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Nobelpreis für Literatur 2022
Sie ist Mitte fünfzig und beginnt ein Verhältnis mit einem dreißig Jahre jüngeren Mann. Einem Studenten, noch dem Milieu verhaftet, aus dem sie sich emanzipiert zu haben glaubt. Er verlässt die gleichaltrige Freundin und liebt sie mit einer Leidenschaft wie keiner zuvor. Entrückte Tage und Nächte in seinem kargen Zimmer, Matratze auf dem Boden, löchrige Wände, defekter Kühlschrank. Doch die intime Episode ist zugleich etwas Politisches, auf der Straße, in den Restaurants und Bars: fast ständig böse Blicke, wütende Reaktionen. Sie ist wieder das »skandalöse…mehr

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Produktbeschreibung
Nobelpreis für Literatur 2022

Sie ist Mitte fünfzig und beginnt ein Verhältnis mit einem dreißig Jahre jüngeren Mann. Einem Studenten, noch dem Milieu verhaftet, aus dem sie sich emanzipiert zu haben glaubt. Er verlässt die gleichaltrige Freundin und liebt sie mit einer Leidenschaft wie keiner zuvor. Entrückte Tage und Nächte in seinem kargen Zimmer, Matratze auf dem Boden, löchrige Wände, defekter Kühlschrank. Doch die intime Episode ist zugleich etwas Politisches, auf der Straße, in den Restaurants und Bars: fast ständig böse Blicke, wütende Reaktionen. Sie ist wieder das »skandalöse Mädchen« ihrer Jugend, nun aber ganz ohne Scham, mit einem Gefühl der Befreiung. Irgendwann erträgt er ihre frühere Schönheit nicht mehr, und sie erlebt bloß noch Wiederholung, obwohl er »ihr Engel ist, der die Vergangenheit heraufbeschwört, sie ewig leben lässt«. Und was heißt das für die Zukunft?

Annie Ernaux bricht ihr letztes Tabu - radikal pointiert und prägnant erzählt sie von einer skandalösen Liebesbeziehung, einer ambivalenten Rückkehr in die eigene Vergangenheit und der triumphalen Überwindung einer lebenslangen Scham.
Autorenporträt
Annie Ernaux, geboren 1940, bezeichnet sich als »Ethnologin ihrer selbst«. Sie ist eine der bedeutendsten französischsprachigen Schriftstellerinnen unserer Zeit, ihre zwanzig Romane sind von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeiert worden. Annie Ernaux hat für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zuletzt den Nobelpreis für Literatur.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensentin Judith von Sternburg lernt allerhand über die Mechanismen der Erinnerung mit diesem Buch über eine ungleiche Paarbeziehuung von Annie Ernaux. Dass die Autorin Lesererwartungen unterläuft, indem sie weniger das Glück thematisiert als vielmehr die Zeit und den Tod, gefällt Sternburg. Entstanden ist laut Sternburg kein von Zweifeln handelnder Liebesroman, sondern ein Buch, das geradezu "hochgemut" Leidenschaft, Erinnerung und Macht betrachtet und damit auch die Liebe selbst.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.01.2023

Die freieste
Liebe
Beziehungen älterer Frauen mit viel jüngeren
Männern ergeben gerade die schönsten
Geschichten. Nicht nur bei Annie Ernaux
VON MARIE SCHMIDT
Es ist ein charmantes Detail, dass Annie Ernaux, als sie mit 82 Jahren endlich den Literaturnobelpreis bekam, gerade dieses Buch herausgebracht hatte. Kein Hauptwerk, eher eine Notiz über eine Jahrzehnte zurückliegende Liebe. Das Büchlein war vergangenen Herbst in aller Munde, und wenn man die jetzt erscheinende Übersetzung trotzdem noch aufgeregt in die Hand nimmt, dann weil die Buchgestaltung der deutschen Ausgabe bei Suhrkamp dem Inhalt ebenbürtig ist an nüchterner Präzision.
Auf weißem Umschlag das Foto eines weißen Lakens. Bei näherem Hinsehen: gewebte Muster im Stoff, Wäsche wie in einer altmodischen Pension oder einer Studentenwohnung, für die jemand etwas von ganz hinten im Schrank der Mutter mitbekommen hat. Das Bett ist zerwühlt, womöglich feucht, der Anblick etwas zu intim. Darüber in lippenstiftroter Serifenschrift Name und Titel „Der junge Mann“.
Die Erzählerin, mehr oder weniger identisch mit der Autorin, spricht von einer Zeit, in der sie zögerte „die Erzählung meiner heimlichen Abtreibung“ zu schreiben. Daraus wird später Ernauxs im Jahr 2000 erschienenes Buch „Das Ereignis“ über eine traumatische ungewollte Schwangerschaft als Studentin. Die 54 Jahre alte Schriftstellerin fängt also an, mit einem Studenten zu schlafen, der fast dreißig Jahre jünger ist. Der zweite Satz des Buches heißt: „Ich hatte schon oft Sex, um mich zum Schreiben zu zwingen.“
Damit ist sofort klar: Hier gibt es keine Illusionen zu verlieren, das ist nicht der tragische Versuch, sich selbst zu verjüngen, keine Affäre, die jemanden die Würde kosten wird. Eine Künstlerin findet ihre Muse. So einfach. Sie macht eine Erfahrung, die sie sich selbst und ihr Schreiben neu sehen lässt, und teilt es ungeniert mit. Obwohl es bei Ernaux sonst so viel um Scham und Schuld geht. Hier nicht.
