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Roman Yos' preisgekrönte Untersuchung über die Ursprünge eines der einflussreichsten Werke der jüngeren Geistesgeschichte zeigt auf originelle Weise, wie Jürgen Habermas seine bereits in jungen Jahren ausgeprägten philosophisch-politischen Denkmotive allmählich in die Bahnen eines tragfähigen Systems überführte. Diese Entwicklung lässt sich als ein Lernprozess begreifen, in dessen Verlauf konträre intellektuelle Einflüsse aufeinandertrafen und der aufwändigen Vermittlung bedurften. Yos rekonstruiert die spannungsreiche Entstehung von Habermas' Denken aus dem Zusammenhang frühester Schriften…mehr

Produktbeschreibung
Roman Yos' preisgekrönte Untersuchung über die Ursprünge eines der einflussreichsten Werke der jüngeren Geistesgeschichte zeigt auf originelle Weise, wie Jürgen Habermas seine bereits in jungen Jahren ausgeprägten philosophisch-politischen Denkmotive allmählich in die Bahnen eines tragfähigen Systems überführte. Diese Entwicklung lässt sich als ein Lernprozess begreifen, in dessen Verlauf konträre intellektuelle Einflüsse aufeinandertrafen und der aufwändigen Vermittlung bedurften. Yos rekonstruiert die spannungsreiche Entstehung von Habermas' Denken aus dem Zusammenhang frühester Schriften und gibt zugleich einen Einblick in deren zeit- und ideengeschichtliche Hintergründe.
Autorenporträt
Roman Yos ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2019

Von jeher auf das Selbstverständnis der Bürger hin orientiert
Arbeit an einem Denkmal: Roman Yos schildert den intellektuellen Weg des jungen Jürgen Habermas als Entwicklung von innerer Notwendigkeit

Am 26. September 1959 gratulierte der damals dreißig Jahre alte Jürgen Habermas in dieser Zeitung Martin Heidegger zum siebzigsten Geburtstag: "Eigentümlich bestellt ist es heute mit der Kategorie der Größe; ihre Brüchigkeit spiegelt sich in unsrer Unfähigkeit, Denkmäler zu setzen; (. . .) Groß ist die Geschichte von Heideggers Wirkung; und groß nennen die meisten das Wirken selbst. Vielleicht wird gerade an ihm verständlich, warum unser Verhältnis zur Größe ein gebrochenes ist." Sechzig Jahre später wirft Habermas selbst die Frage nach jener historischen Größe auf, die nach Jacob Burckhardt bedeutet: Einzigkeit, Unersetzlichkeit im großen Hauptstrom der Ursachen und Wirkungen. Ist Habermas im deutschen Ideenhaushalt unersetzlich? Die Flüchtlingskrise unterscheidet sich von allen politisch-moralischen Orientierungskrisen der Bundesrepublik seit den fünfziger Jahren unter anderem auch dadurch, dass sie die erste ist, zu der es bisher keine prononcierte Habermas-Meinung gibt.

Eine ideengeschichtliche Studie über die Anfänge des Denkens dieses "Hegels der Bundesrepublik" kann dem Problem der historischen Größe deswegen vermutlich gar nicht entkommen. Das Buch, das der Philosoph Roman Yos über den jungen Habermas geschrieben hat, will ein Denkmal setzen, und zwar ganz ungebrochen. Es erscheint pünktlich zum neunzigsten Geburtstag in Habermas' Hausverlag, schöpft aus zahlreichen Gesprächen mit ihm und lässt jedes Kapitel mit einem Habermas-Motto beginnen. Es ist eine überaus wohlwollende, um nicht zu sagen: unkritische Darstellung. Es schildert den Aufstieg eines "Intellektuellen, dessen Eingreifen sich nicht im bloßen Anstoß zum Nach- und Überdenken bestimmter Denktraditionen erschöpft, sondern darüber hinaus immer schon auf etwas hin zu orientieren vermag: auf das Verständigungspotential der Bürgerinnen und Bürger".

Im Zentrum des Buches steht jenes Jahrzehnt, an dessen Anfang der Bonner Student Habermas mit einem Zeitungsartikel eine Debatte über die Vergangenheit Heideggers lostrat und an dessen Ende er als Heidelberger Professor mit dem "Strukturwandel der Öffentlichkeit" die Grundlagen einer normativen Theorie des Politischen gelegt hatte. Den Texten, Kontexten, Personen und Kontroversen dieser Jahre ist Yos bis in jedes Detail nachgegangen, hat Zeitungen, Zeitschriften und Archive durchkämmt, darunter den Vorlass von Habermas' im Frankfurter Universitätsarchiv. Auch bisher unbekannte Veröffentlichungen hat er dabei zutage gefördert.

