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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Lothar Müller liest das 1938 erschienen Buch von Rachel Berdach alias R. B. Bardi nicht nur als Baustein der Freud-Biografik. Dass Freud sich in einer Figur des Buches gespiegelt gesehen haben soll, beschäftigt ihn aber doch. Wie die Autorin in ihrem Disput zwischen einem jüdischen Rabbi, einem muslimischen Arzt, einem byzantinischen Gesandten und deutschen Würdenträgern einen alten Legendenstoff paraphrasiert, wie sie Einsichten über "Traum und Wahn" einflicht, die an diejenigen Freuds erinnern, findet Müller jedenfalls lesenswert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2022

Traum und Wahn
Was für eine Wiederentdeckung: R. B. Bardis Roman „Der Kaiser / die Weisen und der Tod“
Die Lektüren Sigmund Freuds vor seinem Tod im englischen Exil im September 1939 hat der Arzt Max Schur festgehalten. Anfang Dezember 1938 traf das Buch „Der Kaiser/ die Weisen und der Tod“ in Hampstead ein, begleitet von einem Brief der Autorin, die es unter dem Pseudonym „R.B. Bardi“ publiziert hatte. Freud reagierte mit einem enthusiastischen Antwortschreiben: „Ihr geheimnisvoll-schönes Buch hat mir in einem Maße gefallen, das mich meines Urteils unsicher macht. Ist es die ergreifende Verklärung jüdischen Leidens, ist es die Überraschung, dass man am Hofe des genialen und gewalttätigen Staufers soviel von den Weisheiten der Psychoanalyse begriffen hat, die mich sagen lassen, dass ich schon lange nichts so Gehaltvolles und poetisch Gelungenes gelesen habe!“
Freud hatte imaginäre Gespräche am Hof des Stauferkaisers Friedrich II. in Sizilien und Apulien gelesen. Es war ein sehr anderer Kaiser als der Held in der einflussreichen Friedrich II.-Biografie von Ernst Kantorowicz aus dem Jahr 1928, den die Deutschnationalen zu ihrem Lieblingskaiser krönen konnten. Hauptfiguren sind ein jüdischer Rabbi, ein muslimischer Arzt aus Ägypten, ein griechisch-byzantinischer Gesandter und ein tief gestaffelter Chor christlicher Bischöfe und Legaten aus Deutschland, aus Rom und Sizilien. Die deutschen Würdenträger aus Mainz und Augsburg sind die Wortführer eines rabiaten christlichen Antijudaismus, der Kaiser erscheint als skeptischer, spöttischer Zuhörer und Kommentator, ein Mächtiger, über dem der Kirchenbann liegt, als Person zum Glauben durchaus unbegabt.
Freud, zeitlebens ein wacher Beobachter des Antisemitismus, war 1938 in die Exilgeschichte der Juden eingetreten, zugleich hatte er sich als Ungläubiger der Frage nach dem eigenen Judentum gestellt. Am selben Tag wie den Antwortbrief an E.B. Bardi schrieb er an Marie Bonaparte, er habe gerade die Erstkorrektur der deutschen Ausgabe von „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“ beendet, einem Buch, das sich als historische Psychoanalyse des Judentums lesen lässt.
E. B. Bardi wiederum war das Pseudonym der 1878 in Budapest geborenen Autorin Rachel Berdach. Der Freud-Forscher Christfried Tögel hat einmal ein knappes Porträt von ihr gezeichnet. Sie ging Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts nach Berlin, wo sie durch den Freud-Schüler Karl Abraham die Psychoanalyse kennenlernte und sich später einer Analyse bei Theodor Reik unterzog. Im Frühjahr 1938 war sie für einige Zeit in Wien und emigrierte von dort nach London, wie Freud, den sie im Januar 1939 besuchte. 1947 zog sie nach Baden bei Zürich, wo sie 1961 starb.
Man muss nicht lange in ihrem Buch lesen, um zu ahnen, dass Freud in der Figur des jüdischen Rabbi – und Arztes – Jakob Charif Benaron sich selbst gespiegelt gesehen mag. Ganz ohne psychoanalytische Terminologie, eingeschmolzen in die Sprache der Legenden, Gleichnisse und mittelalterlichen Fallgeschichten formuliert der Rabbi Einsichten über Traum und Wahn, die denen Freuds nahekommen, löst Verblendungen auf, stellt der Verbannung der Wahnsinnigen in Narrentürme die Lösung des Wahns durch Sprache und Erzählung entgegen und verteidigt zugleich die Legitimität des Judentums gegen seine Verfolger, entgiftet die christlich-antijüdische Ahasver-Legende durch seine eigene Version. Der Tod des Rabbi rahmt das Buch, und auch der Kaiser stirbt.
Es ist ein großes Verdienst des kleinen Arsenal-Verlags, Berdachs Buch wieder zugänglich zu machen. Nicht etwa nur deshalb, weil es sich als kleiner Baustein in die Freud-Biografik einfügen ließe. Es ist ein bedeutendes Dokument der Kunst der literarischen Paraphrase, der Neuerzählung alter Stoffe – und Neuerfindung aus ihrem Geiste, ihrer Sprache. Von Freud ist in den ersten Reaktionen nicht die Rede, wohl aber von der „Apologie des Judentums“. So in der Jüdischen Wochenschrift Die Wahrheit im Dezember 1937. Anders als in der Neuausgabe zu lesen, ist das im Wiener Saturn-Verlag erschienene Original zwar auf 1938 datiert, aber früher erschienen. Ende November hat Rachel Berdach es im Wiener „Verein für jüdische Geschichte und Literatur“ vorgestellt. Auch der Hinweis, ihre mit ins Exil genommenen Exemplare seien „die einzigen erhaltenen“, stimmt nicht ganz. Allein in Berliner Bibliotheken gibt es mindestens drei Exemplare.
Schön wäre gewesen, die Neuausgabe hätte das Motto des Originals bewahrt: „Gott, wenn wir deine Ebenbilder sind, wie einsam musst Du sein!“ Darunter: „Aus dem Nachlass von Michael Benchacham.“ Er ist im Buch ein Schreiber und als wahnhaft belächelter Sänger. Vor allem aber der Überlebende des schlimmsten darin erzählten Pogroms
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LOTHAR MÜLLER
R. B. Bardi: Der Kaiser /
die Weisen und der Tod. Roman. Das Arsenal Verlag, Berlin 2022. 240 Seiten, 24,90 Euro.
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