Wie überhaupt auffällt, dass aus einer Reihe von Liebesgeschichten zwischen Frauen mittlerer Jahre und viel jüngeren Männern, die gerade wieder in Filmen und Büchern vorkommen, ein paar herkömmliche Vorstellungen verschwunden sind. Anders als die spiegelverkehrte Kombination – ein älterer Mann mit einer viel jüngeren Frau – wird die Version mit dem blutjungen Liebhaber in der außerliterarischen Welt vielleicht noch als seltener Fall angesehen. Aber in der Kunst finden sich unzählige Beispiele für dieses Motiv, weit über populäre Standardwerke wie „Harold und Maude“ und Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ hinaus.
Eines der jüngsten ist Martin Kordićs Roman „Jahre mit Martha“, in dem sich der Altersunterschied der Liebeshandlung angenehm prickelnd ausmacht gegenüber dem viel dramatischeren Herkunfts- und Schichtunterschied: „Martha war eine blonde Professorin aus Heidelberg“, der Erzähler, Kind einer Putzfrau und eines Hausmeisters aus der Herzegowina, arbeitet hart, um gesellschaftlich auf- und dann wieder abzusteigen.
Anfangs beschäftigt sie ihn als Gärtner. Der Teenager und die frisch Geschiedene umtigern sich ihren ersten Sommer lang und Kordić beschreibt rührend, wie sie sich dabei ihrer Körper bewusst werden. Als 1955 in Douglas Sirks Technicolorfilm „All That Heavens Allow“ Rock Hudson als junger Baumpfleger einer gar nicht mal so viel älteren Witwe (Jane Wyman) den Garten machte, mussten sie an ihrer Liebe noch scheitern. Kinder, befreundete Ehepaare und eifersüchtige ältere Junggesellen diskriminieren im Film die Frau Mitte dreißig so heftig für ihre Beziehung, dass sie kummervoll verzichtet.
Das ist der alte amerikanische Standardplot: Für eine Frau wird so eine Liebe der Ruin, sie macht sich sozial unmöglich, es beschleunigt ihren körperlichen Verfall und kostet sie auch noch ein Vermögen. Das Leben kostet die Affäre, wie Rock Hudsons Helden, erstaunlich oft den männlichen Part. Was für seine Geliebte die Höchststrafe bedeutet: noch einsamer noch älter werden.
Solche Drohungen geistern nur mehr als historische Erinnerung durch die Liebesgeschichten der Gegenwart und plausibilisieren höchstens eine zarte Heimlichtuerei, die darin gepflegt wird. Diese verschwiegenen Affären machen nicht mehr den Eindruck unterdrückten Begehrens, sondern den einer träumerischen Freiheit: Wir bekommen von Lieben erzählt, die sich nicht sofort auf Pärchenabenden bewähren müssen, nicht nach Familiengründung verlangen. Fröhliche, spielerische Nebenwege im üblichen Beziehungsstress.
In der schwedischen Serie „Liebe und Anarchie“, die seit 2020 auf Netflix läuft, ist die Hauptfigur eine dieser Frauen, die alles haben müssen, Kinder, Karriere, ein etwas zu routiniertes Sexleben. Ihre Affäre mit dem Praktikanten fängt mit Post-its an, die sie sich an die Bildschirme kleben, Befehle zu kleinen Mutproben: Geh den ganzen Tag rückwärts durchs Büro. Wiederhole im nächsten Meeting alles, was die anderen sagen. Sie verzaubern sich die Welt, machen sich die blödsinnige Entfremdung der Arbeit in einer kriselnden Branche zum Abenteuer, von dem nur sie beide wissen.
In Nicolette Krebitz’ Film „A E I O U. Das schnelle Alphabet der Liebe“ von 2022 spielt Sophie Rois eine Schauspielerin, die des Alters wegen keine Aufträge mehr bekommt und einem Schulversager und Taschendieb Sprechunterricht geben soll. Sie lehrt ihn schauspielern, zusammen steigern sie sich in eine Art Nouvelle-Vague-Rausch hinein und hauen ab an die Côte d’Azur, wo er ihr das Klauen beibringt. Zwei verkrachte Existenzen, die gerade weil die Welt nichts von ihnen wissen will, eine Chance auf echte Intimität bekommen.
Gesellschaftliche Regeln, die solche Lieben früher mal sanktioniert haben, kommen in diesen Geschichten jetzt nur noch als Gegenstand heiterer Spielchen vor. Anstelle guter Sitten gibt es heute Rollenerwartungen. Aber zwischen älteren Frauen und jungen Männern sind keine vorgesehen, behaupten die romantischen Plots, und wenn so ein Paar das mal erkennt, begehrt es vorurteilsfrei.