Der Denkweg Habermas' ist im Wesentlichen natürlich bekannt: die Anfänge seines Philosophierens im Bann Heideggers oder die Begegnung mit der philosophischen Anthropologie Arnold Gehlens, der dann jeweils eine vergangenheitspolitische Zurückweisung folgte. Yos betont außerdem die kritische Leidenschaft für Gottfried Benn. Das Verfahren detailgetreuer Kontextualisierung, das Yos praktiziert, bewährt sich dabei vor allem an den kleinen Texten, am meisten bei den vielen publizistischen Interventionen des jungen Habermas. Gerade diese in ihrer Geradlinigkeit wie ihrer journalistischen Kunst bis heute eindrucksvollen Zeugnisse wird man nach Yos mit neuen Augen lesen. Filmkritiken etwa, in denen Habermas die Frage der Vergangenheitsbewältigung verhandelte. Gegenüber der Entwicklung von Habermas' Philosophie hingegen entwickelt Yos keinen wirklich eigenständigen Standpunkt, sondern protokolliert sie als Prozess von innerer Notwendigkeit. So gerät seine Darstellung häufig zu einer Mischung aus ehrfurchtsvoller Paraphrase und Kompendium der Sekundärliteratur.

Das zeigt sich vor allem an der Auseinandersetzung mit den beiden Büchern jener Jahre. 1954 wurde Habermas mit einer bis heute unveröffentlichten Arbeit über die "Zwiespältigkeit in Schellings Denken" in Bonn promoviert. Yos schildert Entstehung, Aufbau und Gedankengang, konzediert die starke Abhängigkeit der Fragestellung von Heideggers Kategorien, verteidigt die Eigenständigkeit des Ansatzes, vermeidet aber alle Anschlussüberlegungen zur werkgeschichtlichen Einordnung. Auch Habermas selbst würde dieses Werk heute vermutlich als "eine Art Durchgangsstation eines darüber hinaus andauernden Selbstverständigungsprozesses" ansehen, "der von Heidegger über Schelling zu Marx führt, anders gesagt: von der Fundamentalontologie zur kritischen Gesellschaftstheorie". Ist die Geschichte jener Dissertation als Geschichte eines heilsamen Heidegger-Entzugs wirklich zu Ende erzählt? Oder ergäbe sich im Ausgang gerade von Schellings Freiheitsbegriff nicht auch eine neue und vielleicht ambivalentere Perspektive auf Habermas' spätere politische und Sozialphilosophie?

Auch zeigen die von Yos ausgegrabenen Gelegenheitstexte die Kontingenzen jeder Werkentwicklung: So entsprang Habermas' Interesse an Fragen der kritischen Gesellschaftstheorie vielleicht nicht nur einer Selbstbewegung des Denkens von Heidegger zu Marx: Als in Bonn gerade keine Assistentenstelle frei war, schrieb Habermas stattdessen für das "Düsseldorfer Handelsblatt" Zeitungsartikel über die Mechanisierung der Produktion und die Zukunft des Beamtentums.

Zwiespältig ist auch das Schlusskapitel über die Anfänge der Demokratietheorie. So kundig Yos durch die zeitgenössischen Debatten über Universitäts- und Bildungsreformen führt, so kontextgesättigt er Habermas' Weg durch den Technokratiediskurs der fünfziger Jahre nachzeichnet, so wenig überzeugt seine Würdigung des ersten Hauptwerks, der 1962 erschienenen Habilitationsschrift über den "Strukturwandel der Öffentlichkeit". Gerade dieses Werk hätte, wenn es denn nach Yos als Abschluss des Frühwerks und nicht als Beginn des mittleren Werks bis zur sprachpragmatischen Wende zu lesen sein soll, mehr verdient als eine Inhaltszusammenfassung und eine Wiedergabe der gängigen Argumente gegen eine subtile Abhängigkeit des Werks von der Parlamentarismuskritik Carl Schmitts. Nach dem normativen Prinzip, das Habermas in dieser Studie entfaltete, hebt das freie öffentliche Räsonnement der Bürgergesellschaft über die Herrschaft diese als Herrschaft auf und ersetzt sie durch einen Begriff des Politischen jenseits des Staates. Wenn man das nicht nur für richtig hält, sondern auch für den Abschluss des mit Heidegger, Gehlen und Benn begonnenen Denkweges, dann wäre im Grunde die politische Entwicklung der Bundesrepublik darin vorweggenommen. Eine solche Antwort auf die Frage der historischen Größe hätte aber einer eingehenderen Begründung bedurft.

FLORIAN MEINEL

Roman Yos: "Der junge Habermas". Eine ideengeschichtliche Untersuchung seines frühen Denkens 1952-1962.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 521 S., br., 26,- [Euro].

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»Den Texten, Kontexten, Personen und Kontroversen der [frühen] Jahre ist Yos bis in jedes Detail nachgegangen, hat Zeitungen, Zeitschriften und Archive durchkämmt ... Auch bisher unbekannte Veröffentlichungen hat er dabei zutage gefördert.« Florian Meinel Frankfurter Allgemeine Zeitung 20190614