollte sich dasselbe schon erschöpfen, ausgetragen in Gegenwart der Titelfigur: ebenjenes jungen Doktoranden, der plötzlich bei ihnen vor der Tür steht. Diese Figur hat die theatralisch höchst wirkungsvolle Funktion eines stummen Gastes: Es wird immer nur über ihn, nicht mit ihm geredet, und wenn einer der Ehepartner dem Gast eine Frage stellt, kommt der andere Partner dessen Antwort zuvor. Was aber will dieser junge Mann eigentlich bei den Greilachs?
Der Leser weiß darauf lange nur die Antwort, die in der Erwartung des Ehepaares selbst liegt. Günter Greilach ist ein ehemals berühmter Maler, der sich vor Jahrzehnten in die Provinz zurückgezogen hat, in eine alte Mühle nahe einem deutschen "Städtchen", wie es heißt, dessen Provinzialität er nicht müde wird zu schmähen, während seine Frau offenbar verkümmert, aber dennoch das Beste daraus zu machen sucht. Der "junge Doktorand" beschäftige sich mit Greilachs Werk, weiß das Paar von einigen Postkarten, die schon mehrmals einen Besuch zu Forschungszwecken für seine Dissertation angekündigt und dann doch immer wieder verschoben hatten. Nun also findet dieser Besuch tatsächlich statt, und sofort entsteht ein erstaunlicher Schlagabtausch zwischen den Eheleuten, der durch den vorherigen Aufschub und die Kollision der somit ins Kraut geschossenen Phantasien mit der Wirklichkeit umso heftiger verläuft.
Der theatralische Effekt wird mit den Mitteln der Erzählung noch amüsanter und noch abgründiger, weil man eben nicht nur erfährt, was die Figuren sagen, sondern auch, was sie - oft völlig Gegenteiliges - dabei denken.
Natascha Greilach, die längst furchtbar bereut, ihrem Mann "an diesen abgelegenen und gottverlassenen Ort" gefolgt zu sein, hat sich in ihrer Verzweiflung den Doktoranden in wunderbarsten Farben ausgemalt und schöngeredet, ja sogar schon vor ihren Freundinnen mit diesem geprahlt und damit Eifersüchte erzeugt. Aufgrund spärlicher Informationen hatte sie sich einen schwarzgelockten Jüngling vorgestellt, der an königlichen Reitturnieren in Andalusien teilnimmt - nun aber muss sie widerwillig dessen eher "teigiges Gesicht" und seine "fleischigen Hände" registrieren, während der seltsam passiv wirkende Gast vor allem mit seinem Mobiltelefon beschäftigt zu sein scheint. Dennoch will sie von ihrer Wunschvorstellung nicht ablassen, was mitunter belustigend, mitunter bemitleidenswert anmutet. Ihr Mann ist am Äußeren des Gastes weniger interessiert, wird aber durch die Aussicht, kunstgeschichtliche Würdigung zu erfahren, angespornt, diesem große Vorträge über seine eigene sowie die Kunst an sich zu halten. Wiederum wird der "junge Doktorand" dabei nur als Wunscherfüllungsgehilfe benutzt, wenn auch unter selbstbetrügerischen Vorwänden: "Wie ein Vater, der tief gebückt seinen Sprössling mit ebenso entschlossener wie unsichtbarer Hand auf seinen ersten Metern begleitet, so würde er ihn über die anfänglichen Hürden seiner Doktorarbeit führen." Was solche Euphemismen verbergen, wird bald klarer: Greilach möchte dem Doktoranden die eigene Bedeutung geradezu in die Feder diktieren, damit dieser ein "vorerst allgemeingültiges Standardwerk" über ihn produziere.
Leider wird der "junge Doktorand" auch bei dieser Wunschvorstellung nicht mitspielen. Und warum das so ist, das gibt dem Buch zwar noch manche weitere witzige Pointe, aber auch eine plötzliche gegenwärtige Problematik, die mit jeder Genre-Erwartung bricht. Denn nicht nur wird aus dem anfänglich amüsanten Ehepaar-Sketch langsam, aber sicher eine veritable Zimmerschlacht mit immer härteren Anwürfen und immer schwereren Verletzungen, so wie in den gelegentlich durchschimmernden Vorbildern von Edward Albee oder Martin Walser. Sondern es entsteht auch, als der Gast schließlich selbst zu reden beginnt und man endlich auch einige von seinen Gedanken erfährt, ein überraschendes thematisches Gegengewicht zur bisherigen Ehe- und Kunstsatire.
Der junge Mann, er heißt Florian, steht in einem ganz konkreten Dilemma zwischen Kunst und Leben und wie viele vor der Grundfrage, ob man sich zwischen Kreativität und sozialer Verantwortung entscheiden muss. Dabei spielen wiederum Erwartungen von anderen eine Rolle, denen er sich aber - gerade auch durch die groteske Erfahrung im Hause Greilach? - vielleicht bald vehementer entgegenstellen wird. Insofern könnte man Bremers Erzählung fast als Keimzelle eines Entwicklungsromans begreifen, sie bricht aber vorher ab und bleibt dadurch in viele Richtungen offen, schillernd zwischen Heiterkeit und Verzweiflung (die Figuren sind sich selbst nicht sicher), zwischen Absurdität und Realismus.
Bei allem Witz gelingt es dem 1965 in Berlin geborenen Jan Peter Bremer in seiner wohl auch an Thomas Bernhard geschulten redundanten Erzählweise, die bisweilen gezielt strapaziös wirkt, die extreme Bevormundung der eigentlichen Hauptfigur fast physisch spürbar zu machen: Der "junge Doktorand" wird, wie viele seiner Art, auf gewisse Weise missbraucht, er laboriert letztlich an der Doktorarbeit des Lebens. "Danke", hört er sich selbst am Ende sagen, als er das Haus der Greilachs wieder verlässt.
Jan Peter Bremer: "Der junge Doktorand". Roman.
Piper Verlag, München 2019. 176 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Jan Peter Bremer zwirbelt Gegenwart und Vergangenheit, Hoffnung und Enttäuschung ineinander und entwickelt eine zauberhafte Poetik verschraubter Projektionen." Meike Fessmann Süddeutsche Zeitung 20191126