Die Frauen in diesen Liebesgeschichten haben nichts mehr zu tun mit den Ehefrauen, die sich in Romanen des 19. Jahrhunderts, bei Stendhal, Flaubert, Benjamin Constant, in Affären mit jungen Emporkömmlingen unglücklich machten. Die übergriffige Verführerin Mrs. Robinson aus dem Film „The Graduate“ von 1968 ist auch nicht ihr Rollenmodell, so wenig wie unzählige Lehrerinnen der Literatur- und Filmgeschichte, die ihren Schülern erliegen.
Als Klassiker kann heute eher „Chéri“ gelten: Gleich am Anfang dieses Romans von 1920 überspielt die französische Romancière Colette den Altersunterschied des Paars, indem sie auch noch die Geschlechterrollen auflöst. Eine kleine Drag-Szene, Chéri probiert die Perlenkette seiner Geliebten: „Sie steht mir genauso gut wie dir. Wahrscheinlich sogar besser!“ So kommt er ins Bild: „Er öffnete sein Nachtgewand über einer matten, festen, wie ein Schild gewölbten Brust, und derselbe rosa Funke spielte auf seinen Zähnen, dem Weiß seiner dunklen Augen und den Perlen des Colliers.“ Wir sehen ihn mit dem Blick von Léa, die wie seine Mutter eine Kurtisane des Fin de Siècle ist, eine Frau, die als professionelle Geliebte ein Vermögen gemacht hat. Ihr Verhältnis mit Chéri leistet sie sich nur so zum Vergnügen.
Léa war eine hinreißende Rolle für die 50-jährige Michelle Pfeiffer, die in der Verfilmung von Stephen Frears 2009 diesen unsterblichen, ins Mütterliche übergehenden Schlussmonolog hatte: „Wäre ich ein guter Mensch, hätte ich aus dir einen Mann gemacht, statt an nichts anderes zu denken, als an mein Vergnügen und dein Glück. Dann hätte ich dich nicht für mich allein gewollt.“
„Ich hatte auch nichts mit Léa aus Chéri gemein“, grenzt sich Annie Ernaux in „Der junge Mann“ ab. Sie ist keine Geschäftsfrau, die sich eine Sentimentalität erlaubt, sie ist Künstlerin und verarbeitet ihr Erlebnis: „Anders als mit achtzehn oder fünfundzwanzig, als ich ganz in den Geschehnissen gelebt hatte, ohne Vergangenheit oder Zukunft“, schreibt sie, habe sie „mit A. den Eindruck, Szenen und Gesten wiederaufzuführen, die bereits stattgefunden hatten, das Theaterstück meiner Jugend.“ Wie auf einer Bühne sieht sie sein Alter in der Distanz und ihr eigenes, den Abstand, den sie zu ihrer Herkunft aus dem Kleinbürgertum gewonnen hat, aus dem er sich noch nicht gelöst hat. Sie spürt „das warme Gefühl meiner eigenen Dauer und der Beständigkeit meines Begehrens“.
Hinter dem Begriff „Durée“ steht im Französischen ein ein ganzes philosophisches Konzept. Der Philosoph Henri Bergson hat damit eine Zeitwahrnehmung beschrieben, die dem Menschen nicht gegeben sei. Unser Bewusstsein könne von der Zeit nur kurze Abschnitte der Gegenwart erfassen. Ihr Vergehen müssten wir uns mithilfe räumlicher Modelle vorstellen, Terminplänen und Zeitleisten. Oder wir finden Indizien auf Fotos und in den Falten im Spiegel. Wirklich erfahren könnten wir die „Dauer“, den Verlauf der Zeit, nur in seltenen Momenten der „Intuition“. Für Annie Ernaux, die Buch um Buch über unterschiedliche Versionen ihres Selbst zu verschiedenen Zeiten schreibt, ist diese Intuition werkentscheidend. Sie findet sie im Bett des jungen Mannes.
Und überschlägt, dass ihre Zeit vor seiner Geburt etwa der entspricht, die er nach ihr erleben wird: „Ohnehin war er, allein durch seine Existenz, mein Tod. So wie meine Söhne es waren und wie ich selbst es für meine Mutter gewesen war.“ So unerschrocken sind die ödipalen Dramen der Weltliteratur wohl noch nie auf ihren existenziellen Kern gebracht worden.
Annie Ernaux, 1940 geboren.
In ihren Büchern
geht es öfter um Klassen- als um Altersunterschiede.
Foto: Anders Viklund/dpa
In „Liebe und Anarchie“ verzaubern sich Max (Björn Mosten) und Sofie (Ida Engvoll) den Alltag im Büro. Foto: Ulrika Malm/Netflix
Annie Ernaux:
Der junge Mann.
Aus dem Französischen
von Sonja Finck.
Suhrkamp, Berlin 2023.
48 Seiten, 15 Euro.
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»Durch die vorliegende Erzählung ist für die Literaturnobelpreisträgerin des vergangenen Jahres somit ein weiteres Kapitel ihres Lebens abgeschlossen, dem hoffentlich noch viele weitere folgen werden.« Luca Glenzer neues deutschland 20230316